Eines der Konzepte, das innerhalb des Ermessens der Verwaltung eine bedeutende Rolle spielt, ist die Ermessensreduzierung auf Null. Diese tritt ein, wenn der Ermessensspielraum der Verwaltung auf eine einzige, rechtmäßige Entscheidung schrumpft, obwohl das Gesetz ihr ursprünglich verschiedene Handlungsalternativen eingeräumt hat. Dieser Beitrag beleuchtet die Grundlagen und Besonderheiten der Ermessensreduzierung auf Null, unter Berücksichtigung der typischen Ermessensfehler und des intendierten Ermessens.
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Im Verwaltungsrecht räumt das Ermessen der Verwaltung auf der Rechtsfolgenseite einer Norm Spielräume ein. Dies geschieht, um der Behörde die Möglichkeit zu geben, ihre Entscheidungen flexibel und situationsgerecht zu treffen. Ermessen bedeutet, dass die Verwaltung nicht zwingend an eine bestimmte Rechtsfolge gebunden ist, sondern zwischen verschiedenen rechtlich zulässigen Optionen wählen kann. Diese Entscheidungsfreiheit ist notwendig, da der Gesetzgeber nicht alle denkbaren Sachverhalte im Voraus regeln kann.
Das Ermessen der Verwaltung dient dazu, einen Ausgleich zwischen der gesetzlichen Regelung und den spezifischen Anforderungen des Einzelfalls herzustellen. Es ermöglicht der Verwaltung, in Abhängigkeit von den individuellen Umständen, die optimale Entscheidung zu treffen. So wird gewährleistet, dass Verwaltungsakte den besonderen Gegebenheiten eines Falles gerecht werden, anstatt schematisch auf Grundlage starrer Regelungen erlassen zu werden. Dies ist insbesondere im Rahmen der Gefahrenabwehr oder bei der Durchsetzung von Verwaltungsmaßnahmen von Bedeutung.
Das Ermessen betrifft dabei ausschließlich die Rechtsfolgenseite einer Norm. Der Tatbestand einer Norm legt fest, unter welchen Voraussetzungen eine behördliche Maßnahme überhaupt in Betracht kommt. Ist der Tatbestand erfüllt, eröffnet das Gesetz der Behörde die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, ob und wie sie tätig wird. Dabei kann die Verwaltung zwischen verschiedenen rechtmäßigen Alternativen wählen.
Im Verwaltungsrecht wird grundsätzlich zwischen zwei Hauptarten des Ermessens unterschieden: dem Entschließungsermessen und dem Auswahlermessen. Beide Arten beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte der Entscheidungsfreiheit der Behörde.
Das Entschließungsermessen bezieht sich auf die Frage, ob die Verwaltung überhaupt tätig wird. Es geht darum, ob die Behörde bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine bestimmte Maßnahme ergreift oder ob sie von einem Eingreifen absieht. Das Entschließungsermessen kommt typischerweise in Fällen zum Tragen, in denen die Behörde eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Tätigwerden und dem individuellen Interesse des Betroffenen vornehmen muss.
Beispiel: Eine Ordnungsbehörde hat nach dem Polizeirecht das Recht, gegen eine Störung der öffentlichen Sicherheit einzuschreiten. Das Gesetz formuliert, dass sie „eingreifen kann“. Dies bedeutet, dass die Behörde entscheiden darf, ob sie im konkreten Fall tätig wird oder nicht. Falls die Störung nur geringfügig ist und keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt, könnte die Behörde davon absehen, einzuschreiten.
Das Entschließungsermessen eröffnet der Behörde somit die Möglichkeit, in Fällen, in denen ein Eingreifen nicht zwingend erforderlich ist, auf Maßnahmen zu verzichten. Dies führt dazu, dass die Verwaltung gezielt Ressourcen schonen kann und nur dann handelt, wenn es notwendig erscheint. Das Entschließungsermessen gilt insbesondere im Gefahrenabwehrrecht, in dem das Opportunitätsprinzip Anwendung findet, das der Behörde eine Abwägung im Einzelfall erlaubt.
Während das Entschließungsermessen das „Ob“ des Tätigwerdens betrifft, regelt das Auswahlermessen das „Wie“. Hat sich die Behörde entschieden, tätig zu werden, kann sie im Rahmen des Auswahlermessens entscheiden, welche Maßnahme sie konkret ergreift und gegen wen diese gerichtet wird.
