Lina E vor dem BGH: Wie geht es nach der Revision weiter?

Leipzig/Karlsruhe – Wann ist Widerstand legitim, wann beginnt Selbstjustiz? Der Fall Lina E rückt eine brisante Frage ins Zentrum: Misst der Rechtsstaat mit zweierlei Maß? Während linksgerichtete Gruppen staatlicher Repression ausgesetzt sind, bleiben rechtsextreme Netzwerke oft unbehelligt – so zumindest die Wahrnehmung vieler Aktivisten. Die Debatte um asymmetrische Strafverfolgung schwelt seit Jahren – und der BGH könnte sie mit der Verkündung des Urteils im Revisionsverfahren zur Causa Lina E nun erneut entfachen.

Dass der Fall insofern eine der härtesten Verurteilungen gegen linksradikale Strukturen seit Jahrzehnten markiert, ist kein Zufall. Vielmehr scheint er zu einem Präzedenzfall für die strafrechtliche Bewertung politisch motivierter Gewalt erwachsen zu sein – insbesondere im targetierten linken Spektrum. Zuvor verurteilte das Oberlandesgericht Dresden die Leipziger Studentin zu über fünf Jahren Haft, während ihre Mitangeklagten Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren erhielten. Grund hierfür: Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung gebildet und in Leipzig, Wurzen und Eisenach gezielte Angriffe auf Rechtsextreme verübt habe. Doch während das Urteil bereits als rigoros galt, ging der Bundesanwaltschaft selbst dieses nicht weit genug. Sie forderte noch höhere Strafen und argumentierte, dass die Gefährlichkeit der Gruppe unterschätzt worden sei. Mittlerweile ist die Behörde allerdings in einem zentralen Punkt zurückgerudert: Lina E wird nicht länger als Rädelsführerin eingestuft.

Nun, da der Bundesgerichtshof (BGH) am 19. März 2025 sein Revisionsurteil verkünden wird, rücken drängende Fragen in den Fokus: War das Urteil tatsächlich ein rechtsstaatliches Musterbeispiel – oder wurde hier mit zweierlei Maß gemessen? Waren die Ermittlungen ergebnisoffen oder von vornherein auf eine harte Verurteilung ausgerichtet? Und nicht zuletzt: Wo endet politischer Widerstand – und wo beginnt strafbare Selbstjustiz?

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe – hier fällt das letzte Wort im Fall Lina E. Doch wird das Urteil die hitzige Debatte wirklich beenden?

BGH-Entscheidung im Fall Lina E: Wann fällt das Urteil?

Der Fall Lina E ist derzeit beim Bundesgerichtshof anhängig. Der 3. Strafsenat verhandelte am 6. Februar 2025 über die Revisionen sowohl der Angeklagten als auch des Generalbundesanwalts gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. Mai 2023.

Die Bundesanwaltschaft rügte zunächst insbesondere den Teilfreispruch hinsichtlich einzelner Taten sowie den Strafausspruch, der aus ihrer Sicht zu milde ausgefallen sei. Die Verteidigung hingegen argumentiert, dass Lina E nicht in dem Maße belastet werden könne, wie es die Vorinstanz angenommen hat. Schon jetzt ist allerdings klar, dass die Bundesanwaltschaft ihre ursprüngliche Bewertung des Falls teilweise revidiert.

Die endgültige Entscheidung des BGH wird am 19. März 2025 verkündet. Das Verfahren trägt das Aktenzeichen 3 StR 173/24 (Komplex Lina E.). Die öffentliche Urteilsverkündung findet um 9:30 Uhr im Sitzungssaal E 101 des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe statt.

Für Medienvertreter galten bereits für die Verhandlung am 6. Februar 2025 Akkreditierungsregeln, die auch für die Urteilsverkündung relevant sind. Schon zu diesem Verhandlungstermin versammelten sich Dutzende Sympathisanten vor dem Bundesgerichtshof. Da der Fall hohe gesellschaftliche und politische Brisanz besitzt, wird abermals auch bei der Urteilsverkündung mit erheblichem medialen Interesse gerechnet.

1. Die Anklage – Gewalt als politisches Mittel?

Wer ist Lina E?

Für die einen ist die 29-jährige Leipzigerin eine Ikone des antifaschistischen Widerstands, für die anderen eine gewaltbereite Extremistin. Seit Ende 2021 wurde ihr zusammen mit drei Mitangeklagten – Jannis R und Lennart A aus Leipzig sowie Philipp M aus Berlin – die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der sogenannten „Hammerbande“ zur Last gelegt. Die Gruppe, in der Lina E als Rädelsführerin dieser mutmaßlich linksextremen Gewalttaten soll zwischen Oktober 2018 und Februar 2020 gezielt schwere Angriffe auf Rechtsextreme in Leipzig, Eisenach und Wurzen verübt haben. Unter den Opfern sollen sich bekannte Namen der rechtsextremen Szene befinden, darunter der Neonazi Leon R und Mitglieder der Kampfsportgruppe „Knockout 51“. Laut Ermittlungsbehörden seien die Attacken minutiös vorbereitet worden: mit gezielten Ausspähungen, Kommunikationsvermeidung durch anonyme Prepaid-Handys und maskierten Angreifern, die ihre Opfer in dunklen Gassen oder beim Verlassen von Szenelokalen überraschten.

