Der Rundfunkstaatsvertrag sieht vor, dass Menschen bei Härtefällen von der Rundfunkbeitragspflicht befreit werden können. Doch die Bearbeitung solcher Härtefallanträge läuft nicht immer reibungslos – diese Erfahrung musste ein Student aus Leipzig machen. Sein Kampf gegen die Beitragspflicht ging sogar über mehrere Jahre. Am Ende entwickelte sich der Fall des Studenten zu einem Drama in fünf Akten. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick darauf, was genau vorgefallen ist und beleuchten, warum es manchmal sogar besser ist, vor Gericht aufzugeben.
In Deutschland gibt es manche Dinge, die so sicher sind, wie das Amen in der Kirche: Dazu zählen das Finanzamt, dass unsere Herren-Fußballnationalmannschaft immer gegen Portugal gewinnt, unpünktliche Züge und natürlich der Rundfunkbeitrag. Um letzteres kümmern wir uns heute. Denn ein Student aus Leipzig wollte einen Härtefallantrag durchsetzen und hat der Beitragspflicht und dem MDR deshalb den Kampf angesagt – fast schon ein Fall von David gegen Goliath.
Die Beitragspflicht gilt bekanntermaßen für jeden Inhaber/Bewohner einer Wohnung. Unter bestimmten Umständen kann man sich von der Zahlung der monatlich 18,36 Euro befreien lassen. Dies gilt etwa für Empfänger staatlicher Sozialleistungen. Darüber hinaus gibt es Härtefälle, bei denen Personen solche Hilfen nicht beziehen, trotzdem aber unter solch schwierigen Verhältnissen leben, dass sie den Beitrag nicht zahlen müssen. Dazu zählen unter anderem bedürftige Studierende. Nach § 4 Abs. 6 Rundfunkstaatsvertrag hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag Menschen von der Beitragspflicht zu befreien. 2019 etwa entschied das Bundesverwaltungsgericht einen solchen Fall zugunsten einer Studentin. Diese hatte nach Abzug der Mietkosten monatlich nur 337 Euro zur Verfügung.
Einkommensschwache Beitragsschuldner, die zwar keine Sozialleistungen erhalten, dafür aber eine vergleichbare Bedürftigkeit nachweisen können, sollen also von der Beitragspflicht befreit werden. Das Problem: Ihnen bleibt im Streit mit dem Beitragsservice oft nur der Weg zum Gericht. So erging es unserem eingangs erwähnten Studenten aus Leipzig.
Wir wagen einen Zeitsprung ins Jahr 2019 – das Jahr, in dem sich unser besagter Student aus Leipzig durch einen Antrag wegen Mittellosigkeit vom Rundfunkbeitrag befreien lassen wollte. Dieser Antrag funktioniert aber nicht einfach so in einem Online-Portal per Mausklick. Deutschland will schließlich Bürokratie-Weltmeister bleiben, also ist die Liste an Dokumenten lang. Was der Student für seinen Antrag alles hat bereitlegen müssen? BAföG-Bescheid, Einkommensnachweise, Kontoauszüge, Krankenkassenbeiträge, Mietvertrag, Nachweis über die Höhe der Studienbescheinigung, Vermögenserklärung und eine detaillierte Vermögensauflistung. All das musste er organisieren, nur damit die Rundfunkanstalten auf 18,36 Euro Monatsbeitrag verzichtet.
Nicht falsch verstehen: Auch ich bin Freund der Deutschen Gründlichkeit. Nur so kann oft verhindert werden, dass böswillige Menschen das System umgehen und sich von beispielsweise dem Rundfunkbeitrag befreien lassen, obwohl sie den Beitrag auch locker bezahlen könnten. Nichtsdestotrotz erscheint der ganze Papierkram für Studenten bereits unverhältnismäßig. Sie haben nämlich eine ganz andere Aufgabe: Sich um ihr Studium zu kümmern. Bereits das kann wie ein Vollzeitjob sein – in der Klausurenphase erst Recht. Man stelle sich vor, es gelte, für beispielsweise die anstehende Klausurenphase mit Rechtsgebieten wie Bereicherungsrecht und Baurecht zu lernen. Und in dieser Zeit müsste man zu allem Überfluss eine Vielzahl von Formularen an Behörden übermitteln. Hut ab also an dieser Stelle an den Studenten, der sich von den bürokratischen Hürden nicht unterkriegen ließ. Doch mit der Antragstellung war das Drama in – wohlgemerkt fünf – Akten nicht beendet.
