Die Deliktsfähigkeit bestimmt, ob eine Person für eine von ihr verursachte unerlaubte Handlung haftbar gemacht werden kann. In diesem Beitrag wird detailliert erklärt, was der Begriff “Deliktsfähigkeit” bedeutet, welche gesetzlichen Grundlagen es gibt und wie die Deliktsfähigkeit in Abhängigkeit von Alter und geistigem Zustand variiert. Zusätzlich werden praxisnahe Beispiele vorgestellt, um das Verständnis für diesen wichtigen rechtlichen Aspekt des Deliktsrechts zu vertiefen.
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Die Deliktsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit einer Person, für eine von ihr begangene unerlaubte Handlung haftbar gemacht zu werden. Sie ist ein Teilbereich der Handlungsfähigkeit und wird im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) insbesondere in den §§ 827 und 828 geregelt. Die Deliktsfähigkeit setzt voraus, dass der Schädiger die geistigen Voraussetzungen besitzt, um das Unrecht seines Handelns zu erkennen und entsprechend zu verantworten.
Die §§ 827 und 828 BGB bilden die gesetzliche Grundlage der Deliktsfähigkeit:
Die Einsichtsfähigkeit ist ein entscheidendes Kriterium für die Deliktsfähigkeit. Sie bezeichnet die Fähigkeit einer Person, die Tragweite und die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns zu erkennen. Dies bedeutet, dass eine Person nur dann deliktsfähig ist, wenn sie in der Lage ist, die Konsequenzen ihrer Handlungen zu verstehen und zu beurteilen, ob diese Handlungen rechtlich zulässig sind.
Die Deliktsfähigkeit ist von der Schuldfähigkeit abzugrenzen. Während die Deliktsfähigkeit im Zivilrecht verankert ist und sich auf die Haftung für unerlaubte Handlungen bezieht, ist die Schuldfähigkeit ein Begriff des Strafrechts und betrifft die Fähigkeit einer Person, für strafrechtlich relevante Taten verantwortlich gemacht zu werden.
Die Deliktsfähigkeit variiert stark in Abhängigkeit vom Alter und der geistigen Verfassung einer Person. Grundsätzlich wird zwischen drei Kategorien unterschieden: der Deliktsunfähigkeit, der beschränkten Deliktsfähigkeit und der vollen Deliktsfähigkeit.
Kinder unter sieben Jahren sind grundsätzlich deliktsunfähig. Das bedeutet, sie können für Schäden, die sie verursachen, nicht haftbar gemacht werden. Diese Regelung berücksichtigt die Tatsache, dass kleine Kinder noch nicht in der Lage sind, das Unrecht ihres Handelns zu verstehen. Die Deliktsunfähigkeit von Kindern unter sieben Jahren schützt sie vor rechtlichen Konsequenzen, da ihre kognitiven Fähigkeiten noch nicht ausreichend entwickelt sind, um die Tragweite und Folgen ihrer Handlungen zu erkennen.
Beispiel: Ein fünfjähriges Kind spielt im Garten und wirft versehentlich einen Ball durch das Fenster des Nachbarn, wodurch dieses zerbricht. Da das Kind unter sieben Jahre alt und somit deliktsunfähig ist, kann es für den verursachten Schaden nicht haftbar gemacht werden.
Kinder zwischen sieben und zehn Jahren (§ 828 Absatz 2 BGB): Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren sind in bestimmten Fällen ebenfalls deliktsunfähig. Insbesondere bei Verkehrsunfällen, an denen ein Kraftfahrzeug, eine Schienenbahn oder eine Schwebebahn beteiligt ist, haften sie für fahrlässig verursachte Schäden nicht. Diese Regelung trägt der besonderen Gefährdungssituation im Straßenverkehr Rechnung, der Kinder in diesem Alter häufig nicht gewachsen sind.
Beispiel: Ein achtjähriges Kind läuft plötzlich auf die Straße und wird von einem Auto angefahren. Dabei beschädigt es das Auto. Aufgrund der Deliktsunfähigkeit nach § 828 Absatz 2 BGB haftet das Kind nicht für den verursachten Schaden, da es die Gefahren im Straßenverkehr noch nicht vollständig einschätzen kann.
Jugendliche zwischen sieben und 18 Jahren (§ 828 Absatz 3 BGB)
Jugendliche zwischen sieben und 18 Jahren sind grundsätzlich beschränkt deliktsfähig. Das bedeutet, dass sie nur dann für einen verursachten Schaden haften, wenn sie die notwendige Einsichtsfähigkeit besitzen, um das Unrecht ihrer Handlung zu erkennen. Diese Einsichtsfähigkeit muss im Einzelfall geprüft werden.