Was wird Lina E vorgeworfen?

Das Verfahren gegen Lina E beruht auf einer komplexen Gemengelage aus Indizien, Zeugenaussagen und der rechtlichen Einordnung ihrer mutmaßlichen Rolle innerhalb einer militanten Gruppe. Die Bundesanwaltschaft legt ihr nicht nur die Beteiligung an mehreren brutalen Angriffen zur Last, sondern wirft ihr auch eine koordinierende Funktion innerhalb der Gruppe vor. Doch genau diese Einstufung wurde in der Revisionsverhandlung vor dem BGH infrage gestellt. Während das OLG Dresden Lina E als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verurteilte, rückte die Bundesanwaltschaft inzwischen von ihrer ursprünglichen Bewertung ab, sie sei eine Rädelsführerin gewesen.1

Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung

Laut Anklage gehörte Lina E einer Gruppe an, die gezielt Angriffe auf Rechtsextreme verübt haben soll. Das OLG Dresden betrachtete diese Gruppierung als kriminelle Vereinigung. Allerdings fehlte es an klassischen Merkmalen einer solchen Organisation: Die Gruppe hatte keinen festen Namen, keine dokumentierte Befehlskette und keine nachweisbare Hierarchie. Dennoch argumentierten die Ankläger, dass die Mitglieder langfristig zusammenarbeiteten, konspirative Methoden anwandten und Angriffe strategisch planten. Besonders die Nutzung anonymer Prepaid-Handys, gezielte Observationen potenzieller Opfer und das Tragen von Maskierungen sollten auf eine professionelle Vorgehensweise hindeuten. Ob diese Struktur jedoch ausreicht, um den Tatbestand einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB zu erfüllen, bleibt im Revisionsverfahren eine zentrale Frage.

Blickpunkt Protest: Ein Polizist steht der Antifa-Demo gegenüber.

Planung und Organisation von Angriffen

Die Bundesanwaltschaft warf Lina E zunächst vor, nicht nur an Angriffen beteiligt gewesen zu sein, sondern auch eine maßgebliche Rolle bei deren Planung gespielt zu haben. So soll sie potenzielle Opfer ausgekundschaftet, Fluchtrouten koordiniert und die Täter während der Überfälle abgesichert haben. Die Vorbereitung soll laut Anklage von der Bereitstellung gestohlener Kennzeichen bis hin zur Einweisung von “Scouts” gereicht haben, die vor den Angriffen das Umfeld überwachten. Doch während das OLG Dresden Lina E eine herausgehobene Rolle zusprach, sah es keine hinreichenden Beweise für eine Rädelsführerschaft. Die Bundesanwaltschaft hielt in ihrer Revision zunächst daran fest, zog diesen Vorwurf jedoch während der BGH-Verhandlung zurück. Bundesanwalt Matthias Krauß äußerte sich demgegenüber, dass es schlichtweg zu wenige belastbare Feststellungen zur internen Struktur der Gruppe gebe.2

Mehrfache gefährliche Körperverletzung

Die Angriffe, die Lina E zur Last gelegt werden, waren laut Anklage keine spontanen Konfrontationen, sondern gezielt vorbereitete Überfälle. Opfer der Übergriffe waren unter anderem Mitglieder der rechtsextremen Szene, darunter Neonazi Leon R, der Betreiber der Szenekneipe „Bull’s Eye“ in Eisenach. Nach Angaben der Anklage sollen mehrere Angriffe mit erheblichen Verletzungen einhergegangen sein, darunter Frakturen, Prellungen und langfristige gesundheitliche Schäden. Besonders der Überfall auf einen Kanalarbeiter in Leipzig-Connewitz, der eine Mütze einer als rechts geltenden Modemarke trug, wird als brutale Tat gewertet.

Verwendung von Waffen wie Hämmern und Schlagstöcken

Ein besonders heikler Punkt in der Anklage ist die Art der Gewalt, die gegen die Opfer angewendet wurde. Die Gruppe soll bei ihren Angriffen nicht nur auf Fäuste und Tritte gesetzt haben, sondern auch gezielt Hämmer, Teleskop-Schlagstöcke und andere Werkzeuge eingesetzt haben, um maximalen Schaden zu verursachen. Der Einsatz solcher Gegenstände wird strafrechtlich als erhebliche Verschärfung der Tat gewertet (sog. gefährliche Körperverletzung), da sie geeignet sind, lebensgefährliche Verletzungen herbeizuführen.

Während die Bundesanwaltschaft das Urteil als konsequente Anwendung des Rechtsstaats betrachtet, sieht die Verteidigung genau darin eine problematische Konstruktion: Es gebe weder ein klar erkennbares Organisationsmuster der Gruppe noch eindeutige Beweise für eine persönliche Beteiligung an jeder der angeklagten Taten. Vielmehr basiere das Urteil auf einer Zusammenschau von Indizien (gemeinsame Konspiration mit Mitangeklagten, Logistik bei den Angriffen, und ihre nachgewiesene Nähe zu den Tatorten), die in ihrer Summe eine Beteiligung nahelegen sollen. Eine direkte Verwicklung in sämtliche Taten konnte bislang nicht durch Videoaufnahmen oder DNA-Spuren belegt werden.

