Die Notwendigkeit von Umbauten, die der Barrierefreiheit in Wohnungseigentümergemeinschaften dienen, stellt ein zunehmend diskutiertes Thema dar. Die Reform des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (WEG) im Jahr 2020 markierte hierzu einen Wendepunkt und zielte darauf ab, die Regelungen für Wohnungseigentümergemeinschaften zu modernisieren. Unter den zahlreichen Änderungen rückten insbesondere die §§ 20 und 21 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) in den Fokus. Diese Normen definieren die Voraussetzungen für bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum neu und legen dabei ein besonderes Augenmerk auf die Förderung der Barrierefreiheit. Mithin reflektierten die gesetzlichen Anpassungen ein wachsendes gesellschaftliches Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und die Notwendigkeit, Wohnräume so zu gestalten, dass sie für alle Bewohner zugänglich und nutzbar sind.
Die Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) in den Fällen V ZR 244/22 und V ZR 33/23 bieten nun eine erste judikative Auslegung dieser reformierten Gesetzeslage. Sie illustrieren, wie die neuen Bestimmungen in der Rechtspraxis angewendet werden sollen und welche Kriterien bei der Bewertung von Anträgen auf bauliche Veränderungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit anzulegen sind. Diese Entscheidungen sind von besonderer Bedeutung, da sie nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen klären, sondern auch richtungsweisende Grundsatzurteile für zukünftige Auseinandersetzungen in ähnlichen Konstellationen schaffen.
Vor diesem Hintergrund soll der folgende Beitrag die Schlüsselaspekte der Barrierefreiheit in Eigentümergemeinschaften analysieren und ihre Bedeutung für die Entwicklung einer inklusiven Wohnkultur in Deutschland herausarbeiten. Es wird untersucht, wie die Urteile die Balance zwischen individuellen Ansprüchen auf Barrierefreiheit und den kollektiven Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaften definieren und welche Grundsätze sie für die praktische Umsetzung der WEG-Reform bieten.
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Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) regelt in Deutschland die Rechtsverhältnisse der Wohnungseigentümer untereinander sowie die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums. Es bildet somit die rechtliche Grundlage für das Zusammenleben und die gemeinschaftliche Verwaltung von Wohnungseigentümergemeinschaften. Mit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes im Jahr 2020 wurden signifikante Änderungen vorgenommen, um den modernen Anforderungen an das Wohnungseigentum gerecht zu werden. Diese Reform zielte insbesondere darauf ab, die Entscheidungsfindung innerhalb von Eigentümergemeinschaften zu erleichtern und die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit zu fördern.
Dabei standen die §§ 20 und 21 WEG im Zentrum der Reform und spielen nunmehr zunehmend eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung von baulichen Veränderungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit innerhalb von Wohnungseigentümergemeinschaften.
Einerseits definiert § 20 WEG die Rahmenbedingungen für bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum. Absatz 1 des § 20 WEG erlaubt es, Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums hinausgehen, durch einen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft zu realisieren. Besonders relevant für die Förderung der Barrierefreiheit ist Absatz 2, der jedem Wohnungseigentümer das Recht gibt, angemessene bauliche Veränderungen zu verlangen, die insbesondere dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Diese Vorschrift stellt sicher, dass Maßnahmen zur Barrierereduzierung nicht an der Zustimmung aller Eigentümer scheitern müssen. Andererseits regelt § 21 WEG die Kostenverteilung und die konkrete Durchführung der beschlossenen baulichen Veränderungen. Er konkretisiert, dass die Kosten für Maßnahmen, die einem einzelnen Wohnungseigentümer einen über das übliche Maß hinausgehenden Vorteil bieten, grundsätzlich von diesem zu tragen sind. Dies betrifft auch die Kosten für Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit, sofern sie überwiegend einem Eigentümer zugutekommen.
Die Reform des WEG und insbesondere die Neufassungen der §§ 20 und 21 WEG hatten weitreichende positive Auswirkungen für Menschen mit Behinderungen. Indem das Gesetz die Möglichkeiten für die Realisierung von barrierefreien Maßnahmen vereinfacht und klarstellt, werden die Rechte von Menschen mit Behinderungen innerhalb von Wohnungseigentümergemeinschaften gestärkt. Die gesetzlichen Änderungen tragen dazu bei, Barrieren im Wohnbereich abzubauen und den Zugang zu und die Nutzung von Wohnraum für Menschen mit Behinderungen erheblich zu verbessern.
Im Zuge der letzten Reform des Wohnungseigentumsgesetzes haben die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in den Verfahren V ZR 244/22 und V ZR 33/23 eine zentrale Bedeutung erlangt. Diese Urteile stellen nicht nur eine Präzisierung der gesetzlichen Vorgaben dar, sondern bieten auch Grundsatzurteile für eine fundierte Auslegung der rechtlichen Rahmenbedingungen für bauliche Veränderungen innerhalb von Wohnungseigentümergemeinschaften, insbesondere im Hinblick auf die Barrierefreiheit.
