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Artikel 1415
Thilo Schulz

Verwaltungsrechtsprechung im Überblick

Eine Rezension zu:

Richter, Ingo/Schuppert, Gunnar Folke/Bumke Christian

Casebook Verwaltungsrecht


Verlag C.H.Beck, München, 2000, 372 Seiten, 49,- DM
ISBN 3-406-46871-3

http://www.beck.de


Sogenannte "Casebooks" erfreuen sich in Deutschland in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit. Ihr Anliegen ist es, einen Überblick über die Rechtsprechung in bestimmten Rechtsgebieten zu geben. Im anglo-amerikanischen Raum, der ja vom Fallrecht beherrscht wird, spielen diese Casebooks naturgemäß eine viel größere Rolle. Die herkömmlichen deutschen Lehrbücher orientieren sich in Systematik und Aufbau an den entsprechenden Gesetzen. Auf Rechtsprechung wird meist in den Fußnoten verwiesen oder man findet eine Rechtsprechungsübersicht am Ende, allerdings nur unter Angabe der Fundstellen. Die große Bedeutung der Rechtsprechung für das Rechtsleben erschließt sich vielen Studenten deshalb erst in den höheren Semestern. Immerhin konkretisiert die Rechtsprechung durch die ergangenen Entscheidungen das Recht und entscheidet Streitfragen verbindlich. Oft findet auch Rechtsfortbildung statt.

Die drei Autoren haben schon ein erfolgreiches "Casebook Verfassungsrecht" vorgelegt. Das bewog sie dazu, dieses Konzept auch im Verwaltungsrecht umzusetzen. Ihr "Casebook Verwaltungsrecht" ist nun in der 3. Auflage erhältlich. Es wurde komplett überarbeitet und der Stoff neu geordnet. Es soll ganz bewußt kein Lehrbuch im herkömmlichen Sinne sein, deshalb wurde auf Fußnoten verzichtet. Es soll vielmehr ein Lernbuch sein, das Anfänger wie Examenskandidaten mit Argumentationen, Gedankengängen und Begründungsstil der Gerichte vertraut macht.

Obwohl hier ein Casebook vorliegt, haben die Verfasser sich doch im Grundsatz am Aufbau der bekannten Verwaltungsrechtslehrbücher orientiert. Dies erleichtert die Einordnung der dargestellten Rechtsprechung erheblich. Es ermöglicht auch das gezielte Nachschlagen einschlägiger Entscheidungen zu einem bestimmten Problemkreis. Die einzelnen Kapitel sind jeweils so aufgebaut, daß ein ganz kurzer, lehrbuchartiger Überblick über das jeweilige Problem gegeben wird. Dann folgt die Rechtsprechung dazu, jeweils mit kurzen Anmerkungen. Der Leser muß also einiges an Grundwissen mitbringen.

Natürlich muß der verfassungsrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Rahmen für das deutsche Verwaltungsrecht berücksichtigt werden. Dies geschieht im ersten Teil des Buches. Vorrang des Gesetzes und Vorbehalt des Gesetzes als zentrale Prinzipien des Verwaltungshandelns werden beschrieben. Rechtsprechung findet sich allerdings nur zum Vorbehalt des Gesetzes. Hier haben die Autoren Auszüge aus der "Kalkar"-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 49, 89) ausgewählt. Daneben findet sich eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 90, 112), die sich ebenfalls damit auseinandersetzt.

Weitere verfassungsrechtliche Vorgaben für das Verwaltungshandeln sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Gleichheitsgrundsatz, außerdem sind natürlich Vertrauensschutz, Bestimmheit und ein faires Verfahren erforderlich für ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln. Allerdings haben die Autoren auf Rechtssprechung hierzu verzichtet und begnügen sich mit einem kurzen Abriß. Mehrere Urteile des EuGH sind allerdings zur Frage der Einwirkungen des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verwaltungsrecht zu finden.