Umstrittene Zeugenaussagen

Besonders umstritten ist die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugen. Eine Schlüsselfigur der Anklage war Leon R, ein führendes Mitglied der rechtsextremen Szene, der selbst später mit drei weiteren Beteiligten ebenfalls im Auftrag der Bundesanwaltschaft festgenommen wurde.3

Seine Behauptung, Lina E anhand ihrer Stimme nach der Tat identifiziert zu haben, steht unter erheblichem Vorbehalt – nicht zuletzt, weil er selbst Opfer eines der Angriffe war und aufgrund eigener Vorwürfe der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein starkes persönliches Interesse an einer belastenden Aussage haben könnte.

Johannes D, ein weiteres zentrales Bindeglied in der Beweisführung gegen Lina E., war selbst in linken Strukturen aktiv und galt als Mitglied der „Gruppe E“.4

Doch seine Rolle im Prozess wirft Fragen auf: Er geriet selbst ins Visier der Ermittlungsbehörden und entschied sich für eine Kooperation mit den Strafverfolgern. Damit stellt der ehemalige Szenefreund seine eigene Glaubwürdigkeit zumindest in Frage. Denn während die Staatsanwaltschaft ihn als wichtigen Zeugen präsentiert, steht im Raum, ob seine Aussagen primär der Wahrheitsfindung dienten oder vielmehr dazu, eigene strafrechtliche Konsequenzen abzuwenden. Kritiker sehen in seiner Kooperation eine klassische Strategie der Ermittlungsbehörden, bei der Kronzeugen mit strafmindernden Zusagen zur Belastung anderer bewegt werden könnten.

2. Revision vor dem BGH – Wie geht es für Lina E weiter?

Während das Oberlandesgericht Dresden Lina E als zentrale Figur einer kriminellen Vereinigung einstufte, stellen sich in der Revision entscheidende juristische Fragen. Nicht zuletzt aus dem Grund, dass die Rechtsprechung zur Mitgliedschaft in kriminellen Vereinigungen eine Novellierung erfahren hat:

Sind die Beweise ausreichend, um eine kriminelle Vereinigung zu belegen?

Die Gruppe, die Lina E laut Anklage angeführt haben soll, hatte weder einen festen Namen noch eine nachweisbare Organisationsstruktur. Die Bundesanwaltschaft sprach von einem “lockeren Geflecht”, das sich flexibel zu Angriffen zusammenfand – eine Konstruktion, die in der Revision nunmehr juristisch überprüft wird. Ist eine lose Verbindung ohne dokumentierte Hierarchie überhaupt eine „kriminelle Vereinigung“ im Sinne des Strafrechts?

Der Bundesgerichtshof hat am 14. November 2024 eine bedeutende Änderung in seiner Rechtsprechung zur Mitgliedschaft in kriminellen und terroristischen Vereinigungen vorgenommen.5 Bislang wurden einzelne Beteiligungshandlungen innerhalb einer Vereinigung als eigenständige Taten gewertet, sofern sie weitere Straftatbestände erfüllten. Mit dem aktuellen Urteil hat der 3. Strafsenat diese Praxis jedoch aufgegeben und entschieden, dass sämtliche Betätigungen eines Mitglieds innerhalb einer solchen Gruppierung als eine einheitliche Tat zu bewerten sind.

Diese neue Sichtweise hat direkte Auswirkungen auf Fälle wie den von Lina E: Während das Oberlandesgericht Dresden die einzelnen Gewalttaten der Gruppe gesondert gewertet hatte, könnte die Novellierung der bisherigen Rechtsprechung zu einer Neubewertung führen. Insbesondere die Frage, inwieweit die strafrechtliche Verklammerung von mitgliedschaftlicher Beteiligung und konkreten Taten eine Rolle spielt, dürfte in der Revision von Bedeutung sein. Das Urteil könnte damit nicht nur den konkreten Schuldspruch beeinflussen, sondern auch den Maßstab für künftige Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder krimineller Vereinigungen verändern.

Die eingangs ausgeführte gesetzliche Definition einer kriminellen Vereinigung erfordert jedenfalls eine Mindeststruktur, die über bloße lose Absprachen hinausgeht. Kritiker argumentieren daher, dass die Gruppe um Lina E eher einem flexiblen Aktivistennetzwerk glich, das sich situativ zu Aktionen zusammenfand – ein wichtiger Unterschied, denn nicht jede Gruppierung mit einem gemeinsamen Ziel erfüllt automatisch die Voraussetzungen für eine strafrechtlich relevante kriminelle Vereinigung.

Zusätzlich wird im Verfahren auch eine Grundsatzfrage behandelt: In welchem Umfang kann § 129 StGB als Ermittlungsmittel genutzt werden? In der Vergangenheit wurde der Tatbestand häufig als „Türöffner“ für weitreichende Überwachungsmaßnahmen verwendet, die in vielen Fällen nicht zu Verurteilungen führten.

Was ist eine kriminelle Vereinigung?

