Ein solcher rechtfertigender Grund könnte beispielsweise die Lieferung einer mangelhaften Ware sein, bei der der Gläubiger berechtigt ist, die Annahme zu verweigern, ohne in Annahmeverzug zu geraten.
II. Voraussetzungen des Annahmeverzugs (Annahmeverzug Schema)
Damit ein Annahmeverzug nach den §§ 293 ff. BGB vorliegt, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein, die im Folgenden näher beleuchtet werden:
1. Erfüllbarer Anspruch (§ 271 BGB)
Die erste Voraussetzung für einen Annahmeverzug ist das Bestehen eines erfüllbaren Anspruchs des Gläubigers gegen den Schuldner. Dies bedeutet, dass der Schuldner überhaupt die Pflicht hat, die Leistung zu erbringen, und dass der Zeitpunkt zur Leistungserbringung erreicht ist. Gemäß § 271 Absatz 1 BGB ist die Leistung grundsätzlich sofort fällig, wenn kein bestimmter Zeitpunkt im Vertrag festgelegt wurde. Wurde jedoch ein konkreter Termin oder Zeitraum zur Leistungserbringung vereinbart, muss die Leistung zu diesem Zeitpunkt erfolgen.
Beispiel:
Ein Bauunternehmer hat sich vertraglich verpflichtet, am 1. Juli ein Haus zu übergeben. Der Gläubiger, in diesem Fall der Auftraggeber, ist ab diesem Tag berechtigt, die Leistung (also die Übergabe des Hauses) zu verlangen. Sollte der Bauunternehmer die Übergabe am 1. Juli anbieten und der Auftraggeber diese verweigern, besteht ein erfüllbarer Anspruch, und es könnte Annahmeverzug eintreten.
2. Ordnungsgemäßes Angebot der Leistung (§ 294 BGB)
Damit ein Annahmeverzug eintritt, muss der Schuldner dem Gläubiger die Leistung ordnungsgemäß anbieten (§ 294 BGB). Das bedeutet, dass die Leistung am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und in der richtigen Art und Weise angeboten werden muss. Ein reines Angebot reicht nicht aus – es muss so beschaffen sein, dass der Gläubiger die Leistung unmittelbar annehmen kann.
Beispiel:
Ein Schreiner hat sich verpflichtet, einen Tisch an die Wohnung des Kunden zu liefern. Er klingelt an der Haustür zur vereinbarten Zeit, um den Tisch zu übergeben. Dieses Angebot gilt als ordnungsgemäß, da der Schreiner den Tisch am richtigen Ort und zur vereinbarten Zeit anbietet.
3. Wörtliches Angebot (§ 295 BGB)
Wenn der Gläubiger bereits vorab erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen wird, muss der Schuldner die Leistung nicht tatsächlich anbieten (§ 295 BGB). In einem solchen Fall genügt ein sogenanntes “wörtliches Angebot”, also eine mündliche oder schriftliche Mitteilung, dass der Schuldner bereit ist, die Leistung zu erbringen. Dies vermeidet unnötige Handlungen und ermöglicht dennoch das Eintreten des Annahmeverzugs.
Beispiel:
Ein Gärtner wurde beauftragt, eine Hecke zu schneiden, doch der Kunde teilt ihm mit, dass er den Service nicht mehr in Anspruch nehmen möchte. Der Gärtner braucht die Hecke dann nicht tatsächlich schneiden, sondern kann mündlich oder schriftlich erklären, dass er bereit ist, die Arbeit zu leisten. Dies reicht aus, um den Kunden in Annahmeverzug zu setzen.
4. Entbehrlichkeit des Angebots (§ 296 BGB)
In einigen Fällen ist sogar ein wörtliches Angebot nicht notwendig. Wenn der Gläubiger eine Handlung vornehmen muss, um die Leistung entgegenzunehmen, und diese Handlung zu einem festen Zeitpunkt erfolgen sollte, kann auf das Angebot des Schuldners gem. § 296 BGB verzichtet werden.
