Diese Annahme kann jedoch erschüttert werden, wenn die betreffende Person an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung leidet, welche die Fähigkeit beeinträchtigt, die Bedeutung und Tragweite einer testamentarischen Verfügung zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln.
Im Erbrecht ist die Testierfähigkeit eine unabdingbare Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Testaments. Ein Testament, das von einem testierunfähigen Erblasser errichtet wurde, ist gemäß § 2229 Absatz 4 BGB unwirksam und kann von den betroffenen Erben angefochten werden. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Testierfähigkeit ist stets der Moment der Testamentserrichtung. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Erblasser zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt testierfähig war; entscheidend ist allein seine geistige Verfassung im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments.
Besondere Relevanz gewinnt die Prüfung der Testierfähigkeit bei Vorliegen psychischer Erkrankungen wie Demenz, da jene Erkrankungen typischerweise schleichend und in verschiedenen Stadien verlaufen, was die Beurteilung der Testierfähigkeit erschwert. Die Rechtsprechung unterscheidet daher in der Regel zwischen leichtgradigen, mittelschweren und schweren Demenzformen. Während bei einer leichtgradigen Demenz regelmäßig noch von einer bestehenden Testierfähigkeit auszugehen ist, führen mittelschwere und schwere Formen der Demenz häufig zur Testierunfähigkeit, da die kognitiven Fähigkeiten des Erblassers erheblich beeinträchtigt sein können.
Es ist jedoch wichtig, die Testierfähigkeit von der allgemeinen Geschäftsfähigkeit abzugrenzen. Eine Person kann in bestimmten Situationen, insbesondere bei der Errichtung eines Testaments, noch testierfähig sein, obwohl sie in anderen Lebensbereichen möglicherweise als geschäftsunfähig gilt. Diese Differenzierung ist wesentlich, da die Anforderungen an die Testierfähigkeit spezifischer und auf die Fähigkeit zur selbstbestimmten und bewussten Testamentserrichtung beschränkt sind. Es genügt, dass der Erblasser in der Lage ist, die Bedeutung seiner Verfügung und deren Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Personen zu erfassen und nach dieser Einsicht frei von äußeren Einflüssen zu handeln.
Im Falle einer Anfechtung des Testaments wegen angeblicher Testierunfähigkeit trägt der Anfechtende die Beweislast. Dies bedeutet, dass derjenige, der das Testament für unwirksam erklären lassen möchte, substantiiert darlegen und beweisen muss, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig war. Häufig wird hierzu ein medizinisches Gutachten eingeholt, das den geistigen Zustand des Erblassers retrospektiv bewertet. Neben ärztlichen Stellungnahmen können auch Zeugenaussagen und weitere Beweismittel, wie beispielsweise Dokumente über die gesundheitliche Verfassung des Erblassers, von Bedeutung sein.
In der Praxis wird die Testierfähigkeit häufig durch eine notarielle Beurkundung des Testaments abgesichert, bei der der Notar die Testierfähigkeit des Erblassers feststellt und diese in der Urkunde vermerkt. Obgleich die Einschätzung des Notars allein nicht bindend ist, kommt ihr im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung erhebliche Bedeutung zu. Ein Notar, der Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers hat, ist verpflichtet, die Beurkundung abzulehnen oder zumindest einen entsprechenden Vermerk in die Urkunde aufzunehmen.
II. Testierfähigkeit und Demenz: Welche Auswirkungen hat die Erkrankung auf die Wirksamkeit des Testaments?
Demenz, insbesondere im fortgeschrittenen Stadium, stellt eine erhebliche Herausforderung für die Beurteilung der Testierfähigkeit dar. Demenz ist ein Oberbegriff für verschiedene neurodegenerative Erkrankungen, die das Gedächtnis, das Denkvermögen und die Urteilsfähigkeit schrittweise beeinträchtigen. Da die Testierfähigkeit eine fundierte geistige Gesundheit und die Fähigkeit zur freien Willensbildung voraussetzt, wird bei einem an Demenz erkrankten Erblasser regelmäßig die Frage aufgeworfen, ob er im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch testierfähig war.