In der Praxis führt die strafrechtliche Einordnung einer Gruppe als kriminelle Vereinigung zu weitreichenden Ermittlungsmöglichkeiten – einschließlich verdeckter Überwachungsmaßnahmen wie etwa durch V-Personen. Dies wird von Kritikern als Türöffner für übermäßige Strafverfolgung gesehen, während Befürworter auf die Notwendigkeit verweisen, Gruppen frühzeitig zu zerschlagen, bevor sie gefährliche Taten begehen.

Die juristische Definition erfordert vier zentrale Kriterien:6

  1. Personelle Struktur – Mindestens drei Mitglieder müssen sich mit einer gewissen Dauerhaftigkeit zusammenschließen.
  2. Organisatorische Struktur – Eine rudimentäre, aber funktionale Organisation, die über rein spontane Zusammenkünfte hinausgeht.
  3. Zielsetzung – Die Gruppe muss darauf ausgerichtet sein, Straftaten zu begehen, die im Höchstmaß mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.
  4. Ernsthafte Tatplanung – Die Verwirklichung der Straftaten muss konkret intendiert sein, nicht bloß als vage Möglichkeit bestehen.

§ 129 Bildung krimineller Vereinigungen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.
(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

(3) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,

1.
wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2.
wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3.
soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.
(4) Der Versuch, eine in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.
(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, b, d bis f und h bis o, Nummer 2 bis 8 und 10 der Strafprozessordnung genannte Straftaten mit Ausnahme der in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe h der Strafprozessordnung genannten Straftaten nach den §§ 239a und 239b des Strafgesetzbuches zu begehen.
(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 4 absehen.

(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter

1.
sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können;

erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.

War Lina E wirklich eine „Rädelsführerin“ oder wurde ihre Rolle überhöht?

Die Bundesanwaltschaft attestierte Lina E zunächst eine zentrale Stellung innerhalb der Gruppe und argumentierte, sie habe Angriffe mitgeplant, Opfer ausgekundschaftet und Tatwerkzeuge beschafft. Doch reicht dies aus, um sie als Rädelsführerin im strafrechtlichen Sinne einzustufen?

Das Oberlandesgericht Dresden sprach ihr eine herausgehobene Rolle zu, sah aber keine Beweise für eine hierarchische Führungsposition. Es fehlte an klaren Strukturen, an einer dokumentierten Befehlskette und an eindeutigen Anweisungen, die Lina E gegeben haben soll. Auch wenn sie nach der Indizienlage in mehrere Angriffe involviert war, konnte das Gericht nicht feststellen, dass sie die alleinige oder vorrangige Entscheidungsgewalt hatte.

Im Revisionsverfahren zeichnete sich ein bemerkenswerter Kurswechsel ab: Die Bundesanwaltschaft rückte von ihrer ursprünglichen Einschätzung ab und räumte ein, dass die Urteilsfeststellungen nicht ausreichten, um Lina E als Rädelsführerin zu klassifizieren. Allein die Teilnahme an Szenariotrainings oder die Beteiligung an Angriffen genüge nicht, um eine maßgebliche Steuerungsfunktion zu belegen. Entscheidend sei nach Bundesanwalt Matthias Krauß, dass eine Person “sagt, wo es lang geht” – und das sei in diesem Fall nicht nachweisbar.7

Wer gilt als Rädelsführer?

Laut Rechtsprechung ist Rädelsführer, wer:

  • eine maßgebliche Führungsrolle innerhalb der Gruppe innehat,
  • geistig oder wirtschaftlich erheblichen Einfluss besitzt, und
  • über ideologische, organisatorische oder strukturelle Fragen entscheidet.8

Dabei kommt es nicht auf eine offizielle Stellung an – auch wer durch sein Handeln de facto an der Führung beteiligt ist, kann als Rädelsführer gelten. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass sich alle Mitglieder seinem Willen unterordnen. Entscheidend ist der bestimmende Einfluss auf zentrale Entscheidungen der Vereinigung.

Wurden die Ermittlungen rund um Lina E einseitig geführt, um eine harte Strafe zu rechtfertigen?

Die Verteidigung sieht vor allem die einseitige Ermittlung als Angriffspunkt: Wurde die Konstruktion einer kriminellen Vereinigung möglicherweise gezielt (aus-) genutzt, um umfassende Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen? Kritiker des Verfahrens argumentieren, dass die Behörden frühzeitig die härtesten Mittel des Strafrechts angewendet haben – ohne zwingende Beweise für eine hierarchische Organisation.

Ein zentraler Kritikpunkt der Verteidigung ist die Frage, ob das Konstrukt einer „kriminellen Vereinigung“ gezielt genutzt wurde, um weitreichende Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Die Behörden setzten von Beginn an auf die härtesten Mittel des Strafrechts – ohne zwingende Beweise für eine straffe Organisationsstruktur, geschweige denn eine terroristische Bedrohung.

Diese Bedenken spiegeln sich nicht nur in den Aussagen der Verteidigung wider, sondern auch in der politischen Debatte. Warum wurde Lina E unter Bedingungen behandelt, die eher an Terrorverfahren erinnern? Ihre Überstellung per Hubschrauber zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe, die jahrelange Untersuchungshaft ohne Vorstrafen und die Konstruktion eines Staatsschutzprozesses werfen Fragen auf.

