Diese Vorschrift gehört zu den zentralen Normen des Deliktsrechts und regelt, dass der Geschäftsherr für Schäden, die der Verrichtungsgehilfe einem Dritten zufügt, haftet. Der Geschäftsherr hat jedoch die Möglichkeit, sich durch den Nachweis sorgfältiger Auswahl und Überwachung von dieser Haftung zu befreien.
1. Zurechnung des Verschuldens eines Verrichtungsgehilfen
§ 831 BGB stellt eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, die den Geschäftsherrn für das Verhalten seines Verrichtungsgehilfen verantwortlich macht. Dies unterscheidet sich fundamental von der Zurechnung fremden Verschuldens nach § 278 BGB, wie sie beim Erfüllungsgehilfen Anwendung findet. Die Haftung nach § 831 BGB basiert auf dem vermuteten Verschulden des Geschäftsherrn bei der Auswahl und Überwachung seines Verrichtungsgehilfen.
2. Anwendungsbereich von § 831 BGB
Der Anwendungsbereich des § 831 BGB erstreckt sich auf sämtliche unerlaubte Handlungen, die der Verrichtungsgehilfe in Ausführung seiner Tätigkeit begeht. Wichtig ist hierbei, dass die schädigende Handlung des Verrichtungsgehilfen in einem inneren Zusammenhang mit der ihm übertragenen Verrichtung steht. Es genügt nicht, dass die Handlung nur bei Gelegenheit der Verrichtung erfolgt ist; es muss ein innerer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der schädigenden Handlung bestehen.
Ein Beispiel wäre ein Fahrer, der im Auftrag seines Arbeitgebers Waren ausliefert und dabei einen Verkehrsunfall verursacht. Der Arbeitgeber haftet nach § 831 BGB für die Schäden, die durch den Unfall entstehen, da der Unfall in Ausführung der Verrichtung – der Warenlieferung – geschah.
II. Haftungsumfang und Exkulpation gem. § 831 Absatz 1 Satz 2 BGB
Die Haftung des Geschäftsherrn für den Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB ist weitreichend, da sie auf einer vermuteten Pflichtverletzung des Geschäftsherrn beruht. Dennoch ist diese Haftung nicht absolut. Der Geschäftsherr hat die Möglichkeit, sich durch die sogenannte Exkulpation von der Haftung zu befreien. Dies stellt einen zentralen Unterschied zur Haftung für den Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB dar, bei der eine Exkulpation des Schuldners ausgeschlossen ist.
1. Voraussetzungen der Exkulpation
Um sich erfolgreich exkulpieren zu können, muss der Geschäftsherr nachweisen, dass er bei der Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt angewendet hat. Diese Sorgfaltspflicht gliedert sich in zwei zentrale Bereiche:
Auswahl des Verrichtungsgehilfen: Der Geschäftsherr muss sicherstellen, dass er nur solche Personen als Verrichtungsgehilfen einsetzt, die für die jeweilige Aufgabe geeignet und qualifiziert sind. Die Anforderungen an die Eignung können je nach Art der Verrichtung variieren. Beispielsweise sind für Tätigkeiten, die besonderes Fachwissen oder spezifische Fähigkeiten erfordern, entsprechend qualifizierte Personen auszuwählen. Die Auswahl muss sorgfältig erfolgen, was insbesondere die Überprüfung von Referenzen, Qualifikationen und möglicherweise das Einholen von Führungszeugnissen umfassen kann.
Überwachung des Verrichtungsgehilfen: Neben der sorgfältigen Auswahl muss der Geschäftsherr auch die laufende Überwachung des Verrichtungsgehilfen sicherstellen. Diese Überwachung soll gewährleisten, dass der Verrichtungsgehilfe die ihm übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß ausführt und keine Schäden verursacht. Die Intensität und Art der Überwachung richten sich nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art der Tätigkeit und den mit ihr verbundenen Risiken. So ist bei besonders risikobehafteten Tätigkeiten eine engmaschige Kontrolle erforderlich, während bei weniger gefährlichen Aufgaben eine sporadische Überwachung ausreichend sein kann.
2. Grenzen der Exkulpation
Die Möglichkeit zur Exkulpation nach § 831 Absatz 1 Satz 2 BGB setzt voraus, dass der Geschäftsherr tatsächlich alle notwendigen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass der Verrichtungsgehilfe keine Schäden verursacht. Die Beweislast für die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten liegt beim Geschäftsherrn, was in der Praxis eine erhebliche Herausforderung darstellen kann. Es reicht nicht aus, allgemeine Sorgfalt walten zu lassen; die Maßnahmen müssen konkret auf die jeweiligen Umstände und Risiken abgestimmt sein.
Beispiel: Angenommen, ein Bauunternehmer beauftragt einen Hilfsarbeiter mit der Durchführung einfacher Bauarbeiten. Der Hilfsarbeiter verursacht einen Unfall, weil er nicht ordnungsgemäß eingewiesen wurde. Der Bauunternehmer könnte sich nicht erfolgreich exkulpieren, wenn er keine ausreichenden Sicherheitsanweisungen gegeben oder die Einhaltung dieser Anweisungen nicht überwacht hat.