1. Die verschiedenen Stadien der Demenz und ihre Auswirkungen auf die Testierfähigkeit
Demenz tritt typischerweise in mehreren Stadien auf, die von einer leichten kognitiven Beeinträchtigung bis hin zu schwerwiegenden Einschränkungen reichen, die das tägliche Leben erheblich beeinflussen. Diese Stadien haben direkten Einfluss auf die Beurteilung der Testierfähigkeit:
- Leichtgradige Demenz: In diesem frühen Stadium können die Betroffenen noch weitgehend selbstständig leben, auch wenn erste Gedächtnislücken und Schwierigkeiten bei komplexen Aufgaben auftreten. Die Rechtsprechung geht in der Regel davon aus, dass eine Person in diesem Stadium noch testierfähig ist, sofern sie in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite ihrer testamentarischen Verfügungen zu erfassen und frei von äußeren Einflüssen zu handeln. Es bedarf jedoch einer sorgfältigen Prüfung, ob die leichte Demenz die Fähigkeit zur freien Willensbildung bereits beeinträchtigt.
- Mittelschwere Demenz: In diesem Stadium verschlechtert sich der geistige Zustand des Betroffenen zunehmend. Es treten häufig Verwirrtheitszustände, Orientierungslosigkeit und Schwierigkeiten bei alltäglichen Tätigkeiten auf. Bei mittelschwerer Demenz wird die Testierfähigkeit häufig infrage gestellt, da die Fähigkeit, die Bedeutung einer testamentarischen Verfügung zu verstehen und die Konsequenzen der eigenen Entscheidungen abzuwägen, erheblich beeinträchtigt sein kann. Die Beurteilung der Testierfähigkeit erfordert hier eine genaue medizinische und rechtliche Analyse des individuellen Falls.
- Schwere Demenz: In diesem fortgeschrittenen Stadium ist die kognitive Leistungsfähigkeit des Betroffenen stark eingeschränkt. Es bestehen erhebliche Gedächtnisverluste, und die betroffene Person ist oftmals nicht mehr in der Lage, alltägliche Aufgaben zu bewältigen oder einfache Entscheidungen zu treffen. In der Regel ist eine Person mit schwerer Demenz testierunfähig, da sie die Tragweite und Bedeutung einer testamentarischen Verfügung nicht mehr erkennen kann. Ein in diesem Zustand errichtetes Testament ist in der Regel unwirksam und anfällig für Anfechtungen durch benachteiligte Erben.
2. Die rechtliche Herausforderung der “lichten Momente”
Eine besondere Herausforderung bei der Beurteilung der Testierfähigkeit von Demenzkranken stellt die Möglichkeit sogenannter “lichter Momente” dar. Diese lichten Momente, auch als “lucidum intervallum” bezeichnet, sind Phasen, in denen eine demenzerkrankte Person vorübergehend wieder klar denken und handeln kann. Lange Zeit wurde in der Rechtsprechung anerkannt, dass solche Momente die Testierfähigkeit wiederherstellen könnten, selbst wenn der Betroffene zu anderen Zeiten testierunfähig war.
Moderne medizinische Erkenntnisse und die aktuelle Rechtsprechung, insbesondere seit einem wegweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts München im Jahr 2013, stellen jedoch in Frage, ob solche lichten Momente bei fortschreitenden Demenzerkrankungen tatsächlich existieren (OLG München, Beschluss vom 01.07.2013, Az.: 31 Wx 266/12). Die Gerichte neigen dazu, anzunehmen, dass eine chronisch-progrediente Demenzerkrankung keine Verbesserung des geistigen Zustands zulässt, die für die Wiedererlangung der Testierfähigkeit ausreichen würde.
3. Die Rolle medizinischer Gutachten bei der Feststellung der Testierfähigkeit
Angesichts der Komplexität von Demenzerkrankungen und ihrer Auswirkungen auf die Testierfähigkeit ist die Einholung eines medizinischen Gutachtens in Fällen, in denen die Testierfähigkeit strittig ist, von Bedeutung. Ein solches Gutachten muss die geistigen Fähigkeiten des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bewerten und dabei insbesondere klären, ob die Person in der Lage war, die Bedeutung ihrer Verfügungen zu erkennen und eigenverantwortlich zu handeln.