Die beiden Entscheidungen des BGH adressieren die Frage, unter welchen Voraussetzungen bauliche Veränderungen zur Barrierereduzierung im Gemeinschaftseigentum von den Wohnungseigentümern verlangt werden können. Im Kern geht es um das Spannungsverhältnis zwischen individuellen Ansprüchen auf Barrierefreiheit und den Interessen der Eigentümergemeinschaft.
Im Fall V ZR 244/22 stand die Errichtung eines Außenaufzugs an einem historisch bedeutsamen Gebäude im Mittelpunkt. Die Wohnungseigentümer, deren Wohnungen in den oberen Stockwerken des nicht mit einem Aufzug ausgestatteten Hinterhauses lagen, sahen in dem geplanten Außenaufzug eine notwendige Maßnahme zur Verbesserung der Zugänglichkeit und damit zur Reduzierung von Barrieren. Trotz ihrer Bereitschaft, die Kosten vollständig zu übernehmen, stieß das Vorhaben auf den Widerstand der Wohnungseigentümergemeinschaft. Indes klagten Wohnungseigentümer gegen einen ablehnenden Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft im Wege einer Beschlussersetzungsklage nach § 44 Absatz 1 Satz 2 WEG. Der BGH hob hervor, dass der Anspruch auf barrierefreie Anpassungen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG grundsätzlich besteht, sofern diese Maßnahmen angemessen sind und nicht zu einer unbilligen Beeinträchtigung der Gemeinschaft oder einer grundlegenden Veränderung der Wohnanlage führen.
Ähnliche rechtliche Erwägungen lagen dem Fall V ZR 33/23 zugrunde, bei dem es um die Anlage einer Terrasse mit einer Rampe als barrierefreien Zugang ging. Hierbei ging es speziell um die Frage, inwieweit die Errichtung einer solchen Terrasse eine angemessene Maßnahme darstellt, die von der Eigentümergemeinschaft toleriert werden muss, selbst wenn sie ästhetische oder nutzungsbezogene Bedenken haben. Anders als im ersten Fall ging hier eine Minderheit der Eigentümergemeinschaft gegen den Beschluss der WEG im Wege der Anfechtungsklage nach § 44 Absatz 1 Satz 2 Var. 1 WEG vor. Der BGH stellte in seiner Urteilsbegründung klar, dass auch hier die Angemessenheit der Maßnahme im Vordergrund steht. Unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Interesses an der Förderung der Inklusion und der individuellen Bedürfnisse von Personen mit Behinderungen unterstrich das Gericht, dass derartige bauliche Veränderungen einen integralen Bestandteil der Wohnkultur darstellen.
Beide Maßnahmen zielten im Ergebnis darauf ab, die Zugänglichkeit und Nutzungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Der BGH bejahte in beiden Fällen die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Umbaumaßnahmen zugunsten von älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen nach § 20 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 WEG, betonte jedoch auch die Notwendigkeit, eine angemessene Balance zwischen den individuellen Bedürfnissen und den kollektiven Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft zu finden. Sollte eine solche Balance nicht geschaffen werden, könnte die Schwelle zu einer grundlegenden Umgestaltung nach § 20 Absatz 4 WEG überschritten sein.
In der Konsequenz legte der Bundesgerichtshof ein besonderes Augenmerk auf die Auslegung des Begriffs der “Angemessenheit” von baulichen Veränderungen, wie in § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG festgelegt. Der BGH präzisiert hier, was unter „angemessenen baulichen Veränderungen“ zu verstehen ist, insbesondere im Kontext der Barrierereduzierung und macht dabei deutlich, dass die Angemessenheit einer Maßnahme nicht allein durch die Kosten oder den Umfang der baulichen Veränderung bestimmt wird, sondern vielmehr durch die Notwendigkeit und Wirksamkeit der Maßnahme im Hinblick auf die Verbesserung der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für Menschen mit Behinderungen. Dabei hebt der BGH hervor, dass die gesetzgeberische Intention hinter der WEG-Reform eine Stärkung der Position von Eigentümern mit spezifischen Bedürfnissen nach Barrierefreiheit war, ohne dabei die Interessen der Gesamtheit der Wohnungseigentümer unangemessen zu beeinträchtigen.
Dennoch ist dabei entscheidend, dass solche Maßnahmen weder eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage nach § 20 Absatz 4 WEG bewirken dürfen noch andere Eigentümer unbillig benachteiligen sollen. Gleichwohl ist die Interessenabwägung als ein dynamischer Prozess darzustellen, der eine gründliche Bewertung aller relevanten Umstände erfordert. Besonders bemerkenswert ist hierbei die Betonung auf den sozialen Wert von Barrierefreiheit, der über individuelle Interessen hinausgeht und ein gesamtgesellschaftliches Anliegen widerspiegelt. Der BGH stellt klar, dass bauliche Veränderungen zur Förderung der Barrierefreiheit nicht nur eine Frage der persönlichen Bequemlichkeit, sondern ein fundamentales Recht auf selbstbestimmtes Wohnen darstellen.
