Startseite » Rechtslexikon » P » Pflegestufe: Definition & Bedeutung im deutschen Recht

Pflegestufe und Pflegegrad: Definition & Bedeutung im deutschen Recht

Inhaltsverzeichnis

Die Entwicklung des Pflegebegriffs (Pflegestufe und Pflegegrade) im deutschen Sozialrecht

Die Pflegestufe war bis zum 31.12.2016 ein maßgeblicher Begriff im deutschen Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI). Sie diente dazu, den individuell anerkannten Pflege- und Hilfsbedarf eines Menschen zu beschreiben und entsprechend finanzielle Unterstützung von der Pflegeversicherung zu gewähren. Doch mit Beginn des Jahres 2017 wurde ein Paradigmenwechsel im Umgang mit der Pflegebedürftigkeit in Deutschland vollzogen. Mit dem Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes ersetzte der Begriff “Pflegegrad” den bisherigen Begriff “Pflegestufe” (vgl. §§ 14 – 18 SGB XI). Aber was bedeutet das konkret?

Das Hauptziel dieser Änderung war es, die individuellen Bedürfnisse von pflegebedürftigen Menschen besser und ganzheitlicher abzubilden. Anstelle einer reinen Zeitorientierung, bei der es hauptsächlich darum ging, wie viele Minuten Pflege jemand benötigt, steht nun die Selbstständigkeit und die Fähigkeiten des Betroffenen im Fokus.

Einführung in die Pflegestufen

Die Einführung der Pflegestufen war ein signifikanter Schritt, um den Pflegebedarf eines Individuums in Deutschland systematisch zu kategorisieren. Diese Klassifizierung ermöglichte es, Menschen mit ähnlichem Pflegebedarf zu identifizieren und ihnen entsprechende Leistungen aus der Pflegeversicherung zukommen zu lassen. Doch wie bereits erwähnt, wurde dieses System Anfang 2017 durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) überholt, um die Anforderungen und Bedürfnisse von Pflegebedürftigen differenzierter und individueller abbilden zu können.

Ab wann ist man pflegebedürftig?

Der Zeitpunkt, ab dem man pflegebedürftig ist, bestimmt sich nach § 14 Absatz 1 SGB XI und wird gemäß § 14 Absatz 2 SGB XI anhand verschiedener Kriterien bemessen, die nachfolgende aufgelistet sind:

§ 14 Begriff der Pflegebedürftigkeit

(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.
(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:

1.
Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4.
Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:

a)
in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b)
in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
c)
in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d)
in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
(3) Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.

Rechtsgrundlagen der Pflegestufen

Die Regelungen für die Pflegestufen fanden sich im Elften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XI), welches die Soziale Pflegeversicherung in Deutschland normiert. Die Pflegestufen waren hier klar definiert und dienten als Grundlage für die Zuweisung der entsprechenden Leistungen. Mit der Umstellung auf die Pflegegrade finden sich die neuen Regelungen in den §§ 14 bis 18 SGB XI.

Die Einführung der Pflegegrade anstelle der Pflegestufen

Die Pflegegrade sind ein Versuch, den Pflegebedarf eines Individuums umfassender und präziser zu bewerten. Sie basieren auf einem Assessment, das entweder vom Medizinischen Dienst oder von einem anderen unabhängigen Gutachterdienst durchgeführt wird. Dieses Assessment berücksichtigt eine Vielzahl von Faktoren – von Mobilität und kognitiven Fähigkeiten bis hin zur Bewältigung des Alltags und sozialen Kontakten. Je nach Ergebnis dieses Assessments wird der Pflegebedürftige einem der fünf Pflegegrade zugeordnet, die von “geringen” bis zu “schwersten” Beeinträchtigungen der Selbständigkeit reichen.

Die fünf Pflegegrade und ihre Kriterien

Seit 2017 differenziert das deutsche Pflegesystem genauer und teilt den Hilfebedarf von Pflegebedürftigen in fünf Pflegegrade ein, vgl. § 15 SGB XI. Diese Einteilung resultiert aus einem detaillierten Assessment, das von qualifizierten Gutachtern des Medizinischen Dienstes oder eines anderen unabhängigen Gutachterdienstes durchgeführt wird. Die Beurteilung konzentriert sich auf sechs Hauptbereiche:

  1. Mobilität: Wie bewegt sich die Person im Alltag? Gibt es Einschränkungen beim Gehen oder Stehen?
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Wie steht es um das Erinnerungsvermögen? Gibt es Schwierigkeiten bei der Kommunikation?
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Zeigt die Person auffälliges oder herausforderndes Verhalten? Gibt es psychische Beschwerden?
  4. Autonomie bei der Bewältigung von selbstversorgungsrelevanten Alltagsanforderungen: Wie selbstständig kann sich die Person pflegen, anziehen oder essen?
  5. Gestaltung von sozialen Kontakten: Kann die Person soziale Beziehungen pflegen und aufrechterhalten?
  6. Bewältigung und Selbständigkeit bei Anforderungen und Belastungen des Alltags: Wie geht die Person mit täglichen Herausforderungen um?