Im zweiten Akt musste sich der Student mit einer Zahlungsaufforderung auseinandersetzen. Im Juli 2022 forderten die Behörden vom Studenten die knapp 600 Euro heraus, die sich seit 2019 an vermeintlich rückständigen Beitragszahlungen angesammelt haben. Dabei handelte es sich um genau die 14 Monate, in denen die Behörde seinen Härtefallantrag unbearbeitet gelassen hatte. Er sollte also mehr Geld, als er monatlich zur Verfügung hatte, an die Rundfunkanstalt entrichten, sein Antrag aber wurde ignoriert.
Wäre sein Härtefallantrag früher bearbeitet worden, hätte sich eine solche Summe nicht angestaut – nur um das nochmal beiläufig zu erwähnen. Das Schreiben war auch alles andere als freundlich verfasst. Darin hieß es: „Bei Nichtzahlung können die Rundfunkbeiträge im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben werden. Daneben können im Ordnungswidrigkeitenverfahren Geldbußen von bis zu 1000 Euro verhängt werden.“ Da hätte unter Umständen also eine Lawine an Geldforderungen auf den jungen Mann zukommen können.
Akt drei der Geschichte war dann eine direkte Konfrontation: Die Lage eskalierte, der Konflikt hat seinen Höhepunkt erreicht: Der Student ließ sich nicht von der Zahlungsaufforderung beeindrucken und reichte daher im August eine Untätigkeitsklage ein, damit man endlich seinen Härtefallantrag bearbeiten möge. Der Student wollte, dass das Verwaltungsgericht Leipzig die Rundfunkanstalt zu einer Entscheidung über den Antrag zwingt. Der MDR auf der anderen Seite bestand auf den Rückstand in Höhe von mittlerweile 642,90 Euro.
Und hier folgte der Wendepunkt oder auch der retardierende Moment, wenn wir im Drama bleiben wollen. Der vierte Akt sah vor, dass der MDR seine Absichten nochmal ernsthaft hinterfragte. Goliath überlegte sich ernsthaft, ob man das Verfahren noch gegen David vor Gericht wirklich durchziehen wollte. Die Angst vor einer Niederlage war offenbar zu hoch. Vor dem großen Finale stellte sich also die Frage: Zieht der MDR durch oder lenkt man ein und erlässt dem Studenten den Beitrag?
Und da sind wir im fünften Akt angekommen. Im Drama heißt dieser fünfte Akt „Katastrophe“ – oft bedeutet das aber nur, dass eine Lösung für den Konflikt gefunden wurde. So war es letztlich auch hier. Der MDR zog vor Gericht zurück und erließ dem Studenten die 642,90 Euro.
Moment mal, mag sich manch einer denken: Es passiert lange nichts, plötzlich reicht der Student eine Klage ein und ohne mit der Wimper zu zucken, wird ihm der Beitrag erlassen? Scheinbar wollte der MDR vermeiden, dass der Fall gerichtlich entschieden wird. Da liegt ein bestimmter Verdacht nahe: Mit dem Erlass sollte eine Erledigung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Leipzig erreicht werden, um eine Niederlage für den MDR zu verhindern. Eine gerichtliche Entscheidung zum Nachteil der Rundfunkanstalt hätte ein Präzedenzfall für ähnlich gelagerte Fälle werden können, auf den sich womöglich andere Härtefälle berufen hätten. Oder einfach gesagt: Der MDR hatte Angst, dass sie vor Gericht verlieren und sich dann andere, die in einer ähnlichen Situation sind wie der Student, auf eben dieses Urteil berufen. Frei nach dem Motto: „Wenn der Student seinen Beitrag erlassen bekommt, dann möchte ich das auch!“.
Und so fand das Drama in fünf Akten ein positives Ende für den Studenten. Gegenüber den Medien sagte er, dass er sich nicht wie ein Härtefallantrag, sondern wie ein Beitragsverweigerer fühle. Insbesondere die Säumniszuschläge und das Bußgeldverfahren hätten ihm übel aufgestoßen – verständlich, wie ich finde. Am Ende sollte sich der Aufwand aber lohnen, David konnte Goliath in die Knie zwingen und so vielleicht anderen Mut machen, die ebenfalls versuchen, sich gegen Behörden zu behaupten. Also Ende gut, alles gut.