3. Exkulpation und Organisationsverschulden
Selbst wenn der Geschäftsherr die Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen sorgfältig vorgenommen hat, kann eine Haftung bestehen bleiben, wenn ein sogenanntes Organisationsverschulden vorliegt. Darunter versteht man eine unzureichende Organisation des Betriebs, die dazu führt, dass allgemeine Sicherheitsvorkehrungen oder notwendige Arbeitsabläufe nicht ausreichend etabliert wurden, um Schäden zu vermeiden. Dieses Organisationsverschulden kann dem Geschäftsherrn unabhängig von der sorgfältigen Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen zugerechnet werden, was eine zusätzliche Haftungsquelle darstellt.
4. Dezentrale Entlastung im Großbetrieb
Eine Besonderheit besteht bei Großbetrieben, in denen der Geschäftsherr nicht jede einzelne Auswahl- oder Überwachungsmaßnahme persönlich vornehmen kann. In solchen Fällen ist eine sogenannte dezentrale Entlastung möglich. Das bedeutet, dass der Geschäftsherr sich exkulpieren kann, indem er nachweist, dass er die Personen, die ihrerseits für die Auswahl und Überwachung der Verrichtungsgehilfen zuständig sind, sorgfältig ausgewählt und überwacht hat.
III. Unterschiede zwischen Erfüllungsgehilfe und Verrichtungsgehilfe
Die folgende Übersicht verdeutlicht die wesentlichen Unterschiede zwischen einem Erfüllungsgehilfen und einem Verrichtungsgehilfen:
Merkmal |
Erfüllungsgehilfe |
Verrichtungsgehilfe |
Rechtsgrundlage |
§ 278 BGB: Haftung des Schuldners für das Verschulden von Personen, die er zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit einsetzt. |
§ 831 BGB: Haftung des Geschäftsherrn für Schäden, die ein Verrichtungsgehilfe in Ausübung seiner Tätigkeit einem Dritten zufügt. |
Weisungsgebundenheit |
Nicht zwingend weisungsgebunden; der Erfüllungsgehilfe kann eigenständig handeln und seine Aufgaben nach eigenem Ermessen ausführen, solange er im Rahmen der vertraglichen Verpflichtung des Schuldners tätig ist. |
Strikt weisungsgebunden; der Verrichtungsgehilfe muss den Anweisungen des Geschäftsherrn folgen und ist in dessen organisatorischen Bereich eingegliedert. Er führt die ihm übertragenen Aufgaben nach den Anweisungen des Geschäftsherrn aus. |
Haftung des Geschäftsherrn/Schuldners |
Keine Möglichkeit der Exkulpation; der Schuldner haftet für das Verschulden des Erfüllungsgehilfen in vollem Umfang, als wäre es sein eigenes Verschulden. Eine Entlastung durch sorgfältige Auswahl oder Überwachung ist nicht möglich. |
Möglichkeit der Exkulpation; der Geschäftsherr kann sich von der Haftung befreien, wenn er nachweist, dass er den Verrichtungsgehilfen sorgfältig ausgewählt und überwacht hat. Diese Möglichkeit ist in § 831 Absatz 1 Satz 2 BGB vorgesehen. |
Beziehung zum Geschäftsherrn/Schuldner |
Der Erfüllungsgehilfe wird zur Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung des Schuldners eingesetzt. Es besteht ein unmittelbares Schuldverhältnis zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger, dessen Erfüllung durch den Erfüllungsgehilfen unterstützt wird. |
Der Verrichtungsgehilfe steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Geschäftsherrn und ist in dessen Organisationsbereich eingegliedert. Es besteht keine vertragliche Verpflichtung gegenüber dem geschädigten Dritten, sondern die Haftung des Geschäftsherrn resultiert aus der deliktischen Handlung des Verrichtungsgehilfen. |
Einsatzbereich |
Der Erfüllungsgehilfe wird eingesetzt, um die vertraglichen Pflichten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger zu erfüllen. Seine Tätigkeit steht in direktem Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger. |
Der Verrichtungsgehilfe wird mit einer bestimmten Verrichtung im Interesse des Geschäftsherrn betraut, wobei seine Handlungen typischerweise außerhalb eines direkten Vertragsverhältnisses mit dem Geschädigten erfolgen. Seine Tätigkeit wird in einem weisungsgebundenen Rahmen erbracht. |
Beispiele |
– Ein Handwerker, der im Auftrag des Schuldners Reparaturen ausführt.
– Ein Angestellter, der im Rahmen seiner Arbeit für das Unternehmen die vertraglichen Pflichten gegenüber Kunden erfüllt. |
– Ein Arbeitnehmer, der im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben einen Schaden verursacht, z.B. ein Fahrer, der im Auftrag des Arbeitgebers einen Verkehrsunfall verursacht.
