Absatz 1 des § 254 BGB regelt den Fall des Mitverschuldens bei der Entstehung des Schadens. In Absatz 2 wird präzisiert, dass diese Regelung auch greift, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, den Schädiger auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen oder geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Schaden zu mindern oder abzuwenden.
Der Kern der Schadensminderungspflicht besteht darin, dass der Geschädigte eine „Pflicht gegen sich selbst“ hat, also Maßnahmen ergreifen muss, die dazu führen, dass der Schaden auf einem zumutbaren und vertretbaren Niveau bleibt. Diese Pflicht wird oft als Obliegenheit bezeichnet, da es keine direkte Anspruchsgrundlage für den Schädiger gibt, diese Maßnahmen vom Geschädigten zu verlangen. Jedoch kann ein Verstoß gegen diese Obliegenheit den Schadenersatzanspruch erheblich schmälern.
2. Obliegenheit statt Pflicht
Juristisch betrachtet unterscheidet sich die Schadensminderungspflicht von einer regulären Pflicht dadurch, dass sie eine sogenannte Obliegenheit ist. Eine Obliegenheit bedeutet, dass dem Geschädigten kein Rechtsverlust droht, wenn er die Maßnahme nicht ergreift, aber sein eigenes rechtliches Interesse – hier der Schadenersatzanspruch – gefährdet ist. Verletzt der Geschädigte diese Obliegenheit, wird ihm Mitverschulden angelastet, was zu einer Kürzung seines Ersatzanspruchs führen kann.
Beispielsweise kann der Ersatzanspruch gemindert werden, wenn der Geschädigte dem Schädiger nicht rechtzeitig mitteilt, dass ein drohender Schaden abwendbar wäre. Dies ist etwa der Fall, wenn der Geschädigte einen Schädiger nicht auf die Notwendigkeit einer dringenden Reparatur hinweist, die weitere Schäden verhindern könnte. Unterlässt er diesen Hinweis, wird ihm ein Mitverschulden angelastet, das seinen Schadenersatzanspruch reduziert.
3. Zumutbarkeit der Maßnahmen
Die Pflicht zur Schadensminderung ist jedoch nicht grenzenlos. Entscheidend ist immer die Zumutbarkeit der Maßnahmen, die dem Geschädigten auferlegt werden können. Es wird nicht erwartet, dass der Geschädigte Maßnahmen ergreift, die über das hinausgehen, was ihm im Rahmen seiner Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zugemutet werden kann. Maßstab ist dabei das Verhalten eines verständigen Durchschnittsmenschen in der jeweiligen Lage.
Ein Beispiel aus der Praxis ist ein Wasserschaden durch eine geplatzte Wasserleitung in einer Wohnung. Hier wäre es dem Geschädigten zuzumuten, die Hauptwasserleitung abzudrehen und das Wasser aufzuwischen, um Folgeschäden zu vermeiden. Unzumutbar wäre es hingegen, wenn von ihm erwartet würde, selbst Reparaturen an der Wasserleitung vorzunehmen, da dies Fachkenntnisse und entsprechende Ausrüstung erfordern würde. In solchen Fällen reicht es aus, dass der Geschädigte umgehend einen Handwerker kontaktiert, um den Schaden professionell beheben zu lassen.
4. Auswirkungen eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht
Verletzt der Geschädigte die Schadensminderungspflicht, hat dies direkte Konsequenzen für seinen Schadenersatzanspruch. Der Schädiger haftet dann nur für den Teil des Schadens, der auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Obliegenheit entstanden wäre. Die Differenz zwischen dem tatsächlich entstandenen und dem vermeidbaren Schaden muss der Geschädigte selbst tragen.
Ein Beispiel verdeutlicht dies: Wird nach einem Fensterschaden, der durch einen Nachbarn verursacht wurde, das Fenster nicht umgehend repariert und es kommt einige Tage später zu einem Unwetter, bei dem Regenwasser in die Wohnung eindringt und den Boden beschädigt, haftet der Nachbar nur für den ursprünglichen Fensterschaden. Der Schaden am Boden ist dem Geschädigten zuzuschreiben, da er seine Schadensminderungspflicht verletzt hat, indem er die notwendige Reparatur verzögerte.
In diesen Fällen reduziert sich der Anspruch des Geschädigten entsprechend. Der Geschädigte muss beweisen, dass er alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um den Schaden zu mindern, andernfalls wird ihm eine Verletzung der Schadensminderungspflicht zur Last gelegt.
5. Mitverschulden und seine Folgen
Die Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB ist eng mit dem Konzept des Mitverschuldens verknüpft. Ein Mitverschulden kann nicht nur in einem aktiven Tun bestehen, sondern auch in einem Unterlassen. Das bedeutet, dass ein Geschädigter bereits dann Mitverschulden trägt, wenn er es unterlässt, einfache und zumutbare Schritte zur Verhinderung eines Folgeschadens zu unternehmen. Das Gesetz gibt dem Schädiger die Möglichkeit, seinen Haftungsumfang zu reduzieren, wenn der Geschädigte durch Unterlassen zur Verschlimmerung des Schadens beiträgt.
