In der digitalen Ära fungiert die Anonymität von Online-Bewertungen auf Bewertungsplattformen wie Kununu als essenzielles Forum für den Austausch von Feedback und Erfahrungen. Mit der Anonymität wird eine Sphäre geschaffen, in der Transparenz und Ehrlichkeit nicht nur gefördert, sondern als Grundpfeiler einer gerechten Bewertungskultur etabliert werden. Vor diesem Hintergrund hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) Hamburg mit seinem Beschluss vom 08.02.2024 (Az.: 7 W 11/24), eine richtungsweisende Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung stipuliert, dass unter spezifizierten Bedingungen die Identität der Verfasser von Bewertungen auf der Plattform „Kununu“ offenzulegen oder die betreffenden Bewertungen zu eliminieren sind. Dies rückt unweigerlich die Frage nach der optimalen Balance zwischen dem Schutz der Anonymität der Nutzenden und den legitimen Interessen sowie dem Rechtsschutz der Arbeitgeber in den Vordergrund der juristischen und gesellschaftlichen Diskussion. Im folgenden Diskurs wird diese Materie eingehend untersucht, mit einem besonderen Augenmerk auf die weitreichenden Konsequenzen für die Praxis der anonymen Bewertungen.
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In dem gegenwärtigen Zeitalter, in der digitale Plattformen als primäre Foren des Austauschs und der Informationsbeschaffung dienen, nimmt die Anonymität bei Online-Bewertungen eine Schlüsselposition ein. Sie gewährt Individuen die Freiheit, ihre Einsichten und Erfahrungen mit Unternehmen, Produkten und Dienstleistungen zu teilen, ohne die Befürchtung negativer persönlicher oder beruflicher Konsequenzen. Diese Möglichkeit, unbehelligt von Repressalien zu kommunizieren, trägt nicht nur zur Transparenz bei und unterstützt die Demokratisierung der Informationsverteilung, sondern avanciert auch zur unentbehrlichen Entscheidungsgrundlage für Konsumenten und Arbeitssuchende.
Juristisch navigieren anonyme Bewertungen in einem komplexen Spannungsfeld zwischen der Meinungsfreiheit und den Persönlichkeitsrechten. Verfassungsrechtlich durch Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) abgesichert, schützt die Meinungsfreiheit das fundamentale Recht, sich frei zu äußern – eine Garantie, die auch kritische Bewertungen von Arbeitgebern auf Plattformen wie Kununu einschließt. Jedoch dürfen solche Äußerungen nicht die Grenzen des Rechts überschreiten, speziell in Bezug auf den Schutz der persönlichen Ehre sowie die Vermeidung von diffamierenden Behauptungen und falschen Tatsachen.
Die Herausforderung für das Rechtssystem liegt in der Wahrung eines Gleichgewichts: Einerseits gilt es, das Recht der Bewertenden auf freie und angstfreie Meinungsäußerung zu schützen; andererseits steht das berechtigte Interesse bewerteter Subjekte, seien es Unternehmen oder Einzelpersonen, im Raum, sich gegen irreführende oder schädigende Aussagen zur Wehr zu setzen. Dies erfordert eine sorgfältige Abwägung der Grundrechte aller Beteiligten und ein Vorgehen gegen den Missbrauch der Anonymität.
Die Problematik der Falschbewertungen stellt eine ernstzunehmende Herausforderung für die digitale Wirtschaft und den Arbeitsmarkt dar. Fehlinformationen können die Reputation und das Vertrauen in Unternehmen und Einzelpersonen erheblich schädigen. Obgleich die exakte Häufigkeit von manipulierten Bewertungen variiert, weisen Studien, wie beispielsweise die der Harvard Business School, darauf hin, dass ein signifikanter Anteil der Online-Bewertungen Anzeichen von Manipulationen aufweist. In dieser wurde festgestellt, dass bis zu 20% der Bewertungen auf bestimmten Plattformen Anzeichen von Unregelmäßigkeiten aufweisen, die auf mögliche Fälschungen hindeuten könnten. Diese Unregelmäßigkeiten umfassen Muster wie eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Bewertungen in kurzen Zeitabständen, ähnliche Formulierungen über verschiedene Bewertungen hinweg oder eine ungewöhnliche Verteilung von Bewertungspunkten. Solche Ergebnisse unterstreichen die Tragweite des Problems und die Notwendigkeit einer effektiven Regulierung.
