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Opportunitätsprinzip

Das Opportunitätsprinzip, auch als Entschließungsprinzip bekannt, ist ein fundamentales juristisches Konzept, das der Staatsanwaltschaft und den Ordnungsbehörden eine erhebliche Handlungsfreiheit innerhalb eines definierten rechtlichen Rahmens einräumt. Es erlaubt ihnen, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie tätig werden möchten. Diese Entscheidungsfreiheit ist jedoch durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und spezifische gesetzliche Regelungen eingeschränkt. Das Opportunitätsprinzip steht im Gegensatz zum Legalitätsprinzip, das die Verpflichtung zur Strafverfolgung vorsieht.

I. Opportunitätsprinzip im Polizeirecht

Das Opportunitätsprinzip nimmt im Polizeirecht eine zentrale Rolle ein, besonders in der Eingriffsverwaltung. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob und gegen wen polizeiliche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Diese Ermessensentscheidung gliedert sich in zwei Bereiche: das Entschließungsermessen und das Auswahlermessen.

1. Entschließungsermessen

Das Entschließungsermessen betrifft die grundlegende Entscheidung, ob die Polizei überhaupt tätig wird. Diese Entscheidung basiert auf einer Bewertung der Situation und der potenziellen polizeilichen Gefahrenlage. Beispielsweise kann die Polizei entscheiden, bei einer geringfügigen Ruhestörung nicht einzugreifen, wenn die Störung als nicht gravierend und das öffentliche Interesse als gering eingestuft wird. Hierbei spielt die Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine wesentliche Rolle.

 

2. Auswahlermessen

Das Auswahlermessen betrifft die Frage, gegen wen die Polizei ihre Maßnahmen richtet. In einer Menschenmenge, in der mehrere Personen gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, muss die Polizei entscheiden, gegen wen sie konkret vorgeht. Diese Entscheidung erfolgt auf Grundlage verschiedener Kriterien, wie der Intensität des Verstoßes oder der Gefährdungslage, die von der jeweiligen Person ausgeht.

 

3. Kodifizierung des Opportunitätsprinzips in Landesgesetzen

Das Opportunitätsprinzip ist in den Polizeigesetzen der Länder kodifiziert. Beispielsweise regelt § 3 PolG-BaWü (Polizeigesetz Baden-Württemberg) das pflichtgemäße Ermessen der Polizei. Ähnliche Regelungen finden sich in § 14 Absatz 1 SOG M-V (Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern) und Artikel 5 Absatz 1 PAG (Polizeiaufgabengesetz Bayern). Diese Vorschriften geben der Polizei den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen sie ihr Ermessen ausüben kann.

 

4. Ermessensreduktion auf Null

In bestimmten Situationen kann das Entschließungs- oder Auswahlermessen auf Null reduziert sein, was zu einer Handlungspflicht der Polizei führt. Dies ist der Fall, wenn bedeutende Rechtsgüter gefährdet sind oder das Nichteinschreiten unverhältnismäßig wäre. Ein Beispiel hierfür wäre eine akute Bedrohung für Leib und Leben, bei der die Polizei eingreifen muss, unabhängig von anderen Erwägungen.

 

II. Bußgeldverfahren – Opportunitätsprinzip OWiG

Das Opportunitätsprinzip im Ordnungswidrigkeitenrecht ist in § 47 OWiG verankert und erlaubt es den Verfolgungsbehörden, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob ein Bußgeldverfahren eingeleitet, fortgeführt oder eingestellt wird.  Hierzu besagt der erste Absatz dieser Vorschrift, dass die Behörden „nach pflichtgemäßem Ermessen“ entscheiden, ob sie tätig werden. Dies bedeutet, dass sie die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und dabei insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten müssen. Das Opportunitätsprinzip erlaubt somit eine situationsangepasste Entscheidung, die sowohl die Schwere der Ordnungswidrigkeit als auch das öffentliche Interesse an der Verfolgung berücksichtigt.

Die Behörden können entscheiden, von einer Verfolgung abzusehen, wenn beispielsweise die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit gering ist oder wenn andere Maßnahmen, wie eine mündliche Verwarnung, ausreichend erscheinen.

Ein klassisches Beispiel für die Anwendung des Opportunitätsprinzips im Bußgeldverfahren ist der Umgang mit Verkehrsordnungswidrigkeiten. Ein Autofahrer, der bei geringer Verkehrsdichte und ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer eine rote Ampel überfährt, könnte von der Polizei lediglich verwarnt werden, anstatt ein Bußgeldverfahren einzuleiten.

