Im juristischen Alltag wird häufig auf das Präjudiz verwiesen, eine Entscheidung, die als Orientierungshilfe für zukünftige ähnliche Fälle dient. Aber was genau steckt hinter diesem Begriff, und welche Bedeutung hat er für das deutsche Rechtssystem? In diesem Beitrag beleuchten wir die Bedeutung des Präjudiz, seinen Einfluss auf die Rechtsprechung und erläutern, wann und wie es im juristischen Alltag zur Anwendung kommt.
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Präjudiz Bedeutung: Der Begriff Präjudiz stammt vom lateinischen Wort „praeiudicium“, was so viel bedeutet wie „Vorentscheidung“ oder „Vorurteil“. In der Rechtswissenschaft versteht man darunter eine gerichtliche Entscheidung, die als Orientierungshilfe für ähnliche spätere Fälle herangezogen werden kann. Besonders im angloamerikanischen Raum spielt das Präjudiz eine herausragende Rolle, da hier das „Case Law“ auf richterlichen Entscheidungen basiert. Im deutschen Recht hingegen sind Richter primär an Gesetze gebunden und nicht an Präjudizien, auch wenn diese in der Praxis oft herangezogen werden, um Rechtssicherheit und Kontinuität in der Rechtsprechung zu gewährleisten.
Gerichte sind grundsätzlich nicht verpflichtet, sich an Entscheidungen zu halten, die in ähnlichen Fällen durch andere Gerichte getroffen wurden. Dies unterscheidet das deutsche Rechtsverständnis maßgeblich vom angelsächsischen, wo Präzedenzfälle bindende Wirkung entfalten. Gleichwohl haben Entscheidungen der obersten Gerichte, wie dem Bundesgerichtshof (BGH) oder dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), faktisch eine präjudizielle Wirkung. Richter orientieren sich an solchen Entscheidungen, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten.
Nicht immer ist ein Präjudiz in vollem Umfang als Schuldeingeständnis oder endgültige Festlegung zu verstehen. Die Formulierung „ohne Präjudiz“ wird häufig genutzt, um sicherzustellen, dass eine bestimmte Handlung keine vorweggenommene rechtliche Wirkung hat. So kann beispielsweise eine Zahlung „ohne Präjudiz“ erfolgen, um deutlich zu machen, dass damit keine Anerkennung einer Rechtspflicht verbunden ist. Diese Konstellation tritt häufig bei Vergleichen oder Kulanzleistungen auf, bei denen die eine Partei einer Forderung nachkommt, ohne damit ein Schuldeingeständnis abzugeben.
Eine ähnliche Formulierung findet sich in der Wendung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz“, die in rechtlichen Schreiben und Verträgen eingesetzt wird. Hier wird klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Leistung oder Handlung nicht als Anerkenntnis der rechtlichen Verpflichtung zu verstehen ist, sondern ausschließlich aus anderen Gründen – beispielsweise zur Vermeidung eines Prozesses – erbracht wird.
Ein klassisches Beispiel wäre eine Zahlung im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs, bei dem der Schuldner eine bestimmte Summe überweist, ohne damit seine Schuld anzuerkennen. Damit ist die Zahlung lediglich ein Mittel zur Streitbeilegung, ohne präjudizielle Wirkung auf zukünftige Forderungen.
Wie bereits angedeutet, entfalten Präjudizien im deutschen Rechtssystem keine formelle Bindungswirkung, sie können jedoch eine faktische Bedeutung erlangen. Diese sogenannte präjudizielle Wirkung entsteht dann, wenn untergeordnete Gerichte sich an den Entscheidungen der höheren Instanzen orientieren, um Konsistenz und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Solche Leitentscheidungen können maßgeblich zur Fortentwicklung des Rechts beitragen.
Ein Beispiel hierfür ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Fahrlässigkeit im Strafrecht. In einem bekannten Urteil hat der BGH die Voraussetzungen für die fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB präzisiert. Diese Entscheidung wirkt faktisch als Präjudiz, obwohl sie nicht formal bindend ist, und findet in vielen nachfolgenden Entscheidungen Anwendung.
Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die Haftung aus „culpa in contrahendo“. Hierbei handelt es sich um eine Haftung aufgrund von Fehlverhalten vor Vertragsschluss, die durch Entscheidungen des BGH konkretisiert wurde. In diesen Fällen hat das Präjudiz eine präjudizielle Wirkung entfaltet, indem es anderen Gerichten eine klare Leitlinie für vergleichbare Fälle bietet.
Trotz der faktischen Bedeutung des Präjudiz sind Richter in Deutschland nach Artikel 97 Absatz 1 GG ausschließlich dem Gesetz unterworfen. Das bedeutet, dass Gerichte nicht verpflichtet sind, sich an frühere Entscheidungen zu halten, selbst wenn diese von den höchsten Instanzen getroffen wurden. Dies unterscheidet das deutsche System deutlich von den common law–Rechtsordnungen, wo das Präjudiz eine zentrale Rolle spielt.
Dennoch existieren bestimmte Ausnahmen, in denen Gerichte auch in Deutschland an vorhergehende Entscheidungen gebunden sind. Dies betrifft vor allem Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die gemäß § 31 BVerfGG für alle Gerichte und Behörden bindend sind. In solchen Fällen hat das Präjudiz eine verbindliche Wirkung und muss in der Rechtsprechung berücksichtigt werden.
Ein weiterer Begriff, der häufig in Verbindung mit dem Präjudiz auftritt, ist „coactus feci“, was so viel bedeutet wie „Ich habe unter Zwang gehandelt“. Diese lateinische Redewendung wird oft verwendet, um zu verdeutlichen, dass eine Handlung nur unter äußerem Druck erfolgt ist und deshalb keine Zustimmung oder Anerkennung einer Rechtsverpflichtung darstellt.
Die Formulierung „coactus feci“ kann in Verhandlungen oder Rechtsstreitigkeiten genutzt werden, um sich gegen den Vorwurf einer stillschweigenden Zustimmung zu wehren. So könnte etwa eine Partei, die eine Zahlung „ohne Präjudiz“ leistet, argumentieren, dass diese Zahlung nur aufgrund des Drucks der Gegenseite erfolgt sei, und somit kein Schuldeingeständnis darstellt.
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