Sexuelle Belästigung – was Betroffene und Beschuldigte wissen müssen

Ein zweideutiger Kommentar, ein Griff auf die Schulter, ein Blick zu lang – kann das strafbar sein? Immer häufiger geraten alltägliche Situationen ins juristische Scheinwerferlicht, wenn der Vorwurf der sexuellen Belästigung im Raum steht.

Seit 2016 regelt § 184i Strafgesetzbuch (StGB), wann solche Handlungen als Straftat gelten – mit teils weitreichenden Konsequenzen für alle Beteiligten. Zwischen berechtigtem Schutz und rechtsstaatlicher Vorsicht verläuft eine juristische Gratwanderung.

Der folgende Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, praktischen Fallkonstellationen und gesellschaftlichen Dimensionen – und zeigt, was für Betroffene wie Beschuldigte gleichermaßen auf dem Spiel steht.

I. Was ist sexuelle Belästigung?

Mit § 184i StGB hat der Gesetzgeber einen eigenständigen Straftatbestand geschaffen, der auf körperlich-sexuell bestimmte Belästigungen zielt, die unterhalb der Schwelle des schwereren Sexualdelikte nach § 177 StGB bleiben. Dort heißt es:

Damit eine Strafbarkeit wegen sexueller Belästigung vorliegt, müssen also folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

Erfasst ist jede körperliche Annäherung, die objektiv sexuell geprägt ist [3] – z. B. das Anfassen von Po, Brust oder Genitalbereich. Auch Zungenküsse können erfasst sein.
➝ entscheidend ist der sexuelle Charakter der Handlung, nicht ihre Intensität.

Das Opfer muss sich dadurch belästigt und in seiner sexuellen Selbstbestimmung nicht unerheblich beeinträchtigt fühlen. [4]

§ 184i StGB greift nur ein, wenn nicht bereits eine schwerwiegendere Strafnorm erfüllt ist – etwa sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 5) oder Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6).

Dem Täter muss die sexuelle Bedeutung seines Verhaltens bewusst sein und er muss davon ausgehen, dass das Opfer nicht einverstanden ist. [4]

Die Tat ist ein Antragsdelikt (§ 184i Abs. 3 StGB), d. h., sie wird nur verfolgt, wenn das Opfer nach Kenntnis der Tat Strafantrag stellt – es sei denn, es besteht ein besonderes öffentliches Interesse.

II. Welche Arten von sexueller Belästigung gibt es?

Sexuelle Belästigung kann viele Formen annehmen. Die Grenzen zwischen strafrechtlich relevantem Verhalten und sozial unangemessener Distanzlosigkeit sind oft fließend. Folgende Kategorien können unterschieden werden:

Art der Belästigung Beispiele
Physisch Streicheln, Antanzen, „versehentliche“ Berührungen, Umarmungen gegen den Willen
Verbal Anzügliche Kommentare, sexuelle Witze, sog. Catcalling
Non-verbal Hinterherpfeifen, anzügliches Starren, Versenden von Bildern mit sexuellem Bezug

 

Von §184i StGB sind nur die physischen Fälle sexueller Belästigung erfasst. Eine Strafbarkeit setzt stets einen Körperkontakt zwischen Täter und Opfer voraus. [2]

Wichtig ist stets: Es kommt auf die subjektive Wahrnehmung der betroffenen Person an – und darauf, ob die Handlung objektiv als sexuell bestimmt einzuordnen ist.

 

Beispiele für nach §184i StGB strafbare sexuelle Belästigung:

  • absichtliches Anfassen von Gesäß oder Brust ohne Einwilligung („Po-Grapschen“),
  • Berührungen im Intimbereich im Gedränge (z. B. in Bahn oder Club),

…soweit dies keine sexuelle Handlung nach §177 StGB darstellen, z.B. weil die Handlungen die Erheblichkeitsschwelle nach §184h Nr. 1 StGB unterschreiten.

III. Abgrenzung zu § 177 StGB – der sexuelle Übergriff

Der Unterschied zur sexuellen Belästigung liegt in der Erheblichkeit der Handlung. Während § 184i StGB beispielsweise bereits das Grapschen am bekleideten Oberschenkel unter Strafe stellt, verlangt § 177 StGB erhebliche sexuelle Handlungen. Die nach § 184h Nr. 1 StGB geforderte „sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit“ dient dazu, bloß belanglose Berührungen nach §184i StGB nur geringer zu bestrafen oder gar straflos zu halten und ist insbesondere dann erfüllt, wenn besonders intime Körperzonen – etwa Brust oder Genitalien – gezielt berührt werden. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung im Einzelfall. [4]

Kriterium § 177 StGB (sexuelle Handlung) § 184i StGB (sexuelle Belästigung)
Handlungstyp Sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit Unerwünschte sexuell bestimmte Berührung
Rechtsnatur Verbrechen oder Vergehen Vergehen
Erheblichkeit erforderlich? Ja, gemäß § 184h Nr. 1 StGB Nein, jede sexuell motivierte körperliche Belästigung reicht
Körperkontakt erforderlich? Ja Ja
Strafrahmen 6 Monate – 5 Jahre (§ 177 Abs. 1) / schwerer: bis 15 Jahre Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 2 Jahre (§ 184i Abs. 1)

Die folgende Tabelle zeigt, wann Gerichte das Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle in §184h Nr. 1 StGB angenommen haben.

