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Tatbestandsausschließendes Einverständnis vs. rechtfertigende Einwilligung: Abgrenzung, Voraussetzungen, Beispiele

Im Strafrecht tellen das Einverständnis und die Einwilligung zwei wesentliche Rechtsbegriffe dar, die entscheidend dafür sind, ob eine Handlung strafbar ist oder nicht. Diese beiden Rechtsfiguren unterscheiden sich sowohl in ihrer rechtlichen Bedeutung als auch in ihren Anwendungsbereichen. Im Folgenden wird eine detaillierte Betrachtung beider Begriffe vorgenommen, um ihre Unterscheidung, Anwendung und die damit verbundenen rechtlichen Folgen zu verdeutlichen.

 

I. Tatbestandsausschließendes Einverständnis

Definition und Wirkung:

Das tatbestandsausschließende Einverständnis bezeichnet eine Situation, in der das vermeintliche Opfer einer Tat zustimmt, was zur Folge hat, dass der objektive Tatbestand einer Strafnorm nicht verwirklicht wird. Dies bedeutet, dass bereits auf der Ebene des Tatbestands keine Straftat vorliegt. Ein solches Einverständnis ist insbesondere bei Delikten relevant, die ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Betroffenen erfordern, wie etwa beim Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) oder beim Diebstahl (§ 242 StGB).

Die zentrale Wirkung des tatbestandsausschließenden Einverständnisses besteht darin, dass bereits auf der Ebene des Tatbestands keine Strafbarkeit festgestellt werden kann. Dies unterscheidet es grundlegend von der rechtfertigenden Einwilligung, welche erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit angreift. Das tatbestandsausschließende Einverständnis negiert somit den strafrechtlichen Vorwurf von Anfang an, indem es verhindert, dass der Tatbestand einer Strafnorm als erfüllt angesehen wird.

Beispiele und Rechtsfolgen:

Dieses Konzept findet vor allem Anwendung in Delikten, die explizit ein Handeln „gegen oder ohne den Willen“ des Opfers voraussetzen. Zu den klassischen Beispielen gehören:

  • Hausfriedensbruch (§ 123 StGB): Hier wird das Eindringen in die Wohnung oder andere Räumlichkeiten gegen oder ohne den Willen des Berechtigten gefordert. Ist der Inhaber oder ein anderer Berechtigter mit dem Betreten einverstanden, liegt kein Hausfriedensbruch vor.
  • Diebstahl (§ 242 StGB): Die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache muss „gegen den Willen des Eigentümers“ erfolgen. Ein Einverständnis des Eigentümers zum Mitnehmen der Sache schließt den Tatbestand aus.
  • Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (§ 177 StGB): Die Vornahme sexueller Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person ist wesentliches Tatbestandsmerkmal. Liegt ein Einverständnis vor, ist der Tatbestand nicht erfüllt.

Rechtliche Voraussetzungen:

Für ein wirksames tatbestandsausschließendes Einverständnis müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Vorliegen eines natürlichen Willens: Das Einverständnis muss von einer Person stammen, die natürlich willensfähig ist. Das bedeutet, dass sie in der Lage sein muss, ihren Willen frei und unbeeinflusst zu bilden und zu äußern.
  2. Eindeutigkeit und Aktualität: Das Einverständnis muss eindeutig und zum Zeitpunkt der Handlung aktuell sein. Es muss klar sein, dass sich das Einverständnis auf die konkrete Handlung bezieht.
  3. Unerheblichkeit von Willensmängeln: Im Gegensatz zur Einwilligung, bei der Willensmängel wie Täuschung oder Zwang die Wirksamkeit beeinträchtigen können, ist das Einverständnis auch dann wirksam, wenn es durch solche Mängel beeinflusst wurde, solange die Zustimmung faktisch vorliegt.