Vergleichbare rechtsradikale Netzwerke gerieten in der Vergangenheit nicht selten in den Fokus der Justiz – allerdings oft mit spürbar geringerem Nachdruck. Ein beispielhafter Blick auf die Ausschreitungen im Jahr 2016 in Leipzig-Connewitz zeigt: Trotz massiver Gewaltexzesse blieben viele Neonazis mit Geld- oder Bewährungsstrafen glimpflich davonkommen, während sich der gesamte Strafprozess über neun Jahre hinzog und in der Gesamtheit nur schleppend voranschreitet.9

Auch nach dem Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Leipzig-Grünau verliefen die Ermittlungen nicht im gleichen Maße befriedigend.10

Ob diese Kritik gleichwohl im Revisionsverfahren Gewicht haben wird, bleibt abzuwarten. Doch die Frage nach einer unverhältnismäßigen Ermittlungsführung steht weiterhin im Raum.

Ermittlungsbefugnisse bei Verdacht einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB)

Das Vorliegen eines Anfangsverdachts nach § 129 StGB eröffnet den Ermittlungsbehörden außergewöhnlich weitreichende Befugnisse – oft bereits in einem frühen Ermittlungsstadium. Dies umfasst insbesondere:11

🔹 Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) – Abhören von Telefonaten, Chatverläufen und E-Mail-Korrespondenz.
🔹 Verkehrsdatenanalyse (§ 100g StPO) – Erfassung von Kommunikationsverbindungen (z. B. Standortdaten und Verbindungsprotokolle).
🔹 Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a StPO) – Langfristige Infiltration durch Ermittler mit falschen Identitäten.
🔹 Rasterfahndung (§ 98a StPO) – Systematische Analyse großer Datenmengen zur Identifikation möglicher Verdächtiger.
🔹 Feststellung von Geräte- und Kartennummern sowie Standortüberwachung (§ 100i StPO) – Gezielte Ortung von Mobilfunkgeräten.

In schwerwiegenden Fällen nach § 129 Absatz 5 StGB kommen zusätzlich zum Einsatz:
🔹 Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) – Geheime Durchsuchung digitaler Geräte wie Laptops oder Smartphones.
🔹 Akustische Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO) – Lauschangriffe in privaten Räumen, um Gespräche aufzuzeichnen.

3. “Free Lina” – Politische Märtyrerin oder zu Recht verurteilt?

Während das OLG nach drei Jahren Untersuchungshaft den Haftbefehl gegen Lina E aufhob12 und sie nun auf das Revisionsurteil wartet, bleibt die juristische und politische Dimension des Falls hochbrisant:

Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte vor einer wachsenden Bedrohung durch linksextreme Gewalttäter.13 Noch deutlicher und mit fast schon apodiktischer Schärfe warnte der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, dass die Grenze zum Linksterrorismus gefährlich nahe gerückt sei.14

Auf der anderen Seite wird Lina E als eine Ikone der linken Szene zelebriert. „Free Lina“-Graffitis prangen in Leipzig-Connewitz, Solidaritätskundgebungen fanden bundesweit statt und es kam zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Ihre Unterstützer argumentieren: Rechte Gewalt werde systematisch verharmlost, linke Gewalt verfolge man jedoch mit aller Härte. 

Doch die Gegenüberstellung dieser Sichtweisen greift zu kurz. Tatsächlich zeigt der Fall Lina E, dass Justiz und Strafverfolgung in politisch aufgeladenen Verfahren immer auch einer gesellschaftlichen Wertung unterliegen. Besonders in Deutschland mit seiner Geschichte politischer Extremismen – sei es im links- oder rechtsextremen Spektrum – haben Strafverfahren eine über das Juristische hinausgehende Dimension.

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit – Wird linke Gewalt konsequenter verfolgt als rechte Gewalt?

Die zentrale Frage bleibt: Wird in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen, wenn es um politisch motivierte Gewalt geht? Die Verteidigung von Lina E sieht sich bestätigt, wenn sie auf die lange Liste ungesühnten rechten Terrors verweist. Das NSU-Netzwerk konnte ein Jahrzehnt lang morden, ohne dass die Behörden seine Existenz erkannten.15 Auch der Mord an Walter Lübcke zeigte, dass die Gefahr von rechts zu lange unterschätzt wurde.16 Die Chronik rechtsextremer Gewalt ist lang, und die aufgeführten Beispiele sind nur ein Ausschnitt. Die Blutspur von rechts zieht sich unaufhaltsam weiter und reicht von Hanau bis Halle, von Neukölln bis Freital. Ein Ende? Kaum in Sicht.

Auch die Zahlen des BKA untermauern die Kritik: 1.170 rechtsextreme Gewalttaten wurden 2023 registriert – ein Anstieg um 12 Prozent. Linksextreme Gewalttaten gingen hingegen um 30 Prozent zurück und lagen bei 842 Fällen.17 Dennoch wurde in Sachsen mit der Soko Linx eine eigene Sonderkommission gegründet, um mutmaßlich linke Täter mit großem Aufwand zu verfolgen. Rechtsextreme Strukturen hingegen, wie die Kampfsportgruppe „Knockout 51“, konnten über Jahre hinweg agieren, bevor Ermittlungen eingeleitet wurden.18

Für viele Beobachter ist der Fall Lina E daher ein Sinnbild dafür, dass der Staat mit ungleicher Härte gegen verschiedene Formen politischer Gewalt vorgeht. Während Rechtsextreme häufig nur milde Strafen erhielten oder gar nicht erst angeklagt wurden, sei im Fall von Lina E bewusst ein Exempel statuiert worden. Der mediale und juristische Aufwand – von der Soko Linx bis hin zur Spektakel-Verhaftung per Hubschrauber – werde als Versuch gewertet, linke Gewalt zu dämonisieren.