Beispiel: Wenn die Polizei sich entschließt, bei einer Demonstration zur Gefahrenabwehr einzuschreiten, muss sie entscheiden, ob sie die Demonstration vollständig auflöst, bestimmte Auflagen erlässt oder lediglich einzelne Personen zur Verantwortung zieht.
Das Auswahlermessen spielt insbesondere eine Rolle, wenn die Verwaltung unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung hat, die zur Erreichung des gesetzlich vorgesehenen Zwecks führen. Wichtig ist dabei, dass die Entscheidung stets im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehen muss. Dies bedeutet, dass die gewählte Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, um das angestrebte legitime Ziel zu erreichen.
Auch wenn der Behörde im Rahmen des Ermessens Entscheidungsspielräume eingeräumt werden, so ist diese Entscheidungsfreiheit nicht unbegrenzt. Die Ausübung des Ermessens unterliegt rechtlichen Schranken. Diese Grenzen ergeben sich aus den Vorgaben der jeweiligen Ermächtigungsnorm sowie aus allgemeinen Grundsätzen, wie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Willkürverbot. Hinzu kommt, dass das Ermessen stets pflichtgemäß auszuüben ist. Dies bedeutet, dass die Behörde ihre Entscheidung nach den Maßgaben des Gesetzes und unter Berücksichtigung der relevanten öffentlichen und privaten Interessen treffen muss.
Es dürfen also keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung einfließen, und die Entscheidung muss auf einer sorgfältigen Abwägung der betroffenen Interessen beruhen. Verstößt die Behörde gegen diese Anforderungen, liegt ein Ermessensfehler vor, der die Entscheidung rechtswidrig macht.
Zu den Ermessensfehlern gehören:
Die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen erfolgt gemäß § 114 VwGO nur in Bezug auf die Einhaltung dieser Schranken. Das Gericht darf nicht selbst die Zweckmäßigkeit der Entscheidung überprüfen, sondern lediglich, ob ein Ermessensfehler vorliegt.
Während die Behörde grundsätzlich im Rahmen eines Ermessensspielraums zwischen verschiedenen Handlungsoptionen wählen kann, gibt es Situationen, in denen dieser Spielraum faktisch aufgehoben wird, sogenannte Ermessensreduzierung auf Null. Das bedeutet, dass die Behörde nur noch eine einzige, rechtmäßige Entscheidung treffen kann, obwohl das Gesetz ihr eigentlich Ermessen einräumt.
Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt dann vor, wenn die Umstände des Einzelfalls so gestaltet sind, dass der Verwaltung praktisch keine andere Wahl bleibt, als eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Dies geschieht insbesondere in Fällen, in denen der Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter, wie Grundrechte oder zentrale Interessen der öffentlichen Sicherheit, auf dem Spiel steht. Typische Beispiele hierfür sind Situationen, in denen Grundrechte wie Leib und Leben (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG) oder die Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG) bedroht sind.
Im Wesentlichen geht es bei der Ermessensreduzierung auf Null darum, dass das Ermessen in einem solchen Fall rechtlich so stark eingeschränkt ist, dass nur noch eine einzige Entscheidung den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Damit wird die Entscheidung der Behörde zwar formal als Ermessensentscheidung deklariert, faktisch jedoch handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Ein Abweichen von dieser einzig rechtmäßigen Lösung würde einen Ermessensfehler und damit eine Rechtswidrigkeit der Entscheidung nach sich ziehen.
Die Ermessensreduzierung auf Null tritt in verschiedenen Konstellationen auf. Besonders häufig findet man sie im Bereich der Gefahrenabwehr, bei erheblichen Eingriffen in Grundrechte oder in Fällen, in denen die Selbstbindung der Verwaltung eine einheitliche Entscheidungsfindung erzwingt. Zu den wichtigsten Anwendungsbereichen gehören:
Wenn hohe Rechtsgüter, wie Leib, Leben, Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit, gefährdet sind, ist das Ermessen der Behörde in der Regel auf Null reduziert. Dies bedeutet, dass die Behörde keine echte Wahl mehr hat, ob sie eingreifen soll oder nicht. Stattdessen ist sie aufgrund der Dringlichkeit des Schutzes dieser Rechtsgüter verpflichtet, tätig zu werden.
