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Handelsbrauch – Definition, Bedeutung und Rechtsanwendung

Der Begriff „Handelsbrauch“ beschreibt einen bei Handelsgeschäften unter Kaufleuten verpflichtenden Brauch, der auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen tatsächlichen Übung beruht. Diese Regel bildet sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums für vergleichbare Geschäftsvorfälle und basiert auf einer einheitlichen Auffassung der beteiligten Kaufleute. Jene Definition wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) im Mai 1984 etabliert und stellt die Voraussetzungen dar, unter denen Handelsbräuche zustande kommen.

I. Etymologie und Historie von Handelsbräuchen

Der Begriff „Handelsbrauch“ hat seine Wurzeln im lateinischen „Usus“, das Brauch oder Sitte) bedeutet. und wurde vor 1553 ins Niederländische als „usantye“ für den Wechselbrauch übernommen, also für die übliche Praxis bei der Handhabung von Wechseln. In Deutschland wurde das Wort „Usus“ um 1610 von Philipp Hainhofer eingeführt. In Frankreich fand das Wort als „usance“ Verbreitung. Der Begriff „Handelsbrauch“ selbst tauchte erstmals 1599 in Niederösterreich auf. Während „Uso“ oder „Usantz“ bei Wechseln verfestigte, umfasste der Handelsbrauch die allgemeinen Gepflogenheiten der Kaufleute.

Später übernahm das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 den „Handelsgebrauch“ in Artikel 279 ADHGB, betonte jedoch, dass seine Geltung ausdrücklich von den Parteien gewollt sein müsse.

In späteren Urteilen befassten sich das Reichsoberhandelsgericht (ROHG) und das Reichsgericht (RG) mit dem Begriff „Handelsgebrauch“. Das ROHG ging im Juni 1872 davon aus, dass das Gesetz mit „Handelsgebräuche“ lediglich das „Handelsgewohnheitsrecht“ und nicht auch die „tatsächlichen Handelsgebräuche“ meinte. Diese Unterscheidung war wichtig, um klarzustellen, dass nicht jede im Handel übliche Praxis rechtlich verbindlich war. Dem schloss sich das Reichsgericht im Juni 1899 an und bekräftigte, dass jeder „durch langdauernde Übung … herausgebildete Rechtssatz“ ein Handelsbrauch sei.

Bereits 1864 wurden Handelsbrauch und Usance als Synonyme benutzt. Der Jurist Levin Goldschmidt wies darauf hin, dass für Usancen eine Übung in Handelssachen erforderlich sei. Diese frühe Verwendung zeigt, dass die Begriffe Handelsbrauch und Usance schon damals eng miteinander verknüpft waren.

Der Staatsrechtslehrer Paul Laband trennte im Jahr 1873 in seiner Abhandlung „Die Handelsusance“ zwischen Geschäftsgebrauch und Usance. Er definierte den Prototyp der Usance als Geschäftsgebrauch, der zwischen zwei Kaufleuten in ihrem dauernden gegenseitigen Geschäftsverkehr bestehe. Laband unterschied zwischen dem auf einen engen Personenkreis beschränkten Geschäftsgebrauch und der allgemeinen Usance, die die Allgemeinheit umfasse.

Hingegen sah Max Weber 1894 die Usance als technischen Begriff für den Handelsbrauch. Diese Sichtweise unterstreicht die Bedeutung der Usance als spezialisierter Ausdruck für die praktischen Handelsgebräuche. Im Jahr 1934 definierte man Handelsübung (Usance) als die besondere Verkehrssitte des Handelsstandes. Anders sahen Franz Schlegelberger und Wolfgang Hefermehl im Jahr 1937 einen Unterschied zwischen Handelsbrauch und Usance darin, dass ersterer ermittelt und festgestellt, letztere aber als Geschäftsbedingung festgesetzt werde. Im Jahr 1965 stellte Schlegelberger jedoch fest, dass der Begriff Usance vielfach gleichbedeutend für Handelsbrauch verwendet werde. Diese Gleichsetzung wurde durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) gestützt, die die Bedeutung der Usance letztlich als gleichwertig zum Handelsbrauch bestätigte.

 

II. Was ist ein Handelsbrauch?

Ein Handelsbrauch bezeichnet eine bei Handelsgeschäften zwischen Kaufleuten geltende Regel. Diese Regel basiert auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen Übung und bildet sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums. Ein Handelsbrauch ist keine eigentliche Rechtsquelle im klassischen Sinne, wie Gesetze oder Verordnungen, kann jedoch unter bestimmten Bedingungen zum Gewohnheitsrecht werden.

 

1. Ein Handelsbrauch als verbindliche Regel

Handelsbräuche entstehen durch tatsächliche Übung und wiederholtes Verhalten im Handelsverkehr. Diese Übung muss von den beteiligten Kaufleuten als verbindlich anerkannt werden. Wesentlich ist hierbei, dass die Übung freiwillig erfolgt und sich die Kaufleute einheitlich an diese Regel halten. Ein Handelsbrauch gilt somit ausschließlich unter Kaufleuten und nicht für Verbraucher. Für Verbraucher gelten die allgemeinen Verkehrssitten gemäß § 157 BGB und § 242 BGB.