Der zweite Teil behandelt Grundbegriffe des Verwaltungsrechts. Es geht um Rechtsbindung und Gestaltungsfreiheit der Verwaltung. Juristische "Dauerbrenner" dieses Bereichs sind die unbestimmten Rechtsbegriffe, Beurteilungsspielraum und Ermessen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterliegen unbestimmte Rechtsbegriffe der vollen gerichtlichen Überprüfung. Als Beispiel dient hier BVerwGE 34, 301, die sich mit dem vom Gesetzgeber in den § 1 IVund V BBauG (a.F.) formulierten Planungsleitsätzen auseinandersetzte. Ein Beurteilungsspielraum der Gemeinden für die dort verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffen wurde vom Gericht verneint.

In bestimmten Bereichen ermöglicht es die Figur des Beurteilungsspielraums, einen Entscheidungsspielraum der Verwaltung (auf der Tatbestandsseite einer Rechtsnorm) anzuerkennen, wenn dies aus bereichsspezifischen Erwägungen heraus geboten erscheint. Darunter fallen zum Beispiel Prüfungs- und prüfungsähnliche Entscheidungen. Bekannt ist die auch im Buch teilweise abgedruckte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Nichtversetzung einer Schülerin (BVerwGE 8, 272). Eine andere bekannte Entscheidung entschied über die Bewertung von Prüfungsleistungen im Juristischen Staatsexamen (BVerwGE 84, 34). Weitere Bereiche, in denen ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung anerkannt ist, sind beamtenrechtliche Beurteilungen oder Prognosespielräume.

Die größte Prüfungsrelevanz im Staatsexamen haben sicher die Handlungsformen der Verwaltung wie Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsvorschriften, Verwaltungsakte, öffentlich-rechtlicher Vertrag oder Planung. Ihnen ist der dritte Teil des Buches vorbehalten. Außerdem können natürlich auch schlichtes und informales Verwaltungshandeln sowie verwaltungsprivatrechtliches Handeln in der Klausur eine Rolle spielen. In allen genannten Bereichen existiert eine Fülle von Rechtsprechung, auf die im Rahmen dieser Besprechung nicht eingegangen werden kann. Die Autoren nehmen jedenfalls eine gelungene Auswahl vor. Den Schwerpunkt legen sie auf den Verwaltungsakt, da hier mannigfaltige Streitfragen existieren und er deshalb ein beliebter Prüfungsstoff ist.

Eine besondere Erwähnung verdient der vierte und letzte Teil des Buches. Die Autoren haben eine Fülle von Entscheidungen zum Recht der staatlichen Ersatzleistungen zusammengetragen. Unterlassungs-, Beseitigungs- und Folgenbeseitigungsanspruch werden dargestellt, die wichtigsten Konkretisierungen durch die Rechtsprechung abgedruckt. Urteile zu Amtshaftung, Enteignung und Enteignungsgleicher Eingriff sowie der Aufopferungsanspruch sind auch zu finden. Auf europarechtlicher Ebene ist noch der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch zu nennen, der ebenfalls behandelt wird. Da das Gebiet des Staatshaftungsrechts in einigen Lehrbücher recht kurz gefasst und zudem in weiten Teilen von der Rechtsprechung geprägt ist, kann man in Verbindung mit dem vorliegenden Buch den Stoff gut vertiefen.

Am Ende findet man ein umfangreiches Entscheidungsregister, das hierarchisch nach Entscheidungen des EuGH, des Bundesverfassungsgerichts, Bundesverwaltungsgerichts usw. geordnet ist. Das Sachregister ermöglicht die Suche nach Schlagworten.

Das "Casebook Verwaltungsrecht" lohnt sich sicher für jeden, der seine Kenntnisse des Verwaltungsrechts vertiefen und mit einschlägiger Rechtsprechung anreichern will. Die gute Strukturierung ermöglicht das schnelle Auffinden wichtiger Entscheidungen zu einem bestimmten Problemkreis. Die Auswahl der Entscheidungen ist ebenfalls gelungen. Für Anfänger dürfte das Buch allerdings entgegen des Anliegens der Autoren kaum Nutzen haben, da zuviel Verständnis des Verwaltungsrechts vorausgesetzt wird. Examenskandidaten werden davon profitieren.

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