Beispielhaft sei eine kaputte Fensterscheibe durch einen Ballspielunfall genannt. Wenn der Geschädigte nach dem Vorfall tagelang wartet, bis er einen Handwerker ruft, obwohl Regen angekündigt ist, und es dadurch zu Schäden am Inventar der Wohnung kommt, wird die Versicherung des Schädigers diese zusätzlichen Schäden nicht abdecken. Hier trifft den Geschädigten ein Mitverschulden, weil er seine Schadensminderungspflicht verletzt hat.
II. Schadensminderungspflicht in der Praxis: Beispiele und Anwendungsbereiche
Die praktische Anwendung der Schadensminderungspflicht lässt sich an vielen verschiedenen Lebensbereichen veranschaulichen. Im Folgenden werden einige typische Beispiele vorgestellt, um das Konzept zu verdeutlichen:
1. Hausratversicherung
Ein klassisches Beispiel für die Schadensminderungspflicht tritt im Rahmen von Hausrat- oder Wohngebäudeversicherungen auf. Wenn nach einem Unwetter Fenster beschädigt werden, muss der Geschädigte dafür sorgen, dass kein Regenwasser in das Haus eindringt. Unterlässt der Versicherte diese Maßnahme und es kommt infolge des Wassereintritts zu weiteren Schäden an Möbeln oder Böden, übernimmt die Versicherung lediglich die Kosten für die beschädigten Fenster. Die zusätzlichen Schäden am Mobiliar trägt der Geschädigte selbst, da er seine Pflicht zur Schadensminimierung vernachlässigt hat.
2. Verkehrsunfälle
Auch im Bereich der Kfz-Versicherung spielt die Schadensminderungspflicht eine bedeutende Rolle. Nach einem Unfall muss der Geschädigte den Schaden am Fahrzeug so gering wie möglich halten. Dazu gehört beispielsweise, beschädigte Fahrzeugteile sofort reparieren zu lassen oder das Auto nicht unnötig weit abzuschleppen. Verletzt der Geschädigte diese Pflicht, etwa indem er das Fahrzeug unsachgemäß transportiert oder nicht sofort absichert, kann die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners die Übernahme der Mehrkosten ablehnen.
3. Privathaftpflichtversicherung
Im Rahmen der Privathaftpflichtversicherung ist der Schädiger verpflichtet, den angerichteten Schaden zu melden und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, um eine Verschlimmerung zu verhindern. Wenn beispielsweise bei einer Feier ein Gast eine Tür beschädigt, sollte der Gastgeber dafür sorgen, dass die Tür stabilisiert wird, um weiteren Schaden zu vermeiden. Wird die Tür aufgrund der Versäumnisse des Gastgebers vollständig zerstört, haftet die Versicherung möglicherweise nur für den ursprünglichen Schaden an der Tür und nicht für den kompletten Austausch der Türanlage.
4. Wasserschäden
Besonders anschaulich wird die Schadensminderungspflicht bei Wasserschäden, die in einer Wohnung oder einem Haus auftreten. Wenn beispielsweise eine Wasserleitung platzt, ist es die Pflicht des Geschädigten, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um den Schaden zu begrenzen, indem er die Leitung zudreht und das ausgetretene Wasser aufwischt. Unterlässt er dies, weil er beispielsweise abwartet oder nicht handelt, trägt er eine Mitschuld am erhöhten Schaden und riskiert, dass die Versicherung lediglich den ursprünglichen Wasserschaden deckt und nicht die durch unterlassene Maßnahmen entstandenen Folgeschäden.
III. Weitere rechtliche Grundlagen der Schadensminderungspflicht
Die Schadensminderungspflicht ist nicht nur im BGB verankert, sondern auch in anderen Gesetzen und Verordnungen geregelt. Besonders im Versicherungsrecht spielt sie eine herausragende Rolle. So sieht beispielsweise § 82 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) vor, dass der Versicherungsnehmer alles tun muss, um einen Schaden abzuwehren oder zu mindern. Diese Verpflichtung gilt unabhängig von der Frage, wer den Schaden verursacht hat, und betrifft sowohl den Versicherungsnehmer als auch den Versicherten.
Im Bereich der Kfz-Versicherung wird besonders darauf geachtet, dass der Geschädigte seine Schadensminderungspflicht erfüllt. Der Versicherer kann bei einem Verstoß gegen diese Pflicht die Schadensregulierung verweigern oder einschränken. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Wahl eines unangemessen teuren Mietwagens nach einem Unfall. Wählt der Geschädigte ein Fahrzeug, das deutlich über der Klasse seines beschädigten Autos liegt, kann die Versicherung die Kostenerstattung auf ein angemessenes Maß kürzen.
IV. Fazit zur Schadensminderungspflicht
Die Schadensminderungspflicht schützt die Interessen beider Parteien – des Geschädigten und des Schädigers – indem sie den Geschädigten verpflichtet, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Durch die im § 254 BGB verankerte Regelung wird verhindert, dass der Schädiger für vermeidbare Schäden aufkommen muss. Gleichzeitig wird der Geschädigte angehalten, verantwortungsvoll zu handeln, um den Schaden zu begrenzen.
Im Zweifel gilt es den jeweiligen Einzelfall zu betrachten. Entscheidend ist, ob die Maßnahmen zur Schadensminderung zumutbar und durchführbar waren. Die Missachtung dieser Pflicht kann schwerwiegende finanzielle Folgen für den Geschädigten haben, da der Anspruch auf Schadensersatz gekürzt oder vollständig abgelehnt werden kann.