Überstunden steuerfrei ab 2025? Alle Fakten, Zahlen & Kritik

Wenn es um das Vorhaben geht, Überstunden steuerfrei zu stellen, ist von einem steuerpolitischen Befreiungsschlag für die hart arbeitende Mitte die Rede – von einem gerechteren Ausgleich für geleistete Mehrarbeit. Die politische Rhetorik lässt aufhorchen: Überstunden sollen steuerfrei werden – so die Verheißung. Doch was steckt wirklich hinter der neuen Regelung? Und für wen lohnt sich das Ganze überhaupt?

Während Markus Söder von einer „Revolution für den Mittelstand“ spricht, mahnen Arbeitsmarktforscher zur Vorsicht. Denn: „steuerfrei“ heißt nicht automatisch „mehr Geld für alle“. Der genaue Blick in den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD offenbart: Es geht nicht um die volle Stunde, sondern lediglich um den Zuschlag. Und dieser ist – juristisch wie gesellschaftlich – ein heißes Eisen.

“Wer freiwillig mehr arbeiten will, soll mehr Netto vom Brutto haben. Wir stellen umgehend Überstundenzuschläge steuerfrei, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen.”, so der Koalitionsvertrag vom 09.04.2025.

Die Idee hinter steuerfreien Überstunden: Wer mehr arbeitet, soll davon auch netto mehr behalten. Im Frühjahr 2025 wird aus dieser Debatte erstmals ein konkretes Vorhaben. Der neue Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD schreibt eine steuerliche Entlastung von Überstunden ausdrücklich fest – oder doch nicht ganz?

Denn was sich als steuerfreie Überstunden verkauft, ist bei näherem Hinsehen ein steuerfreier Zuschlag auf Überstunden. Es ist ein Unterschied, der im politischen Sprachgebrauch verschwimmt – aber für die Betroffenen von erheblicher finanzieller Bedeutung ist.

Das Wichtigste in Kürze

Überstunden steuerfrei?
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 9. April 2025 ist vorgesehen, dass Zuschläge auf Überstunden steuerfrei gestellt werden – nicht jedoch der reguläre Stundenlohn.

Wortwahl mit Fallstrick:
Auch wenn Politiker wie Markus Söder und viele Medien von „steuerfreien Überstunden“ sprechen, betrifft die geplante Regelung ausschließlich die steuerliche Behandlung der Zuschläge – ähnlich wie bei Feiertags- oder Nachtarbeit.

Keine Regelung für Teilzeitkräfte:
Anspruch auf die Steuerbefreiung sollen nur Beschäftigte haben, die in tariflich geregelter oder tariforientierter Vollzeit arbeiten – also bei mindestens 34 bis 40 Wochenstunden.

Noch keine Gesetzeslage:
Der Koalitionsvertrag ist ein politisches Vorhaben – bis zur tatsächlichen Umsetzung in ein Gesetz bleibt die Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen rechtlich ohne Wirkung.

1. Steuerfreie Zuschläge statt Überstunden steuerfrei

Markus Söder brachte es auf den Punkt – oder vielmehr: daneben. „Überstunden sind steuerfrei“, verkündete der CSU-Vorsitzende euphorisch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Ein Satz, der durch Talkshows und Twitter flatterte, doch juristisch schlicht falsch ist. Denn der Grundlohn für Überstunden – also die Vergütung für jede geleistete Mehrarbeitsstunde – bleibt weiterhin steuerpflichtig. Nur die sogenannten Überstundenzuschläge sollen steuerfrei gestellt werden, analog zu den schon bestehenden Regelungen bei Nacht-, Sonn- oder Feiertagsarbeit (§ 3b EStG).

Was bedeutet das konkret? Wer etwa 20 Euro pro Stunde verdient und 30 Überstunden leistet, erhält – je nach Branche – häufig einen 50%-Zuschlag. Diese 10 Euro pro Überstunde wären künftig steuerfrei. Der Grundlohn (20 Euro) würde weiterhin normal versteuert. Im besten Fall bedeutet das einige hundert Euro mehr netto im Monat – aber eben nicht für alle.

Ein genauer Blick lohnt sich übrigens auch auf bereits bestehende Regelungen: Wie steuerfreie Zuschläge für Nachtarbeit heute schon funktionieren und welche Voraussetzungen dabei gelten, zeigt unser Beitrag zum Thema Nachtzuschlag.