– Ein Hausmeister, der während seiner Tätigkeit einen Dritten verletzt. |
Haftungsgrund |
Die Haftung des Schuldners resultiert aus der vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger. Das Verschulden des Erfüllungsgehilfen wird dem Schuldner zugerechnet. |
Die Haftung des Geschäftsherrn resultiert aus einer vermuteten Pflichtverletzung bei der Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen. Diese Haftung kann jedoch durch einen erfolgreichen Entlastungsbeweis vermieden werden. |
Exkulpationsmöglichkeit |
Keine Exkulpationsmöglichkeit; der Schuldner kann sich nicht von der Haftung befreien, indem er beweist, dass er den Erfüllungsgehilfen sorgfältig ausgewählt oder überwacht hat. |
Exkulpationsmöglichkeit besteht; der Geschäftsherr kann sich entlasten, wenn er nachweist, dass er bei der Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen die erforderliche Sorgfalt angewandt hat. |
Verantwortung des Geschäftsherrn/Schuldners |
Der Schuldner ist voll verantwortlich für das Verhalten des Erfüllungsgehilfen im Rahmen der vertraglichen Leistungserfüllung. |
Der Geschäftsherr ist nur insoweit verantwortlich, wie ihm ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vorgeworfen werden kann; die Haftung kann durch sorgfältige Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen vermieden werden. |
IV. Verrichtungsgehilfe Schema
Das nachfolgende Prüfungsschema dient als Leitfaden für die Bearbeitung von Klausuren, in denen die Haftung des Geschäftsherrn für das Verhalten eines Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB relevant ist.
1. Tatbestand
a) Verrichtungsgehilfe
- Definition: Ist derjenige, der mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn in dessen Interesse tätig wird und dabei weisungsgebunden ist.
- Abhängigkeit und Eingliederung: Der Verrichtungsgehilfe muss in den organisatorischen Bereich des Geschäftsherrn eingegliedert sein und in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.
- Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der unter den Weisungen des Arbeitgebers tätig ist.
b) Unerlaubte, rechtswidrige Handlung
- Tatbestandsmäßigkeit: Die Handlung des Verrichtungsgehilfen muss einen deliktischen Tatbestand erfüllen, insbesondere §§ 823 ff. BGB.
- Rechtswidrigkeit: Die Handlung muss rechtswidrig sein, das heißt, es dürfen keine Rechtfertigungsgründe vorliegen.
c) In Ausführung der Verrichtung
- Innerer Zusammenhang: Die unerlaubte Handlung muss in einem inneren Zusammenhang mit der dem Verrichtungsgehilfen übertragenen Tätigkeit stehen. Es genügt nicht, dass die schädigende Handlung nur “bei Gelegenheit” der Verrichtung begangen wurde.
- Beispiel: Ein Fahrer verursacht während der Ausführung seines Fahrauftrags einen Unfall. Hier liegt ein innerer Zusammenhang vor.
2. Rechtswidrigkeit der Handlung
- Rechtswidrigkeit der Handlung: Die Handlung muss objektiv rechtswidrig sein, es darf kein Rechtfertigungsgrund vorliegen.
3. Keine Exkulpation des Geschäftsherrn (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB)
- Exkulpationsmöglichkeit: Der Geschäftsherr kann sich exkulpieren, wenn er nachweist, dass er bei der Auswahl und Überwachung des Verrichtungsgehilfen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt angewendet hat.
- Prüfungspunkte für die Exkulpation:
- Sorgfalt bei der Auswahl: War der Verrichtungsgehilfe für die ihm übertragene Aufgabe geeignet?
- Sorgfalt bei der Überwachung: Wurde der Verrichtungsgehilfe angemessen überwacht, um sicherzustellen, dass er seine Aufgabe ordnungsgemäß erfüllt?
- Fehlende Exkulpation: Kann der Geschäftsherr die sorgfältige Auswahl oder Überwachung nicht nachweisen, haftet er für den Schaden.
4. Rechtsfolge: Schadensersatz
- Schadensersatzpflicht des Geschäftsherrn: Wenn alle Voraussetzungen vorliegen und eine Exkulpation nicht gelingt, haftet der Geschäftsherr für den entstandenen Schaden.
- Umfang des Schadensersatzes: Der Geschäftsherr haftet für den gesamten Schaden, der durch die Handlung des Verrichtungsgehilfen verursacht wurde, unabhängig davon, ob dieser vorsätzlich oder fahrlässig handelte.
V. Zusammenfassung: Der weisungsgebundene Verrichtungsgehilfe
Die Begriffe Verrichtungsgehilfe und Erfüllungsgehilfe sind in der Zurechnung fremden Verschuldens von besonderer Bedeutung. Während der Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses tätig wird und der Schuldner nach § 278 Satz 1 Var. 2 BGB für dessen Verschulden haftet, wird der Verrichtungsgehilfe weisungsgebunden tätig, und der Geschäftsherr haftet nach § 831 Absatz 1 Satz 1 BGB für dessen unerlaubte Handlungen. Die Möglichkeit der Exkulpation unterscheidet den Verrichtungsgehilfen dabei maßgeblich vom Erfüllungsgehilfen.