Dabei ist es wichtig, dass das Gutachten von einem Facharzt für Psychiatrie oder einem Neurologen erstellt wird, der über forensische Erfahrung verfügt und mit den rechtlichen Anforderungen an die Testierfähigkeit vertraut ist. Ein qualifiziertes Gutachten berücksichtigt nicht nur die medizinische Diagnose, sondern auch die Auswirkungen der Erkrankung auf die Entscheidungsfähigkeit des Erblassers. Es sollte zudem die Möglichkeit von Schwankungen im Krankheitsverlauf, wie sie bei Demenz häufig vorkommen, in die Beurteilung einbeziehen.
Ein weiterer Aspekt ist die retrospektive Beurteilung der Testierfähigkeit. Da die Testierfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung festgestellt werden muss, aber oft erst nach dem Tod des Erblassers infrage gestellt wird, kann es schwierig sein, den geistigen Zustand des Erblassers zu diesem Zeitpunkt genau zu rekonstruieren. Hier kommen neben medizinischen Gutachten auch Zeugenberichte und Dokumentationen, wie Arztbriefe oder Notizen des Notars, ins Spiel, die Hinweise auf den geistigen Zustand des Erblassers geben können.
4. Die besondere Rolle des Notars bei der Errichtung von Testamenten durch Demenzkranke
Notare sind bei der Sicherstellung der Testierfähigkeit von wesentlicher Bedeutung, insbesondere wenn der Erblasser an einer Demenzerkrankung leidet. Bei der Errichtung eines notariellen Testaments ist der Notar verpflichtet, sich durch ein persönliches Gespräch mit dem Erblasser von dessen Testierfähigkeit zu überzeugen. Diese Überprüfung ist in der Regel in der Urkunde vermerkt und kann bei späteren Anfechtungen des Testaments von erheblichem Beweiswert sein.
Allerdings ist der Notar kein medizinischer Experte, weshalb seine Einschätzung der Testierfähigkeit nicht abschließend ist. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich, zusätzlich ein ärztliches Attest beizufügen, das die geistige Verfassung des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung dokumentiert. Dies kann im Nachhinein helfen, Anfechtungen wegen angeblicher Testierunfähigkeit abzuwehren.
III. Das Urteil des LG Frankenthal im Detail
Im Fall des Landgerichts Frankenthal vom 18. Juli 2024 (Az. 8 O 97/24) ging es um die Frage der Testierfähigkeit einer 90-jährigen Frau, die kurz vor ihrem Tod ein Testament errichtet hatte. In diesem Testament setzte sie den Sohn einer Freundin als Erben eines wertvollen Anwesens ein. Der beurkundende Notar bestätigte in der Urkunde, dass die Erblasserin uneingeschränkt geschäfts- und testierfähig war. Im Gegensatz dazu zweifelte der Testamentsvollstrecker die Testierfähigkeit der Frau an und legte medizinische Unterlagen vor, die eine “beginnende demenzielle Entwicklung” sowie eine “bekannte Demenz” dokumentierten.
1. Sachverhalt und Verfahrensablauf
Die Erblasserin, eine 90-jährige Dame, lebte selbstständig, obwohl bei ihr bereits erste Anzeichen einer Demenz diagnostiziert worden waren. Kurz vor ihrem Tod entschied sie sich, ihr Vermögen in einem notariell beurkundeten Testament zu regeln. Der Notar, der das Testament beurkundete, stellte in der Urkunde fest, dass die Erblasserin als uneingeschränkt testierfähig angesehen wurde. Der Testamentsvollstrecker, der ebenfalls der Meinung war, dass die Erblasserin unter Umständen testierunfähig gewesen sein könnte, beantragte Eilrechtsschutz und legte hierzu ärztliche Atteste vor, die auf eine “beginnende demenzielle Entwicklung” sowie eine “bekannte Demenz” hinwiesen.
