Doc Morris vor Gericht: Was dürfen Online Apotheken?

Die niederländische Online Apotheke Doc Morris testet mit gewagten Verkaufsstrategien fortlaufend die rechtlichen Grenzen des Arzneimittelhandels über das Internet. Dass dieser in Deutschland überhaupt möglich ist, erstritt Doc Morris selbst einst und schuf damit nicht nur einen Dauerbrenner in Klausuren von Jura-Studierenden, sondern revolutionierte zugleich den Vertrieb von Arzneimitteln in Deutschland.

Dieser Beitrag zeichnet die lange Historie der Online Apotheke vor verschiedenen Gerichten nach und ordnet die gewichtigen Auswirkungen der Entscheidungen auf die Praxis ein.

I. Doc Morris I”: Online-Versand von Arzneimitteln

Eine nicht zuletzt wegen ihrer Beliebtheit in Europarechts-Klausuren bis heute viel beachtete Entscheidung, ist die sog. „Doc Morris I”-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2003, in der geklärt werden musste, ob eine ausländische Apotheke in Deutschland Medikamente über das Internet vertreiben darf.

Wer hat geklagt?
Der Deutsche Apothekerverband klagte gegen das Modell von Doc Morris, Arzneimittel über eine Online Apotheke von den Niederlanden aus in Deutschland anzubieten.

Worum ging’s?
Doc Morris bot apothekenpflichtige Arzneimittel online in deutscher Sprache an, was damals nach § 43 AMG a.F. verboten war, denn der Vertrieb war nur den ansässigen Apotheken und nicht per Versandhandel erlaubt.

Rechtsfrage
Verstößt ein nationales Verbot von Online Handel mit Arzneimitteln gegen die Warenverkehrsfreiheit (heute Art. 34 AEUV)?

Entscheidung des Gerichts
Der EuGH entschied, dass ein generelles Verbot eine unzulässige Beschränkung nach Art. 28 EG (jetzt Art. 34 AEUV) darstellt, was bei verschreibungspflichtigen Medikamenten allerdings durch zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden kann. Bei verschreibungsfreien Medikamenten fehle jedoch eine solche Rechtfertigung.

Noch bevor der EuGH in der Frage entschied, reagierte der deutsche Gesetzgeber und erlaubte den Versandhandel in § 73 I 1 Nr. 1 a AMG.

II. Doc Morris II”: Fremdbesitzerverbot

Auch eine zweite Klage gegen Doc Morris landete einige Jahre später als Vorlagefrage vor dem EuGH. Diesmal wollte das niederländische Unternehmen eine eigene Filiale in Deutschland eröffnen, verstieß damit jedoch gegen deutsches Recht.

Wer hat geklagt?

Die Apothekerkammer des Saarlandes klagte wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Fremdbesitzerverbot durch Doc Morris vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht, welches in der Folge den EuGH mit der Frage befasste.

Worum ging’s?

Doc Morris erhielt eine Erlaubnis für eine Filialapotheke in Saarbrücken, unter der Voraussetzung, einen Apotheker für die Leitung der Filiale einzustellen. Da nach deutschem Recht das Betreiben einer Apotheke aber nur mit deutscher Approbation als Apotheker zulässig ist (§ 2 I Nr. 3 i.V.m. § 7 und § 8 ApoG), müssen Eigentümer und Betreiber Apotheker sein (sog. Fremdbesitzerverbot).

Rechtsfrage

Stellt ein solches Fremdbesitzerverbot zum Betrieb einer Apotheke eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit  (Art. 49ff AEUV) dar?

Entscheidung des Gerichts

Der Ausschluss von Nichtapothekern stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, da Wirtschaftsteilnehmer von der Aufnahme einer Tätigkeit im betreffenden Mitgliedsstaat abgehalten werden. Weil die Regelung aber ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit Anwendung findet und der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere die sichere und qualitativ hochwertige Versorgung mit Arzneimitteln, und damit ein zwingendes Allgemeininteresse verfolgt wird, lässt sich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen.