Beispiel:
Der Schuldner soll eine Lieferung an einem bestimmten Tag abholen, der im Vertrag festgelegt ist. Wenn der Gläubiger zu diesem Zeitpunkt nicht erscheint, kommt er in Annahmeverzug, ohne dass der Schuldner ihm die Leistung aktiv anbieten muss.
5. Keine Annahme der Leistung durch den Gläubiger (§ 293 BGB)
Die nächste Voraussetzung ist, dass der Gläubiger die ordnungsgemäß angebotene Leistung tatsächlich nicht annimmt. Dies kann entweder dadurch geschehen, dass der Gläubiger die Annahme ausdrücklich verweigert, oder einfach untätig bleibt. Eine ausdrückliche Ablehnung der Leistung ist nicht erforderlich – es genügt bereits, wenn der Gläubiger nicht handelt und die Leistung nicht annimmt.
Beispiel:
Ein Lieferant stellt Lebensmittel zur vereinbarten Zeit beim Händler ab, der Händler ist jedoch nicht anwesend oder weigert sich, die Lieferung entgegenzunehmen. Der Händler befindet sich in Annahmeverzug, da er die Annahme der vertragsgemäß angebotenen Ware verweigert.
6. Leistungsfähigkeit des Schuldners (§ 297 BGB)
Der Schuldner muss zur Zeit des Angebots auch in der Lage sein, die Leistung zu erbringen (§ 297 BGB). Ist der Schuldner aus irgendeinem Grund (z.B. Krankheit oder Zerstörung der Ware) nicht in der Lage, die Leistung zu erbringen, kann kein Annahmeverzug eintreten. Die Leistungsfähigkeit ist eine grundlegende Voraussetzung für den Annahmeverzug.
Beispiel:
Ein Handwerker hat sich verpflichtet, ein Dach zu reparieren, ist aber erkrankt und kann daher nicht zur Arbeit erscheinen. Da er die Leistung nicht erbringen kann, kann der Gläubiger auch nicht in Annahmeverzug geraten, selbst wenn er die Annahme der Leistung verweigert hätte.
7. Zusammenfassung des Schemas zum Annahmeverzug:
- Erfüllbarer Anspruch (§ 271 BGB): Der Schuldner muss zur Leistung berechtigt sein.
- Ordnungsgemäßes Angebot (§ 294 BGB): Die Leistung muss vertragsgemäß angeboten werden.
- Wörtliches Angebot (§ 295 BGB): Genügt, wenn der Gläubiger die Leistung vorab verweigert.
- Entbehrlichkeit des Angebots (§ 296 BGB): Kein Angebot erforderlich, wenn der Gläubiger eine Handlung unterlassen hat.
- Keine Annahme der Leistung (§ 293 BGB): Der Gläubiger nimmt die ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht an.
- Leistungsfähigkeit des Schuldners (§ 297 BGB): Der Schuldner muss in der Lage sein, die Leistung zu erbringen.
III. Rechtsfolgen des Annahmeverzugs
Der Annahmeverzug hat verschiedene Rechtsfolgen, die insbesondere den Schuldner betreffen und ihm Vorteile verschaffen:
- Haftungsminderung: Eine wesentliche Folge des Annahmeverzugs ist die Haftungsmilderung zugunsten des Schuldners. Nach § 300 Absatz 1 BGB haftet der Schuldner im Falle des Annahmeverzugs nur noch für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Dies bedeutet, dass er für einfache Fahrlässigkeit nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann.
- Übergang der Leistungsgefahr: Im Annahmeverzug geht die Leistungsgefahr auf den Gläubiger über. Dies ist insbesondere bei Gattungsschulden von Bedeutung. Geht die Sache während des Annahmeverzugs zufällig unter oder wird sie beschädigt, bleibt der Gläubiger zur Zahlung verpflichtet, auch wenn die Leistung nicht mehr erbracht werden kann (§ 300 Absatz 2 BGB).
