Die Rechtswidrigkeit ist ein zentraler Begriff des deutschen Rechts und spielt eine entscheidende Rolle im Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht. Doch was bedeutet “rechtswidrig” genau? Wann liegt Rechtswidrigkeit vor, und welche Rechtfertigungsgründe gibt es? Dieser Beitrag beleuchtet diese Fragen und geht auf die wichtigsten rechtlichen Rahmenbedingungen ein. Zudem werden die Rechtswidrigkeit Definition, die Rechtswidrigkeit im Strafrecht sowie verschiedene Beispiele praxisnah erläutert.
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Die Rechtswidrigkeit bildet die Basis für die Beurteilung von Handlungen und deren rechtliche Konsequenzen. In verschiedenen Rechtsbereichen, wie dem Strafrecht, Zivilrecht und Verwaltungsrecht, wird die Rechtswidrigkeit in Bezug auf das jeweilige Rechtsgebiet ausgelegt. Im Kern bedeutet Rechtswidrigkeit, dass eine Handlung oder ein Verhalten gegen die bestehende Rechtsordnung verstößt. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Verstoß absichtlich oder fahrlässig geschieht – ausschlaggebend ist der objektive Widerspruch zur Rechtsordnung.
Der Begriff “Rechtsordnung” umfasst alle gesetzlichen Regelungen, die in einem Staat gelten und das Zusammenleben regeln. Diese Normen erstrecken sich über zahlreiche Bereiche, vom Strafrecht über das Zivilrecht bis hin zum Verwaltungsrecht. Rechtswidrigkeit entsteht, wenn eine Handlung den Geboten oder Verboten dieser Rechtsordnung zuwiderläuft. Dieser Widerspruch kann sich auf viele Aspekte beziehen, wie etwa das Eigentumsrecht, das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder die Einhaltung von Verfahrensvorschriften.
Ein zentraler Aspekt der Rechtswidrigkeit ist die sogenannte Indizwirkung der Tatbestandsverwirklichung. Diese juristische Regel besagt, dass die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes – also das Erfüllen der objektiven und subjektiven Merkmale einer Straftat oder zivilrechtlichen Pflichtverletzung – in den meisten Fällen bereits die Rechtswidrigkeit einer Handlung anzeigt.
Beispiel zur Indizwirkung: Wenn eine Person einem anderen eine körperliche Verletzung zufügt, erfüllt dies den Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 StGB. Mit dieser Tatbestandsverwirklichung wird zugleich die Rechtswidrigkeit dieser Handlung indiziert – es sei denn, es gibt Rechtfertigungsgründe wie Notwehr (§ 32 StGB).
Diese Indizwirkung vereinfacht die juristische Prüfung erheblich, da nicht für jede Handlung gesondert nachgewiesen werden muss, dass sie auch rechtswidrig ist. Vielmehr wird in der Regel angenommen, dass eine tatbestandsmäßige Handlung rechtswidrig ist, außer es liegt ein Rechtfertigungsgrund vor.
Für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes muss nicht nur die Handlung objektiv durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt sein, sondern auch subjektiv muss der Handelnde in Kenntnis der rechtfertigenden Umstände gehandelt haben. Dies bedeutet, dass eine Person, die sich auf Notwehr beruft, auch den Willen haben muss, sich zu verteidigen. Es reicht nicht aus, dass die äußeren Umstände den Rechtfertigungsgrund erfüllen – der Täter muss auch aufgrund dieser Umstände handeln.
Beispiel: Schlägt eine Person einen anderen in vermeintlicher Notwehr, weil sie fälschlicherweise glaubt, angegriffen zu werden, kann sie sich nicht auf Notwehr berufen, wenn objektiv kein Angriff vorlag. Hier würde das subjektive Element fehlen, da der vermeintliche Verteidiger nicht in einer tatsächlichen Gefahrensituation war.
Im Strafrecht stellt die Rechtswidrigkeit einen der zentralen Prüfungspunkte dar. Sie folgt unmittelbar nach der Prüfung des objektiven und subjektiven Tatbestandes und ist somit die zweite Stufe im strafrechtlichen Prüfungsschema. Die wichtigste Frage lautet hier: Verstößt die Handlung gegen die Rechtsordnung, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt?