Doch die Brutalität der Angriffe von Lina E. und ihrer Gruppe lässt sich selbst im Kontext einer unzureichenden Verfolgung rechter Gewalt nicht als legitimer Widerstand verklären. Hier geht es nicht um Protest, sondern um gezielt ausgeführte, potenziell lebensgefährliche Überfälle. Zwar mag der Unterschied diskutabel sein, dass rechte Gewalt häufiger zu Todesopfern führt, während linke Gewalt sich oft auf Sachbeschädigungen und gezielte Angriffe beschränkt,19 doch genau hier liegt ein widersprüchliches Paradoxon: Antifaschismus ist der Kampf gegen Menschenverachtung, doch wenn er selbst in menschenverachtende Gewalt umschlägt, untergräbt er seine eigene Legitimation.

Der entscheidende Punkt: Wer Selbstjustiz duldet, riskiert eine Eskalationsspirale, in der die Grenzen zwischen Täter und Opfer verwischen. In der Konsequenz wird die Antifa in der öffentlichen Wahrnehmung oft als das Klischee der “Krawallmacher, Störenfriede oder Chaoten”20 reduziert. Doch diese Zuschreibung verkennt ihre tatsächliche Funktion: ein Schutzwall gegen rechte Gewalt, der zwischen politischem Aktivismus und praktischer Verteidigung demokratischer Werte changiert.

Dass dieser Widerstand nicht nur symbolisch bleibt, sondern mitunter konkrete Auswirkungen hat, zeigte sich jüngst in Berlin-Mitte. Dort gelang es über 1.200 Gegendemonstranten, einen Aufmarsch von etwa 170 Neonazis durch Sitzblockaden und Protestzüge mehrfach zu stoppen und umzuleiten.21

Doch während diese Form des zivilgesellschaftlichen Protests zweifellos ein wirksames Mittel gegen rechtsextreme Präsenz im öffentlichen Raum ist, bleibt die Frage, wo legitimer Widerstand endet und rechtswidrige Selbstjustiz beginnt. Ein demokratischer Rechtsstaat kann nicht hinnehmen, dass sich einzelne Gruppen das Recht nehmen, politische Gegner zu attackieren und damit das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen. Wenn sich in einer Gesellschaft extremistische Phänomene vermischen, führt es unweigerlich zu einer gegenseitigen Radikalisierung, der Delegitimierung staatlicher Institutionen und einem Bruch des Vertrauens in die Justiz. Gerade deshalb muss der Rechtsstaat seine Maßstäbe konsequent und in alle Richtungen wahren, ohne politische Präferenzen und ohne blinde Flecken.

Staatliche Glaubwürdigkeit und der Umgang mit politisch motivierter Gewalt

Die Frage, wie der deutsche Rechtsstaat mit politisch motivierter Gewalt umgeht, ist nicht nur ein juristisches, sondern ein gesellschaftlich hochbrisantes Thema. Während die Justiz in Fällen wie dem von Lina E hart durchgreift und linke Gewalt konsequent verfolgt, bleibt das Vertrauen vieler in eine gleichmäßige Strafverfolgung erschüttert. Zu oft mussten rechte Netzwerke, von militanten Kameradschaften bis hin zu gut organisierten Neonazi-Strukturen, kaum mit vergleichbarer Verfolgung rechnen.

Doch der Staat steht nicht nur vor der Herausforderung, Extremismus zu bekämpfen, sondern auch vor der Aufgabe, seine eigenen Institutionen glaubwürdig zu halten. Exemplarisch steht der Verfassungsschutz immer wieder in der Kritik, weil er nicht nur bei der Aufklärung rechtsextremer Strukturen versagt, sondern durch seine V-Leute-Praxis teils selbst zur Abschirmung extremistischer Netzwerke beiträgt.22 Zu oft wurden Fälle bekannt, in denen Mitarbeiter der Behörde Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken hatten oder Informationen an diese weitergaben. In jüngerer Vergangenheit sorgten Berichte über rechte Chatgruppen innerhalb von Sicherheitsbehörden,23 vernichtete Akten im NSU-Komplex24 und Stimmen unterschiedlicher politischer Lager kritisieren, dass der Verfassungsschutz sich instrumentalisieren lasse und mitunter eher politischen Erwartungshaltungen folge, als neutral verfassungsfeindliche Strukturen zu analysieren.25

Währenddessen wird gegen linke Gruppen mit voller Härte durchgegriffen – sei es bei Antifa-Strukturen oder bei Klimaaktivisten der Letzten Generation, denen der Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“ gemacht wird.26 Diese Diskrepanz geht folglich mit einer zunehmenden zunehmenden Verhärtung des politischen Diskurses einher. Die Auseinandersetzung um Extremismus – von rechts wie von links – wird längst nicht mehr nur auf juristischer Ebene geführt, sondern hat sich zu einem ideologischen Kampf ausgeweitet, der sich in den Straßen und Parlamenten gleichermaßen abspielt. Auch der CDU-Chef Friedrich Merz hat dabei in den letzten Wochen eine Schlüsselrolle eingenommen.