Erheblichkeit sexueller Handlungen
Merkmal Erheblichkeit
Hand gegen bekleidetes Geschlechtsteil gedrückt Ja
Streicheln des nackten Gesäßes einer 13-Jährigen Ja
Betasten des bekleideten Geschlechtsteils Ja
Berühren des bekleideten Geschlechtsteils einer 13-Jährigen Ja
Zungenkuss Ja
Berühren der bekleideten weiblichen Brust Ja
Streicheln über dem T-Shirt an der Brust Ja
Berührung des Schamhügels unter Kleidung bei 14-Jähriger Ja
Umarmen mit Küssen auf Hals und Schnüffeln Ja
Streicheln der Pobacken über Leggings gegen erklärten Willen Ja
Streicheln der Oberschenkel Nein
Berühren des Oberschenkels Nein
Öffnen des Hosengürtels Nein
Berühren des männlichen Oberkörpers Nein
Misslungener Kussversuch Nein
Umarmen und Kussversuche bei entblößtem Glied Nein
Sexuell motiviertes Umarmen mit Badebekleidung Nein
Kurzer Griff an die weibliche Brust Nein
Begrapschen ohne nähere Feststellungen Nein
Einfacher Kuss auf den Mund unter 12-Jährigen Nein

IV. Anzeigen wegen sexueller Belästigung ohne Zeugen

Kaum ein strafrechtlicher Bereich ist so stark von Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen geprägt wie das Sexualstrafrecht.

In vielen Fällen gibt es keine objektiven Beweise, keine Zeugen – nur die Aussage des mutmaßlichen Opfers und die Aussage des Beschuldigten.

Für Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaft und Gerichte bedeutet das: Sie müssen entscheiden, welcher Aussage sie glauben – und ob sie zur Überzeugung gelangen, dass die Tat tatsächlich stattgefunden hat.

Mann belästigt Frau

1. Was bedeutet „Aussage gegen Aussage“?

Der Begriff beschreibt Situationen, in denen sich ausschließlich die Aussage des mutmaßlichen Opfers und die des Beschuldigten gegenüberstehen – ohne weitere objektive Beweismittel wie Videoaufnahmen, Zeugen oder Spuren.[5]

In Sexualstrafverfahren betrifft das insbesondere Taten, die in intimen oder abgeschlossenen Situationen stattfinden: in Wohnungen, Hotels, auf Partys – oft ohne Dritte.

2. Rechtlicher Maßstab: Überzeugung des Gerichts (§ 261 StPO)

Die Strafprozessordnung schreibt in § 261 StPO vor, dass das Gericht nach freier richterlicher Überzeugung entscheiden muss. Ein bloßer Verdacht oder die bloße Möglichkeit einer Tat reichen für eine Verurteilung nicht aus. Vielmehr muss das Gericht sicher überzeugt sein, dass die Straftat begangen wurde.

Grundsatz im Strafrecht: Im Zweifel für den Angeklagten (in dubio pro reo)

Das bedeutet: Kann das Gericht die Aussage des mutmaßlichen Opfers nicht mit der notwendigen Sicherheit für glaubhaft halten, muss ein Freispruch erfolgen – selbst wenn eine Tat subjektiv für wahrscheinlich gehalten wird.

3. Die Null-Hypothese des BGH

In Verfahren wegen Sexualdelikten arbeitet die Rechtsprechung zusätzlich mit der sogenannten Null-Hypothese:

Die Aussage des Belastungszeugen ist nach dieser zunächst als falsch zu unterstellen – und nur, wenn sie sich durch kritische Prüfung als glaubhaft erweist, kann sie Grundlage einer Verurteilung sein.

Diese Methode zwingt das Gericht, sich aktiv mit möglichen Fehlerquellen wie Suggestion, Erinnerungslücken oder Falschbelastungsmotiven auseinanderzusetzen. Die bloße subjektive Überzeugung reicht nicht aus – die Belastungsaussage muss auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruhen.