Im Strafrecht liegt Rechtswidrigkeit vor, wenn eine tatbestandsmäßige Handlung gegen die Rechtsordnung verstößt und kein Rechtfertigungsgrund eingreift. Beispiel: Eine Person begeht eine Körperverletzung nach § 223 StGB, indem sie eine andere Person schlägt. Diese Handlung erfüllt den objektiven Tatbestand der Körperverletzung und ist grundsätzlich rechtswidrig. Liegt jedoch ein Rechtfertigungsgrund wie Notwehr nach § 32 StGB vor, entfällt die Rechtswidrigkeit.
Die Prüfung der Rechtswidrigkeit im Strafrecht erfolgt in der Regel automatisch, indem sie durch die Tatbestandsverwirklichung indiziert wird. Doch es gibt Ausnahmen: Bei sogenannten “offenen Tatbeständen”, wie der Nötigung nach § 240 StGB, ist eine zusätzliche Verwerflichkeitsprüfung erforderlich. Diese Prüfung stellt sicher, dass das Verhalten nicht nur den Tatbestand erfüllt, sondern auch als verwerflich im Sinne des Strafrechts angesehen wird.
Das Schema zur Prüfung der Rechtswidrigkeit im Strafrecht sieht folgendermaßen aus:
Rechtfertigungsgründe sind Normen, die ausnahmsweise die Verletzung eines Rechtsguts erlauben und somit die Rechtswidrigkeit entfallen lassen. Zu den bekanntesten Rechtfertigungsgründen im Strafrecht zählen:
Rechtfertigungsgrund | Rechtsquelle | Anwendungsbereich | Voraussetzungen | Beispiele |
---|---|---|---|---|
Notwehr | § 32 StGB | Verteidigung gegen gegenwärtige, rechtswidrige Angriffe auf eigene oder fremde Rechtsgüter | Gegenwärtiger Angriff, Erforderlichkeit der Verteidigung, Geeignetheit der Mittel, keine Notwehrüberschreitung | Schläge eines Angreifers mit einem gleichwertigen Schlag abwehren |
Rechtfertigender Notstand | § 34 StGB | Abwehr von Gefahren für höherwertige Rechtsgüter, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht | Gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut, Erforderlichkeit des Eingriffs, Abwägung zwischen verletztem und geschütztem Gut | Einbrecher schlägt Fenster ein, um ein Kind aus einem brennenden Haus zu retten |
Einwilligung | § 228 StGB | Verletzung von Rechtsgütern, wenn der Rechtsgutinhaber der Verletzung zustimmt | Freiwillige, informierte Einwilligung, keine sittenwidrige Schädigung | Teilnahme an einem Boxkampf, bei dem beide Kämpfer mit den Verletzungen einverstanden sind |
Mutmaßliche Einwilligung | Gewohnheitsrecht | Rechtsgutsverletzung, wenn keine ausdrückliche Einwilligung möglich ist, aber im mutmaßlichen Willen des Betroffenen gehandelt wird | Handlung im besten Interesse des Betroffenen, der nicht einwilligen kann (z.B. bewusstlos), Handlung darf nicht dem tatsächlichen Willen des Betroffenen widersprechen | Notoperation ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Patienten |
Notwehrhilfe | § 32 StGB | Verteidigung fremder Personen gegen rechtswidrige Angriffe | Gleiche Voraussetzungen wie bei Notwehr, nur dass das verteidigte Rechtsgut einer anderen Person gehört | Dritte verteidigt eine Person, die Opfer eines Überfalls ist |
Defensivnotstand | § 228 BGB | Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für eigene Rechtsgüter durch Eingriff in fremdes Eigentum | Gefahr darf nur durch Eingriff in fremdes Eigentum abgewendet werden, Abwägung der betroffenen Interessen | Zerstören eines fremden Autos, das droht, ein Haus zu beschädigen |
Aggressivnotstand | § 904 BGB | Eingriffe in fremde Rechtsgüter zur Abwehr einer Gefahr, auch wenn Gefahr vom Handelnden selbst nicht ausgeht | Gefahr muss gegenwärtig sein, Eingriff nur in fremdes Eigentum erlaubt, wenn Schaden am Eigentum unverhältnismäßig geringer ist als die abgewendete Gefahr | Eindringen auf fremdes Grundstück, um einen Brand zu löschen |
