Lobbyismus – die “fünfte Gewalt”?

Ob in Berlin, Brüssel oder den Landesparlamenten – es bemühen sich Tausende von Interessengruppen, einen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse auszuüben. Die Existenz solcher Lobbygruppen, die ihre spezifischen Interessen vor Politik und Gesellschaft vertreten, ist seit jeher ein Teil der demokratischen Landschaft. Innerhalb der Bundesrepublik und anderen Ländern ist diese Form der Interessenvertretung durch die Verfassung geschützt. In Deutschland werden diese Rechte durch verschiedene Grundrechte gewährleistet, wie das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG), Demonstrationsrecht (Art. 8 GG), Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), sowie das Recht auf politische Teilnahme (z.B. Petitionsrecht, Art. 17 GG).

Fachwissen

Die Lobbyisten bieten den politischen Entscheidungsträgern ihr branchenspezifisches Wissen und Erfahrungen an und verlangen im Gegenzug, an Diskussionen und Gesetzesentwürfen beteiligt zu werden. Branchen mit starken Lobbyverbänden haben mittlerweile einen erheblichen Einfluss und Macht auf politische Entscheidungen in Berlin und Brüssel. Aber stellt der Lobbyismus bereits die “fünfte Gewalt” in Deutschland dar oder ist diese Vorstellung übertrieben? Die grundlegende Debatte dreht sich um die Ausrichtung politischer Entscheidungen: Sind sie am Gemeinwohl oder an spezifischen Interessen ausgerichtet? Untergräbt der Lobbyismus als “stille Macht” das Versprechen der Gleichheit in der liberalen Demokratie, da nicht alle Bevölkerungs- und Interessengruppen gleichermaßen Einfluss ausüben können?

Lobby-Skandale

Vor kurzem haben Lobby-Skandale, wie die Maskenaffäre mit den Abgeordneten Nikolas Löbel (CDU) und Georg Nüßlein (CSU), sowie der ehemalige bayerische Justizminister Alfred Sauter (CSU), die Diskussion über den Lobbyismus weiter angeheizt. Die Affäre um den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor im Jahr 2020, der sich für ein amerikanisches Start-up-Unternehmen stark gemacht haben soll und dafür Aktienoptionen und einen Direktorenposten erhielt, trug zur Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters bei. Das Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters wurde Ende März 2021 vom Deutschen Bundestag verabschiedet und ist seit dem 1. Januar 2022 in Kraft.

Wie läuft Lobbyismus ab?

Ein integraler Bestandteil der Arbeit von Lobbyisten besteht darin, ein engmaschiges Netzwerk in die Politik zu knüpfen. Unternehmensverbände, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, Sozialverbände sowie Unternehmen und politische Gruppierungen bringen ihre Interessen in den Prozess der politischen Meinungsbildung ein und liefern Informationen an ihre Mitglieder und die breite Öffentlichkeit.

Ein Beispiel für eine der größten Lobbyorganisationen ist der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der seinen Sitz in unmittelbarer Nähe des Bundestags hat. Dort vertreten seine Lobbyisten täglich die Interessen ihrer 1.900 Mitglieder. Ihre tägliche Routine: Persönliche Gespräche mit Parlamentariern und Mitarbeitern in Ministerien. Darüber hinaus haben sich Anwaltskanzleien, PR-Agenturen, Think Tanks und unabhängige politische Berater als externe Lobbyisten darauf spezialisiert, im Auftrag ihrer Mandanten Beziehungen zu pflegen, Informationen zu sammeln oder Themen zu positionieren.

Kritik

Die meist einseitige Vertretung von Wirtschaftsinteressen und die große Herausforderung für Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen und weniger mächtige Interessengruppen, ihre Anliegen vorzubringen, sind zentrale Kritikpunkte am Lobbyismus. Je finanzstärker eine Interessengruppe mit ihren Lobbyisten ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass die parlamentarische Demokratie und die öffentliche Meinung im Sinne dieser Interessengruppe beeinflusst wird. Hierbei spielen vor allem professionelle Dienstleister eine bedeutende Rolle, die politischen Einfluss zu ihrem Geschäftsfeld gemacht haben und taktisch vielseitig vorgehen. Einer der Hauptgründe für das Ungleichgewicht in der Interessenvertretung liegt neben den ungleichen finanziellen Ressourcen auch in der Mitarbeiterzahl und dem Netzwerk. Große Unternehmen haben oft viele Angestellte, die Protokolle, Expertenberichte, Studien und Gesetzesvorschläge analysieren und bewerten. So sind Lobbyisten stets im Bilde über politische Entwicklungen. Darüber hinaus haben finanzstarke Lobbygruppen oftmals ehemalige Regierungsmitglieder und Abgeordnete in ihren Reihen, deren Verbindungen in die Politik besonders wertvoll sind. Es hinterlässt daher einen bitteren Beigeschmack, wenn Politiker nach ihrer politischen Laufbahn den Tisch wechseln und ihr Wissen sowie ihre Kontakte als Lobbyisten einsetzen. Aber auch Umwelt- und Klimaschützer konnten – dank der breiten und globalen Medienaufmerksamkeit der “Fridays for Future”-Proteste – ihre Macht stärken. Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften generieren ihre Macht möglicherweise weniger über finanzielle Mittel, dafür aber über öffentlichen Druck und effektive Kommunikation über das Internet und soziale Medien.

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