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Die Anfechtung – Prinzipien, Anfechtungsgründe, Prüfungsschema, Rechtsfolgen

Die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts stellt in der deutschen Rechtsordnung ein zentrales Instrument dar, mit dem sich Vertragsparteien aufgrund des Vorliegens eines der Anfechtungsgründe von einem Rechtsgeschäft lösen können. Die rechtlichen Grundlagen für die Anfechtung finden sich in den §§ 119, 120, 123, 142 und 143 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Eine erfolgreiche Anfechtung führt dazu, dass das betroffene Rechtsgeschäft rückwirkend als von Anfang an nichtig angesehen wird (ex tunc).

I. Prinzipien der Anfechtung

Die Prinzipien der Anfechtung sind von grundlegender Bedeutung, da sie den rechtlichen Rahmen definieren, innerhalb dessen Anfechtungsrechte in Bezug auf die Ungültigkeit von Rechtsgeschäften geltend gemacht werden können. Diese Prinzipien stellen sicher, dass die Anfechtung als juristisches Instrument nicht missbräuchlich eingesetzt wird, sondern dazu dient, die Gerechtigkeit und Fairness im Rechtsverkehr zu wahren. Im Folgenden werden diese Prinzipien detaillierter erläutert.

Rechtliche Autonomie und Fairness: Die Möglichkeit, ein Rechtsgeschäft anzufechten, basiert auf dem Prinzip der rechtlichen Autonomie, das besagt, dass Individuen die Freiheit haben sollten, ihre rechtlichen Beziehungen durch Verträge zu gestalten. Wenn jedoch ein Vertrag unter Umständen abgeschlossen wurde, die diese Autonomie beeinträchtigen (z.B. durch Täuschung oder Irrtum), bietet das Anfechtungsrecht ein Korrektiv, um die Fairness und Gleichheit der Vertragsparteien wiederherzustellen.

Schutz vor ungewollten Rechtsfolgen: Ein weiteres wichtiges Prinzip ist der Schutz der Vertragsparteien vor ungewollten Rechtsfolgen. Wenn eine Partei unter einem Irrtum leidet oder getäuscht wird, entspricht das resultierende Rechtsgeschäft nicht ihrem wahren Willen. Die Anfechtung erlaubt es in solchen Fällen, das Geschäft rückwirkend zu nullifizieren und die Parteien soweit möglich in den Stand vor Vertragsschluss zurückzuversetzen.

Sicherheit des Rechtsverkehrs: Gleichzeitig steht das Anfechtungsrecht in einem Spannungsverhältnis zur Sicherheit des Rechtsverkehrs. Die Möglichkeit der Anfechtung darf nicht dazu führen, dass die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit rechtlicher Transaktionen untergraben wird. Aus diesem Grund sind die Anfechtungsgründe genau festgelegt und durch Fristen begrenzt. Die Notwendigkeit, die Anfechtung fristgerecht und formgerecht zu erklären, trägt ebenfalls dazu bei, die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer zu schützen und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Wahrung des Vertrauensschutzes: Der Schutz des Vertrauens in die Gültigkeit von Rechtsgeschäften ist ein weiteres zentrales Prinzip. Personen, die in gutem Glauben auf die Gültigkeit eines Vertrags vertraut haben, sollen durch die Möglichkeit der Anfechtung nicht unangemessen benachteiligt werden. Deshalb sieht das Gesetz vor, dass eine anfechtende Partei unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet sein kann (§ 122 BGB). Dies dient dem Ausgleich zwischen der Berechtigung zur Anfechtung und dem Schutz des Vertrauens der anderen Partei.

Abwägung und Interessenausgleich: Die Prinzipien der Anfechtung spiegeln eine sorgfältige Abwägung zwischen den Interessen der Vertragsparteien und dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Rechtsverkehrs wider. Das Anfechtungsrecht ermöglicht es, Verträge, die unter unzulässigen Bedingungen zustande gekommen sind, zu korrigieren, setzt aber voraus, dass die anfechtende Partei die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt und die notwendigen Schritte unternimmt. Diese Abwägung gewährleistet, dass das Rechtssystem sowohl individuelle Gerechtigkeit als auch gesellschaftliche Ordnung und Stabilität fördert.

