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Der Versuch gem. §§ 22 ff. StGB – Gesetzliche Grundlage der Versuchsstrafbarkeit, Prüfungsschema, Besondere Konstellationen

Das deutsche Strafrecht erkennt an, dass nicht nur die Vollendung einer Straftat, sondern auch der Versuch einer solchen strafbar sein kann. Diese Anerkennung des Versuchs als strafbare Handlung reflektiert das grundlegende Verständnis, dass bereits die Absicht und das unmittelbare Ansetzen zu einer Tat das Rechtsgut gefährden und den Rechtsfrieden stören können. Der folgende Beitrag erläutert die strafrechtliche Behandlung der Versuchsstrafbarkeit, beginnend mit der gesetzlichen Grundlage, über das Prüfungsschema bis hin zu besonderen Konstellationen wie dem untauglichen Versuch und dem strafbefreienden Rücktritt.

I. Gesetzliche Grundlage der Versuchsstrafbarkeit

Die gesetzliche Grundlage eines Versuchsdelikts im Strafrecht ist komplex und von zentraler Bedeutung für das Verständnis, wie das Rechtssystem mit Handlungen umgeht, die auf die Begehung einer Straftat abzielen, diese aber aus verschiedenen Gründen nicht zur Vollendung bringen. Um die Tragweite und die Feinheiten dieser Rechtsmaterie vollständig zu erfassen, bedarf es einer detaillierten Betrachtung der relevanten gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der §§ 22, 23 und 24 StGB.

§ 22 StGB – Tatbestand des Versuchs: § 22 StGB definiert den Versuch einer Straftat und stellt fest: „Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.“ Dies impliziert, dass die subjektive Komponente des Täters – seine Vorstellung und Absicht, den Tatbestand eines Delikts zu erfüllen – sowie eine objektive Komponente – das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung – erfüllt sein müssen. Diese Vorschrift erkennt an, dass das bloße Wollen oder die Planung einer Straftat nicht ausreicht, um den Tatbestand des Versuchs zu erfüllen; es muss eine Handlung erfolgen, die nach der Vorstellung des Täters die Schwelle zur Realisierung des Tatbestands überschreitet.

§ 23 StGB – Strafbarkeit des Versuchs: Der § 23 StGB präzisiert die Bedingungen, unter denen ein Versuch strafbar ist. Während der Versuch eines Verbrechens – definiert als eine Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht ist (§ 12 Absatz 1 StGB) – stets strafbar ist, hängt die Strafbarkeit des Versuchs eines Vergehens von der expliziten Bestimmung durch das Gesetz ab. Dies bedeutet, dass nicht jeder Versuch eines Vergehens, also einer Tat, die mit einer geringeren Strafe bedroht ist, strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, es sei denn, das Gesetz sieht dies ausdrücklich vor. Diese Regelung trägt dem Grundsatz Rechnung, dass schwerwiegendere Delikte eine strengere Handhabung erfordern, auch in ihrem Versuchsstadium.

§ 24 StGB – Rücktritt vom Versuch: Ein wesentlicher Aspekt des Versuchsrechts ist die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts. § 24 StGB ermöglicht es einem Täter, unter bestimmten Voraussetzungen von der Strafe für einen Versuch befreit zu werden, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder die Vollendung der Tat verhindert. Dies setzt ein aktives Handeln des Täters voraus, welches zeigt, dass er seinen Entschluss zur Begehung der Tat aufgegeben hat. Der Rücktritt muss aus eigenem Antrieb erfolgen; ein Rücktritt aus Angst vor Entdeckung oder aufgrund anderer externer Umstände wird nicht als freiwillig angesehen. Der Gesetzgeber möchte mit dieser Regelung einen Anreiz für Täter schaffen, von ihren kriminellen Vorhaben und somit der Versuchsstrafbarkeit Abstand zu nehmen und den Schaden abzuwenden oder zu minimieren.

 

II. Prüfungsschema des Versuchs

Die Prüfung der Versuchsstrafbarkeit folgt einem mehrstufigen Schema, das sich an der Struktur des Deliktsaufbaus orientiert:

  1. Vorprüfung: Die Vorprüfung dient dazu, die Weichen für die nachfolgende detaillierte Prüfung zu stellen. Hier wird zunächst geklärt, ob die Tat überhaupt im Versuchsstadium strafbar sein kann. Wesentliche Aspekte sind:
    • Prüfung der Deliktsnatur: Handelt es sich um ein Verbrechen oder Vergehen? Entsprechend § 12 StGB wird differenziert, ob der Versuch eines Verbrechens (immer strafbar) oder eines Vergehens (nur strafbar, wenn gesetzlich bestimmt) vorliegt.
    • Ausschluss der Vollendung: Es muss festgestellt werden, dass die Tat nicht vollendet wurde, da der Versuch subsidiär zur vollendeten Tat steht.
    • Strafbarkeit des Versuchs nach dem spezifischen Delikt: Einige Straftatbestände schließen die Strafbarkeit des Versuchs explizit ein oder aus.
  2. Tatentschluss: Der Täter muss Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale des ins Auge gefassten Delikts aufweisen. Dies schließt die Kenntnis und das Wollen der tatbestandlichen Handlung sowie aller ihrer objektiven Merkmale ein. Gegebenenfalls erforderliche subjektive Merkmale (z.B. Absicht, Bereicherungsvorsatz) müssen ebenfalls vorliegen.
  3. Unmittelbares Ansetzen: Hierbei wird beurteilt, ob der Täter eine Handlung vorgenommen hat, die nach seiner Vorstellung von der Tat deren Verwirklichung unmittelbar herbeiführen sollte. Entscheidend ist die subjektive Einschätzung des Täters, ob sein Handeln einen entscheidenden Schritt zur Tatverwirklichung darstellte (sog. Schwelle zum “jetzt-geht-es-los”), § 22 StGB.
  4. Rechtswidrigkeit und Schuld: Auch beim Versuch müssen die allgemeinen Gründe für Rechtswidrigkeit und Schuld geprüft werden. Besonderheiten gegenüber vollendeten Delikten ergeben sich hier grundsätzlich nicht.
  5. Strafaufhebungsgrund des Rücktritts: Ein wesentliches Element des Versuchsrechts ist die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts gemäß § 24 StGB. Ein Rücktritt liegt vor, wenn der Täter:
    • Bei einem unbeendeten Versuch die weitere Ausführung der Tat aufgibt.
    • Bei einem beendeten Versuch aktiv die Vollendung der Tat verhindert.

    Entscheidend für einen strafbefreienden Rücktritt ist stets die Freiwilligkeit des Rücktritts. Der Täter muss aus autonomen Gründen von der weiteren Tatdurchführung Abstand nehmen. Dieser Schritt bietet dem Täter eine “goldene Brücke” zurück in die Legalität und trägt der Möglichkeit menschlicher Umkehr Rechnung.

 

III. Welche Besonderheiten gelten für den untauglichen Versuch und das sog. Wahndelikt?

Die Besonderheiten des Versuchs im deutschen Strafrecht bieten Einblick in komplexe juristische Überlegungen, die für die Beurteilung der Strafbarkeit von unvollendeten Delikten relevant sind. Besonders interessant sind dabei der untaugliche Versuch und das Wahndelikt, welche die Grenzen und Herausforderungen der Versuchsstrafbarkeit aufzeigen.

Der untaugliche Versuch: Ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn der Täter mit seinem Vorhaben objektiv nicht in der Lage ist, den angestrebten tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen, er sich dessen Unmöglichkeit aber nicht bewusst ist. Es werden zwei Hauptformen des untauglichen Versuchs unterschieden:

  • Objektive Untauglichkeit: Hierbei ist das Tatmittel oder das Angriffsobjekt ungeeignet, den Erfolg herbeizuführen (z.B. der Täter schießt mit einer ungeladenen Waffe).
  • Subjektive Untauglichkeit: Der Täter irrt über bestimmte Eigenschaften des Tatobjekts oder über die Wirksamkeit seiner Handlungen (z.B. der Täter vergiftet einen bereits Toten).

Obwohl die Handlungen des Täters keine Gefahr für das Rechtsgut darstellen, bleibt der untaugliche Versuch grundsätzlich strafbar, weil die Rechtsordnung das durch den Täter gezeigte Unrechtsgesinnung sanktioniert. Eine Ausnahme bildet der „absolut untaugliche Versuch“, bei dem die Untauglichkeit derart offensichtlich ist, dass keine ernsthafte Gefährdung angenommen werden kann. Die Strafbarkeit kann hier unter Umständen entfallen oder es kann zu einer Strafmilderung nach § 23 Absatz 3 StGB kommen.

Das Wahndelikt: Das Wahndelikt unterscheidet sich grundlegend vom untauglichen Versuch. Hierbei glaubt der Täter fälschlicherweise, eine strafbare Handlung zu begehen, obwohl sein Verhalten objektiv keinen Straftatbestand erfüllt. Ein klassisches Beispiel ist der Irrtum über die Rechtswidrigkeit einer Handlung, die tatsächlich erlaubt ist.

Beim Wahndelikt fehlt es an der objektiven Tatseite, da der Täter keine Handlung vornimmt, die unter eine Strafnorm subsumiert werden könnte. Daher ist das Wahndelikt grundsätzlich nicht strafbar. Diese Regelung trägt dem Prinzip Rechnung, dass das Strafrecht nur tatsächliches Unrecht ahndet und nicht bloße Gesinnungen oder irrige Vorstellungen über die Strafbarkeit eines Verhaltens.

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