4. Wie prüft das Gericht die Glaubwürdigkeit?

Gerichte stützen sich in solchen Verfahren häufig auf aussagepsychologische Gutachten, um die Glaubhaftigkeit der Aussage des mutmaßlichen Opfers zu bewerten. Dabei spielen folgende Faktoren eine Rolle:

  • Detailtiefe und Kohärenz der Aussage
  • Vermeidung von Widersprüchen
  • Spontaneität der Schilderung
  • mögliche Motivlagen für eine Falschbeschuldigung

Gleichzeitig wird geprüft, ob die Aussage frei von Suggestion ist, nicht erkennbar einstudiert wurde und mit dem Erlebenswissen eines tatsächlichen Opfers übereinstimmt. [6]

5. Wann wird das Verfahren eingestellt?

Ein Verfahren wegen sexueller Belästigung kann eingestellt werden,

  • wenn kein Anfangsverdacht vorliegt (§ 170 Abs. 2 StPO),
  • bei Geringfügigkeit (§ 153 StPO), oder
  • mit Zustimmung des Gerichts unter Auflagen (§ 153a StPO).

Insbesondere bei einmaligen, geringfügigen Vorfällen kann es zu einer Einstellung kommen – mit oder ohne Bedingungen. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Staatsanwaltschaft.

V. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Im Arbeitsleben treffen Hierarchien auf Näheverhältnisse – ein gefährlicher Nährboden für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Für diese gelten über die Strafbarkeit der sexuellen Belästigung im StGB hinaus, strengere, arbeitsrechtliche Vorschriften.

Laut § 3 Abs. 4 AGG ist jede unerwünschte sexuell bestimmte Handlung verboten, wenn dadurch ein Umfeld der Einschüchterung, Entwürdigung oder Anfeindung geschaffen wird. [8]

Arbeitgeber sind nach § 12 AGG verpflichtet, ihre Beschäftigten zu schützen. Maßnahmen reichen von Abmahnung über Versetzung bis zur Kündigung des Belästigenden. Betroffene haben:

  • ein Beschwerderecht (§ 13 AGG),
  • ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG),
  • und können ggf. Entschädigung und Schadensersatz (§ 15 AGG) verlangen.

VI. Was passiert nach einer Anzeige wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?

Wird eine Anzeige erstattet, beginnt meist eine interne Untersuchung. Neben der innerbetriebliche Klärung, kann ein Strafverfahren eingeleitet werden. Arbeitgeber sind zur Ermittlung verpflichtet und müssen ggf. auch externe Stellen einbinden. Wird der Vorwurf bestätigt, kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen – bis hin zur Kündigung (§ 626 BGB).

Polizei ermittelt

FAQ

Der Unterschied liegt in der Erheblichkeit der sexuellen Handlung. Die sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) umfasst sexuell bestimmte körperliche Berührungen mit Belästigungscharakter – z. B. ein unerwünschter Griff an die Schulter oder das Gesäß. Ein sexueller Übergriff (§ 177 StGB) liegt vor, wenn gegen den erkennbaren Willen des Opfers erhebliche sexuelle Handlungen vorgenommen werden – z. B. erzwungene Küsse oder Penetration.

Ja. Die sexuelle Belästigung ist ein Antragsdelikt. Der Strafantrag muss innerhalb von drei Monaten nach der Tat oder der Kenntnis davon gestellt werden (§ 77b StGB).

Eine anonyme Anzeige ist grundsätzlich möglich, löst aber kein Strafverfahren aus, wenn es sich um ein Antragsdelikt handelt – wie bei § 184i StGB. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nur dann von Amts wegen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse besteht.

Nach einer Anzeige prüft die Polizei zunächst den Sachverhalt. Es folgen Vernehmungen, ggf. Beweissicherung (z. B. Nachrichten oder Zeugenbefragung). Die Staatsanwaltschaft entscheidet über die Einstellung oder Anklage.

Der Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 184i Abs. 1 StGB). In besonders schweren Fällen – etwa bei gemeinschaftlicher Begehung – drohen bis zu fünf Jahre (§ 184i Abs. 2 StGB).

Bewahren Sie Ruhe und äußern Sie sich nicht ohne anwaltliche Beratung. Ein spezialisierter Strafverteidiger kann Akteneinsicht beantragen, Beweise sichern und eine effektive Verteidigungsstrategie aufbauen.

Quellenangaben ein-/ausblenden

[1] Vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 5. Aufl. 2025, StGB § 184i Rn. 10.

[2] Vgl. Vgl. Hörnle NStZ 2017, 20f.

[3] Vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 5. Aufl. 2025, StGB § 184i Rn. 14.

[4] Vgl. Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 184i Rn. 3.

[5] Vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, §184h Rn. 5.

[6] Vgl. BGH NJW 1998, 3788.

[7] Vgl. BGH Urt. v. 7.3.2012 – 2 StR 565/11, BeckRS 2012, 8650.

[8] Vgl. MüKoBGB/Henssler, 9. Aufl. 2023, BGB § 626 Rn. 253.

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Max Scherer

Jurawelt Redaktion

Max Scherer

Studium:

  • Student der Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg
  • Schwerpunktbereich: Kriminalwissenschaften
  • Auslandsaufenthalt am Chicago-Kent College of Law (USA)

Jurawelt:

  • Redakteur & Studentischer Mitarbeiter