Beispielsrechnung

Julia arbeitet als Industriekauffrau in einem tarifgebundenen Unternehmen. Ihr Stundenlohn liegt bei 22 Euro brutto. Regulär leistet sie 160 Stunden pro Monat – ihr Monatsbruttogehalt beträgt also:

  • Bruttogehalt: 160 × 22 € = 3.520 Euro

  • Netto nach Steuern und Abgaben (~30 %): ca. 2.460 Euro

In einem besonders arbeitsintensiven Monat kommt sie auf zusätzliche 25 Überstunden. Laut Tarifvertrag stehen ihr dafür 50 % Zuschlag zu. Derzeit ergibt sich folgende Abrechnung:

Ohne steuerfreie Zuschläge:

  • Überstunden (25 × 22 €): 550 Euro

  • Zuschlag (50 % von 550 €): 275 Euro

  • Gesamtbrutto: 3.520 € + 550 € + 275 € = 4.345 Euro

  • Netto (geschätzt bei 30 % Abzügen): ca. 3.041 Euro

Mit steuerfreiem Zuschlag:

  • Bruttogehalt inkl. Überstunden: 3.520 € + 550 € = 4.070 Euro

  • Netto (30 % auf 4.070 €): ca. 2.849 Euro

  • + 275 € steuerfreier Zuschlag:
    Gesamtnetto: 3.124 Euro

Ergebnis: Durch die Steuerbefreiung des Zuschlags hat Julia am Monatsende rund 83 Euro mehr Netto

2. Teilzeitkräfte und Frauen bleiben außen vor

Eine der zentralen Bedingungen für die Steuerfreiheit der Überstundenzuschläge: Die Mehrarbeit muss über eine tariflich vereinbarte oder an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen. In der Praxis betrifft das Arbeitnehmer mit 34 bis 40 Stunden Wochenarbeitszeit. Wer weniger arbeitet – sei es aus familiären, gesundheitlichen oder strukturellen Gründen – geht leer aus. Gerade das sorgt für scharfe Kritik.

Denn während 50 Prozent der berufstätigen Frauen in Deutschland in Teilzeit arbeiten, sind es bei Männern nur 13 Prozent.1 Die steuerfreie Belohnung für Überstunden gerät somit ungewollt zu einem Förderprogramm für Vollzeitmänner – oder wie Kritiker es nennen: ein „Übervollzeit-Bonus“. Wer also in Teilzeit arbeitet und abends dennoch die Präsentation fertigstellt, bekommt keinen steuerfreien Zuschlag – selbst dann nicht, wenn die Gesamtbelastung real einer Vollzeitstelle entspricht.

Gewerkschaften und Gleichstellungsverbände sehen darin eine strukturelle Benachteiligung. Auch verfassungsrechtlich sind Zweifel angebracht – etwa im Hinblick auf Artikel 3 GG. Die Bundesregierung will gegensteuern und steuerliche Anreize zur Aufstockung der Arbeitszeit schaffen. Doch das klingt eher nach Flickschusterei als nach echter Gleichstellungspolitik.

Ebenfalls interessant: Die im Koalitionsvertrag geplante Neue Grundsicherung ist ein weiterer zentraler Bestandteil des Koalitionsvertrags. Unsere Analyse beleuchtet die vorgesehenen Änderungen und ordnet sie rechtlich ein.

Übrigens: Auch bei der Rente bleibt das Thema Gleichstellung aktuell. Mit der geplanten Mütterrente 3 will der Koalitionsvertrag vom 09. April 2025 Frauen stärker entlasten, die wegen Kindererziehung finanzielle Einbußen hinnehmen mussten.

3. Ab wann werden Überstunden steuerfrei behandelt?

So klar die Formulierung im Koalitionsvertrag klingt – „Wir stellen umgehend Überstundenzuschläge steuerfrei“ –, so wenig bedeutet sie im Moment. Denn ein Koalitionsvertrag ist kein Gesetz. Er markiert lediglich den politischen Willen der Regierungspartner. Für die Steuerfreiheit braucht es ein formales Gesetzgebungsverfahren. Das bedeutet: Bundestag, Bundesrat, womöglich Ausschüsse – und vor allem: Geduld.

