I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Erfolgseintritt
Der erste Prüfungspunkt im Schema der fahrlässigen Tötung ist der Erfolgseintritt, d.h. der Tod eines Menschen. Der Taterfolg ist hier stets identisch zu prüfen, unabhängig davon, ob der Tod vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt wurde. In der Medizin und im Recht wird der Hirntod als Kriterium für den Eintritt des Todes anerkannt. Dieser Zustand ist definiert als der irreversible Ausfall der gesamten Hirnfunktionen, einschließlich des Hirnstamms.
2. Kausalität
Für die Kausalität gilt die conditio-sine-qua-non-Formel: Eine Handlung ist kausal für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Es muss also eine ursächliche Verknüpfung zwischen dem Verhalten des Täters und dem eingetretenen Erfolg bestehen.
3. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit
Dieser Punkt ist der zentrale Bestandteil bei der Prüfung der Fahrlässigkeit. Hier wird untersucht, ob der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat.
a) Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
Objektiv sorgfaltswidrig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Der Maßstab für die erforderliche Sorgfalt ist das Verhalten eines besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Täters. Dieser Maßstab ist objektiv und unabhängig von den individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen des Täters. Es wird also nicht darauf abgestellt, was der Täter tatsächlich wusste oder konnte, sondern darauf, was ein durchschnittlicher Mensch in der gleichen Situation hätte wissen oder tun müssen.
Maßstab der Besonnenheit und Gewissenhaftigkeit: Der Maßstab der Besonnenheit und Gewissenhaftigkeit bedeutet, dass das Verhalten des Täters anhand dessen beurteilt wird, was ein durchschnittlicher, vernünftiger Mensch in der gleichen Situation getan hätte. Diese Beurteilung erfolgt ex ante, also aus der Sicht eines objektiven Dritten vor dem Eintritt des schädigenden Ereignisses. Dabei werden die spezifischen Umstände und die soziale Rolle des Täters berücksichtigt. Zum Beispiel wird von einem Arzt eine andere Sorgfalt erwartet als von einem Laien in medizinischen Fragen.
Sonderwissen und Sonderkönnen: Obwohl der objektive Maßstab auf den Durchschnitt abstellt, müssen Sonderwissen und Sonderkönnen des Täters berücksichtigt werden. Wenn der Täter über spezielle Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügt, muss er diese bei der Beachtung der erforderlichen Sorgfalt einbringen. Umgekehrt darf der Täter sich nicht auf mangelnde Kenntnisse oder Fähigkeiten berufen, wenn er eine Aufgabe übernimmt, für die diese Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind. Dies wird als Übernahmeverschulden bezeichnet.
Beispiel: Ein erfahrener Chirurg führt eine Operation durch, ohne die notwendigen Hygienemaßnahmen zu beachten. Der Maßstab der Besonnenheit und Gewissenhaftigkeit verlangt, dass der Chirurg aufgrund seines Sonderwissens die Hygienemaßnahmen kennt und beachtet.
Erlaubtes Risiko und sozialadäquates Verhalten: Nicht jede gefährliche Handlung ist sorgfaltswidrig. Das Gesetz berücksichtigt, dass bestimmte Risiken im Alltag unvermeidlich und erlaubt sind. Ein Verhalten ist nicht sorgfaltswidrig, wenn es sich im Rahmen des erlaubten Risikos bewegt und sozialadäquat ist. Sozialadäquates Verhalten ist solches, das gesellschaftlich akzeptiert und gebilligt wird.
Beispiel: Die Teilnahme am Straßenverkehr ist mit Risiken verbunden. Solange sich ein Fahrer an die Straßenverkehrsordnung hält, bewegt er sich im Rahmen des erlaubten Risikos. Fährt er jedoch unter Alkoholeinfluss, überschreitet er dieses Risiko und handelt sorgfaltswidrig.
Vertrauensgrundsatz: Der Vertrauensgrundsatz spielt eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr. Danach darf ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer regelkonform verhalten. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen.
Beispiel: Ein Autofahrer darf darauf vertrauen, dass ein anderer Autofahrer an einer roten Ampel anhält. Wenn er jedoch sieht, dass der andere Autofahrer offensichtlich nicht bremst, darf er sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen und muss angemessen reagieren.
Übernahmeverschulden: Ein Übernahmeverschulden liegt vor, wenn der Täter eine Aufgabe übernimmt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass er ihr nicht gewachsen ist. Dies stellt eine Sorgfaltspflichtverletzung dar, da der Täter seine Fähigkeiten und Kenntnisse falsch einschätzt oder bewusst ignoriert.
