Jüngst hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der Vertraulichkeitserwartung in WhatsApp-Chatgruppen sowie der Frage befasst, ob Äußerungen in solchen Chatgruppen mitunter eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 BGB zur Folge haben können. In dem Zusammenhang hat das BAG am 24. August 2023 (Az.: 2 AZR 17/23) eine grundlegende Entscheidung getroffen, in der erstmalig höchstrichterlich die Grenzen der Vertraulichkeit in privaten (WhatsApp-) Chatgruppen beleuchtet wurden. Im Zentrum des Falls standen beleidigende Bemerkungen eines Mitarbeiters einer deutschen Fluggesellschaft, die in einer digitalen WhatsApp-Gruppe gegenüber Vorgesetzten und Arbeitskollegen geäußert wurden. Die Entscheidung, die aus einer WhatsApp-Kommunikation zwischen sieben Kollegen hervorging, beleuchtet das Spannungsfeld zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Verpflichtungen des Arbeitnehmers im Rahmen des Arbeitsverhältnisses.
In dem Fall ging das Bundesarbeitsgericht insbesondere der Frage nach, inwieweit sich ein Arbeitnehmer bei derartigen Äußerungen auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses berufen kann. Diese Entscheidung ist insofern von Bedeutung, als es die Bedingungen und Erwartungen an die Privatsphäre in digitalen Kommunikationsräumen neu definiert. Es unterstreicht deutlich, dass digitale Kommunikation keineswegs als „rechtsfreier Raum“ zu betrachten ist.
Table of Contents
Der Kläger, seit 1999 als Arbeitnehmer bei einer deutschen Fluggesellschaft in der Lagerlogistik tätig, war Teil einer aus sieben langjährig befreundeten und zum Teil verwandten Mitgliedern bestehenden privaten WhatsApp-Gruppe. In dieser Gruppe wurden über einen längeren Zeitraum hinweg, neben alltäglichen Dingen, auch beleidigende, rassistische und herabwürdigende Nachrichten über Kollegen und Vorgesetzte geteilt. Insbesondere wurden diese in etwa als “Covidioten” tituliert und Äußerungen wie der Wunsch ihrer “Vergasung” wurden geteilt. Nachdem der Inhalt dieser Nachrichten dem Arbeitgeber zugetragen wurde, führte dies zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 626 Absatz 1 BGB, die durch den Betriebsrat gebilligt wurde.
In seiner Klagebegründung argumentierte der Kläger, dass die Äußerungen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, und stellte einhergehend die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung infrage. Darüber hinaus wurden Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum nach der ausgesprochenen Kündigung sowie die Ausstellung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses verhandelt. Die Vorinstanzen, das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, gaben der Klage des gekündigten Arbeitnehmers statt. Sie hoben hervor, dass das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Absatz 1 GG in Form von Äußerungen in privaten Chatgruppen vor dem Schutz der Ehre vorgehe. In dem Sinne entschieden die Vorinstanzen, dass herabwürdigende Nachrichten keinen nach § 626 Absatz 1 BGB notwendigen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen.
Das Bundesarbeitsgericht setzte mit seiner Entscheidung vom 24. August 2023 einen deutlichen Kontrast zu den Entscheidungen der Vorinstanzen und stellte klar, dass im Fall von beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen in einer privaten Chatgruppe eine besondere Darlegung erforderlich ist, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Beteiligten an Dritte weitergegeben. Das Gericht befand die außerordentliche Kündigung als wirksam und unterstrich, dass der Schutz der informationellen Selbstbestimmung in privaten Kommunikationsräumen zwar ein hohes Gut sei, seine Grenzen jedoch findet, wenn durch die Äußerungen andere Rechtsgüter, wie die Ehre und die Persönlichkeitsrechte von Arbeitskollegen und Vorgesetzten, signifikant beeinträchtigt werden. Die Verwertung der persönlichen Nachrichten im Rahmen des Prozesses wurde nicht als grundrechtswidriger Eingriff gewertet, da sie gerade im Kontext des Beweisvortrags und des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 103 Absatz 1 GG stand.
Das BAG führte weiter aus, dass die Art der Nachricht und die Größe der Gruppe entscheidend für die Bewertung der Vertraulichkeitserwartung seien. Außerordentliche Kündigungen sind jedenfalls generell betrachtet nur unter der Voraussetzung eines wichtigen Grunds nach § 626 Absatz 1 BGB möglich. In dem vorliegenden Fall lagen die Voraussetzungen für die Annahme wichtiger Gründe für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Absatz 1 BGB vor, insbesondere weil die Gruppe aus sieben Personen bestand, eine sich ändernde Zusammensetzung hatte und die Verwendung eines auf schnelle Weiterleitung von Nachrichten angelegten Mediums wie WhatsApp sowie die Schwere und Häufigkeit der Äußerungen gegen eine etwaige Vertraulichkeitserwartung sprachen.
Im Arbeitsverhältnis obliegen dem Arbeitnehmer sowohl Haupt- als auch Nebenpflichten. Während die Hauptleistungspflicht die Erbringung der Arbeitsleistung umfasst, verletzten die betreffenden Nachrichten insbesondere die nach § 241 Absatz 2 BGB gebotene Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der jeweils anderen Vertragspartei. Hierzu gehöre angesichts von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch die Wahrung eines rücksichtsvollen Umgangstons im Betrieb, so das BAG.