Im Laufe der Zeit hat sich die Rechtsprechung weiterentwickelt, um diesen neuen Herausforderungen zu begegnen, und es hat sich ein juristischer Grundsatz etabliert: Bewertungen, die Tatsachenbehauptungen enthalten, müssen überprüfbar sein, während gleichzeitig die Anonymität der Bewertenden gewahrt bleiben muss, sofern keine rechtswidrigen Inhalte veröffentlicht werden. Dies erfordert eine differenzierte Anwendung rechtlicher Instrumente, die den Schutz der Meinungsfreiheit ebenso wie den des Persönlichkeitsrechts sicherstellen und einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten gewährleisten.
In der Informationsgesellschaft nehmen anonyme Bewertungen eine zentrale Stellung ein. Sie katalysieren den freien Fluss von Informationen und wirken Machtasymmetrien zwischen etablierten Unternehmen und individuellen Akteuren entgegen, indem sie eine Plattform für ungefilterte Erfahrungsberichte bieten. Diese Funktionalität unterstreicht ihre essenzielle soziale Bedeutung und ihre Rolle als Instrument der Machtkontrolle. Gleichwohl birgt die Anonymität auch ein Potenzial für Missbrauch, was die Notwendigkeit einer differenzierten und ausgewogenen rechtlichen Steuerung hervorhebt. Diese Entwicklungen rufen nach einer tiefgehenden Reflexion und Diskussion innerhalb der juristischen Gemeinschaft sowie in der breiteren Öffentlichkeit. Sie fordern uns auf, die Grundlagen unserer Informationsgesellschaft neu zu überdenken und dabei sowohl die Rechte der Einzelnen als auch die Integrität und Glaubwürdigkeit der digitalen Kommunikationsräume zu wahren. Die Herausforderung liegt darin, ein gerechtes und transparentes System zu etablieren, das sowohl die Freiheit der Meinungsäußerung schützt als auch einen verantwortungsvollen Umgang mit der Macht der Anonymität fördert.
Im spezifischen Fall, der vom Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) Hamburg unter dem Aktenzeichen 7 W 11/24 am 08.02.2024 entschieden wurde, ging es um die Anfechtung von zwei negativen Bewertungen auf der Arbeitgeberbewertungsplattform Kununu. Die Vorinstanz, das Landgericht (LG) Hamburg (Aktenzeichen 324 O 559/23), hatte den Antrag der klagenden Partei auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, die die Löschung der beanstandeten Bewertungen forderte, zurückgewiesen. Das LG Hamburg argumentierte, dass die vom Bewertungsportal vorgelegten anonymisierten Nachweise ausreichend seien, um die Authentizität der Bewertungen zu belegen, und sah daher keinen Anlass, die Bewertungen zu löschen oder die Identität der Verfasser offenzulegen.
Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg vom 08.02.2024 sah dies anders und bildet mithin einen signifikanten Wendepunkt in der rechtlichen Handhabung von Bewertungen auf digitalen Plattformen. Die Antragstellerin, ein Unternehmen, das negative Bewertungen über sich auf Kununu gefunden hatte, legte gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde beim OLG Hamburg ein. Die Antragstellerin bestritt die Echtheit der Bewertungen und forderte deren Löschung, da sie der Auffassung war, dass die Bewertungen ihr Unternehmen zu Unrecht in einem schlechten Licht darstellten. Die Beschwerde wurde auf die Behauptung gestützt, dass ohne die Möglichkeit, die Identität der Bewertenden zu überprüfen, keine effektive Überprüfung der Wahrheit der behaupteten Tatsachen möglich sei.
