Culpa in Contrahendo (abgekürzt c.i.c.), was im Lateinischen „Verschulden bei Vertragsschluss“ bedeutet, ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Schuldrecht. Es handelt sich dabei um die Haftung für Schäden, die durch schuldhafte Pflichtverletzungen im Vorfeld eines Vertragsabschlusses entstehen. Diese Haftung greift unabhängig davon, ob der Vertrag letztendlich zustande kommt oder nicht. Der Begriff wurde 1861 von Rudolf von Jhering eingeführt und im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung 2002 in den §§ 280 Absatz 1, 241 Absatz 2 und 311 Absatz 2 BGB kodifiziert.
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Die culpa in contrahendo hat eine lange und facettenreiche Geschichte, die bis in die Zeit der ersten umfassenden Gesetzeswerke zurückreicht. Ihre Wurzeln finden sich im Preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR) von 1794, einem der frühesten umfassenden Gesetzbücher in Deutschland. Hier wurde erstmals die Haftung für Pflichtverletzungen beim Vertragsschluss kodifiziert. Dies war revolutionär, da es eine gesetzliche Basis für Ansprüche schuf, die aus dem Vorfeld von Vertragsabschlüssen resultieren. Diese Vorschriften waren jedoch noch relativ grob gefasst und boten Raum für weitere theoretische und praktische Verfeinerungen.
Der relevante Abschnitt des ALR lautet (vgl. § 284 ALR 1794): „Was wegen des bey Erfüllung des Vertrages zu vertretenden Grades der Schuld Rechtens ist, gilt auch auf den Fall, wenn einer der Contrahenten bey Abschließung des Vertrags die ihm obliegenden Pflichten vernachläßigt hat.“
Diese Formulierung brachte zum Ausdruck, dass bereits bei den Vertragsverhandlungen Sorgfaltspflichten bestehen, deren Verletzung schadensersatzpflichtig machen kann. Sie bildete die Grundlage für die spätere, präzisere Ausarbeitung des Instituts der culpa in contrahendo.
Rudolf von Jhering und die theoretische Fundierung der culpa in contrahendo:
Ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung der culpa in contrahendo erfolgte durch Rudolf von Jhering, einen der bedeutendsten deutschen Juristen des 19. Jahrhunderts. In seiner 1861 veröffentlichten Abhandlung legte Jhering die theoretischen Grundlagen für dieses Rechtsinstitut (in: Jherings Jahrbücher = Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 4 (1861) 1 ff..).
Jhering untersuchte dabei insbesondere folgende Aspekte:
Jhering erkannte, dass diese Fälle eine gemeinsame Basis hatten: Sie alle betrafen das Vorfeld eines Vertrages und die Erwartungen der beteiligten Parteien. Aus diesen Überlegungen leitete er ab, dass bereits in der Phase der Vertragsanbahnung besondere Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen.
Trotz der Anerkennung durch die Rechtsprechung fand die culpa in contrahendo zunächst keine explizite Aufnahme ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900. Es dauerte bis zur Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002, dass die Prinzipien der culpa in contrahendo in den §§ 280 Absatz 1, 311 Absatz 2 und 241 Absatz 2 BGB gesetzlich kodifiziert wurden. Diese Paragraphen fassen die zuvor durch Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze zusammen und bieten eine klare gesetzliche Grundlage für die Haftung bei Pflichtverletzungen im Vorfeld eines Vertragsabschlusses.
Die culpa in contrahendo (c.i.c.) ist ein zentrales Rechtsinstitut des deutschen Schuldrechts, das die Haftung für Pflichtverletzungen im Vorfeld eines Vertragsschlusses regelt. Die Prüfung dieser Haftung erfolgt typischerweise anhand eines strukturierten Schemas, das die wesentlichen Elemente und Voraussetzungen umfasst.
Das erste Element, das geprüft werden muss, ist das Vorliegen eines Schuldverhältnisses gemäß § 311 Absatz 2 BGB. Dieses kann auf verschiedene Weisen entstehen:
Das nächste Prüfungselement ist die Pflichtverletzung. § 241 Absatz 2 BGB verpflichtet die Parteien eines Schuldverhältnisses zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Im Kontext der culpa in contrahendo geht es hierbei insbesondere um:
Das dritte Element ist das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung. Nach § 280 Absatz 1 Satz 2 BGB wird das Verschulden des Schuldners grundsätzlich vermutet. Das bedeutet, dass der Schuldner beweisen muss, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (sog. Exkulpation). Hierbei sind folgende Aspekte zu beachten:
Als letzte Prüfungsstufe folgt die Rechtsfolge der Pflichtverletzung. Nach § 280 Absatz 1 BGB hat der Geschädigte einen Anspruch auf Schadensersatz, sofern ein Schaden vorliegt. Die Höhe und der Umfang des Schadensersatzes richten sich nach §§ 249 ff. BGB, wonach der Geschädigte so zu stellen ist, wie er stünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (sog. Naturalrestitution). Dabei sind insbesondere folgende Punkte zu berücksichtigen:
Die culpa in Contrahendo kann in vielen alltäglichen und geschäftlichen Situationen auftreten. Hier sind einige typische Beispiele:
Geschäftsverhandlungen: Ein Unternehmensberater erhält während der Akquisephase vertrauliche Informationen eines potenziellen Mandanten. Wenn er diese Informationen veröffentlicht, obwohl kein Vertrag zustande gekommen ist, liegt ein Fall der culpa in Contrahendo vor. Die Verletzung der Vertraulichkeitspflichten kann zu einem Schadensersatzanspruch führen.
Kaufhausunfälle: Ein Kunde verletzt sich in einem Kaufhaus aufgrund mangelnder Reinigung (z.B. ein rutschiger Boden). Hier greift die vorvertragliche Haftung des Kaufhausbetreibers für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Das Kaufhaus muss sicherstellen, dass keine Gefahrenquellen für Kunden bestehen, die das Geschäft betreten, um einzukaufen.
Beispiel: Im sogenannten „Salatblattfall“ (BGHZ 66, 51) rutscht ein Kunde auf einem Salatblatt aus, das auf dem Boden des Supermarkts liegt und verletzt sich. Der Betreiber des Supermarkts haftet für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Restaurantreservierung: Ein Gast reserviert einen Tisch in einem Restaurant für eine große Gruppe und erscheint nicht. Wenn der Wirt nachweisen kann, dass andere Gäste aufgrund der Reservierung abgewiesen wurden und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist, kann er Schadensersatz für die Vorbereitungskosten sowie den entgangenen Gewinn verlangen. Dies setzt voraus, dass das Restaurant im Vertrauen auf das Erscheinen des Gastes Aufwendungen getätigt hat.
Beispiel: Ein Restaurant bereitet sich auf eine große Feier vor, kauft zusätzliche Lebensmittel und stellt extra Personal ein. Der Gast erscheint jedoch nicht und sagt auch nicht ab.
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