Nach einer umfassenden Bewertung in diesen Bereichen wird die betroffene Person einem der fünf Pflegegrade (Pflegestufen) zugeordnet:

  • Pflegegrad 1: Geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit.
  • Pflegegrad 2: Erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit.
  • Pflegegrad 3: Schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit.
  • Pflegegrad 4: Schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit.
  • Pflegegrad 5: Schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegegraden

Jeder Pflegegrad geht mit bestimmten Leistungen einher, die den individuellen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen entsprechen. Abhängig vom zugewiesenen Pflegegrad können folgende Leistungen in Anspruch genommen werden:

  • Pflegegeld oder Pflegesachleistung: Finanzielle Unterstützung oder Dienstleistungen von zugelassenen Pflegediensten.
  • Tages- oder Nachtpflege: Professionelle Betreuung während des Tages oder der Nacht.
  • Kurzzeitpflege: Temporäre Unterbringung und Pflege in einer Einrichtung.
  • Hilfsmittel zur Erleichterung der Pflege: Technische Unterstützung oder andere Hilfsmittel, die den Alltag erleichtern.
  • Angehörigen-Entlastung: Dienstleistungen zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen.
  • Wohnungsanpassungsmaßnahmen: Umbau oder Anpassung des Wohnraums zur besseren Bewältigung des Alltags.

Die Höhe der jeweiligen Leistungen und die finanzielle Unterstützung durch die Pflegeversicherung variieren je nach Pflegegrad. Generell gilt: Je höher der Pflegegrad, desto umfangreicher die Unterstützung.

Ein praxisnahes Beispiel hierzu: Ein 80-jähriger Mann erleidet einen Schlaganfall. Nach diesem Vorfall ist er in seiner Mobilität eingeschränkt und hat Kommunikationsschwierigkeiten. Nach einer gründlichen Begutachtung durch einen MDK-Gutachter, der insbesondere seine Einschränkungen in den Bereichen Mobilität, Kommunikation und Selbstversorgung feststellt, wird ihm der Pflegegrad 3 zugeordnet. Dies bedeutet, dass er sowohl finanzielle Unterstützung in Form von Pflegegeld erhält als auch Zugang zu speziellen Dienstleistungen wie der Tagespflege.

Häufig gestellte Fragen (FAQs) rund um Pflegestufe und Pflegegrad

1. Wie beantrage ich eine Pflegebegutachtung?

Ein Antrag auf Pflegebegutachtung wird bei der zuständigen Pflegekasse gestellt. Diese ist meist bei der eigenen Krankenkasse angesiedelt. Nach Eingang des Antrags beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) oder einen anderen Gutachterdienst, um eine Begutachtung durchzuführen.

2. Kann ich gegen das Ergebnis der Begutachtung Widerspruch einlegen?

Ja, sollte man mit der Einstufung nicht einverstanden sein, kann innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids Widerspruch eingelegt werden. Es empfiehlt sich, dabei fachliche Unterstützung, beispielsweise durch einen Sozialverband, in Anspruch zu nehmen.

3. Was unterscheidet Pflegestufen von Pflegegraden?

Bis Ende 2016 gab es in Deutschland Pflegestufen (0, 1, 2, 3). Seit 2017 wurden diese durch Pflegegrade (1 bis 5) ersetzt. Die Pflegegrade sollen eine genauere und individuellere Einschätzung des Pflegebedarfs ermöglichen.

4. Muss ich für eine erneute Begutachtung zahlen?

Nein. Die Kosten für die Begutachtung trägt die Pflegekasse.

5. Wie oft kann eine Überprüfung des Pflegegrades durchgeführt werden?

Eine erneute Begutachtung kann jederzeit beantragt werden, wenn sich der Zustand des Pflegebedürftigen verändert hat. Es gibt keine Beschränkung hinsichtlich der Häufigkeit.

6. Was geschieht mit der Pflegestufe (= dem Pflegegrad), wenn ich ins Ausland ziehe?

Der Anspruch auf Leistungen der deutschen Pflegeversicherung bleibt bestehen, wenn man sich innerhalb der EU, des Europäischen Wirtschaftsraums oder in einem Staat mit Sozialversicherungsabkommen aufhält. Es gelten jedoch besondere Bestimmungen, weshalb es ratsam ist, sich vor einem Umzug genau zu informieren.

Schlusswort zu Pflegestufen und Pflegegraden

Das System der Pflegegrade in Deutschland dient dazu, die individuellen Bedürfnisse von Pflegebedürftigen besser abzubilden und ihnen eine adäquate Unterstützung zukommen zu lassen. Für Betroffene und ihre Angehörigen kann der Prozess der Einstufung herausfordernd sein. Doch mit fundiertem Wissen und der richtigen Unterstützung kann dieser Weg erleichtert werden. Es bleibt zu hoffen, dass das System kontinuierlich verbessert und an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst wird. Denn in einer alternden Gesellschaft wie der deutschen ist eine solide und faire Pflegeinfrastruktur von unschätzbarem Wert.

Bitte unbedingt folgenden Haftungsausschluss bzgl. des Rechtslexikons beachten.