Beispiel: Ein Medizinstudent im ersten Studienjahr übernimmt die Leitung einer komplizierten Augenlaserbehandlung. Da er die notwendige Qualifikation und Erfahrung nicht besitzt, handelt er sorgfaltswidrig, indem er die Operation übernimmt.
b) Voraussehbarkeit des Erfolges
Der Punkt der Voraussehbarkeit des Erfolges untersucht, ob der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, also der Tod eines Menschen, objektiv vorhersehbar war. Diese Prüfung erfolgt anhand eines objektiven Maßstabs, d.h., sie orientiert sich an dem, was ein besonnener und gewissenhafter
Bei der Beurteilung der Voraussehbarkeit wird die konkrete Situation des Täters betrachtet. Es wird geprüft, ob unter den spezifischen Umständen, in denen sich der Täter befand, der Erfolgseintritt für einen objektiven Dritten vorhersehbar gewesen wäre. Dabei spielen Faktoren wie die Umgebungsbedingungen, die Art der Handlung und die bekannten Risiken eine Rolle.
Beispiel: Ein Autofahrer fährt bei starkem Nebel, dem Einfluss von Psylocybin-Pilzen (Magic Mushrooms) und Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Ein besonnener Mensch in dieser Lage hätte voraussehen können, dass dieses Verhalten zu einem Unfall mit tödlichem Ausgang führen könnte.
Adäquanztheorie: Die Adäquanztheorie besagt, dass der Erfolgseintritt dann objektiv vorhersehbar ist, wenn er nicht außerhalb dessen liegt, was nach allgemeiner Lebenserfahrung als möglich und typisch angesehen wird. Der Erfolgseintritt muss also in den normalen Verlauf der Dinge passen und darf nicht durch eine ungewöhnliche Verkettung von Umständen zustande gekommen sein.
Beispiel: Ein Arzt verabreicht einem Patienten ein falsches Medikament, was zu einer allergischen Reaktion und schließlich zum Tod des Patienten führt. Die Verabreichung eines Medikaments durch einen Arzt ist typischerweise mit bestimmten Risiken verbunden, weshalb der Erfolgseintritt (Tod durch allergische Reaktion) objektiv vorhersehbar ist.
Besonderheiten des konkreten Kausalverlaufs: Es ist nicht erforderlich, dass der Täter den genauen Kausalverlauf und die exakte Art des Erfolgseintritts vorhersehen konnte. Es reicht aus, dass der Erfolgseintritt in seinen wesentlichen Zügen vorhersehbar war. Der genaue Ablauf der Ereignisse kann variieren, solange der tödliche Ausgang insgesamt nicht außerhalb des Erwartbaren liegt.
Beispiel: Ein Bauarbeiter lässt aus Unachtsamkeit ein schweres Werkzeug von einem Gerüst fallen. Das Werkzeug trifft einen Kollegen am Kopf, der später an den Verletzungen stirbt. Auch wenn der Bauarbeiter nicht vorhersehen konnte, dass das Werkzeug genau den Kopf des Kollegen treffen würde, so war doch der tödliche Ausgang bei einem solchen Verhalten insgesamt vorhersehbar.
4. Objektive Zurechnung des Erfolges
Die objektive Zurechnung ist ein wichtiger Bestandteil bei der Prüfung der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB. Sie bestimmt, ob der eingetretene Erfolg (Tod des Opfers) dem Verhalten des Täters zugerechnet werden kann. Hierbei wird untersucht, ob der Erfolg innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Sorgfaltsnorm liegt und ob der Zusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters und dem eingetretenen Erfolg besteht.
a) Schutzzweck der Norm
Der Schutzzweck der Norm spielt eine zentrale Rolle bei der objektiven Zurechnung. Es wird geprüft, ob sich im eingetretenen Erfolg die Gefahr realisiert hat, die die verletzte Sorgfaltsnorm gerade verhindern sollte. Der Erfolgseintritt muss somit innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Norm liegen.
Der Schutzzweck der Norm beschreibt den spezifischen Schutzbereich einer Rechtsnorm. Jede Sorgfaltsnorm verfolgt bestimmte Schutzzwecke, die festlegen, welche Gefahren durch die Einhaltung der Norm vermieden werden sollen. Die objektive Zurechnung ist nur gegeben, wenn der eingetretene Erfolg in den Schutzbereich der verletzten Norm fällt.
Beispiel: Die Straßenverkehrsordnung (StVO) enthält Vorschriften, die die Verkehrssicherheit gewährleisten sollen. Wenn ein Autofahrer bei Rot über eine Ampel fährt und dadurch einen Unfall verursacht, liegt der Erfolg (Unfall) innerhalb des Schutzzwecks der Norm, da die Regelung der Ampelschaltung gerade Unfälle verhindern soll.