 

2. Gesetzliche Verankerung im HGB

Die gesetzliche Grundlage für die Berücksichtigung von Handelsbräuchen findet sich in § 346 HGB.

§ 346 

Unter Kaufleuten ist in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen.

Diese Vorschrift verlangt, dass Kaufleute bei der Auslegung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht nehmen. Dies bedeutet, dass Handelsbräuche eine normative Kraft haben und bei der Bewertung von geschäftlichen Handlungen im Handelsverkehr berücksichtigt werden müssen.

 

3. Handelsbrauch Gewohnheit / Gewohnheitsrecht

Obwohl ein Handelsbrauch keine geschriebene Rechtsnorm darstellt, kann er unter bestimmten Voraussetzungen zum Gewohnheitsrecht werden. Dies ist der Fall, wenn eine allgemeine Überzeugung unter den Kaufleuten vorherrscht, entsprechend handeln zu müssen. In solchen Fällen erlangt der Handelsbrauch eine rechtliche Verbindlichkeit ähnlich der von geschriebenen Gesetzen.

 

4. Merkmale und Voraussetzungen eines Handelsbrauchs

  1. Gleichmäßigkeit und Einheitlichkeit: Ein Handelsbrauch entsteht durch gleichmäßige und einheitliche Praktiken unter Kaufleuten. Diese Praktiken müssen über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen und dürfen keine wesentlichen Abweichungen aufweisen.
  2. Freiwilligkeit: Die Einhaltung des Handelsbrauchs muss freiwillig erfolgen. Die beteiligten Kaufleute müssen die Regel akzeptieren und ihr aus freien Stücken folgen.
  3. Anerkennung durch Kaufleute: Ein Handelsbrauch wird nur dann verbindlich, wenn er von den beteiligten Kaufleuten anerkannt und als verbindlich angesehen wird.
  4. Beschränkung auf Kaufleute: Handelsbräuche gelten ausschließlich für Geschäftsbeziehungen zwischen Kaufleuten. Sie finden keine Anwendung auf Verträge mit Verbrauchern, es sei denn, diese unterwerfen sich auf vertraglicher Basis freiwillig den Handelsbräuchen.

 

III. Handelsbrauch Beispiel

Im Folgenden werden einige klassische Beispiele vorgestellt, die die Bedeutung und Anwendung von Handelsbräuchen illustrieren:

 

Handelsbrauch Beispiel 1: Handelsklausel „ab Werk“

Eine der bekanntesten Handelsklauseln ist die Vereinbarung „ab Werk“. Diese Klausel regelt den Lieferort und die Kostenverteilung für den Transport von Waren zwischen Verkäufer und Käufer. „Ab Werk“ bedeutet, dass der Verkäufer die Ware auf seinem Firmengelände zur Verfügung stellt und der Käufer die Verantwortung für den Transport sowie die damit verbundenen Kosten und Risiken übernimmt, sobald die Ware das Werk des Verkäufers verlässt.

 

Handelsbrauch Beispiel 2: Tegernseer Gebräuche

Ein weiteres Beispiel für einen etablierten Handelsbrauch sind die Tegernseer Gebräuche im Holzhandel. Diese spezifischen Regelungen betreffen den Holzverkauf und -transport und sind durch langjährige Praxis entstanden. Sie legen unter anderem fest, wie Holz vermessen und klassifiziert wird, welche Qualitätsstandards gelten und wie die Abwicklung des Transports zu erfolgen hat. Die Tegernseer Gebräuche werden von den beteiligten Kaufleuten als verbindlich anerkannt und bieten eine verlässliche Grundlage für Handelsgeschäfte im Holzsektor.

 

Handelsbrauch Beispiel 3: Incoterms

Im internationalen Handel sind die Incoterms (International Commercial Terms) ein weitverbreiteter Handelsbrauch. Diese von der Internationalen Handelskammer (ICC) entwickelten Klauseln regeln die Pflichten, Kosten und Risiken im Zusammenhang mit dem Transport von Waren. Beispiele für Incoterms sind „FOB“ (Free on Board) und „CIF“ (Cost, Insurance, and Freight).

 

Handelsbrauch Beispiel 4: Börsenusancen

Börsenusancen sind Handelsbräuche, die im Börsenhandel gelten. Sie beruhen entweder auf einheitlichen, freiwilligen und dauerhaften tatsächlichen Übungen oder sind als festgelegte Börsenbedingungen formuliert. Diese Usancen dienen der Abwicklung von Börsengeschäften und umfassen Regelungen zu Handelszeiten, Abrechnungsmethoden und Verhaltensregeln für Börsenhändler.

 

Handelsbrauch Beispiel 5: Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen (ADSp)

Obwohl die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) eher zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zählen, sind sie ein gutes Beispiel dafür, wie häufig verwendete Vertragsbedingungen in einen Handelsbrauch übergehen können. Die ADSp regeln die Haftung und Pflichten von Spediteuren und Frachtführern und werden in der Praxis häufig angewendet.