Das OLG Hamburg gab der Beschwerde statt und änderte den Beschluss des LG Hamburg ab. Das OLG stellte fest, dass dem Unternehmen ein Anspruch auf Unterlassung des weiteren Zugänglichmachens der beanstandeten Bewertungen zusteht. Dies begründete das Gericht mit den Grundsätzen der mittelbaren Störerhaftung sowie dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht, welches aus den Artikeln 2 Absatz 1 und 19 Absatz 3 des Grundgesetzes abgeleitet wird. Das OLG Hamburg führte aus, dass die Plattform Kununu verpflichtet ist, die Identität der Verfasser der Bewertungen offenzulegen oder die Bewertungen zu löschen, wenn die Authentizität der Bewertungen von dem betroffenen Unternehmen angezweifelt wird. Diese Entscheidung begründet das Gericht insbesondere damit, dass ohne eine solche Möglichkeit zur Überprüfung der Identität der Bewertenden ein effektiver Schutz der betroffenen Unternehmen vor unbegründeten oder falschen Bewertungen nicht gewährleistet sei.
Die Anonymität im Internet dient als ein wesentlicher Pfeiler der Meinungsfreiheit. Sie ermöglicht es Individuen, ihre Ansichten und Erfahrungen ohne Furcht vor Repressalien oder negativen Konsequenzen für ihr berufliches Fortkommen zu äußern. In Bezug auf Arbeitsverhältnisse erlaubt sie eine offene und ehrliche Diskussion über die Praktiken von Arbeitgebern, was eine wichtige Informationsquelle für gegenwärtige und zukünftige Arbeitnehmer darstellt. Die Möglichkeit, ohne Bedenken den Arbeitgeber bewerten zu können, trägt zu einem transparenteren Arbeitsmarkt bei und stärkt die Position der Arbeitnehmer.
Das Urteil des OLG Hamburg stellt insbesondere eine markante Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) dar (vgl. Urteil vom 01. Juli 2014, Az.: VI ZR 345/13), die die Anonymität von Online-Bewertungen nachdrücklich unterstützt. Kununu verweist in seinem Statement auf die klare Position des BGH, die die Legitimität anonymer Bewertungen auf Plattformen wie Kununu hervorhebt. Nach Auffassung des BGH sollen Bewertungsportale in der Lage sein, auf Beschwerden hin anonymisierte Dokumente von Nutzern anzufordern und weiterzuleiten, um den Nachweis eines geschäftlichen Kontakts zu erbringen, ohne dabei die Identität der bewertenden Person preiszugeben. Diese Vorgehensweise betont die Bedeutung des Datenschutzes und der Anonymität im digitalen Raum, die durch § 19 Absatz 2 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG) gesetzlich verankert sind. Das jüngste Urteil des OLG Hamburg scheint jedoch diese grundlegenden Prinzipien und den Geist der BGH-Rechtsprechung zu übersehen, indem es die Offenlegung der Identität unter bestimmten Umständen verlangt. Diese Entwicklung wirft bedeutsame Fragen hinsichtlich der Balance zwischen dem Schutz der Unternehmensreputation und dem Recht auf Anonymität und Meinungsfreiheit der Nutzer auf und könnte weitreichende Implikationen für die Praxis und die Zukunft der Online-Bewertungsportale wie Kununu haben. Zum einen stellt es klar, dass die Betreiber von Bewertungsportalen nicht uneingeschränkt auf den Datenschutz der Nutzer verweisen können, um die Identität der Bewertenden zu schützen, wenn die Glaubwürdigkeit einer Bewertung infrage steht. Zum anderen signalisiert es eine Verschiebung hin zu einem verstärkten Schutz der Unternehmen vor den potenziellen Schäden durch anonyme, möglicherweise falsche Bewertungen.