Die objektive Zurechnung setzt insofern voraus, dass sich im Erfolg die Gefahr verwirklicht hat, die die verletzte Norm verhindern sollte. Es muss also ein Zusammenhang zwischen der Normverletzung und dem eingetretenen Erfolg bestehen.
Beispiel: Ein Bauarbeiter verzichtet auf die vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen auf einer Baustelle. Ein Kollege stürzt daraufhin von einem Gerüst vom Dach des Hauses und stirbt. Der Erfolgseintritt (Tod des Kollegen) liegt innerhalb des Schutzzwecks der Sicherheitsvorschriften, da diese dazu dienen, Stürze und damit verbundene Verletzungen oder Todesfälle zu verhindern.
b) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang stellt die Frage, ob der eingetretene Erfolg auf dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters beruht. Er wird bejaht, wenn der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Diese Prüfung ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Sorgfaltspflichtverletzung des Täters tatsächlich ursächlich für den Erfolg war.
Um den Pflichtwidrigkeitszusammenhang zu prüfen, wird daher hypothetisch untersucht, ob der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters eingetreten wäre. Wenn der Erfolg trotz pflichtgemäßen Verhaltens mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre, fehlt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang, und der Erfolg ist dem Täter nicht objektiv zurechenbar.
Beispiel: Ein Autofahrer fährt mit überhöhter Geschwindigkeit und kollidiert mit einem anderen Fahrzeug, dessen Fahrer schwer verletzt wird. Die Untersuchung ergibt, dass der Unfall auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unvermeidbar gewesen wäre, weil der andere Fahrer plötzlich und unerwartet die Fahrbahn kreuzte. Hier fehlt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang, da der Unfall auch bei rechtmäßigem Verhalten des Täters eingetreten wäre.
Es gibt unterschiedliche Ansätze zur Bewertung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs, die zwei Haupttheorien sind die Vermeidbarkeitstheorie und die Risikoerhöhungslehre.
Nach der Vermeidbarkeitstheorie (h.M.) ist der Pflichtwidrigkeitszusammenhang nur dann gegeben, wenn der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Diese Theorie legt einen strengen Maßstab an und verlangt einen nahezu sicheren Kausalzusammenhang.
Beispiel: Ein Arzt unterlässt eine notwendige medizinische Untersuchung, und der Patient stirbt später an einer Erkrankung, die bei der Untersuchung entdeckt worden wäre. Wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Tod durch die rechtzeitige Behandlung der entdeckten Krankheit verhindert worden wäre, ist der Pflichtwidrigkeitszusammenhang gegeben.
Die Risikoerhöhungslehre ist hingegen weniger streng und besagt, dass der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bereits dann bejaht werden kann, wenn das pflichtwidrige Verhalten das Risiko des Erfolgseintritts wesentlich erhöht hat. Hierbei reicht es aus, dass das rechtmäßige Alternativverhalten die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts verringert hätte.
Beispiel: Ein Bauarbeiter unterlässt das Anbringen von Sicherheitsgurten, und ein Kollege stürzt vom Gerüst und stirbt. Selbst wenn der Sturz auch mit Sicherheitsgurten möglich gewesen wäre, hätte die Anbringung der Gurte das Risiko des tödlichen Sturzes erheblich verringert. Nach der Risikoerhöhungslehre könnte hier der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bejaht werden.
c) Eigenverantwortlichkeitsprinzip
Das Eigenverantwortlichkeitsprinzip besagt, dass eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder Fremdgefährdung des Opfers die Zurechnung zum Täter ausschließen kann. Es geht hierbei um die Frage, inwieweit der Erfolgseintritt dem Täter zugerechnet werden kann, wenn das Opfer durch eigenes Verhalten oder durch eigenverantwortliche Entscheidungen zur Gefährdung beigetragen hat.
- Eigenverantwortliche Selbstgefährdung: Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung liegt vor, wenn das Opfer die Gefahr durch sein eigenes Verhalten bewusst und freiwillig herbeiführt. Hierbei muss das Opfer die Tatherrschaft über die gefährliche Situation haben und die Risiken vollständig überblicken können. In solchen Fällen wird die Zurechnung zum Täter grundsätzlich ausgeschlossen, da die Gefahr und der Erfolgseintritt auf der eigenen Entscheidung des Opfers beruhen.
Beispiel: Ein erfahrener Kletterer entscheidet sich, trotz Warnungen vor einem herannahenden Sturm eine gefährliche Kletterroute zu begehen. Er stürzt ab und stirbt. Da der Kletterer sich eigenverantwortlich und bewusst der Gefahr ausgesetzt hat, ist die Zurechnung des Todes zum Veranstalter der Klettertour ausgeschlossen.