Die Mitgliedstaaten der EU können folglich selbst Kriterien wählen, nach denen sie geeignete Betreiber von Apotheken auswählen, solange die Anforderungen von ausländischen wie einheimischen Bewerbern gleichermaßen erfüllt werden können.

III. „Doc Morris III”: Preisbindung

Immer wieder eckte Doc Morris mit seinen Werbestrategien mit der deutschen Arzneimittelpreisbindung an und musste sich davor vor Gericht erklären, wo das niederländische Unternehmen 2015 als Sieger hervorging, als der EuGH die deutsche Regelung für unionsrechtswidrig erklärte.

Wer hat geklagt?

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs sah einen Verstoß gegen die deutsche Preisbindung für Medikamente und klagte zunächst beim Landgericht Düsseldorf. Wenig später landete der Streit als Vorlagefrage beim EuGH.

Worum ging’s?

Die „Deutsche Parkinson Vereinigung“ hatte mit Doc Morris ein Bonussystem vereinbart, wonach Mitglieder Boni nutzen konnten, wenn sie verschreibungspflichtige Parkinson-Medikamente bezogen, wodurch bestimmte Medikamente billiger verkauft wurden, was als Verstoß gegen die Preisbindung nach § 78 I 1 Nr. 1, S. 4, II AMG i.V.m. der Arzneimittel-VO§ 7 I Nr. 2 Heilmittelwerbegesetz (HWG), nach welcher alle verschreibungspflichtigen Medikamente in Deutschland den gleichen Preis haben mussten, bemängelt wurde.

Rechtsfrage

Verstößt die Festsetzung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel im deutschen Recht gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34 AEUV?

Entscheidung des Gerichts

Eine nationale Regelung, die Preise für verschreibungspflichtige Arznei vorschreibt, ist eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung, da sie ausländische Apotheken stärker benachteiligt und nach Art. 36 AEUV kann eine solche Preisbindung nicht mit dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden, weil sie dazu ungeeignet ist. Dem deutschen Gesetzgeber ging es vor allem um den Schutz von Vor-Ort-Apotheken, was der EuGH als schützenswert anerkannte, aber in der Preisbindung nicht das geeignete Mittel sah.

Im Jahr 2020 startete der Gesetzgeber einen neuen Versuch, die ansässigen Apotheken vor dem wachsenden Online Handel aus dem Ausland zu schützen und erlies das „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken”, welches die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente auch gegenüber EU-Versandapotheken festlegte.

IV. Ein E-Bike für den Medikamentenkauf?

Mit einem Gewinnspiel verstieß die Online Apotheke später gegen das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel und diesmal entschied der EuGH gegen Doc Morris, denn ein Verstoß des Werbeverbots gegen Art. 34 AEUV wurde verneint.

Wer hat geklagt?

Die Apothekerkammer Nordrhein klagte gegen ein Gewinnspiel von Doc Morris aus dem Jahr 2015.

Worum ging’s?
Doc Morris warb mit einem Flyer: “Jetzt Rezept einsenden und gewinnen!” Hauptpreis war ein E-Bike im Wert von 2.500 Euro.

Rechtsfrage
Stellt ein solches Gewinnspiel eine unsachliche Beeinflussung im Sinne von § 7 HWG dar und ist ein nationales Werbeverbot mit dem AEUV vereinbar?

Entscheidung des Gerichts
Der BGH bestätigte das Verbot: Gewinnspiele für rezeptpflichtige Medikamente per Klick könnten dazu verleiten, ein Medikament zu bestellen, statt selbst in die Apotheke zu gehen, was möglicherweise aber den Bedürfnissen gerechter werden würde. Auch der EuGH sah keine Verletzung des freien Warenverkehrs, da das Verbot für alle Apotheken gleichermaßen gelte.

V. Ein Automat für Arzneimittel?

Für Aufsehen sorgte auch die Idee, Medikamente vor Ort in einem Automaten zu verkaufen, was ebenfalls gegen geltendes Recht verstößt.

Wer hat geklagt?

