Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) ist ein juristisches Konzept, das es ermöglicht, dass Dritte, die nicht direkt Vertragsparteien sind, in den Schutzbereich eines bestehenden Vertrages einbezogen werden und unter bestimmten Voraussetzungen eigene Schadensersatzansprüche gegen den Schuldner geltend machen können. Diese Rechtskonstruktion ist notwendig, weil das Deliktsrecht oft keinen ausreichenden Schutz für Dritte bietet, die durch die Nichterfüllung oder Schlechterfüllung eines Vertrages geschädigt werden. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stellt jedoch keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, sondern erfordert immer ein zugrundeliegendes Schuldverhältnis.
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Die Anspruchsgrundlage für einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist im Schuldverhältnis in Verbindung mit dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu suchen. Dieses Rechtsinstitut ist vergleichbar mit der Drittschadensliquidation (DSL), bei der ebenfalls ein Dritter in eine vertragliche Schutzwirkung einbezogen wird.
Die Herleitung des Rechtsinstituts des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird in der Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert. Im Kern geht es darum, eine rechtliche Grundlage zu schaffen, die es ermöglicht, dass Dritte, die durch die Erfüllung eines Vertrages potentiell gefährdet sind, ebenfalls Schutz genießen und Schadensersatzansprüche geltend machen können, obwohl sie selbst keine Vertragspartei sind.
Historische Entwicklung und dogmatische Einordnung:
Historisch betrachtet entwickelte sich der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus dem Bedürfnis, Lücken im Schutzsystem des Deliktsrechts zu schließen. Das Deliktsrecht, das primär in den §§ 823 ff. BGB geregelt ist, bietet oft keinen ausreichenden Schutz für Personen, die durch eine Pflichtverletzung im Rahmen eines Vertrages geschädigt werden, ohne selbst Vertragspartei zu sein. Insbesondere die Beweislastverteilung im Deliktsrecht stellt Geschädigte häufig vor erhebliche Schwierigkeiten.
Die dogmatische Grundlage des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wurde lange Zeit in der ergänzenden Vertragsauslegung gesehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) stützt den VSD auf die §§ 133, 157 BGB, die die Auslegung von Willenserklärungen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte regeln. Dies bedeutet, dass der Vertrag so auszulegen ist, wie es dem hypothetischen Willen der Parteien entspricht. Diese ergänzende Vertragsauslegung ermöglicht es, Schutzwirkungen auf Dritte auszudehnen, wenn dies dem mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien entspricht.
Ein anderer Ansatz in der Literatur und Rechtsprechung zieht § 242 BGB, der die Grundsätze von Treu und Glauben regelt, zur Begründung heran. Hierbei wird argumentiert, dass der Schuldner aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen den Vertragsparteien auch gegenüber Dritten, die in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen sind, Sorgfaltspflichten hat.
Seit der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002 wird zudem § 311 Absatz 3 Satz 1 BGB als mögliche Rechtsgrundlage herangezogen. Diese Norm erweitert den Schutz auch auf vorvertragliche Schuldverhältnisse und betont die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages.
Die Notwendigkeit des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergibt sich aus Situationen, in denen das Deliktsrecht keinen hinreichenden Schutz bietet. Das Deliktsrecht schützt in erster Linie bestimmte Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Eigentum und allgemeines Persönlichkeitsrecht. Reine Vermögensschäden und vertragliche Pflichten sind hingegen oft nicht ausreichend abgedeckt. In vielen Fällen kann ein Dritter durch die Verletzung von Vertragspflichten geschädigt werden, ohne dass ihm deliktische Ansprüche zustehen. Der VSD soll diese Schutzlücke schließen, indem er den Dritten in den Schutzbereich des Vertrages einbezieht und ihm dadurch vertragliche Ansprüche ermöglicht.
Abgrenzung zur Drittschadensliquidation:
Es ist wichtig, den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter von der Drittschadensliquidation (DSL) abzugrenzen. Beide Konzepte haben das Ziel, dem Geschädigten Schadensersatzansprüche zu ermöglichen, unterscheiden sich jedoch grundlegend in ihrer Struktur und Anwendung.
Die Drittschadensliquidation tritt in Fällen ein, in denen der Schaden zwar beim Dritten eintritt, der Anspruch auf Schadensersatz jedoch beim Vertragspartner des Schädigers verbleibt. Dies geschieht typischerweise, wenn der Geschädigte den Schaden nur aufgrund einer zufälligen Schadensverlagerung erleidet. Ein klassisches Beispiel ist der Fall, dass ein Frachtführer durch unsachgemäße Handhabung der Ware Schäden verursacht, die eigentlich dem Empfänger der Ware zustehen. Da der Empfänger jedoch keinen Vertrag mit dem Frachtführer hat, bleibt der Schadensersatzanspruch beim Absender, der den Schaden dann an den Empfänger weiterleiten kann.
Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hingegen wird der Dritte direkt in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen. Dies bedeutet, dass der Dritte selbst Ansprüche gegenüber dem Schuldner geltend machen kann, wenn die Voraussetzungen des VSD erfüllt sind. Der VSD erweitert somit den Kreis der Anspruchsberechtigten und erhöht das Haftungsrisiko für den Schuldner, da er nicht nur gegenüber dem Vertragspartner, sondern auch gegenüber den einbezogenen Dritten haftet.
Ein typisches Beispiel für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist der Fall, dass ein Kind im Supermarkt seiner Mutter verletzt wird. Hierbei wird das Kind in den Schutzbereich des Kaufvertrages der Mutter mit dem Supermarkt einbezogen und kann daher eigene Schadensersatzansprüche geltend machen, obwohl es selbst keinen Vertrag mit dem Supermarkt hat.
Kriterien der Abgrenzung:
Die Abgrenzung zwischen DSL und VSD lässt sich anhand folgender Kriterien verdeutlichen:
Die Prüfungsvoraussetzungen für die Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sind restriktiv zu handhaben, um die Haftungsrisiken für den Schuldner nicht unverhältnismäßig zu erweitern.
Die Rechtsfolgen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sind vielfältig und betreffen sowohl den Dritten als auch den Schuldner. Liegen die Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vor, so hat der Dritte eigene Schadensersatzansprüche gegen den Schuldner. Diese Ansprüche umfassen Personenschäden, Sachschäden und Vermögensschäden. Die genauen Rechtsfolgen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bewirkt, dass der Dritte einen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Schuldner erlangt. Dieser Anspruch ist unabhängig von den Ansprüchen des ursprünglichen Gläubigers und ermöglicht es dem Dritten, direkt gegenüber dem Schuldner aufzutreten und Schadensersatz zu fordern. Der Anspruch umfasst dabei alle Schäden, die aus der Pflichtverletzung resultieren, seien es Personenschäden, Sachschäden oder Vermögensschäden.
Trifft den Dritten ein Mitverschulden am Schaden im Sinne von § 254 BGB, muss er sich dieses anrechnen lassen. Dies bedeutet, dass der Schadensersatzanspruch des Dritten entsprechend gekürzt wird, wenn er durch eigenes Verhalten zur Entstehung oder Vergrößerung des Schadens beigetragen hat. Auch ein Verschulden des ursprünglichen Gläubigers kann dem Dritten zugerechnet werden, wenn zwischen ihnen eine besondere Beziehung besteht.
Der Schuldner kann seine Einwendungen aus dem Hauptvertrag auch dem Dritten gegenüber geltend machen. Dies ist im Sinne von § 334 BGB analog anzuwenden. Durch diese Analogie wird sichergestellt, dass der Dritte nicht besser gestellt wird als der ursprüngliche Gläubiger. Zu den Einwendungen des Schuldners gehören beispielsweise Haftungsbeschränkungen, Verjährungseinreden oder sonstige vertragliche Vereinbarungen, die die Haftung des Schuldners beschränken.
Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter führt zu einer Erweiterung des Haftungsrisikos für den Schuldner. Dies liegt daran, dass der Schuldner nun nicht nur gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger, sondern auch gegenüber dem einbezogenen Dritten haftet. Diese Haftungserweiterung ist jedoch durch die strengen Voraussetzungen des VSD beschränkt, um eine unverhältnismäßige Belastung des Schuldners zu verhindern.
Der Schadensersatzanspruch des Dritten umfasst in der Regel den Schadensersatz neben der Leistung. Dies bedeutet, dass der Dritte keinen primären Leistungsanspruch gegenüber dem Schuldner hat, sondern nur Ersatz für den erlittenen Schaden verlangen kann. Ein Schadensersatz statt der Leistung kommt daher nicht in Betracht, da der Dritte nicht direkt aus dem Vertrag berechtigt ist.
Die Verjährung der Ansprüche des Dritten richtet sich nach den allgemeinen Verjährungsregeln für das Hauptschuldverhältnis, vgl. §§ 194 ff. BGB. Dies bedeutet, dass die Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch des Dritten mit der des ursprünglichen Gläubigers übereinstimmt. Der Dritte muss daher die Verjährungsfristen beachten und innerhalb dieser Fristen seine Ansprüche geltend machen.
Typische Fälle für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter umfassen:
Typische Fälle in der Klausur:
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