Festnahmerecht (Jedermannsrecht) | § 127 Abs. 1 StPO | Festnahme eines Täters auf frischer Tat durch jedermann | Täter muss auf frischer Tat betroffen oder verfolgt werden, Festnahme muss verhältnismäßig sein | Festhalten eines Ladendiebs durch das Verkaufspersonal bis zum Eintreffen der Polizei |
Wahrnehmung berechtigter Interessen | § 193 StGB | Äußerungen, die zur Verteidigung oder Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, auch wenn sie ehrverletzend sind | Schutz berechtigter Interessen, keine Beleidigungsabsicht | Journalisten kritisieren öffentliches Verhalten einer Person im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten |
Zulässiger Schwangerschaftsabbruch | § 218a StGB | Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen, ohne dass eine rechtswidrige Tat vorliegt | Abbruch innerhalb der ersten 12 Wochen nach Beratung oder medizinische Indikation | Abbruch einer Schwangerschaft nach vorheriger Beratung und innerhalb der gesetzlichen Frist |
Rechtfertigende Pflichtenkollision | Gewohnheitsrecht | Handlung zur Erfüllung einer höherrangigen Pflicht, wenn die gleichzeitige Erfüllung aller Pflichten unmöglich ist | Kollision gleichrangiger Pflichten oder Priorisierung einer höherrangigen Pflicht | Feuerwehrmann rettet eine Person, obwohl er eine andere retten könnte, jedoch keine Zeit für beide hat |
Selbsthilfe | § 229 BGB | Selbstständige Durchsetzung von Ansprüchen ohne gerichtliche Hilfe, wenn dies dringend erforderlich ist | Anspruch muss bestehen, behördliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erreichen, Gefahr der Vereitelung oder Erschwerung des Anspruchs | Wegnahme eines Fahrrads vom Dieb, der es zuvor gestohlen hat, um den Diebstahl rückgängig zu machen |
Hausrecht | § 859 BGB | Abwehr rechtswidriger Eingriffe auf das eigene Grundstück oder in die eigene Wohnung | Der Eigentümer oder Besitzinhaber darf gegen Störer vorgehen, wenn dieser unbefugt in sein Haus oder auf sein Grundstück eindringt | Ein Hausbesitzer fordert einen unbefugten Eindringling auf, das Haus zu verlassen, und setzt ihn erforderlichenfalls vor die Tür |
Notwehrexzess | § 33 StGB | Überschreitung der Notwehr durch eine unverhältnismäßige Verteidigung | Überschreitung muss in asthenischer Affektsituation (Verwirrung, Furcht oder Schrecken) geschehen | Jemand schlägt seinen Angreifer zu stark nieder, weil er panisch handelt |
Im Zivilrecht bezeichnet die Rechtswidrigkeit, dass eine Handlung gegen die Rechtsordnung verstößt und damit einen deliktischen Schadensersatzanspruch auslöst. Nach § 823 Absatz 1 BGB setzt die Haftung für einen Schaden die Verletzung eines absoluten Rechtsguts voraus, wie Leben, Gesundheit oder Eigentum. Die Rechtswidrigkeit wird dabei durch die Tatbestandsverwirklichung indiziert, es sei denn, es liegt ein Rechtfertigungsgrund vor.
Beispiel: Eine Person beschädigt das Eigentum eines anderen, indem sie dessen Fahrzeug beschädigt. Die Rechtswidrigkeit dieser Handlung wird durch die Tatbestandsverwirklichung indiziert, d.h., das Beschädigen des Fahrzeugs stellt eine rechtswidrige Handlung dar. Liegt jedoch ein Rechtfertigungsgrund wie Notwehr (§ 227 BGB) vor, entfällt die Rechtswidrigkeit.
Im Verwaltungsrecht bezeichnet die Rechtswidrigkeit eine Handlung oder Entscheidung der Verwaltung, die gegen geltendes Recht verstößt. Hier wird zwischen formeller und materieller Rechtswidrigkeit unterschieden:
Ein Verwaltungsakt kann trotz seiner Rechtswidrigkeit wirksam sein, solange er nicht erfolgreich angefochten wird (§ 43 VwVfG).
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