Beispiel: Ein 14-jähriger Junge verursacht in der Schule einen Schaden, indem er mutwillig ein Fenster einschlägt. Ob er für den Schaden haftbar gemacht werden kann, hängt davon ab, ob er die Einsichtsfähigkeit hatte, das Unrecht seiner Handlung zu erkennen. In diesem Alter ist davon auszugehen, dass er wusste, dass das Einschlagen eines Fensters falsch ist, und somit beschränkt deliktsfähig ist.
Personen ab 18 Jahren sind voll deliktsfähig. Das bedeutet, sie können für alle von ihnen verursachten Schäden haftbar gemacht werden, unabhängig davon, ob sie vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Volljährige Personen werden als geistig und emotional reif genug angesehen, um die Tragweite und Konsequenzen ihres Handelns zu erkennen und entsprechend zu verantworten.
Beispiel: Ein 20-jähriger Fahrer verursacht einen Unfall, weil er während der Fahrt sein Handy benutzt. Als voll deliktsfähige Person haftet er für alle durch den Unfall verursachten Schäden, da er die Gefahren des Fahrens mit Handybenutzung kannte und dennoch fahrlässig gehandelt hat.
Nicht nur das Alter, sondern auch der geistige Zustand einer Person spielt eine entscheidende Rolle für die Deliktsfähigkeit. Nach § 827 BGB sind Personen, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit handeln, grundsätzlich deliktsunfähig. Hierzu zählen schwere psychische Erkrankungen, geistige Behinderungen oder Zustände, die die freie Willensbestimmung ausschließen.
§ 827 BGB regelt die Deliktsunfähigkeit von Personen, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit handeln. Diese Zustände müssen so schwerwiegend sein, dass sie die Fähigkeit zur freien Willensbestimmung ausschließen.
Beispiele für krankhafte Störungen:
Beispiel: Ein 35-jähriger Mann mit einer diagnostizierten schweren Schizophrenie verursacht während eines akuten Schubs einen Sachschaden. Da er aufgrund seiner Erkrankung die Kontrolle über seine Handlungen verloren hat, gilt er gemäß § 827 BGB als deliktsunfähig und haftet nicht für den entstandenen Schaden.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf selbstverschuldeten Zuständen wie Alkohol- oder Drogeneinfluss. Nach § 827 Satz 2 BGB schließt der selbstverschuldete Rauschzustand die Deliktsunfähigkeit nicht aus. In solchen Fällen besteht eine zivilrechtliche Haftung, wenn die Handlung auch bei fahrlässiger Begehung zum Schadensersatz verpflichtet.
Rauschzustände: Selbstverschuldete Rauschzustände durch Alkohol- oder Drogeneinfluss sind ein häufiger Fall, in dem die Frage der Deliktsfähigkeit relevant wird. Personen, die sich bewusst in einen solchen Zustand versetzen, können sich nicht auf ihre Deliktsunfähigkeit berufen, wenn sie in diesem Zustand einen Schaden verursachen.
Beispiel: Ein 28-jähriger Mann betrinkt sich stark auf einer Party und verursacht auf dem Heimweg einen Verkehrsunfall. Obwohl er zum Zeitpunkt des Unfalls betrunken war und seine Handlungen nicht vollständig kontrollieren konnte, haftet er für den entstandenen Schaden. Der selbstverschuldete Rauschzustand schließt seine Deliktsfähigkeit nicht aus.
Die Beweislast für die Deliktsunfähigkeit liegt beim Schädiger. Das bedeutet, dass die betroffene Person nachweisen muss, dass sie zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung nicht deliktsfähig war. Dies kann durch Vorlage ärztlicher Gutachten, Zeugenaussagen oder anderer Beweise geschehen.
Beispiel: Eine Frau mit einer diagnostizierten bipolaren Störung verursacht in einem manischen Schub einen Sachschaden. Um ihre Deliktsunfähigkeit nachzuweisen, legt sie ein ärztliches Gutachten vor, das bestätigt, dass sie zum Zeitpunkt der Handlung nicht in der Lage war, ihre Handlungen zu kontrollieren und deren Unrechtmäßigkeit zu erkennen.