Ermessensspielraum und gesetzliche Grenzen: Der Ermessensspielraum der Behörden im Rahmen des Opportunitätsprinzips ist nicht unbegrenzt. Bestimmte gesetzliche Vorschriften können die Anwendung des Opportunitätsprinzips einschränken oder eine Handlungspflicht vorsehen. Beispielsweise kann das Opportunitätsprinzip bei schweren Ordnungswidrigkeiten oder bei Wiederholungstätern eingeschränkt sein. In solchen Fällen kann die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit im öffentlichen Interesse zwingend erforderlich sein, sodass die Behörden verpflichtet sind, ein Bußgeldverfahren einzuleiten.

 

III. Strafverfahren – Opportunitätsprinzip StPO

Im Strafverfahren gilt grundsätzlich das Legalitätsprinzip. Dieses Prinzip verpflichtet die Strafverfolgungsbehörden dazu, bei Kenntnis einer Straftat von Amts wegen tätig zu werden und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Das Legalitätsprinzip ist in § 152 Absatz 2 StPO verankert und bildet die Grundlage für eine umfassende und obligatorische Strafverfolgung. Dennoch gibt es Ausnahmen von diesem Prinzip, bei denen das Opportunitätsprinzip zur Anwendung kommt. Diese Ausnahmen sind in den §§ 153 ff. StPO geregelt und bieten der Staatsanwaltschaft unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, von der Verfolgung einer Straftat abzusehen oder das Verfahren einzustellen.

Gemäß § 153 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat absehen, wenn die Schuld des Täters gering ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Dies betrifft vor allem Bagatelldelikte, bei denen die Schwere der Tat und das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung als gering eingestuft werden. Ein Beispiel hierfür wäre ein Fall von geringfügigem Ladendiebstahl, bei dem der Wert des Tatobjekts sehr niedrig ist.

Einstellung des Verfahrens unter Auflagen (§ 153a StPO): Eine weitere Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bietet § 153a StPO, der die Einstellung des Verfahrens unter der Erteilung von Auflagen und Weisungen ermöglicht. Diese Regelung kommt zur Anwendung, wenn die Schuld des Täters nicht schwer wiegt und die Erfüllung von Auflagen ausreicht, um das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Auflagen können beispielsweise die Zahlung eines Geldbetrags, die Ableistung gemeinnütziger Arbeit oder die Wiedergutmachung des Schadens umfassen. Wenn der Täter die Auflagen erfüllt, wird das Verfahren endgültig eingestellt.

Einstellung wegen Unverhältnismäßigkeit der Strafe (§§ 154, 154a StPO): Die §§ 154 und 154a StPO bieten der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, ein Verfahren einzustellen, wenn die zu erwartende Strafe im Vergleich zu anderen Taten des Tatverdächtigen nicht erheblich ins Gewicht fällt. Diese Regelung wird insbesondere angewendet, wenn der Täter bereits wegen anderer, schwerwiegenderer Straftaten verurteilt wurde und eine zusätzliche Strafe für die weniger schwerwiegende Tat keinen signifikanten Unterschied machen würde. Dies dient der Entlastung der Justiz und der Konzentration auf bedeutendere Fälle.

Regelungen zum Opportunitätsprinzip im Jugendgerichtsgesetz: Ähnliche Regelungen zum Opportunitätsprinzip finden sich auch im Jugendgerichtsgesetz (JGG). Die §§ 45 und 47 JGG ermöglichen eine flexible Handhabung von Straftaten durch Jugendliche. Gemäß § 45 JGG kann der Jugendstaatsanwalt von der Verfolgung absehen, wenn die Folgen der Tat bereits hinreichend erzieherisch gewirkt haben oder wenn eine Erziehungsmaßnahme ausreichend ist. § 47 JGG erlaubt die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht, wenn der Jugendliche die Auflagen erfüllt und keine weiteren Maßnahmen erforderlich sind.

 

IV. Was ermöglicht das Opportunitätsprinzip?

Das Opportunitätsprinzip ermöglicht es den Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden, flexibel und situationsangepasst zu handeln. Es erlaubt ihnen, nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ob ein Verfahren eingeleitet, fortgeführt oder eingestellt wird. Diese Entscheidungsfreiheit trägt dazu bei, Verwaltungsressourcen effizient zu nutzen und sich auf bedeutendere oder dringlichere Fälle zu konzentrieren. Darüber hinaus fördert es eine gerechte und verhältnismäßige Anwendung des Rechts, indem es den spezifischen Umständen des Einzelfalls Rechnung trägt.

 

V. Opportunitätsprinzip Beispiel

Ein praktisches Beispiel für die Anwendung des Opportunitätsprinzips ist ein Fall, in dem eine Person eine geringfügige Straftat begangen hat, beispielsweise eine Ordnungswidrigkeit wie das Überschreiten der Parkzeit. Die zuständige Behörde könnte in diesem Fall von der Einleitung eines Bußgeldverfahrens absehen, wenn sie der Ansicht ist, dass das öffentliche Interesse an der Verfolgung der Tat aufgrund ihrer Geringfügigkeit nicht gegeben ist.

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