Beispiel: Eine stark alkoholisierte Person wird im Winter bei Minusgraden bewusstlos auf einer Parkbank aufgefunden. In einem normalen Fall hätte die Polizei das Ermessen, ob sie eingreift oder nicht, doch aufgrund der akuten Gefahr für das Leben der Person (Gefahr des Erfrierens) ist das Ermessen der Polizei auf Null reduziert. Die Polizei muss in diesem Fall handeln, um Leib und Leben der betroffenen Person zu schützen.
Eine Ermessensreduzierung auf Null kann auch eintreten, wenn es darum geht, Grundrechte zu schützen. Dies geschieht vor allem dann, wenn ein hohes Grundrecht durch das behördliche Unterlassen schwerwiegend beeinträchtigt würde. Besonders häufig wird die Ermessensreduzierung auf Null im Zusammenhang mit Artikel 2 Absatz 2 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und Artikel 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) angewandt.
Ein weiterer Bereich, in dem die Ermessensreduzierung auf Null eintreten kann, ist die Selbstbindung der Verwaltung. Wenn die Verwaltung in der Vergangenheit in einer Vielzahl ähnlicher Fälle immer dieselbe Entscheidung getroffen hat, ist sie aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Artikel 3 Absatz 1 GG) verpflichtet, auch in einem neuen, gleichartigen Fall entsprechend zu entscheiden. Andernfalls würde sie gegen den Gleichheitssatz verstoßen, der fordert, dass gleiche Fälle gleich behandelt werden.
Beispiel: Eine Stadtverwaltung erteilt regelmäßig Sondernutzungserlaubnisse für das Anbringen von Wahlplakaten während der Wahlkampfzeit. Ein neuer Antrag auf eine solche Erlaubnis darf nicht willkürlich abgelehnt werden, weil die Verwaltung sich durch ihre bisherige Praxis selbst gebunden hat. Ihr Ermessen ist auf Null reduziert, und sie muss auch in diesem Fall die Erlaubnis erteilen.
Die Ermessensreduzierung auf Null hat weitreichende Folgen für die gerichtliche Überprüfung behördlicher Entscheidungen. Liegt ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor, ist die Verwaltung praktisch gebunden, eine bestimmte Entscheidung zu treffen. Tut sie dies nicht, begeht sie einen Ermessensfehler, der zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führt.
In solchen Fällen kann ein Gericht die Behörde nicht nur zur erneuten Entscheidung verpflichten, sondern sie direkt anweisen, die einzig rechtmäßige Entscheidung zu treffen. Das Gericht kann dann im Rahmen eines Verpflichtungsurteils gemäß § 113 Absatz 5 VwGO die Behörde zur Vornahme der gebotenen Amtshandlung verurteilen, da hier keine Ermessensentscheidung im eigentlichen Sinne mehr vorliegt.
Eine Besonderheit, die oft mit der Ermessensreduzierung auf Null verwechselt wird, ist das sogenannte intendierte Ermessen. Beim intendierten Ermessen gibt der Gesetzgeber eine bestimmte Handlungsrichtung vor, lässt aber in atypischen Ausnahmefällen Abweichungen zu. Anders als bei der Ermessensreduzierung auf Null ist das intendierte Ermessen jedoch grundsätzlich noch offen für alternative Entscheidungen, wenn atypische Umstände vorliegen.
Beispiel: Eine Gewerbeaufsichtsbehörde kann nach § 15 GewO ein Gewerbe schließen, wenn keine Erlaubnis vorliegt. Hier handelt es sich um ein intendiertes Ermessen, da die Behörde in der Regel zur Schließung verpflichtet ist, es jedoch in atypischen Fällen anders entscheiden kann.
Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, der auf einer Ermessensnorm beruht, kommt die Ermessensreduzierung auf Null als spezifische Konstellation innerhalb der Ermessensausübung infrage. Diese wird im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit geprüft, nachdem festgestellt wurde, dass die Behörde über ein Ermessen verfügt.
Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt vor, wenn die Behörde in einer besonderen Situation aufgrund der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter oder besonderer Umstände nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung treffen kann. Klausurtaktisch ist dies immer dann relevant, wenn im Sachverhalt auf die Gefährdung besonders schutzwürdiger Rechtsgüter hingewiesen wird, wie z.B. auf Leben, Gesundheit oder Grundrechte.
Achten Sie im Klausurfall auf Formulierungen, die auf eine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben, Grundrechten oder besonders wichtigen Interessen hinweisen. Beispiele sind:
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