Gemäß § 34 des Strafgesetzbuches (StGB) kann eine Tat, die unter normalen Umständen als Straftat gewertet wird, unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein. Der Paragraph stellt einen Rechtfertigungsgrund dar, der bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen das ansonsten strafbare Verhalten des Täters legitimieren kann.
Die erste Säule des rechtfertigenden Notstands bildet die Notstandslage. Sie ist definiert als eine gegenwärtige Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut. Hierbei ist anzumerken, dass das Gesetz zwar einige Rechtsgüter explizit nennt, die Liste jedoch keineswegs abschließend ist. Vielmehr können alle Rechtsgüter, die schutzwürdig und schutzbedürftig sind, eine Notstandslage begründen.
Doch wie wird eine solche Gefahr konkret festgestellt? Es erfolgt eine Wahrscheinlichkeitsprognose, die aus der Perspektive eines nachträglichen Beobachters die Entwicklung eines Zustandes betrachtet, der den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens für das Rechtsgut ernstlich befürchten lässt – die objektiv-nachträgliche Prognose.
Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Gegenwärtigkeit der Gefahr. Sie ist gegeben, wenn sie nur durch sofortiges Handeln abgewehrt werden kann. Interessant ist hierbei, dass auch eine sogenannte Dauergefahr als gegenwärtig angesehen werden kann, wie im Beispiel des gewalttätigen Ehemanns, der seine Ehefrau regelmäßig schlägt. Obwohl er im Moment des Geschehens schläft, ist die Gefahr als gegenwärtig einzustufen, da sich die Situation schnell hätte ändern können.
Für die Annahme einer Notstandshandlung müssen zwei wesentliche Kriterien erfüllt sein: die Handlung muss sowohl erforderlich als auch angemessen sein.
Die Erforderlichkeit einer Handlung bemisst sich daran, ob sie geeignet ist, die Gefahr abzuwenden. Hierbei gilt das Prinzip des mildesten Mittels, das heißt, es darf kein anderes, weniger einschneidendes Mittel zur Verfügung stehen, um die Gefahr abzuwenden. Dies dient dem Schutz anderer Rechtsgüter und verhindert eine übermäßige Reaktion auf die Gefahr.
Die Angemessenheit geht über die bloße Erforderlichkeit hinaus und berücksichtigt zusätzlich gesellschaftliche Wertvorstellungen. Selbst wenn ein Mittel zur Gefahrenabwehr erforderlich ist, kann es in seiner Anwendung unangemessen sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn gesetzliche Duldungspflichten bestehen oder Eingriffe in unantastbare Freiheitsrechte erfolgen. Hierbei erfolgt eine Gesamtwürdigung aller Umstände der konkreten Situation.
Ein weiterer Aspekt, der nicht vernachlässigt werden darf, ist die Interessenabwägung. Für einen gerechtfertigten Notstand ist erforderlich, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies erfordert eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls, da hierbei unterschiedliche Rechtsgüter und ihre Bedeutung in der Gesellschaft gegeneinander abgewogen werden müssen.
Zu guter Letzt ist das subjektive Rechtfertigungselement zu berücksichtigen. Der Handelnde muss in Kenntnis der Notstandslage gehandelt und das Ziel verfolgt haben, die Gefahr abzuwenden. Fehlt dieses Bewusstsein oder handelt die Person aus anderen Motiven, kann der rechtfertigende Notstand nicht greifen, und es liegt eine vollendete Straftat vor.
Der rechtfertigende Notstand ist ein komplexes Konstrukt, das eine sorgfältige Prüfung aller Umstände erfordert. Es dient dem Schutz übergeordneter Rechtsgüter und ermöglicht in Ausnahmesituationen ein Handeln außerhalb der sonst geltenden rechtlichen Grenzen. Doch seine Anwendung ist streng reglementiert, um Missbrauch zu verhindern und die Rechtsordnung zu wahren.
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