3. Historische Entwicklung des Containerns
Containern ist keine neue Praxis. Bereits in den 1980er Jahren begannen Aktivisten in den USA, gegen die Verschwendung von Lebensmitteln zu protestieren, indem sie diese aus Müllcontainern retteten. In Deutschland und anderen europäischen Ländern wurde das Containern insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend populär, oft im Zusammenhang mit der Freeganismus-Bewegung. Diese Bewegung setzt sich gegen die Wegwerfgesellschaft ein und fördert eine Lebensweise, die auf der Wiederverwendung von weggeworfenen Ressourcen basiert.
II. Ist Containern strafbar?
Containern ist in Deutschland in der Regel illegal. Wird beim Containern ohne das tatbestandsausschließende Einverständnis des Marktbetreibers vorgegangen, ist das Containern nach aktuell geltendem Recht regelmäßig als Diebstahl (§ 242 StGB) strafbar. Das BayObLG (Beschl. v. 02.10.2019, Az.: 206 StRR 1013/19, 206 StRR 1015/19) hat einen entsprechenden Schuldspruch bestätigt und dabei hervorgehoben, dass es sich bei solchen Lebensmitteln weiterhin um in fremdem Eigentum stehende Sachen und damit um taugliche Tatobjekte eines Diebstahls handelt. Die Entsorgung in einen Abfallcontainer bedeute regelmäßig keine Eigentumsaufgabe nach § 959 BGB. Die äußere Situation (im entschiedenen Fall: Verbringung in einen verschlossenen Container auf dem Betriebsgrundstück des Marktes) sowie der Umstand, dass der Markt für die gesundheitliche Unbedenklichkeit in Verkehr gebrachter Lebensmittel einzustehen habe, sprächen vielmehr für den Willen, das Eigentum nur zugunsten einer bestimmten Person, hier des beauftragten Entsorgungsunternehmens, aufgeben zu wollen. Entsprechend sei auch kein Einverständnis mit einer Wegnahme durch beliebige Dritte anzunehmen. Ein Recht hierzu folge auch nicht aus der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Objekte.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 05.08.2020, Az.: 2 BvR 1985/19, 2 BvR 1986/19) hat diese Entscheidung gebilligt und die gegen sie gerichtete Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Es hat dabei betont, dass in Fällen des Containerns nicht lediglich eine rein formale, letztlich inhaltsleere Eigentumsposition geschützt werde, sondern ein legitimes Verfügungs- und Ausschlussinteresse am betroffenen Privateigentum. Bereits das Interesse des verfügungsberechtigten Eigentümers daran, von vornherein etwaige Risiken im Zusammenhang mit verdorbener Ware durch die Vernichtung seiner Sachen auszuschließen und keinen erhöhten Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel ausgesetzt zu sein, sei im Rahmen der Eigentumsfreiheit grundsätzlich zu akzeptieren, soweit der Gesetzgeber die Verfügungsbefugnis des Eigentümers nicht durch eine gegenläufige, verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung eingegrenzt habe. Die im Wortlaut des § 242 StGB angelegte und durch die Fachgerichte konkretisierte kriminalpolitische Grundentscheidung des Gesetzgebers zur Strafbarkeit des Containerns sei deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zusätzlich zum Diebstahl kann das Containern auch als Hausfriedensbruch nach § 123 StGB gewertet werden. Dies ist der Fall, wenn Container auf Privatgrundstücken stehen und diese ohne Einverständnis betreten werden. Supermärkte und Handelsbetriebe sichern ihre Müllcontainer häufig durch Zäune, Schlösser oder andere Vorrichtungen, um unbefugtes Betreten zu verhindern. Das Überwinden dieser Sicherungen erfüllt in der Regel den Tatbestand des Hausfriedensbruchs.
In einigen Fällen kann das Containern sogar zur Sachbeschädigung gem. § 303 StGB führen, etwa wenn Schlösser aufgebrochen oder Zäune beschädigt werden, um an die Lebensmittel zu gelangen.
III. Diskussion um die Entkriminalisierung des Containerns
Mit der wachsenden Popularität des Containerns nahm auch die gesellschaftliche und politische Diskussion über Lebensmittelverschwendung zu. Zahlreiche Initiativen und Organisationen setzen sich seither für eine Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ein, um das Containern zu entkriminalisieren und gleichzeitig die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.
