Es ist nur allzu nachvollziehbar, dass ein unbegründeter Freiheitsentzug eine Haftentschädigung nach sich zieht, denn er zählt zu den schwerwiegendsten Eingriffen in die Grundrechte eines Bürgers. Ein Freiheitsentzug, insbesondere wenn man unschuldig im Gefängnis sitzt, bedeutet nicht nur eine massive Einschränkung der persönlichen Freiheit, sondern oft auch gravierende Auswirkungen auf das soziale Umfeld und die persönliche psychische Gesundheit der betroffenen Person. Wenn sich eine anfängliche Verdachtslage später als unbegründet herausstellt oder ein Fehlurteil durch ein Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben wird, entsteht daher eine dringende Notwendigkeit, dieses Unrecht durch eine angemessene Haftentschädigung auszugleichen.
Es vermag gleichwohl den Anschein zu haben, dass eine fehlerhafte Verurteilung in Deutschland derart selten ist, dass eine Debatte hierüber von überaus trivialer Natur wäre. Allerdings sind auch in Deutschland jährlich etwa 400 Menschen von einer solchen ungerechtfertigten Freiheitsentziehung betroffen. In Anbetracht dieser Bedeutung beleuchtet der nachfolgende Beitrag die juristischen Grundlagen, aktuellen Entwicklungen und geplanten Reformen zur Haftentschädigung durch den aktuellen Bundesjustizminister Marco Buschmann.
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Menschen, die unschuldig inhaftiert wurden, erleben nicht nur den Verlust ihrer Freiheit, sondern oft auch erhebliche emotionale und psychische Belastungen. Die Trennung von Familie und Freunden, der Verlust des Arbeitsplatzes und das soziale Stigma können zu schweren Traumata führen. Viele Betroffene leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen.
Beispielsweise konnte Manfred Genditzki seine Tochter nicht aufwachsen sehen und durfte nicht an der Beerdigung seiner Mutter teilnehmen. Genditzki wurde als Hausmeister zu Unrecht wegen Mordes an einer Seniorin verurteilt und verbrachte 13 Jahre und 6 Monate unschuldig im Gefängnis. Seine Verurteilung beruhte auf fehlerhaften Ermittlungen, die erst durch ein Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben wurde. Diese dramatischen Erfahrungen prägten das Leben von Manfred Genditzki nachhaltig. Trotz einer Entschädigung von 368.400 Euro stellt sich die Frage, ob dieser Betrag ausreichend ist, um die verlorene Freiheit und die psychischen Leiden auszugleichen.
Neben den psychischen Folgen entstehen durch eine ungerechtfertigte Inhaftierung auch erhebliche finanzielle Schäden. Der Verlust des Arbeitsplatzes, Verdienstausfälle und der Verlust von Rentenansprüchen sind nur einige der vielen wirtschaftlichen Nachteile, die die Betroffenen erleiden. Selbstständige verlieren möglicherweise ihre gesamte Existenzgrundlage, und auch angestellte Arbeitnehmer finden nach der Haft oft nur schwer wieder eine Beschäftigung.
Die Frage der Haftentschädigung hat überdies auch eine gesellschaftliche Dimension. Der Staat hat die Pflicht, seine Bürger vor unrechtmäßigen Eingriffen in ihre Grundrechte zu schützen. Ein funktionierendes und gerechtes Entschädigungssystem trägt dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in das Justizsystem aufrechtzuerhalten.
Die Haftentschädigung in Deutschland ist im Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) geregelt, welches seit 1971 die rechtlichen Grundlagen für die Entschädigung unschuldig Inhaftierter festlegt. Dieses Gesetz sieht vor, dass Personen, die zu Unrecht inhaftiert wurden, für die erlittene Freiheitsentziehung und die daraus resultierenden Schäden entschädigt werden.
Gemäß § 7 Absatz 3 StrEG beträgt die Entschädigung für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung derzeit 75 Euro. Diese Pauschale wurde zuletzt im Jahr 2020 von zuvor 25 Euro auf 75 Euro angehoben, um den gestiegenen Anforderungen und Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen.
