IV. Überschreitung in der Praxis
Notwehrexzess, §33 StGB
Doch selbst wenn ein Angegriffener die Grenzen der Notwehr eigentlich überschreitet, heißt das noch nicht, dass er sich auch strafbar gemacht hat. In §33 StGB hat der Gesetzgeber mit dem Notwehrexzess einen Entschuldigungsgrund (keinen, die Rechtswidrigkeit ausschließenden, Rechtfertigungsgrund wie §32 StGB) für Fälle geschaffen, in denen der Täter aus „Verwirrung, Furcht oder Schrecken“ die Grenzen der Notwehr überschreitet (sog. intensiver Notwehrexzess) [8].
Voraussetzung ist ein seelischer Ausnahmezustand des Angegriffenen, ein sog. asthenischer Affekt [9].
Achtung: nur Verwirrung, Furcht oder Schrecken sind erfasst, auf Rache, Wut oder Aggression kann sich nicht berufen werden!
Einfach gesagt: Wenn jemand in einer Notwehrsituation überreagiert, weil er z. B. aus Angst oder Schrecken handelt, dann wird er nicht bestraft, obwohl er eigentlich über das erlaubte Maß hinausgegangen ist.
Die Überschreitung kann zum einen darin bestehen, dass der Verteidiger ein für den Angreifer zu gefährliches Mittel einsetzt – zum Beispiel greift er in seinem Ausnahmezustand zu einem Messer oder einer Pistole, obwohl es gereicht hätte, sich mit den Fäusten zu wehren. Zum anderen kann die Überschreitung auch darin liegen, dass er ein an sich erlaubtes Mittel übermäßig einsetzt – etwa indem er sofort auf den Angreifer zielt und schießt, anstatt zunächst einen Warnschuss abzugeben [10].
Nach überwiegender Ansicht erfasst §33 StGB allerdings nicht den sog. extensiven Notwehrexzess, bei dem der Angegriffene die zeitlichen oder räumlichen Grenzen der Notwehr nicht einhält, zum Beispiel indem er handelt, bevor ein Angriff überhaupt erfolgte oder dieser schon längst abgeschlossen ist [11].
Putativnotwehrexzess
Wenn der Täter fälschlicherweise glaubt, sich in einer Notwehrlage zu befinden – obwohl kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegt – und dabei die Grenzen dieser eingebildeten Notwehr überschreitet, spricht man von einem Putativnotwehrexzess.
Dieser kann sowohl intensiv (zu starke Reaktion) als auch extensiv (zeitlich zu früh oder zu spät) auftreten. Da es hier keine tatsächliche Notwehrlage gibt, ist eine direkte Anwendung von § 33 StGB ausgeschlossen.
Auch eine analoge Anwendung von § 33 StGB beim Putativnotwehrexzess ist nach überwiegender Ansicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der § 33 setzt nämlich nicht nur bestimmte Gefühlslagen (z. B. Furcht, Schrecken) voraus, sondern auch eine objektive Unrechtsminderung, etwa weil sich der Täter gegen einen rechtswidrigen Angreifer wehrt. Im Putativnotwehrexzess ist das nicht der Fall – der Täter greift eine unschuldige, schutzwürdige Person an. Deshalb fehlt es an dieser Unrechtsminderung. Nur in Ausnahmefällen wird eine analoge Anwendung diskutiert – etwa wenn der Täter den Irrtum selbst verschuldet und die Situation allein zu verantworten hat [12].