Die Geschichte des berüchtigten „Kinderzimmerdealers“ Maximilian Schmidt alias Shiny Flakes liest sich wie ein Hollywood-Drehbuch – nur, dass sie sich im Leipziger Stadtteil Gohlis tatsächlich abspielte. Von seinem Jugendzimmer aus steuerte Schmidt in den Jahren 2013 bis 2015 eine der größten Drogenhandelsplattformen Europas. Eine Verurteilung zu sieben Jahren Jugendstrafe 2015 beendete sein Imperium jedoch nicht. Stattdessen führte ihn seine Rückkehr erneut auf die Anklagebank. Welche gesellschaftlichen, juristischen und sicherheitstechnischen Fragen stellen sich im Fall „Shiny Flakes“? Und was ist seit dem jüngsten BGH-Urteil vom November 2024 neu?
Table of Contents
1. Die Anfänge und der Aufstieg von Shiny Flakes
In einer unscheinbaren Ecke Leipzigs, fernab der rauen Unterwelt, entstand das Imperium von „Shiny Flakes“. Im Kinderzimmer eines jungen Mannes, dessen Computer mehr als nur Hausaufgaben zu sehen bekam, wurde der Grundstein für eine Drogenhandelsplattform gelegt, die weltweit Aufsehen erregen sollte. Maximilian Schmidt, kaum zwanzig Jahre alt, verstand es, die Grenzen des Rechts zu überschreiten – und das ausgerechnet von zu Hause aus, mit nichts weiter als einem Laptop, der die begehrtesten Substanzen der Drogenszene verfügbar machte. Cannabis, Kokain, Ecstasy – alles war nur einen Klick entfernt und wurde wie in einem herkömmlichen Online-Shop versandt. Mit scharfem Sinn für Logistik und einem strategischen Blick auf Anonymisierung wusste er die Justiz aus seiner Spur zu halten: Bestellung und Versand blieben so gut verschlüsselt, dass selbst Ermittlungsbehörden Mühe hatten, hinter die Kulissen zu blicken.
Das Geheimnis hinter Shiny Flakes’ Erfolg
Shiny Flakes nutzte gezielt die Schwachstellen der Strafverfolgung: Server im Ausland und verschlüsselte Wallets machten es schwer, seine Spur zu verfolgen. So wuchs „Shiny Flakes“ von 2013 bis zu seiner Zerschlagung im Jahr 2015 zu einer Handelsplattform, die mehr als eine Tonne Rauschmittel in die Hände der Abnehmer brachte. Der finanzielle Erfolg ließ sich in einem geschätzten Vermögen von vier Millionen Euro bemessen, die auf verschiedensten Krypto-Wallets verteilt waren und von den Ermittlungsbehörden bis heute nicht vollständig sichergestellt werden konnten.
Weder die strengen Paragrafen des deutschen Strafrechts noch die Androhung hoher Strafen konnten den jungen Leipziger von seinem kriminellen Vorhaben abhalten. Die Vorschriften der §§ 29 und 29a des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), die den Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als schweres Verbrechen ahnden, wirkten für Schmidt offenbar eher wie ein ferner Schatten als eine drohende Barriere. Doch seine kriminelle Genialität blieb nicht ungestraft: 2015 fand sich Schmidt schließlich vor dem Leipziger Landgericht wieder, das ihn zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilte (Urteil vom 02.11.2015; Az. 3 KLs 131 Js 5926/15). Dieser erste Schlag schien Schmidts Einfluss kurzzeitig zu stoppen – doch es sollte nicht das letzte Kapitel seiner Geschichte sein.
2. Candylove und der Rückfall in die Kriminalität
Kaum in Haft, wurde Maximilian Schmidt erneut von seiner kriminellen Energie erfasst. Während seiner Zeit im offenen Vollzug fand er in Friedemann G. nicht nur einen Mitgefangenen, sondern einen Gleichgesinnten, der seine Leidenschaft für den illegalen Handel teilte. Im neuen Shop „Candylove“ bündelten sie ihre Talente und bauten, mit Schmidts Anweisungen aus der Haft heraus, eine weitere Plattform für den Handel mit Rauschgift auf. Zwischen 2019 und 2021 ließ sich erneut ein florierender Versandhandel mit Betäubungsmitteln aufziehen: Candylove lieferte in dem Zeitraum über 400 Postsendungen von rund 20 Kilogramm diverser Substanzen an seine Kunden.
Das Urteil und die rechtlichen Konsequenzen
Damit stand Schmidt erneut vor dem Landgericht Leipzig und verurteilte Shiny Flakes sowie Friedemann G. wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 29, 29a BtMG. Schmidt erhielt eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren, während G. knapp sechs Jahre Haft aufgebrummt wurden (Urteil vom 17.05.2023; Az. 8 KLs 105 Js 34746/19). Zwei weitere Beteiligte, Jens M. und Julius M., die als „Mitarbeiter“ des Drogenversandhandels tätig waren, wurden wegen Beihilfe verurteilt. Der ebenfalls angeklagte Rechtsanwalt R., der der Gruppe ursprünglich juristisch zur Seite gestanden haben soll, wurde jedoch freigesprochen.