Doc Morris klagte gegen ein Verbot des Regierungspräsidiums Karlsruhe.

Worum ging’s?
Im Jahr 2017 betrieb Doc Morris in Hüffenhardt einen Apotheken-Automaten mit Videoberatung, in dem Arzneimittel vor Ort gelagert und direkt an Kunden abgegeben wurden, hatte aber nur die Erlaubnis für den Versand von Arznei.

Rechtsfrage
Handelt es sich hierbei um Versandhandel im Sinne des Arzneimittelgesetzes oder um eine unerlaubte Apothekenabgabe?

Entscheidung des Gerichts

Der VGH urteilte, dass der Automat kein Versandhandel sei und die Abgabe aus einem Lager mit nachträglicher Bestellung gegen § 73 AMG verstoße. Der BGH bestätigte in mehreren Beschlüssen, dass die Automatenausgabe nicht den Anforderungen der Arzneimittelsicherheit genüge.

VI. Aktuell: Boni für den Medikamentenkauf? (2025)

Auch in diesem Jahr trat Doc Morris wieder vor Gericht auf, erneut um eine Bonusaktion zu rechtfertigen, die bereits 2012 lief. Wieder ging es um die 2020 aufgehobene Preisbindung, die der EuGH bereits für unzulässig erklärte, weshalb die Niederländer erneut Recht bekamen.

Wer hat geklagt?
Der Bayerische Apothekerverband klagte gegen das Vorgehen von Doc Morris, deutschen Kunden Boni beim Einlösen von Rezepten zu gewähren.

Worum ging’s?
Doc Morris hatte deutschen Kunden beim Einreichen verschreibungspflichtiger Arzneimittel Bonusgutschriften gewährt: Pro Medikament gab es 3 Euro, bis zu 9 Euro je Rezept. Die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente untersagte jedoch derartige Preisnachlässe.

Rechtsfrage
Darf Doc Morris als EU-Versandapotheke deutschen Kunden Boni gewähren oder verstößt dies gegen das deutsche Arzneimittelpreisrecht?

Entscheidung des Gerichts
Der BGH stützte sich auf das frühere EuGH-Urteil und stellte klar, dass die Rabattaktionen zwar gegen die Arzneimittelpreisbindung verstoßen, diese allerdings nicht auf EU-Versandapotheken angewendet werden darf. Die Regelung sei in diesem Fall eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs, da kein unmittelbarer Nachweis erbracht wurde, dass sie dem Gesundheitsschutz diene.

Ob solche Rabattaktionen allerdings auch mit der neuen, durch das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken, eingeführten Preisbindung vereinbar sind und ob diese wiederum gegen EU-Recht verstößt ließ der BGH unbeantwortet und da Doc Morris bereits die nächsten Boni-Programme angekündigt hat, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch diese Fragen vor Gericht geklärt werden.

VII. Fazit

Mit seinen Werbestrategien testet Doc Morris seit Jahren die Grenzen von deutschem Arzneimittelrecht und europäischen Grundfreiheiten. 

Nachdem man 2003 die grundsätzliche Möglichkeit als nicht-deutscher Anbieter Arzneimittel online in Deutschland zu vertreiben erstritt und später die Unionrechtswidrigkeit deutscher Preisbindungsregelungen feststellen ließ, gab es auch einige Niederlagen vor Gericht.

Es bleibt abzuwarten, was sich das Unternehmen noch so alles einfallen lässt, um den Einklang des deutschen Arzneimittelrechts mit dem Schutz europäischer Grundfreiheiten auszuloten.

Über weitere spannende Gerichtsurteile klären unsere Beiträge zu den Themen „Kontoführungsgebühren zurückfordern“, dem „Fall Lina E” oder zur „Netflix Preiserhöhung“.

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Studium:

  • Student der Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg
  • Schwerpunktbereich: Kriminalwissenschaften
  • Auslandsaufenthalt am Chicago-Kent College of Law (USA)

Jurawelt:

  • Redakteur & Studentischer Mitarbeiter
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