Die spannende Frage ist also nicht nur wann das Gesetz kommt, sondern auch wie. Denn viele Details – etwa die konkrete Ausgestaltung, der Umfang der Zuschläge, mögliche Obergrenzen oder branchenspezifische Regelungen – sind noch offen. Auch eine Klärung mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften steht noch aus. Bis dahin bleibt alles, was versprochen wurde, lediglich – ein Versprechen.

Die Zahl der Überstunden in Deutschland ist immens – und ihr wirtschaftliches Gewicht nicht zu unterschätzen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wurden im Jahr 2023 rund 1,3 Milliarden Überstunden geleistet – davon 775 Millionen unbezahlt. Wer also glaubt, das Thema betreffe nur eine Minderheit, irrt gewaltig. Ein Blick in die Forschung zeigt zudem: Selbst wenn steuerfreie Überstunden politisch gewollt sind, könnte die Maßnahme in der Praxis kaum Wirkung entfalten – und stattdessen neue Schieflagen schaffen.2

4. Überstunden steuerfrei: Folgen

Auf den ersten Blick klingt es nach einem Segen: Wer mehr arbeitet, bekommt mehr Netto. Unternehmen sollen motiviertere Mitarbeiter erhalten, die Bereitschaft zu Mehrarbeit steigt. In Branchen mit saisonalen Spitzen – Gastronomie, Pflege, Logistik – könnte das eine echte Entlastung sein. Doch die Debatte ist differenzierter.

Wirtschaftsforscher wie Sebastian Dullien vom IMK warnen vor den langfristigen Folgen.3 Mehr Überstunden als Lösung des Fachkräftemangels? Das sei ein gefährlicher Trugschluss. Wenn Überstunden strukturell belohnt werden, werde weniger in Ausbildung, Nachwuchsgewinnung und bessere Arbeitsbedingungen investiert. Die Steuerbefreiung könnte so zur bequemeren – aber unnachhaltigen – Antwort auf strukturelle Probleme mutieren.

5. Auszahlung nur mit Zustimmung

So sinnvoll steuerfreie Zuschläge auf Überstunden auch klingen mögen – ein Anspruch auf Auszahlung besteht nur unter bestimmten Voraussetzungen. Denn: Überstunden können nur dann finanziell abgegolten werden, wenn sie vom Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet wurden, im Rahmen der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten erbracht wurden und keine tarifvertraglichen oder betrieblichen Regelungen einen Freizeitausgleich vorschreiben.

Anders gesagt: Der Arbeitgeber behält in vielen Fällen das letzte Wort. Auch Zuschläge sind bislang – anders als Sonn- oder Feiertagszuschläge – nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern nur in einzelnen Tarifverträgen verbindlich geregelt. Bleibt der Gesetzgeber hier vage, könnte selbst ein steuerlicher Vorteil ins Leere laufen: Ohne eine klare gesetzliche Verpflichtung zur Zuschlagszahlung dürfte der Anreiz bei vielen Beschäftigten schlicht verpuffen.

Mehr zum Thema Arbeitszeit: Unser Überblick zur Pflicht zur Zeiterfassung zeigt ergänzend, welche gesetzlichen Vorgaben gelten – und welche Tools sich in der Praxis bewährt haben.

6. Wochenarbeitszeit statt Tageslimit

Ein weiterer Aspekt des Koalitionsvertrags ist die geplante Abkehr von der täglichen Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG. Künftig soll nicht mehr die Grenze von acht Stunden pro Tag maßgeblich sein, sondern eine wöchentliche Obergrenze – eine Änderung, die insbesondere jungen Beschäftigten mehr Gestaltungsfreiheit versprechen soll.

Doch dieser Reformvorschlag hat eine Kehrseite: Wer seine Arbeitszeit über die Woche „flexibel“ verteilt, läuft Gefahr, in Wahrheit nur länger und verdichteter zu arbeiten – gerade in Branchen mit dünner Personaldecke. Die Grenze zwischen freiwilliger Gestaltung und faktischem Erwartungsdruck wird schnell unscharf, wenn Schichtpläne unzuverlässig sind oder Kolleginnen und Kollegen regelmäßig ausfallen.

Die geplante Flexibilisierung droht damit zur Einbahnstraße zu werden: Weniger Schutz durch klare tägliche Grenzen, aber keine Garantie für echte Selbstbestimmung.