- Anspruch auf Aufwendungsersatz: Der Schuldner kann gemäß § 304 BGB Ersatz für die Mehraufwendungen verlangen, die ihm durch den Annahmeverzug entstanden sind. Dazu gehören etwaige Lagerkosten oder Transportkosten, die durch die Verweigerung der Annahme der Leistung durch den Gläubiger verursacht wurden.
- Übergang der Preisgefahr: Bei gegenseitigen Verträgen geht die Preisgefahr auf den Gläubiger über, wenn dieser sich im Annahmeverzug befindet. Das bedeutet, dass der Gläubiger trotz der Nichtannahme der Leistung die Gegenleistung, also etwa den Kaufpreis, schuldet (§ 326 Absatz 2 Satz 1 Var. 2 BGB).
IV. Annahmeverzug im Arbeitsrecht
Der Annahmeverzug hat im Arbeitsrecht eine besondere Bedeutung, da hier die Konsequenzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer weitreichender sind. Der zentrale Anknüpfungspunkt ist § 615 BGB, der den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers regelt, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht annimmt. Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Eine Ausnahme hiervon stellt der Annahmeverzug des Arbeitgebers dar: Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, hat der Arbeitnehmer das Recht auf seine volle Vergütung, ohne die Arbeitsleistung erbringen zu müssen.
1. Annahmeverzug des Arbeitgebers – Was bedeutet das?
Im Rahmen des Annahmeverzugs wird der Arbeitgeber als “Gläubiger” der Arbeitsleistung betrachtet, während der Arbeitnehmer der “Schuldner” ist, der die Arbeitsleistung schuldet. Der Annahmeverzug tritt ein, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß anbietet, der Arbeitgeber jedoch die Annahme verweigert oder unterlässt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Weigerung ausdrücklich oder nur durch Untätigkeit erfolgt.
Besonders relevant ist der Annahmeverzug im Rahmen von Kündigungsschutzklagen. Wenn ein Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, der Arbeitnehmer dagegen gerichtlich vorgeht und das Gericht die Kündigung als unwirksam erklärt, befindet sich der Arbeitgeber rückwirkend im Annahmeverzug. In diesem Fall schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die gesamte Vergütung für den Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer unrechtmäßig von der Arbeit freigestellt war – auch wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Annahmeverzug stellt somit sicher, dass der Arbeitnehmer finanziell so gestellt wird, als wäre er weiterhin beschäftigt gewesen.
Beispiel:
Ein Arbeitgeber kündigt einem Arbeitnehmer zum 1. Januar. Der Arbeitnehmer hält die Kündigung für unwirksam und klagt vor dem Arbeitsgericht. Im Juli entscheidet das Gericht, dass die Kündigung unrechtmäßig war. Der Arbeitgeber befindet sich rückwirkend seit dem 1. Januar im Annahmeverzug und muss den gesamten Lohn für diesen Zeitraum nachzahlen, selbst wenn der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist nicht gearbeitet hat.
2. Voraussetzungen für den Annahmeverzug im Arbeitsrecht
Damit ein Annahmeverzug des Arbeitgebers eintreten kann, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Erfüllbares Arbeitsverhältnis
Es muss ein wirksames Arbeitsverhältnis bestehen. Dies bedeutet, dass der Arbeitsvertrag nicht beendet oder unwirksam sein darf. Im Falle eines Kündigungsschutzprozesses besteht das Arbeitsverhältnis bis zu einer gerichtlichen Entscheidung fort, sofern die Kündigung für unwirksam erklärt wird.
- Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer muss zur Erbringung der Arbeitsleistung in der Lage sein (also arbeitsfähig sein) und diese auch anbieten (arbeitsbereit sein). Er kann dies durch ein tatsächliches oder wörtliches Angebot tun. In vielen Fällen genügt bereits die Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber bereits signalisiert hat, dass er die Arbeitsleistung nicht annehmen will (vgl. § 296 BGB).