 

Handelsbrauch Beispiel 6: Geschäftsgebaren Bedeutung

In vielen Branchen haben sich spezifische Geschäftsgebaren etabliert, die als Handelsbräuche anerkannt sind. Beispielsweise gibt es im Möbelbau bestimmte Usancen, die die Herstellung, Lieferung und Montage von Möbeln regeln. Diese Branchenpraktiken basieren auf langjähriger Erfahrung und werden von den beteiligten Unternehmen als verbindlich anerkannt.

 

IV. Rechtsanwendung und Durchsetzung von Handelsbräuchen

Handelsbräuche spielen eine entscheidende Rolle bei der Auslegung von Verträgen und der Bewertung von Handlungen im Geschäftsverkehr. Sie sind insbesondere in Zivilprozessen zwischen Kaufleuten von Bedeutung, da sie helfen, die üblichen Praktiken und Erwartungen der beteiligten Parteien zu verstehen und zu bewerten.

 

1. Gerichtliche Berücksichtigung von Handelsbräuchen

§ 346 HGB schreibt vor, dass unter Kaufleuten auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen ist. Dies bedeutet, dass Handelsbräuche eine normative Kraft besitzen und bei der Auslegung von Verträgen herangezogen werden können.

Gerichte verwenden Handelsbräuche daher insbesondere in folgenden Situationen:

  • Vertragsauslegung: Bei der Auslegung von Verträgen helfen Handelsbräuche, die üblichen Erwartungen und Praktiken der Vertragsparteien zu verstehen. Dies ist besonders wichtig, wenn Vertragsklauseln unklar oder mehrdeutig sind. Durch die Berücksichtigung von Handelsbräuchen kann das Gericht feststellen, wie bestimmte Vertragsbestimmungen im Handelsverkehr üblicherweise verstanden werden.
  • Bewertung von Handlungen und Unterlassungen: Handelsbräuche sind auch relevant, wenn es darum geht, die Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen zu bewerten. Beispielsweise kann das Verhalten einer Vertragspartei im Kontext des geltenden Handelsbrauchs bewertet werden, um festzustellen, ob dieses Verhalten als angemessen oder unangemessen anzusehen ist.
  • Ermittlung der Verkehrssitte: Handelsbräuche helfen dabei, die Verkehrssitte in einer bestimmten Branche oder Region zu ermitteln.

 

2. Rolle der Industrie- und Handelskammern (IHK)

Die Industrie- und Handelskammern (IHK) spielen eine wesentliche Rolle bei der Feststellung und Dokumentation von Handelsbräuchen. Ihre Aufgaben umfassen:

  • Gutachten erstellen: Gerichte können die IHK um Gutachten bitten, um das Bestehen und den Inhalt eines Handelsbrauchs zu ermitteln. Die IHK befragt hierzu Unternehmen innerhalb ihres Bezirks, die zu den beteiligten Verkehrskreisen gehören, und sammelt Informationen über die üblichen Praktiken in der betreffenden Branche.
  • Beweismittel in Prozessen: Die von der IHK erstellten Gutachten können vor Gericht als Beweismittel verwendet werden. Sie bieten eine objektive Grundlage für die Bewertung von Handelsbräuchen und helfen den Gerichten, fundierte Entscheidungen zu treffen.
  • Dokumentation und Beratung: Die IHK dokumentiert bestehende Handelsbräuche und berät Unternehmen in Fragen der handelsüblichen Praxis.

     

    V. Anwendungsbereich eines Handelsbrauchs

    1. Örtlicher Anwendungsbereich

    Ein Handelsbrauch muss nicht national gelten, sondern kann auch regional oder lokal (Ortsgebrauch) relevant sein. Ein lokaler Handelsbrauch geht im Zweifel dem überörtlichen vor, insbesondere bei der lokalen Verkehrssitte.

     

    2. Persönlicher Anwendungsbereich

    Handelsbräuche gelten primär unter Kaufleuten. Nichtkaufleute können sich jedoch freiwillig diesen Bräuchen unterwerfen. Handelsbräuche entwickeln sich innerhalb spezifischer kaufmännischer Verkehrskreise, die in Branchen oder Handelssektoren organisiert sind. Es besteht die Möglichkeit, dass auch ausländische Handelsbräuche berücksichtigt werden, wenn die Vertragsparteien dies vereinbaren.

     

    3. Sachlicher Anwendungsbereich

    Handelsbräuche sind Bestandteil von Handelsgeschäften. Das HGB erkennt in mehreren Normen (z.B. § 59 HGB für Handlungsgehilfen, § 94-99 HGB für Handelsmakler) örtliche Handelsbräuche ausdrücklich an. Zwingendes Recht kann durch Handelsbräuche nicht geändert werden, dispositives Recht jedoch schon, sofern nicht der Zweck des Gesetzes einen entgegenstehenden Handelsbrauch ausschließt.

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