     

    II. Rechtfertigende Einwilligung

    Definition und Wirkung:

    Die rechtfertigende Einwilligung ist ein Rechtfertigungsgrund, der dazu führt, dass eine an sich rechtswidrige Handlung ausnahmsweise erlaubt ist. Im Gegensatz zum Einverständnis, bei dem der Tatbestand einer Strafnorm nicht erfüllt wird, bleibt bei der Einwilligung der Tatbestand bestehen, die Rechtswidrigkeit wird jedoch aufgehoben.

    Anwendungsbereiche:

    Die rechtfertigende Einwilligung kommt häufig in den folgenden Kontexten zur Anwendung:

    1. Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB): Hier ist die Einwilligung des Verletzten essentiell, um die Rechtswidrigkeit von Handlungen wie medizinischen Eingriffen, sportlichen Aktivitäten oder auch Tätowierungen auszuschließen.
    2. Medizinrecht: Ärztliche Eingriffe, die ohne Einwilligung als Körperverletzung gelten würden, sind durch die rechtfertigende Einwilligung des Patienten legitimiert. Dies setzt eine umfassende Aufklärung und die Freiwilligkeit der Einwilligung voraus.
    3. Fotografie und Medien: Die Einwilligung zur Veröffentlichung von Bildern oder anderem Material, das eine Person zeigt, schließt die Rechtswidrigkeit einer möglichen Verletzung des Rechts am eigenen Bild aus.

    Rechtliche Voraussetzungen:

    Die Einwilligung setzt voraus, dass:

    1. Disponibilität des Rechtsguts: Nicht alle Rechtsgüter sind disponibel. So ist das Rechtsgut „Leben“ gemäß § 216 StGB grundsätzlich nicht der Disposition durch Einwilligung zugänglich. Der Rechtsgüterverzicht muss vor und nach der Handlung äußerlich manifestiert sein.
    2. Einwilligungsfähigkeit: Der Einwilligende muss in der Lage sein, die Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses zu verstehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies erfordert geistige und sittliche Reife, die nicht zwingend an das Lebensalter gebunden ist, sondern situativ beurteilt wird.
    3. Vorherige, informierte Einwilligung: Die Einwilligung muss vor der Tat erteilt worden sein. Sie muss auf einer angemessenen Information über die Art und die Risiken des Eingriffs basieren. Eine nachträgliche Genehmigung einer bereits erfolgten Handlung kann nicht als rechtfertigende Einwilligung angesehen werden.
    4. Freiheit von Willensmängeln: Die Einwilligung darf nicht durch Irrtum, Täuschung, Drohung oder unter Zwang erfolgt sein. Insbesondere bei medizinischen Eingriffen spielt die korrekte Aufklärung eine zentrale Rolle.
    5. Keine Sittenwidrigkeit (vgl. § 228 StGB)

     

    III. Abgrenzung des Einverständnisses und der Einwilligung

    Die Abgrenzung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung ist zentral für das Verständnis ihrer Anwendung und ihrer rechtlichen Tragweite. Beide Konzepte basieren auf der Zustimmung des Betroffenen, wirken sich jedoch auf unterschiedlichen Ebenen des Straftatbestands aus.

    Tatbestandsausschließendes Einverständnis verhindert bereits das Vorliegen des objektiven Tatbestands. Es kommt vor allem in Betracht, wenn das Gesetz ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Betroffenen explizit voraussetzt. Das klassische Beispiel ist der Hausfriedensbruch, bei dem das Betreten einer Wohnung ohne Zustimmung des Berechtigten strafbar ist – es sei denn, es liegt ein Einverständnis vor.

    Rechtfertigende Einwilligung dagegen lässt den Tatbestand unberührt, hebt aber die Rechtswidrigkeit auf. Dies ist relevant bei Handlungen, die an sich tatbestandsmäßig sind, wie etwa Körperverletzung im medizinischen Kontext, deren Rechtswidrigkeit jedoch durch die Zustimmung des Verletzten ausgeschlossen wird.

    Die Unterscheidung hat praktische Relevanz: Einverständnis betrifft das „Ob“ der Strafbarkeit direkt auf der Tatbestandsebene, Einwilligung das „Wie“ der Rechtfertigung trotz bestehenden Tatbestands.

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