Mit dem Urteil des Landgerichts Leipzig waren jedoch nicht alle zufrieden: Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein und forderte eine genauere Betrachtung des Falls, insbesondere im Hinblick auf die mögliche bandenmäßige Begehung nach § 30a Absatz 1 BtMG.
3. Die Bedeutung des BGH-Urteils und die Rolle der Bande
Der Bundesgerichtshof gab der Staatsanwaltschaft in zentralen Punkten recht. Am 5. November 2024 entschied der fünfte Strafsenat, das Urteil gegen Schmidt, Friedemann G. und Jens M. teilweise aufzuheben (Az. 5 StR 599/23), wenngleich die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen weiterhin bestehen bleiben. Das Verfahren wurde an eine andere Kammer des Leipziger Landgerichts zurückverwiesen, die nun eine erneute Verhandlung durchführen muss. Im Fokus steht nun erneut die Frage der „Bande“ und ob Maximilian Schmidt und seine Mitangeklagten bandenmäßig handelten. Die Vorinstanz hatte es versäumt, diese Frage eingehend zu klären, und das bleibt für das Verfahren von entscheidender Bedeutung.
Die Rolle von Schmidt, Friedemann G. und der freigesprochene Rechtsanwalt R.
Die Anklage beschuldigte ursprünglich Schmidt, seinen Komplizen Friedemann G. und den Rechtsanwalt R., als Bande agiert zu haben. Doch das Landgericht Leipzig sprach den Anwalt aufgrund eines Beweisverwertungsverbots frei, da abgehörte Telefonate, die R. belasteten, nicht verwertet werden durften. Damit blieben aus Sicht des Gerichts nicht mehr genügend Haupttäter, um die Bande als gegeben zu betrachten, sodass der Vorwurf der bandenmäßigen Begehung fallen gelassen wurde. Diese Entscheidung sorgte im Prozess bereits für Uneinigkeit, da die Staatsanwaltschaft anderer Meinung war und eine schärfere rechtliche Bewertung forderte.
Die Rolle der „Mitarbeiter“ und die Auffassung des BGH
Auch die Einbeziehung der beiden „Mitarbeiter“ Jens M. und Julius M., die als Gehilfen in den Fall verwickelt waren, wurde kontrovers diskutiert. Das Landgericht sah die Voraussetzungen für deren Bandenmitgliedschaft als nicht erfüllt an, da beide ausschließlich nach Weisungen gehandelt hätten und keinen eigenständigen Beitrag zur Organisation leisteten. Die Vorsitzende Richterin des BGH, Gabriele Cirener, kritisierte diese Entscheidung und sprach in ihrer Bewertung von einem „Personenkonglomerat“. Sie forderte, die Möglichkeit einer Bandenabrede neu zu erörtern und die Tätigkeiten der „Mitarbeiter“ genauer zu prüfen.
Weitere rechtliche Fragen und mögliche Täterschaft von Jens M.
Die Staatsanwaltschaft rügte außerdem, dass das Landgericht Leipzig die Besitzstrafbarkeit von Jens M. nach dem Betäubungsmittelgesetz unzureichend gewürdigt habe. Jens M. habe während des Portionierens und Verpackens der Drogen zeitweise die Kontrolle über die Substanzen und damit über die Drogen verfügt. Zudem liefen Bestellungen auf eine sogenannte Bunkerwohnung, in der Jens M. sich regelmäßig aufhielt und die zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörte. Der BGH sieht hierin die Möglichkeit einer Täterschaft statt nur einer Gehilfenrolle und forderte, diesen Aspekt im neuen Verfahren umfassender zu prüfen. Auch eine potenzielle unerlaubte Ausfuhr von Substanzen nach dem BtMG, die das LG Leipzig bislang nicht ausreichend betrachtet hat, könnte im neuen Prozess zur Sprache kommen.
4. Gesellschaftliche Dimensionen und kulturelle Rezeption
Der Fall Shiny Flakes hat durch Netflix eine Bühne von ungeahnter Größe erhalten. Was zunächst als Leipziger Kriminalfall begann, entwickelte sich zu einem globalen Medienspektakel. Die Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“ und die Dokumentation „Shiny Flakes: The Teenage Drug Lord“ machten Maximilian Schmidt – und damit einen kriminellen Lebensweg – zur popkulturellen Ikone. Aus seinem bescheidenen Kinderzimmer heraus operierte Schmidt in einer Parallelwelt des Darknets und entzog sich dem Zugriff der Justiz, als wäre er ein moderner Robin Hood des Drogenhandels. Bemerkenswert ist, wie Maximilian Schmidt auf Plattformen wie Instagram scheinbar ganz gewöhnliche Einblicke in seinen Alltag teilt. Zwischen Restaurantbesuchen, Reisen und Freizeitmomenten zeigt sich der einstige „Kinderzimmerdealer“ fast wie jeder andere junge Erwachsene – und lässt dabei kaum etwas von der bewegten Geschichte hinter sich erahnen.