- Einverständliche Fremdgefährdung: Eine einverständliche Fremdgefährdung liegt vor, wenn das Opfer in eine durch einen Dritten herbeigeführte Gefahr einwilligt, aber der Dritte die Kontrolle über die gefährliche Situation behält. Hier ist die Zurechnung zum Täter umstritten und hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Beispiel: Ein Beifahrer willigt ein, dass der Fahrer das Auto mit überhöhter Geschwindigkeit fährt, obwohl er die Gefahr eines Unfalls kennt. Der Fahrer verliert die Kontrolle über das Fahrzeug, und der Beifahrer stirbt. In diesem Fall ist die Zurechnung des Todes zum Fahrer umstritten, da der Beifahrer bewusst das Risiko eingegangen ist, aber der Fahrer die Kontrolle über die Situation hatte.
II. Rechtswidrigkeit
Die Tat ist rechtswidrig, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. Dies wird grundsätzlich durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. In Ausnahmefällen, wie der Notwehr (§ 32 StGB) oder einem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB), kann die Rechtswidrigkeit entfallen.
III. Schuld
1. Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
Die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bedeutet, dass der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen in der Lage gewesen sein muss, die erforderliche Sorgfalt zu beachten. Es wird also geprüft, ob der Täter persönlich die notwendige Sorgfalt hätte walten lassen können. Im Gegensatz zur objektiven Sorgfaltspflichtverletzung, die auf einen allgemeinen Maßstab abstellt, berücksichtigt die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung die persönlichen Eigenschaften des Täters. Der Maßstab ist hier nicht, was ein durchschnittlicher Mensch in der Situation des Täters getan hätte, sondern ob der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen in der Lage war, die erforderliche Sorgfalt zu beachten.
Beispiel: Ein unerfahrener Fahrer, der gerade erst seinen Führerschein gemacht hat, fährt bei schlechten Wetterbedingungen zu schnell und verursacht einen Unfall. Die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung wäre hier zu prüfen, indem man berücksichtigt, ob der Fahrer nach seinen Fähigkeiten und seiner Erfahrung die Geschwindigkeit hätte anpassen müssen.
Wenn der Täter über besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügt, muss er diese in seine Handlungen einfließen lassen. Das bedeutet, dass der Maßstab für die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bei Personen mit besonderem Wissen oder Können höher ist als bei durchschnittlichen Personen.
Beispiel: Ein erfahrener Arzt, der bei einer Operation einen Fehler macht, hätte nach seinem Sonderwissen und seiner Erfahrung sorgfältiger handeln müssen. Die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung wird daran gemessen, ob der Arzt nach seinem Fachwissen die erforderliche Sorgfalt beachtet hat.
Ein Übernahmeverschulden liegt vor, wenn der Täter eine Aufgabe übernimmt, für die er aufgrund mangelnder Fähigkeiten oder Kenntnisse nicht geeignet ist. Er hätte wissen müssen, dass er dieser Aufgabe nicht gewachsen ist.
Beispiel: Ein Laie übernimmt eine komplexe elektrische Installation in einem Haus, obwohl er keine entsprechende Ausbildung hat. Ein Feuer bricht aus, und ein Mensch stirbt. Hier liegt eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung vor, da der Laie die Aufgabe nicht hätte übernehmen dürfen.
2. Potenzielles Unrechtsbewusstsein
Das potenzielle Unrechtsbewusstsein bezieht sich darauf, dass der Täter sich der Möglichkeit bewusst gewesen sein muss, dass sein Verhalten den Tod eines Menschen herbeiführen könnte. Es handelt sich hierbei um eine Art bedingten Vorsatz, der jedoch im Rahmen der Fahrlässigkeit keine Absicht, sondern eine bewusste oder unbewusste Sorgfaltspflichtverletzung voraussetzt.
Das potenzielle Unrechtsbewusstsein bedeutet, dass der Täter die Möglichkeit, dass sein Handeln oder Unterlassen den Tod eines Menschen zur Folge haben könnte, zumindest hätte erkennen können. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter den Tod tatsächlich vorhergesehen hat, sondern dass er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt diese Möglichkeit hätte erkennen können.
Beispiel: Ein Autofahrer fährt trotz einer Warnung vor Glatteis mit überhöhter Geschwindigkeit und verursacht einen tödlichen Unfall. Auch wenn der Fahrer den Unfall nicht vorausgesehen hat, hätte er die Möglichkeit eines Unfalls bei diesen Bedingungen erkennen können. Dies begründet das potenzielle Unrechtsbewusstsein.
IV. Persönliche Strafausschließungsgründe und/oder Strafaufhebungsgründe
Hier wird geprüft, ob persönliche Gründe vorliegen, die eine Bestrafung ausschließen oder aufheben könnten. Dies kann z.B. bei Entschuldigungsgründen wie entschuldigender Notstand (§ 35 StGB) der Fall sein.