Während sich Zehntausende in Deutschland friedlich gegen eine Annäherung der CDU an die AfD positionierten, versuchte Merz, diese Proteste zu delegitimieren. In einer Rede verurteilte er die Demonstrierenden der Demonstrationen für die Demokratie als “grüne und linke Spinner” und appellierte an SPD und Grüne, zur Mäßigung aufzurufen.27 Doch diese Darstellung ignorierte die Realität der Proteste: Bislang haben sich mehr als 1,6 Millionen Menschen an jenen kritisierten Demonstrationen beteiligt28 und die Mehrheit dieser verlief friedlich. Sie waren Ausdruck eines breiten gesellschaftlichen Widerstands gegen die politische Normalisierung rechtsextremer Positionen. Merz Äußerungen verdeutlichen indes nicht nur ein fragwürdiges Demokratieverständnis, sondern zeigen auch eine gefährliche Verschiebung der politischen Maßstäbe.

München, 8. Februar 2025: Proteste gegen Friedrich Merz und rechte Strukturen – Zehntausende demonstrieren für Demokratie und Zusammenhalt.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind gleichwohl absehbar: Wer legitimen Protest delegitimiert, stärkt radikale Kräfte. Wer friedliche Demonstrationen mit einer Bedrohung gleichsetzt, provoziert eine Gegenbewegung, die sich jedenfalls zum Teil nicht länger im demokratischen Rahmen aufgehoben fühlt. Es ist daher kein Zufall, dass der politische Diskurs in Deutschland zunehmend von Eskalation geprägt ist. Je mehr konservative Kräfte friedliche Proteste kriminalisieren, desto mehr fühlen sich radikalere Gruppen darin bestätigt, dass politische Auseinandersetzungen nicht mehr auf dem demokratischen Spielfeld geführt werden können.

In der Konsequenz entsteht ein gefährlicher Teufelskreis, der in seiner Dynamik brandgefährlich ist: Ein demokratischer Staat darf nicht nur fordern, dass sein Gewaltmonopol respektiert wird, er muss es auch rechtfertigen. Die Verhärtung der politischen Fronten, die Entfremdung zwischen Staat und gesellschaftlichen Gruppen und eine Justiz, die jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer mit gleicher Konsequenz handelt, treiben aktuell die Radikalisierung voran. Wer linke Gewalt nur als Spiegel rechter Gewalt betrachtet, verkennt die eigentliche Gefahr: dass eine Demokratie, die ihre Institutionen nicht glaubwürdig verteidigt, an Legitimität verliert. Und genau diese Legitimität ist es, die den Unterschied zwischen Protest und blindem Aktionismus, zwischen Widerstand und Selbstjustiz markiert.

4. Drei denkbare Entscheidungen des BGH im Fall Lina E

Das Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof ist die letzte juristische Instanz zur Überprüfung des Urteils des Oberlandesgerichts Dresden. Der 3. Strafsenat kann das Urteil bestätigen, es in Teilen aufheben oder – in einem außergewöhnlichen Fall – eine komplette Neuverhandlung anordnen.

Bestätigung des Urteils Der BGH könnte die Revision als unbegründet verwerfen. In diesem Fall bliebe das Urteil des OLG Dresden bestehen, Lina E wäre endgültig verurteilt. Aufgrund ihrer bereits dreijährigen Untersuchungshaft müsste sie allerdings nur noch eine überschaubare Reststrafe antreten. Die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung unter Auflagen wäre zudem nicht ausgeschlossen.

Teilweise Aufhebung und Zurückverweisung: Deutlich wahrscheinlicher erscheint eine teilweise Korrektur. Der BGH könnte einzelne Aspekte des Urteils beanstanden – etwa die rechtliche Einordnung der kriminellen Vereinigung oder die Bewertung einzelner Tatbestände – und den Fall zur erneuten Verhandlung nach Dresden zurückverweisen. Dies würde sich insbesondere auf Details der Strafzumessung oder die rechtlichen Konkurrenzen auswirken, könnte aber auch eine Reduzierung der Strafe zur Folge haben.

Komplette Aufhebung des Urteils: Eine vollständige Aufhebung des Urteils wäre eine juristische Ausnahme und gilt als äußerst unwahrscheinlich. Hierfür müssten gravierende Rechtsverstöße oder eklatante Mängel in der Beweiswürdigung vorliegen. In einem solchen Fall würde das Verfahren an eine neue Strafkammer verwiesen und von Grund auf neu verhandelt werden. Angesichts der bisherigen Bewertung durch den BGH und der sorgfältigen Urteilsbegründung des OLG Dresden erscheint ein solches Szenario jedoch wenig realistisch.