Einerseits könnte der Beschluss zum Teil dazu beitragen, das Vertrauen in Online-Bewertungen zu stärken, indem es einen Mechanismus bietet, durch den unbegründete oder falsche Bewertungen effektiv angefochten werden können. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Bereitschaft von Nutzern, kritische, jedoch konstruktive Bewertungen abzugeben, abnimmt, wenn sie befürchten müssen, dass ihre Anonymität aufgehoben werden könnte. Die Anonymität in Bewertungsportalen dient gerade nicht nur dem Schutz der Meinungsfreiheit, sondern auch der Gewährleistung einer unverfälschten Bewertungskultur. Sie erlaubt es hierbei, dass kritische Stimmen Gehör finden, ohne dass die Bewertenden persönliche Nachteile befürchten müssen. Dies könnte langfristig zu einer Erosion der Meinungsfreiheit und einer Verarmung der Informationsqualität auf Bewertungsplattformen führen. Indem es die Möglichkeit eröffnet, die Anonymität von Bewertenden aufzuheben, könnte es nämlich zu einer Abschreckung führen, die das grundlegende Prinzip der offenen und ehrlichen Feedbackkultur untergräbt. Die Furcht vor Identifizierung und möglichen Vergeltungsmaßnahmen könnte potenzielle Bewertende davon abhalten, ihre wahren Erfahrungen zu teilen, was letztlich zu einer Verarmung der Informationsqualität auf der Plattform führt. Diese Befürchtung ist insbesondere in Fällen von Bedeutung, in denen Arbeitnehmer auf Missstände oder unethische Praktiken in Unternehmen hinweisen möchten. Die Aufrechterhaltung der Anonymität sichert somit eine wichtige Kontrollfunktion innerhalb der Arbeitswelt und fördert eine Kultur der Transparenz und Rechenschaft.
In Anbetracht der zentralen Rolle, die die Anonymität für eine authentische Bewertungskultur spielt, erscheint es geboten, ihr einen hohen Stellenwert einzuräumen. Während der Schutz von Unternehmen vor falschen oder diffamierenden Bewertungen ein legitimes Anliegen darstellt, sollte dies nicht zu Lasten der grundlegenden Prinzipien der Meinungsfreiheit und der anonymen Bewertungskultur gehen.
Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg vom 08.02.2024 wirft ein neues Licht auf die Rolle der Anonymität von Online-Bewertungen in der digitalen Kommunikation, insbesondere auf Bewertungsplattformen wie Kununu. Durch die Forderung, unter bestimmten Umständen die Identität von Bewertenden offenzulegen, betritt das Gericht ein Terrain, das tiefgreifende Implikationen für die Dynamik dieser Plattformen und die Meinungsfreiheit im Internet birgt.
Anonymität bildet das Fundament für eine offene und ehrliche Diskussionskultur im digitalen Raum, indem sie Nutzern erlaubt, ihre Erfahrungen ohne Furcht vor Repressalien zu teilen. Diese Freiheit ist essenziell, um Machtasymmetrien zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auszugleichen und trägt maßgeblich zur Transparenz des Arbeitsmarktes bei. Der OLG-Beschluss jedoch, das die Offenlegung von Identitäten vorsieht, könnte diese Freiheit einschränken. Es besteht die berechtigte Sorge, dass eine solche juristische Richtung die Kernfunktion von Plattformen wie Kununu untergräbt, indem sie die Bereitschaft der Nutzer, konstruktive Kritik zu äußern, signifikant verringert.
Darüber hinaus könnte das Urteil langfristig dazu führen, dass der ursprüngliche Zweck dieser Plattformen, nämlich die Schaffung eines transparenten und gerechten Bewertungssystems, erodiert. Wenn Nutzer aus Angst vor Identifizierung und potenziellen Konsequenzen zögern, ihre wahren Erfahrungen zu teilen, verlieren diese Plattformen an Glaubwürdigkeit und Wert für die Nutzer. Die Anonymität von Online-Bewertungen zu schützen, heißt also auch, die Integrität und den Nutzen von Bewertungsplattformen zu wahren.
Die Herausforderung liegt nun darin, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der sowohl die legitimen Interessen der Unternehmen als auch die Privatsphäre und Meinungsfreiheit der Nutzer berücksichtigt. Eine allzu rigorose Aufweichung der Anonymität könnte nicht nur die Nutzerfreiheiten beschneiden, sondern auch die soziale Funktion dieser Plattformen als Orte des freien und unzensierten Austauschs gefährden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass zukünftige rechtliche Entscheidungen das delikate Gleichgewicht zwischen Transparenz und Privatsphäre sorgfältig abwägen und den Schutz der Anonymität als zentrales Element der digitalen Meinungsfreiheit anerkennen.