 

II. Welche Anfechtungsgründe gibt es?

Die Anfechtungsgründe sind in den §§ 119 ff. BGB geregelt und bieten eine rechtliche Grundlage für die Anfechtung von Willenserklärungen unter bestimmten Voraussetzungen. Sie zielen darauf ab, den rechtlichen Bestand eines unter fehlerhaften Umständen zustande gekommenen Rechtsgeschäfts zu korrigieren. Im Folgenden werden die wichtigsten Anfechtungsgründe erläutert:

1. Irrtümer

  • Inhaltsirrtum (§ 119 Absatz 1 Variante 1 BGB): Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren rechtliche Tragweite irrt, also etwas anderes erklärt, als er zu erklären beabsichtigt hat.
  • Erklärungsirrtum (§ 119 Absatz 1 Variante 2 BGB): Dies liegt vor, wenn jemand eine Erklärung abgibt, die er in dieser Form nicht abgeben wollte. Ein klassisches Beispiel ist das Verschreiben oder Versprechen.
  • Eigenschaftsirrtum (§ 119 Absatz 2 BGB): Hier irrt sich der Erklärende über solche Eigenschaften einer Person oder Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Dazu gehören beispielsweise die Echtheit eines Kunstwerks oder die Unfallfreiheit eines Fahrzeugs.

2. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Absatz 1 Variante 1 BGB)

Eine Anfechtung ist ebenfalls möglich, wenn die Willenserklärung durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde. Das bedeutet, dass eine Partei durch Vorspiegelung falscher Tatsachen oder durch das Verschweigen wahrer Tatsachen zum Vertragsschluss verleitet wurde. Die Täuschung muss dabei vorsätzlich erfolgen.

3. Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 Absatz 1 Variante 2 BGB)

Eine widerrechtliche Drohung liegt vor, wenn die Willenserklärung durch die Androhung eines Übels, zu dem der Drohende kein Recht hat, erzwungen wird. Die Drohung muss so beschaffen sein, dass sie bei einer verständigen Person Angst erzeugt und zum Vertragsschluss bewegt.

4. Anfechtung wegen falscher Übermittlung (§ 120 BGB)

Ein weiterer Anfechtungsgrund ist die falsche Übermittlung der Willenserklärung durch eine zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung. Dies betrifft Fälle, in denen die Willenserklärung auf dem Weg zum Empfänger entstellt oder verfälscht wird.

 

III. Rechtsfolgen der Anfechtung und Prüfungsschema

Die erfolgreiche Anfechtung führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ab dem Zeitpunkt der Vornahme (ex tunc), § 142 Absatz 1 BGB. Das bedeutet, dass das Rechtsgeschäft rückwirkend als von Anfang an nichtig angesehen wird. Darüber hinaus kann die anfechtende Partei unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet sein, insbesondere wenn die andere Partei auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hat, § 122 BGB. Um die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts erfolgreich durchzuführen, ist ein mehrstufiges Prüfungsschema anzuwenden:

  1. Zulässigkeit der Anfechtung: Zunächst muss geprüft werden, ob die Anfechtung grundsätzlich zulässig ist. Dies beinhaltet die Überprüfung der Anfechtbarkeit des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts.
  2. Vorliegen eines Anfechtungsgrundes: Es muss einer der gesetzlich anerkannten Anfechtungsgründe vorliegen (siehe: Punkt II.).
  3. Anfechtungserklärung gemäß § 143 Absatz 1 BGB: Die Anfechtung muss durch eine eindeutige Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner erfolgen. Ausreichend ist es allerdings die Anfechtung durch konkludentes (schlüssiges) Verhalten zu erklären, das der terminus technicus der Anfechtung nicht genannt werden muss.
  4. Einhaltung der Anfechtungsfrist:
    • Unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nach Kenntniserlangung des Anfechtungsgrundes bei Irrtum (§ 121 Absatz 1 BGB).
    • Innerhalb eines Jahres bei Täuschung oder Drohung, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Entdeckung der Täuschung bzw. dem Ende der Zwangslage (§ 124 Absatz 1 BGB).
    • Zu beachten sind im Übrigen die Ausschlussfristen von zehn Jahren nach Abgabe der Willenserklärung, vgl. §§ 121 Absatz 2, 124 Absatz 3 BGB.
  5. Rechtsfolgen der Anfechtung: Bei einer erfolgreichen Anfechtung ist das Rechtsgeschäft rückwirkend nichtig, § 143 Absatz 1 BGB. Zudem kann eine Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB entstehen.

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