- Ordnungsgemäßes Angebot der Arbeitsleistung (§ 294 BGB)
Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsleistung so anbieten, wie es vertraglich vereinbart ist – zur richtigen Zeit und am richtigen Ort. Ist es dem Arbeitgeber aufgrund einer Mitwirkungshandlung unmöglich, die Leistung anzunehmen (z. B. weil er keinen Arbeitsplatz bereitstellt), genügt ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers (§ 295 BGB).
- Unterlassene Annahme der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber (§ 293 BGB)
Der Arbeitgeber muss die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verweigern oder die Annahme unterlassen. Dies kann durch eine ausdrückliche Weigerung oder durch Untätigkeit geschehen. Auch eine Kündigung kann als solche Weigerung gewertet werden, wodurch der Annahmeverzug ohne weiteres Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer eintreten kann (§ 296 BGB).
3. Besonderheiten im Arbeitsrecht: § 615 BGB und das Betriebsrisiko
Eine Besonderheit des Annahmeverzugs im Arbeitsrecht ergibt sich aus der Anwendung von § 615 Satz 1 BGB. Diese Vorschrift regelt, dass der Arbeitgeber, der sich im Annahmeverzug befindet, dem Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung schuldet, ohne dass dieser zur Nachleistung verpflichtet ist. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht annimmt, trotzdem seinen Lohn erhält, ohne die versäumte Arbeit nachholen zu müssen.
Im Arbeitsrecht trägt der Arbeitgeber das sogenannte Betriebsrisiko. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringen kann. Fällt z. B. aufgrund einer Betriebsstörung oder aus wirtschaftlichen Gründen Arbeit aus, ist der Arbeitgeber weiterhin zur Zahlung des Lohns verpflichtet, selbst wenn der Arbeitnehmer nicht arbeiten kann.
Beispiel:
Der Betrieb eines Unternehmens wird durch einen Stromausfall lahmgelegt, und der Arbeitgeber kann seinen Arbeitnehmern keine Arbeit zur Verfügung stellen. Da der Arbeitgeber für das Betriebsrisiko verantwortlich ist, muss er den Arbeitnehmern dennoch ihre Vergütung zahlen, obwohl sie aufgrund der Störung nicht arbeiten konnten.
4. “Arbeit auf Abruf” und der Annahmeverzug
Ein besonderer Fall des Annahmeverzugs im Arbeitsrecht tritt bei der sogenannten Arbeit auf Abruf auf, die in § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) geregelt ist. Bei der Arbeit auf Abruf wird der Arbeitnehmer nur dann zur Arbeit gerufen, wenn der Arbeitgeber ihn benötigt. Hierbei kommt es jedoch oft zu Problemen, wenn der Arbeitgeber die Arbeit nicht abruft, obwohl der Arbeitnehmer zur Verfügung steht.
Wird keine Arbeitszeit festgelegt, gilt seit der Änderung des TzBfG eine fiktive Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche (§ 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG). Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer so bezahlt wird, als hätte er 20 Stunden pro Woche gearbeitet, selbst wenn er vom Arbeitgeber nicht abgerufen wurde. Dies stellt eine wichtige Schutzvorschrift für Arbeitnehmer dar, um in Fällen des Annahmeverzugs, in denen der Arbeitgeber keine Arbeit abruft, dennoch Anspruch auf eine Vergütung zu haben.
Beispiel:
Ein Arbeitnehmer hat einen Vertrag über Arbeit auf Abruf und wurde in einer Woche nicht zur Arbeit gerufen. Da keine konkrete Arbeitszeit vereinbart wurde, greift die 20-Stunden-Fiktion aus dem TzBfG, und der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Bezahlung für diese 20 Stunden, auch wenn er tatsächlich nicht gearbeitet hat.