5. Literaturverzeichnis

  1. Legal Tribune Online (LTO), „Militante Antifaschistin Lina E.: Wohl doch keine Rädelsführerin, abrufbar unter: lto.de (zuletzt abgerufen am 5. März 2025).
  2. Beck-aktuell, Im Fall Lina E.: BGH entscheidet im März, abrufbar unter: rsw.beck.de (zuletzt abgerufen am 5. März 2025).
  3. Konrad Litschko, Taz, „Prozess gegen Lina E.: Hieß Antifa für sie Angriff?“, abrufbar unter: taz.de (zuletzt abgerufen am 5. März 2025).
  4. Konrad Litschko, Taz, „Autonome Gruppe um Lina E.: Belastungszeuge selbst unter Verdacht“, abrufbar unter: taz.de (zuletzt abgerufen am 5. März 2025).
  5. BGH, Urteil vom 14. November 2024, Az.: 3 StR 189/24.
  6. Singelnstein/Winkler, NJW 2023, 2815, 2816.
  7. Beck-aktuell, Im Fall Lina E.: BGH entscheidet im März, abrufbar unter: rsw.beck.de (zuletzt abgerufen am 5. März 2025).
  8. MüKoStGB-Schäfer/Anstötz § 129 StGB Rn. 147.
  9. MDR, „Rechtsextreme Überfälle in Leipzig-Connewitz: Prozess gegen Hooligans“, abrufbar unter: mdr.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  10. Landeskriminalamt Sachsen, „Versuch einer besonders schweren Brandstiftung an einer Gemeinschaftsunterkunft“, abrufbar unter: medienservice.sachsen.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  11. NK-StGB-Eschelbach § 129 StGB Rn. 136.
  12. Stephan Klenner, Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Warum Lina E. nicht in Untersuchungshaft bleibt“, abrufbar unter: faz.net (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  13. Spiegel Online, „Fall Lina E.: Nancy Faeser sieht wachsende Gefahr durch Linksextremismus“, abrufbar unter: spiegel.de (zuletzt abgerufen am 5. März 2025).
  14. Bundesamt für Verfassungsschutz, „Urteil gegen Lina E.: Einordnung des Verfassungsschutzes“, abrufbar unter: verfassungsschutz.de (zuletzt abgerufen am 5. März 2025).
  15. Das rechtsextreme NSU-Netzwerk konnte über ein Jahrzehnt hinweg ungehindert morden, bevor es 2011 durch einen Zufall aufgedeckt wurde, siehe: Bundeszentrale für politische Bildung, „Der Weg zum NSU-Urteil“, abrufbar unter: bpb.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  16. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, „Rechtsextremismus in Deutschland: Fünf Jahre nach dem Mord an Walter Lübcke“, abrufbar unter: freiheit.org (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  17. Bundeskriminalamt, „Vorstellung der Fallzahlen zur Politisch motivierten Kriminalität 2023“, abrufbar unter: bka.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  18. Knockout 51 soll spätestens im Jahr 2019 gegründet worden sein und war bis zur Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt am 2. Mai 2023 aktiv, siehe: Tagesschau, „Anklage gegen mutmaßliche Rechtsextremisten“, abrufbar unter: tagesschau.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  19. Anna Brausam von der Amadeu Antonio Stiftung beklagt mindestens 220 Todesopfer durch rechtsextreme und rassistische Gewalt seit 1990, „Todesopfer rechter Gewalt: Diskrepanz bleibt weiter bestehen“, abrufbar unter: amadeu-antonio-stiftung.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  20. Sebastian Leber, Tagesspiegel, „Chaoten oder Heilsbringer? Danke, liebe Antifa!“, abrufbar unter: tagesspiegel.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  21. rbb24 Abendschau, „Neonazi-Aufmarsch in Berlin-Mitte wird mehrfach durch Gegendemos gestoppt“, abrufbar unter: rbb24.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  22. Vgl. hierzu bspw.: Renner/Wehrhan, Humanistische Union, „Das Problem Verfassungsschutz“, abrufbar unter: humanistische-union.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  23. Der Verfassungsschutz zählt mittlerweile 327 rechtsextreme oder „Reichsbürger“-Verdachtsfälle in deutschen Sicherheitsbehörden, siehe: Bundesamt für Verfassungsschutz, „Lagebericht Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden“, abrufbar unter: verfassungsschutz.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  24. Maximilian Pichl, Verfassungsblog, „Skandal ohne öffentlichen Aufschrei: Verfassungsschutz hat im NSU-Komplex vorsätzlich Akten vernichtet“, abrufbar unter: verfassungsschutz.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025); Verfassungsblog, „Skandal ohne öffentlichen Aufschrei: Verfassungsschutz hat im NSU-Komplex vorsätzlich Akten vernichtet“, abrufbar unter: verfassungsblog.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  25. Martin Wagener, „Der Bundesverfassungsschutz lässt sich politisch instrumentalisieren“, abrufbar unter: nzz.ch (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  26. Singelnstein/Winkler, NJW 2023, 2815, 2815 ff.
  27. Tagesschau, „Wahlkampfabschluss von Merz“, abrufbar unter: tagesschau.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
  28. Gurol/Bader, RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „Demos gegen Rechts 2025“, abrufbar unter: rnd.de (zuletzt abgerufen am 6. März 2025).
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Jurawelt Redaktion

Christopher Molter

Studium:

  • Student der Rechtswissenschaften an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht
  • Schwerpunktbereich: Bank- und Kapitalmarktrecht
  • Auslandsaufenthalt an der University of Alberta (Kanada)

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  • Redakteur & Studentischer Mitarbeiter