Selbst bei Personen mit chronischen geistigen Störungen kann es „lichte Momente“ geben, in denen sie vorübergehend in der Lage sind, die Tragweite ihres Handelns zu verstehen. In solchen Fällen kann die Person für Handlungen, die während dieser lichten Momente begangen werden, haftbar gemacht werden.
Beispiel: Ein Mann mit einer schweren bipolaren Störung erlebt einen „lichten Moment“ und handelt während dieser Zeit rational und überlegt. Wenn er in dieser Phase einen Schaden verursacht, kann er für diesen Schaden haftbar gemacht werden, da er in der Lage war, die Konsequenzen seines Handelns zu erkennen.
Personen, die unter rechtlicher Betreuung stehen, haften grundsätzlich selbst für Schäden, die sie anderen zufügen. Die Bestellung eines gesetzlichen Betreuers führt nicht automatisch zum Ausschluss der Deliktsfähigkeit. Der Betreute haftet jedoch nicht, wenn er den Schaden im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit verursacht hat. Eine mögliche Haftung des Betreuers kann sich aus der Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB ergeben.
Beispiel: Ein betreuter Erwachsener mit einer schweren geistigen Behinderung verursacht einen Sachschaden. Der Betreute haftet nicht für den Schaden, da er im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit gehandelt hat. Allerdings könnte der gesetzliche Betreuer haftbar gemacht werden, wenn er seine Aufsichtspflicht verletzt hat.
In Ausnahmefällen können auch deliktsunfähige Personen zum Schadensersatz herangezogen werden. Nach § 829 BGB kann eine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht bestehen, wenn dies die Billigkeit erfordert. Dabei wird berücksichtigt, ob der Ersatzpflichtige finanziell in der Lage ist, den Schaden zu tragen, ohne selbst in erheblichem Maße beeinträchtigt zu werden. Diese Regelung wird gelegentlich als „Millionärsparagraph“ bezeichnet, da sie vor allem bei finanziell gut gestellten Schädigern zur Anwendung kommt.
Die Anwendung der gesetzlichen Regelungen zur Deliktsfähigkeit soll im Nachfolgenden durch verschiedene Fallbeispiele verdeutlicht werden.
Beispiel 1: Deliktsunfähigkeit bei Kindern
Ein vierjähriges Kind zerstört das Smartphone eines Nachbarn im Kindergarten. Aufgrund seiner Deliktsunfähigkeit nach § 828 Absatz 1 BGB haftet das Kind nicht für den entstandenen Schaden. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder in diesem Alter die Tragweite ihrer Handlungen nicht verstehen können. Seine Eltern könnten eventuell zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihnen eine Verletzung der Aufsichtspflicht nachgewiesen werden kann.
Beispiel 2: Beschränkte Deliktsfähigkeit bei Jugendlichen
Ein 15-jähriger Jugendlicher verursacht einen Unfall, indem er beim Fahrradfahren unachtsam gegen ein parkendes Auto fährt und dieses beschädigt. Hier muss geprüft werden, ob der Jugendliche die nötige Einsichtsfähigkeit hatte, um die Unrechtmäßigkeit seines Handelns zu erkennen. Ist dies der Fall, kann er für den Schaden haftbar gemacht werden.
Beispiel 3: Volle Deliktsfähigkeit bei Erwachsenen
Ein 25-jähriger Autofahrer verursacht einen Unfall, weil er während der Fahrt eine Nachricht über WhatsApp formuliert und dabei die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert. Aufgrund seiner vollen Deliktsfähigkeit muss er für den entstandenen Schaden haften.
Beispiel 4: Deliktsunfähigkeit aufgrund geistiger Erkrankung
Eine 32-jährige Frau mit schwerer Schizophrenie zerstört während eines psychotischen Schubs die Einrichtung eines Cafés. Aufgrund ihrer Erkrankung gilt sie nach § 827 BGB als deliktsunfähig.
Beispiel 5: Selbstverschuldeter Rauschzustand
Ein 30-jähriger Mann betrinkt sich stark auf einer Feier und beschädigt auf dem Heimweg mutwillig einen geparkten Wagen. Trotz seines Rauschzustands bleibt er haftbar für den entstandenen Schaden, vgl. § 827 Satz 2 BGB.
Beispiel 6: Temporäre Bewusstlosigkeit
Ein 40-jähriger Mann hat einen epileptischen Anfall und verursacht währenddessen einen Verkehrsunfall. Aufgrund seiner Bewusstlosigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls haftet er nicht für den entstandenen Schaden.
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