2. Rechtliche Bewertung der Testierfähigkeit im konkreten Fall
Das Gericht stellte zunächst fest, dass die bloße Diagnose einer Demenz nicht automatisch zur Testierunfähigkeit führt. Nach § 2229 Absatz 4 BGB ist die Testierfähigkeit dann gegeben, wenn der Erblasser die Bedeutung und Tragweite seiner Willenserklärung erkennen kann und frei von äußeren Einflüssen handelt. Im vorliegenden Fall musste daher der Grad der Demenz der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung genauer untersucht werden.
Die vorgelegten Arztbriefe dokumentierten eine “beginnende demenzielle Entwicklung” sowie eine “bekannte Demenz”. Allerdings fehlte eine detaillierte Einstufung des Demenzgrades. In der Konsequenz betonte das LG Frankenthal, dass eine präzise Feststellung des Demenzgrades unerlässlich ist, um die Testierfähigkeit abschließend beurteilen zu können. Ohne eine klare Klassifizierung in leichtgradige, mittelschwere oder schwere Demenz war eine fundierte Einschätzung der kognitiven Fähigkeiten der Erblasserin nicht möglich.
Das Gericht hob hervor, dass im Eilverfahren eine umfassende medizinische Bewertung des Demenzgrades nicht hinreichend erbracht wurde. Die vorgelegten Unterlagen enthielten zwar Hinweise auf eine beginnende und bekannte Demenz, jedoch fehlte eine abschließende medizinische Beurteilung, die den genauen Grad der Erkrankung zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung belegte. Insbesondere fehlte eine Einstufung, die es ermöglichen würde, den Einfluss der Demenz auf die Urteilsfähigkeit der Erblasserin konkret zu bewerten. Darüber hinaus berücksichtigte das LG Frankenthal die Stellungnahme des Notars, der die Testierfähigkeit der Erblasserin als uneingeschränkt einschätzte.
Aufgrund der unzureichenden Beweise hinsichtlich des Demenzgrades und der damit verbundenen Testierfähigkeit der Erblasserin entschied das LG Frankenthal, dass die vorgelegten Nachweise des Testamentsvollstreckers im Eilverfahren nicht ausreichten, um die Testierunfähigkeit der Erblasserin zu belegen. Das Gericht wies den Antrag des Testamentsvollstreckers ab und bestätigte somit die Wirksamkeit des Testaments.
IV. Schlussfolgerung: Präzision und Sorgfalt bei der Bewertung der Testierfähigkeit
Der Beschluss des Landgerichts Frankenthal zeigt deutlich auf, dass eine bloße medizinische Diagnose einer Demenz nicht ausreicht, um die Testierunfähigkeit automatisch anzunehmen. Vielmehr ist eine differenzierte und sorgfältige Analyse des Demenzgrades notwendig, um den genauen Einfluss der Erkrankung auf die kognitive Leistungsfähigkeit und Entscheidungsfreiheit des Erblassers zu ermitteln. Nur so kann sichergestellt werden, dass der letzte Wille des Erblassers tatsächlich seinem freien und unbeeinflussten Willen entspricht und somit rechtlich Bestand hat.
Für die Praxis im Erbrecht bedeutet dies, dass sowohl Notare als auch Testamentsvollstrecker eine hohe Verantwortung tragen, wenn es um die Erstellung und Überprüfung von Testamenten geht. Notare sollten bei jeglichem Verdacht auf eine kognitive Beeinträchtigung des Erblassers besonders wachsam sein und gegebenenfalls zusätzliche medizinische Expertise einholen.
Letztlich obliegt es im Zweifelsfall den Gerichten, eine umfassende und objektive Prüfung vorzunehmen, die den individuellen Umständen des Erblassers gerecht wird. Dies erfordert nicht nur eine fundierte medizinische Expertise, sondern auch eine sorgfältige rechtliche Würdigung aller relevanten Faktoren.
V. Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Testierfähigkeit im BGB