Zusätzlich zur pauschalen Entschädigung für immaterielle Schäden können auch materielle Schäden ersetzt werden, die nachweislich durch die Strafverfolgungsmaßnahme entstanden sind. Gemäß § 7 Absatz 2 StrEG muss der nachgewiesene Schaden den Betrag von 25 Euro übersteigen, um erstattungsfähig zu sein. Materielle Schäden umfassen:
Das StrEG sieht auch bestimmte Ausschlussgründe vor, bei denen eine Haftentschädigung nicht gewährt wird. Nach § 5 Absatz 2 StrEG ist eine Entschädigung unter anderem dann ausgeschlossen, wenn die beschuldigte Person die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Dies umfasst beispielsweise Fälle, in denen die Person falsche Angaben gemacht hat oder bewusst entlastende Umstände verschwiegen hat.
Der Anspruch auf Entschädigung entsteht, wenn die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben oder das Strafverfahren eingestellt wird. Auch bei einer rechtskräftigen Verurteilung, die später gemildert wird, besteht ein Anspruch auf Entschädigung. Die Antragstellung muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach rechtskräftiger Feststellung des Entschädigungsanspruchs erfolgen (§ 10 StrEG). Diese Frist beginnt ab dem Zeitpunkt, an dem die Freisprechung oder die Verfahrenseinstellung rechtskräftig wird.
Im internationalen Vergleich ist die Höhe der Haftentschädigung in Deutschland moderat. In skandinavischen Ländern wie Schweden und Norwegen liegt die Entschädigung für zu Unrecht Inhaftierte bei 150 bis 200 Euro pro Tag.
Wie hoch ist eine Haftentschädigung in den USA pro Tag? In den USA variiert die Haftentschädigung je nach Bundesstaat, wobei die Beträge pro Tag oder pro Jahr festgelegt sind. Auf Bundesebene sowie in vielen Bundesstaaten beträgt die Entschädigung für zu Unrecht Inhaftierte typischerweise 50.000 USD pro Jahr, was etwa 137 USD pro Tag entspricht. Texas bietet sogar bis zu 80.000 USD pro Jahr, was etwa 219 USD pro Tag entspricht
Kalifornien zahlt den höchsten Tagessatz unter den US-Bundesstaaten, mit 140 USD pro Tag für jeden Tag der zu Unrecht verbrachten Haft.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat Ende 2022 ein Eckpunktepapier zur weiteren Modernisierung des StrEG vorgelegt. Die Vorschläge umfassen unter anderem:
Die nachstehende Tabelle zeigt die Entwicklung der Haftentschädigung in Deutschland:
Jahr | Entschädigungsbetrag pro Tag |
---|---|
Bis 2019 | 25 Euro |
Ab 2020 | 75 Euro |
Geplante Erhöhung | 100 Euro (bis 6 Monate Haft), 200 Euro (ab 6 Monate Haft) |
In der Regel sind die pauschalen Entschädigungszahlungen nach § 7 Absatz 3 StrEG nicht steuerpflichtig, da sie als Schmerzensgeld für immaterielle Schäden angesehen werden. Gemäß dem deutschen Steuerrecht sind Schmerzensgelder grundsätzlich steuerfrei, da sie eine Wiedergutmachung für körperliche oder seelische Schmerzen und Leiden darstellen und nicht als Einkommen gelten. Dies ist ein wichtiger Punkt, um sicherzustellen, dass die Betroffenen die volle Entschädigung erhalten.
Die Haftentschädigung ist ein wesentlicher Bestandteil der Wiedergutmachung für zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehungen. Trotz der Erhöhung auf 75 Euro pro Tag und der geplanten Modernisierung des StrEG gibt es weiterhin Diskussionen über die Angemessenheit dieser Haftentschädigungen, insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern. Letztlich bleibt die zentrale Frage: Wie kann der Wert der verlorenen Freiheit angemessen bemessen werden?