Ex nunc / Ex tunc – Bedeutung im Zivil- und Verwaltungsrecht, Definition, Merksatz, Beispiele
Im juristischen Kontext spielen die Begriffe “ex nunc” und “ex tunc” eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der zeitlichen Wirkung rechtlicher Handlungen und Entscheidungen. Diese lateinischen Ausdrücke sind essenziell, um die Wirkungsweise von Verträgen, Anfechtungen und anderen rechtlichen Handlungen zu verstehen.
I. Definitionen und Bedeutungen
Ex nunc Bedeutung: Ex nunc bedeutet wörtlich “ab jetzt” oder “von nun an”. Rechtshandlungen oder Entscheidungen, die ex nunc wirken, entfalten ihre Wirkung ab dem Zeitpunkt der Handlung oder Entscheidung und nur für die Zukunft. Dies bedeutet, dass alle bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten Leistungen oder Rechtszustände bestehen bleiben.
Ex tunc Bedeutung: Ex tunc bedeutet hingegen “von Anfang an” und beschreibt eine rückwirkende Wirkung. Rechtshandlungen oder Entscheidungen, die ex tunc wirken, gelten rückwirkend als nie erfolgt. Dies hat zur Folge, dass alle Leistungen oder Rechtszustände ab dem ursprünglichen Zeitpunkt der Handlung rückabgewickelt werden müssen.
Merksatz / “Eselsbrücke”: Die Abgrenzung zwischen “ex nunc” und “ex tunc” kann man sich merken, indem man daran denkt, dass “ex nunc” ab nun an wirkt, wie es der Wortlaut bereits andeutet.
II. Anwendung der Begriffe ex nunc und ex tunc im Zivilrecht
Im Zivilrecht finden beide Begriffe häufig Anwendung. Grundsätzlich gilt jede Rechtshandlung als ex nunc wirksam, es sei denn, eine rückwirkende Wirkung ist gesetzlich oder vertraglich vorgesehen.
Ex-nunc-Wirkung:
- Vertragsverhältnisse: Ein Vertrag wirkt ab dem Zeitpunkt seiner Schließung ex nunc. Wird der Vertrag gekündigt oder aufgehoben, gilt diese Kündigung oder Aufhebung ebenfalls ex nunc. Die bis dahin erbrachten Leistungen bleiben rechtsgültig.
- Kündigungen und Aufhebungsvereinbarungen: Diese entfalten ihre Wirkung ab dem Zeitpunkt ihrer Erklärung. Alle bisherigen Leistungen behalten ihren Rechtsgrund.
Ex-tunc-Wirkung:
Ein bedeutendes Beispiel einer ex tunc Wirkung im Zivilrecht ist die Anfechtung gemäß § 142 Absatz 1 BGB und §§ 119 ff. BGB: Ein erfolgreich angefochtenes Rechtsgeschäft gilt ex tunc als von Anfang an nichtig. Die empfangenen Leistungen müssen gem. §§ 812 ff. BGB zurückgewährt werden, da der Vertrag rückwirkend als nie zustande gekommen betrachtet wird.
Ein weiteres Beispiel für die ex tunc Wirkung im Zivilrecht ist die Nichtigkeit von Verträgen aufgrund eines Formmangels oder der Geschäftsunfähigkeit eines Vertragspartners. Alle erbrachten Leistungen sind rückabzuwickeln.
III. Sonderfälle und Ausnahmen
Es gibt Ausnahmen, in denen die Wirkung nicht den allgemeinen Regeln folgt.
Arbeitsverträge:
- Anfechtung: Bei der Anfechtung von Arbeitsverträgen, die bereits in Vollzug gesetzt wurden, wird oft eine faktische ex-nunc-Wirkung angewendet. Trotz anfänglicher Nichtigkeit wird der Vertrag bis zur Anfechtung als wirksam behandelt, um unerwünschte praktische Probleme zu vermeiden. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer für die bis zur Anfechtung erbrachten Arbeitsleistungen entlohnt werden muss, da die geleistete Arbeit nicht rückgängig gemacht werden kann.
- Kündigungsschutz: Ein weiteres Beispiel ist der Kündigungsschutz. Kündigungen wirken ex nunc, was bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis erst ab dem Zeitpunkt der Kündigung beendet wird und bis dahin erbrachte Arbeitsleistungen weiterhin gültig sind.
Familienrecht:
- Nichtigkeit einer Ehe: Im Familienrecht können bestimmte gesetzliche Regelungen rückwirkende Wirkungen vorsehen, zum Beispiel bei der Nichtigkeit einer Ehe. Wenn beide Ehepartner von der Nichtigkeit der Ehe wissen, kann diese rückwirkend ex tunc aufgehoben werden. Das bedeutet, dass die Ehe als von Anfang an nichtig gilt und alle damit verbundenen rechtlichen Folgen rückwirkend bereinigt werden.
- Adoption: Bei der Anfechtung einer Adoption kann die Wirkung ebenfalls ex tunc sein, was bedeutet, dass die Adoption rückwirkend als ungültig erklärt wird und alle rechtlichen Konsequenzen rückabgewickelt werden müssen.
Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft:
- Fehlerhafte Gesellschaft: Nach der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft wird eine Gesellschaft, die aufgrund eines Mangels im Gründungsakt eigentlich nichtig wäre, dennoch als wirksam behandelt, bis die Nichtigkeit geltend gemacht wird. Dies bedeutet, dass bis zu diesem Zeitpunkt getätigte Geschäfte und Handlungen der Gesellschaft ex nunc als wirksam betrachtet werden. Diese Lehre dient dazu, die Kontinuität und Stabilität der Gesellschaft zu gewährleisten und die Interessen der Gesellschaftsgläubiger zu schützen. Die Auflösung der Gesellschaft erfolgt somit nur für die Zukunft, und alle bis dahin vorgenommenen Handlungen bleiben gültig.
IV. Relevanz der Begriffe “ex nunc” und “ex tunc” im Verwaltungsrecht und öffentlichen Recht
Auch im Verwaltungsrecht kann der Unterschied zwischen ex nunc und ex tunc durchaus eine bedeutende Rolle spielen. Ein relevantes und aktuelles Beispiel hierzu war ein Gerichtsurteil, in dem die Rückforderung von Corona-Soforthilfen für rechtswidrig befunden wurde.
Gleichwohl gilt im öffentlichen Recht grundsätzlich das Verbot der echten Rückwirkung. Verwaltungsakte entfalten daher in der Regel ihre Wirkung ex nunc, es sei denn, das Gesetz sieht ausdrücklich eine rückwirkende Wirkung vor. Eine rückwirkende Änderung von Rechtsvorschriften ist hingegen aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes meist unzulässig. Der Vertrauensschutz stellt sicher, dass Bürger und Unternehmen auf die Beständigkeit von Rechtsvorschriften und Verwaltungsakten vertrauen können. Änderungen, die rückwirkend zu Lasten der Betroffenen wirken, sind daher nur in Ausnahmefällen und unter besonderen Bedingungen zulässig.
1. Ex-nunc-Wirkung im Verwaltungsrecht:
- Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts (§ 49 Absatz 1 VwVfG): Der Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts wirkt grundsätzlich nur für die Zukunft, also ex nunc. Das bedeutet, dass der Verwaltungsakt ab dem Zeitpunkt des Widerrufs keine Wirkung mehr entfaltet, die bis dahin ergangenen Handlungen und Rechtsverhältnisse jedoch unberührt bleiben. Eine Ausnahme besteht bei Verwaltungsakten, die Geld- oder Sachleistungen betreffen; hier kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Widerruf auch für die Vergangenheit erfolgen (§ 49 Absatz 3 VwVfG).
- Erteilung und Widerruf von Konzessionen und Lizenzen: Bei der Erteilung von Konzessionen und Lizenzen, beispielsweise für den Betrieb von Gaststätten oder Taxiunternehmen, tritt die ex-nunc-Wirkung ab dem Zeitpunkt der Erteilung in Kraft. Dies schafft Rechtsklarheit für die Konzessionsinhaber und gewährleistet, dass ihre Handlungen auf einer gültigen Rechtsgrundlage basieren. Ein Widerruf wirkt ex nunc, sodass die Konzession oder Lizenz ab diesem Zeitpunkt ungültig ist.
2. Ex-tunc-Wirkung im Verwaltungsrecht:
- Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts (§ 48 VwVfG): Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts wirkt ex nunc oder ex tunc (§ 48 Absatz 1 Satz 1 VwVfG). Das bedeutet, dass der Verwaltungsakt auch rückwirkend auf den Zeitpunkt seiner Erteilung als nichtig angesehen werden können. Alle auf diesem Verwaltungsakt basierenden Handlungen werden sodann rückabgewickelt. Diese Rückwirkung stellt sicher, dass rechtswidrige Akte vollständig beseitigt werden.
- Nachträgliche Rechtsänderungen und Gerichtsbeschlüsse: Wenn ein Gericht eine Verwaltungsentscheidung als rechtswidrig erklärt, kann dies ebenfalls ex tunc erfolgen. Ein solcher Gerichtsbeschluss hat zur Folge, dass die Entscheidung von Anfang an als nichtig betrachtet wird und alle auf dieser Entscheidung basierenden Maßnahmen rückabgewickelt werden müssen.
- Bundesverfassungsgerichtsurteil: Ein bedeutender Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2010 betraf die nachträgliche Besteuerung von bereits entstandenen, steuerfrei erworbenen Wertzuwächsen (BVerfG, Beschl. v. 07.07.2010, Az.: 2 BvL 14/02). Das Gericht entschied, dass solche rückwirkenden Verschärfungen nicht gerechtfertigt sind, wenn sie lediglich der Erzielung staatlicher Mehreinkünfte dienen. Dies stärkte den Vertrauensschutz und stellte klar, dass Wertsteigerungen, die vor der Einführung eines neuen Gesetzes steuerfrei vereinnahmt wurden oder hätten vereinnahmt werden können, nicht rückwirkend besteuert werden dürfen.