Zack! Das ging jetzt aber auf einmal ganz schön schnell. Inmitten von hunderten jungen Studenten und Studentinnen saß ich plötzlich in einem großen Vorlesungssaal zur Einführungsveranstaltung für Studierende der Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg.
Ich ließ meinen Blick über die Vorlesungsbänke schweifen und versuchte, anhand der Eindrücke, die zukünftigen Kommilitonen einzuschätzen. Einige hatten sich extra in Schale geworfen und waren im Anzug oder schicken Blazer erschienen. Die junge Studentin neben mir wühlte in ihrer Tasche und war damit beschäftigt, sämtlichen Tascheninhalt vor sich auf den Tisch zu platzieren. Ein paar Reihen weiter wehte ein ganz anderer Wind: Eine Handvoll junger Männer schien sich untereinander bereits bestens zu verstehen. Es wurde lauthals gelacht und von einer geplanten Stadtrallye für die Erstsemester gesprochen. An jeder Station gebe es massig zu trinken und abends würde man dann noch zusammen feiern gehen. Die gute Stimmung breitete sich schlagartig auf die dahinterliegende Reihe aus – wurde dann allerdings abrupt durch ein kratzendes und ohrenbetäubendes Rauschen der an den Decken des Saales befestigten Lautsprecher unterbrochen. Gefolgt von einer Feinjustierung des Mikrofons und einer anschließenden kurzen Begrüßungsrede.
Wenige Stunden später befand ich mich inmitten der besagten Stadtrallye und eilte unseren Gruppenführern – zwei Jurastudenten aus höheren Semestern – durch die Altstadt Marburgs hinterher. Tatsächlich hatten wir auf dem bisherigen Weg schon einige Stationen passiert, an denen es ausreichend Möglichkeiten gab, seinen Durst zu stillen. Eigentliches Thema der Stadtrallye war es jedoch, mehr über die geschichtlichen Hintergründe der Universität, des Juridicums, der Oberstadt sowie des Landgrafenschlosses der Stadt Marburg zu erfahren.
Mein Studentenzimmer befand sich etwa zwanzig Minuten mit dem Bus von der Innenstadt entfernt und bislang hatte ich noch nicht wirklich Gelegenheit, Marburgs Oberstadt zu erkunden.
Die Oberstadt Marburgs liegt auf einem kleinen Berg, auf dessen höchstem Punkt das Landgrafenschloss thront. Von dort ausgehend führt eine schmale, gepflasterte Straße hinunter in die Innenstadt und endet schließlich am alten Marktplatz. Dieser bildet quasi den Mittelpunkt der Altstadt und verzweigt sich schließlich wieder in viele verschiedene schmale Gassen. Die Altstadt selbst ist mit zahlreichen Fachwerkhäusern bebaut und lädt mit unzähligen kleinen Cafés und Bars zum Verweilen ein.
Rückblickend kann ich sagen, dass mir während der Stadtrallye zum ersten Mal bewusst wurde, dass diese Stadt für voraussichtlich einige Jahre mein neues Zuhause sein wird. Eine Erkenntnis, die mich in dem Moment erwachsen fühlen ließ.
Bereits am Abend meines ersten Tages war davon jedoch schon nicht mehr viel übrig. Meine Gruppe hatte sich mit einer anderen Gruppe zusammengetan und irgendwie waren wir in einer WG gelandet, wo wir uns über die gesamte Wohnung verteilten und leicht angeheitert über unsere Erwartungen bezüglich des Jurastudiums sprachen und immer mehr in Feierlaune gerieten. Ich fühlte mich auf einmal wieder wie an einem Abend mit Freunden während meiner Schulzeit.
Inspiriert wurde ich von einer Schulfreundin, die direkt nach der Schule in Bochum ihr Jurastudium begann. Während meines Auslandsaufenthaltes nach dem Abitur schrieb sie mir und schlug vor, sie in einer Vorlesung zu begleiten. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland hörten wir uns gemeinsam eine Vorlesung im Zivilrecht an und aßen im Anschluss in der Mensa. Inhaltlich konnte ich der Vorlesung zwar nicht folgen, aber das Universitätsflair gepaart mit ihrer Begeisterung schafften es, mich von dem Studienfach Jura zu überzeugen.
So landete ich schließlich in der meiner Heimat am nächsten gelegenen Universitätsstadt Marburg, um meine Juristenlaufbahn anzutreten. Zwar wusste ich nach dem ersten Einführungstag nicht viel mehr über Jura als zuvor, konnte dafür aber viele neue Kontakte knüpfen und meine anfängliche Nervosität sowie Bedenken beiseiteschieben.