Die Urteile unterstreichen ferner, dass die Entscheidung über die Angemessenheit und Durchführbarkeit von baulichen Veränderungen stets eine Einzelfallbetrachtung erfordert. Hierbei sind sowohl die spezifischen Umstände der Wohnanlage als auch die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Personen zu berücksichtigen.
Die Entscheidungen des BGH haben weitreichende Konsequenzen für die Praxis. Sie stärken die Rechte von Wohnungseigentümern, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, und setzen gleichzeitig klare Grenzen, um die Interessen der Gemeinschaft zu wahren. Die Entscheidungen liefern essenzielle Leitlinien für die Umsetzung baulicher Veränderungen und verdeutlichen die Bedeutung einer inklusiven Wohnkultur. Wohnungseigentümergemeinschaften müssen sich daher bei der Planung und Umsetzung von Umbaumaßnahmen nicht nur mit den technischen und finanziellen Aspekten auseinandersetzen, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen genau beachten.
Ferner wird das Streben nach Kompromissen und kreativen Lösungen, die den Bedürfnissen von Personen mit Behinderungen gerecht werden, gefördert, ohne die Interessen der Gesamteigentümergemeinschaft zu vernachlässigen. Dieser Ansatz stärkt den sozialen Zusammenhalt innerhalb von Eigentümergemeinschaften und trägt zur Entwicklung einer Kultur der Inklusion und Rücksichtnahme bei. Die Entscheidungen des BGH dienen somit als Katalysator für einen dialogorientierten Umgang mit Anfragen zur Barrierereduzierung. Die präzise juristische Auslegung der §§ 20 und 21 WEG liefert eine solide Grundlage für die rechtssichere Implementierung von baulichen Veränderungen. Dies reduziert das Risiko rechtlicher Auseinandersetzungen und bietet sowohl Einzelpersonen als auch der Eigentümergemeinschaft eine höhere Rechtssicherheit. Die klaren Richtlinien ermöglichen es, bereits im Vorfeld der Beschlussfassung mögliche rechtliche Fallstricke zu identifizieren und zu umgehen.
Zuvorderst bestätigen und verstärken die BGH-Entscheidungen allerdings den Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Barrierefreiheit innerhalb ihrer Eigentümergemeinschaften. Durch die Anerkennung, dass Maßnahmen zur Barrierereduzierung grundsätzlich als “angemessene bauliche Veränderungen” im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG gelten, wird der rechtliche Rahmen für die Durchsetzung solcher Maßnahmen gestärkt. Dies bedeutet, dass Anträge auf bauliche Veränderungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit nicht leichtfertig abgelehnt werden können, solange sie die Kriterien der Angemessenheit erfüllen und nicht zu einer unbilligen Benachteiligung der Gemeinschaft oder einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führen. Ein wesentlicher Aspekt der Urteile betrifft die Klärung der Kostenfrage. Der BGH macht deutlich, dass die Kosten für Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit grundsätzlich von dem Wohnungseigentümer zu tragen sind, der diese Veränderungen beantragt. Dies steht im Einklang mit § 21 Absatz 1 WEG, der besagt, dass die Kosten für bauliche Veränderungen, die einem Eigentümer einen über das übliche Maß hinausgehenden Vorteil bieten, von diesem Eigentümer zu übernehmen sind. Diese Regelung sorgt für eine gerechte Kostenverteilung und verhindert, dass die finanzielle Last ungerechtfertigt auf die gesamte Eigentümergemeinschaft verteilt wird.
Für Menschen mit Behinderungen bedeutet dies daher, dass sie bei der Planung von Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit mit einer klaren Vorstellung der Kostenverantwortung vorgehen müssen. Gleichzeitig ermutigen die Urteile die Eigentümergemeinschaften, Lösungen zu finden, die sowohl den Bedürfnissen der betroffenen Personen entgegenkommen als auch die finanziellen Belange der Gemeinschaft berücksichtigen.
Die aktuellen BGH-Entscheidungen untermauern zusammenfassend die Bedeutung des barrierefreien Umbaus in Wohnungseigentümergemeinschaften und bieten wertvolle Leitlinien für die Interpretation und Anwendung der §§ 20, 21 WEG. Sie verdeutlichen, dass das Bedürfnis nach Barrierefreiheit eine wesentliche Rolle im modernen Wohnen spielt, dessen Umsetzung jedoch eine sorgfältige Abwägung der beteiligten Interessen erfordert. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass das Thema Barrierefreiheit weiter an Bedeutung gewinnt und die Rechtsprechung sich mit diesen Grundsatzurteilen weiterentwickeln wird. Zu erwarten bleibt dies gerade, da die Förderung von Barrierefreiheit in Wohnungseigentümergemeinschaft andere Wohnungseigentümer nicht unbillig benachteiligt und berechtigterweise gerade keine „grundlegende Umgestaltung“ nach § 20 Absatz 4 WEG darstellt.