Eine außerordentliche fristlose Kündigung, sei es durch den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer, setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, § 626 Absatz 1 BGB. Entscheidend ist, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung aufgrund einer schwerwiegenden Störung des Betriebsfriedens unzumutbar ist, wobei diese durch eine gravierende Störung des Betriebsfriedens, bei der keine Aussicht auf Besserung besteht, bedingt ist. Die Beurteilung der Unzumutbarkeit erfolgt durch eine differenzierte und sorgfältige Interessenabwägung, bei der diverse Faktoren von Bedeutung sind. Für die Abwägung der Interessen sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Schwere und Häufigkeit der Verfehlung, beispielsweise einer Beleidigung, sowie die Umstände, unter denen diese stattfand, besonders relevant. Ein isolierter Fehltritt wird anders gewichtet als wiederholte Verstöße. Ebenso wird berücksichtigt, ob ein Fehlverhalten im Affekt erfolgte oder das Ergebnis einer bewussten Entscheidung war. Weiterhin ist das Reueverhalten des Arbeitnehmers von Relevanz, insbesondere ob eine Entschuldigung stattfand. Auch vorangegangene Abmahnungen sind in die Bewertung einzubeziehen, da sie die Einordnung einer aktuellen Verfehlung beeinflussen.
Zusätzlich sind für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung bestimmte formale Voraussetzungen zu erfüllen: eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG, die Einhaltung der Schriftform nach § 623 BGB sowie die Beachtung der Zweiwochenfrist für die Kündigungserklärung gemäß § 626 Absatz 2 BGB. In dem konkreten Fall war eine gründliche Überprüfung und Bewertung aller relevanten Umstände ausschlaggebend für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung.
In der Regel wird davon ausgegangen, dass Nachrichten in WhatsApp-Chatgruppen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, was auch durch die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des Messengers unterstrichen wird. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts macht jedoch deutlich, dass trotz des hohen Stellenwerts des Schutzes des Persönlichkeitsrechts und der informationellen Selbstbestimmung, private Kommunikation in Chatgruppen nicht uneingeschränkt vor arbeitsrechtlichen Folgen geschützt ist.
Der Schutz in digitalen Chatgruppen wird in der Praxis anhand einer Auslegung und Anwendung der Umstände im Einzelfall beurteilt. Dabei sind Faktoren wie die Größe der Chatgruppe, die Zusammensetzung der Teilnehmer und die Art der ausgetauschten Nachrichten ausschlaggebend. Zentral ist hierbei die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers und der Kollegen, die auch im privaten und digitalen Raum Gültigkeit hat. Das Urteil betont die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und stellt klar, dass bei beleidigenden und verachtenden Äußerungen eine erhöhte Schwelle für eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung in Chatgruppen besteht.
Um in einer Chatgruppe eine solche Erwartung zu etablieren, sind unter Umständen die Äußerung persönlicher Emotionen, der Wunsch nach Geheimhaltung oder eine entlastende Selbstdarstellung in einer Atmosphäre, die mit dem Umgang mit nahestehenden Familienmitgliedern vergleichbar ist, relevant. Je größer die Gruppe, desto anspruchsvoller wird es, eine Vertraulichkeitserwartung zu begründen. Das BAG hat in der Vergangenheit eine solche Erwartung in der Regel nur bei Kommunikation zwischen ein bis zwei anderen Personen angenommen. Zu beachten ist für Arbeitnehmer, dass bei Äußerungen, die menschenverachtend sind oder zu Gewalt motivieren, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Vertraulichkeitserwartung in Chatgruppen grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Entscheidung vom 27. September 2022, Az.: 2 AZR 5/22, Rn. 20). Die Grenzen des eigenen Persönlichkeitsrechts sind jedenfalls spätestens dann erreicht, wenn Schmähkritik, Formalbeleidigungen oder Angriffe auf die Menschenwürde vorliegen.
Mit diesem Urteil sendet das Bundesarbeitsgericht ein klares Signal zur Notwendigkeit einer Balance zwischen dem Schutz der Rechte der Arbeitskollegen und der Verantwortung gegenüber diesen sowie dem Arbeitgeber. Unternehmen sind aufgefordert, ihre Kommunikationsrichtlinien zu überprüfen und anzupassen, um die Rechte der Arbeitnehmer ebenso wie die des Arbeitgebers und der Kollegen zu schützen. Sie haben Schutzpflichten und sind unter anderem verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor Diskriminierung jeglicher Art zu schützen (vgl. § 12 Absatz 1 AGG).
Die richtungsweisende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts etabliert neue Vertraulichkeitserwartungen bei der Beurteilung von Aussagen in privaten Whatsapp-Chatgruppen und deren arbeitsrechtlichen Implikationen. Es akzentuiert die Notwendigkeit einer bedachten und respektvollen Kommunikation und definiert die Grenzen der Vertraulichkeit, besonders wenn die Rechte Dritter betroffen sind. Für Arbeitnehmer resultiert daraus eine erhöhte Sorgfaltspflicht in ihrer digitalen Kommunikation, vor allem hinsichtlich jener Inhalte, die arbeitsrechtliche Konsequenzen wie eine außerordentliche Kündigung nach sich ziehen könnten. Auch Chatgruppen mit besonders engen Bezugspersonen begründen nach dieser Entscheidung des BAGs keine beleidigungsfreie Sphäre, in der ehrverletzende Äußerungen zum Ausdruck gebracht werden können.
Da die gebotene Vertraulichkeitserwartung in Chatgruppen jedoch stets eine Einzelfallbetrachtung erfordert, kann die Einreichung einer Kündigungsschutzklage ausschlaggebend sein, um festzustellen, ob die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet oder ob vielmehr ein Abfindungsanspruch nach § 13 Absatz 1 Satz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) besteht. Hierzu ist die Beachtung der dreiwöchigen Klagefrist gemäß § 4 Absatz 1 KSchG von essenzieller Bedeutung. Arbeitgeber sind ihrerseits gut beraten, klare Kommunikationsrichtlinien zu integrieren und ihre Mitarbeiter umfassend über die Konsequenzen von Fehlverhalten im digitalen Raum aufzuklären.