7. Fazit

Die Idee klingt verlockend: Wer mehr arbeitet, soll auch mehr behalten dürfen. „Überstunden steuerfrei“ – das ist ein politischer Slogan, der nach Anerkennung und Leistungsgerechtigkeit ruft. Doch die Realität ist komplizierter. Denn steuerfrei wird nicht die Überstunde an sich, sondern nur ein Zuschlag. Und auch nur unter Bedingungen, die viele von vornherein ausschließen – etwa Teilzeitbeschäftigte oder jene, deren Überstunden gar nicht ausgezahlt werden.

Was als steuerpolitischer Fortschritt gefeiert wird, ist in Wahrheit ein schmaler Korridor für wenige. Für manche mag es ein Anreiz sein, für andere bleibt es Symbolpolitik mit vielen offenen Fragen: Wie verbindlich wird das Ganze? Wie fair ist es ausgestaltet? Und wie wirkt es sich langfristig auf die Rechte von Arbeitnehmern und den Arbeitsmarkt aus?

Fest steht: Mehr Netto vom Brutto ist ein berechtigtes Anliegen – aber es braucht mehr als steuerfreie Zuschläge, um echte Anerkennung für Mehrarbeit zu schaffen. Solange gesetzliche Rahmenbedingungen und betriebliche Realität auseinanderklaffen, bleibt die Hoffnung auf Entlastung häufig genau das: Hoffnung.

Jurawelt wird die Entwicklung rund um die geplante Steuerregelung weiterhin eng begleiten.

8. FAQ – Häufig gestellte Fragen

Nein – bislang nicht. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist zwar vorgesehen, Überstundenzuschläge steuerfrei zu stellen, doch ein entsprechendes Gesetz wurde noch nicht verabschiedet. Bis zur Umsetzung bleiben die bestehenden steuerlichen Regeln in Kraft.

Nur die Zuschläge auf Überstunden sollen künftig steuerfrei sein – nicht der Grundlohn. Das bedeutet: Die reguläre Bezahlung für geleistete Mehrarbeit wird weiterhin versteuert. Steuerfrei wären lediglich die prozentualen Zuschläge, wie sie etwa in Tarifverträgen bei Nachtarbeit oder Wochenendarbeit vorgesehen sind.

Diese Frage ist derzeit noch offen. Im Koalitionsvertrag finden sich keine festen Obergrenzen. Klar ist nur: Die Steuerfreiheit soll nur für Überstunden gelten, die über tariflich vereinbarte Vollzeit hinausgehen – also für Arbeitszeit jenseits von 34 bis 40 Wochenstunden. Ob ein monatliches oder jährliches Limit eingeführt wird, bleibt abzuwarten.

Der normale Stundenlohn für Überstunden wird – wie das reguläre Gehalt – nach persönlichem Steuersatz versteuert. Das können – abhängig von Lohnhöhe, Steuerklasse und sonstigen Abzügen – zwischen 30 % und über 45 % sein. Zuschläge für Überstunden könnten durch das geplante Gesetz künftig steuerfrei werden – bisher gilt das nur für bestimmte Arten wie Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 3b EStG).

  1. Statistisches Bundesamt (Destatis), Pressemitteilung vom 4. April 2024: „Frauen häufiger in Teilzeit beschäftigt als Männer“, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_N017_13.html (zuletzt abgerufen am 15. April 2025).
  2. Böckler Impuls 09/2024, „Eine Reihe schädlicher Nebenwirkungen – Warum steuerfreie Überstunden keine gute Idee sind“, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-eine-reihe-schadlicher-nebenwirkungen-60570.htm (zuletzt abgerufen am 15. April 2025).
  3. Böckler Impuls 09/2024, „Eine Reihe schädlicher Nebenwirkungen – Warum steuerfreie Überstunden keine gute Idee sind“, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-eine-reihe-schadlicher-nebenwirkungen-60570.htm (zuletzt abgerufen am 15. April 2025).
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Jurawelt Redaktion

Christopher Molter

Studium:

  • Student der Rechtswissenschaften an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht
  • Schwerpunktbereich: Bank- und Kapitalmarktrecht
  • Auslandsaufenthalt an der University of Alberta (Kanada)

Jurawelt:

  • Redakteur & Studentischer Mitarbeiter