1. Aktuelle Initiativen und Vorschläge
Im Januar 2023 schlugen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) in einem gemeinsamen Schreiben an die Justizminister und -senatoren der Länder vor, das Containern zu entkriminalisieren, sofern dabei keine Sachbeschädigung oder schwerwiegender Hausfriedensbruch begangen wird. Der gemeinsame Vorschlag der beiden Bundesminister sieht eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vor-
“Wenn sich Menschen weggeworfene Lebensmittel mit nach Hause nehmen, ohne dabei Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch zu begehen, dann sollte dies meiner Meinung nach nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden”, erklärte Buschmann. Özdemir betonte, dass die Änderungen bei den Richtlinien zum Verfahrensrecht ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sein könnten.
2. Warum ist das Containern überhaupt verboten?
Die rechtliche Grundlage für das Verbot des Containerns liegt in der Eigentumsgarantie (vgl. Artikel 14 GG). Diese Eigentumsrechte enden nicht mit der Entsorgung der Lebensmittel, sondern bleiben bestehen, bis der beauftragte Entsorgungsdienst die Waren abholt.
Ein weiteres zentrales Argument, das gegen das Containern angebracht wird, ist das Haftungsrisiko. Sollte jemand durch den Verzehr von containerten Lebensmitteln gesundheitliche Schäden erleiden, könnte der Handel unter Umständen dafür haftbar gemacht werden. Zusätzlich wird das Betreten von Privatgrundstücken und das Überwinden von physischen Barrieren ohne Erlaubnis als Verletzung des Hausrechts betrachtet. Supermärkte und Handelsbetriebe sichern ihre Müllcontainer häufig durch Zäune, Schlösser oder andere Vorrichtungen, um unbefugtes Betreten zu verhindern. Die Überwindung dieser Barrieren kann, wie bereits erwähnt, als Hausfriedensbruch geahndet werden.
3. Containern: Pro und Contra der Entkriminalisierung
Befürworter der Entkriminalisierung argumentieren, dass Containern einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung leistet und das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum schärft. Jedes gerettete Lebensmittel ist ein Gewinn für die Umwelt und das Klima. Außerdem wird hervorgehoben, dass die derzeitige Strafverfolgung unverhältnismäßig ist und dass das bestehende Recht bereits Möglichkeiten bietet, von einer Bestrafung abzusehen, beispielsweise durch das Einstellen von Verfahren wegen Geringfügigkeit.
Gegner der Entkriminalisierung, insbesondere der Handel, befürchten Haftungsrisiken und betonen die hygienischen Bedenken. Lebensmittel in Abfallcontainern könnten gesundheitsschädlich sein, was zu rechtlichen und gesundheitlichen Problemen führen könnte. Zudem wird argumentiert, dass eine Entkriminalisierung den falschen Anreiz setzt und das Problem der Lebensmittelverschwendung an der falschen Stelle angegangen wird. Stattdessen sollte der Fokus auf der Vermeidung von Überschussproduktion und effizienteren Verteilungsmechanismen liegen.
IV. Fazit: Warum Containern für eine nachhaltigere Zukunft entkriminalisiert werden sollte
Angesichts der vorangegangenen Diskussion spricht vieles für die Entkriminalisierung des Containerns. Befürworter argumentieren überzeugend, dass Containern nicht nur ein Mittel zur Reduzierung der massiven Lebensmittelverschwendung darstellt, sondern auch ein Weg ist, das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum und den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen zu schärfen. Jedes gerettete Lebensmittel trägt zur Schonung der Umwelt und zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks bei. Diese Aspekte sind insbesondere im Kontext der globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit von enormer Bedeutung.
Die derzeitige strafrechtliche Verfolgung des Containerns erscheint zudem unverhältnismäßig. Die kriminalpolitische Grundentscheidung des Gesetzgebers, das Containern als Diebstahl zu werten, sollte daher im Lichte der ökologischen und sozialen Vorteile neu bewertet werden.
Zudem könnten durch eine Entkriminalisierung gesellschaftliche Ressourcen effizienter genutzt werden. Die Justiz könnte sich auf schwerwiegendere Delikte konzentrieren, während zugleich ein gesellschaftliches Signal gegen die Wegwerfmentalität gesetzt würde. Zuletzt sollte auch der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit nicht vernachlässigt werden: Viele Menschen, die containern, tun dies aus finanzieller Not oder um ein Zeichen gegen die Verschwendung zu setzen.
Die hygienischen Bedenken und Haftungsrisiken, die von den Gegnern der Entkriminalisierung ins Feld geführt werden, sind ernst zu nehmen, aber lösbar. Durch klare Regelungen und Aufklärungsmaßnahmen könnte sichergestellt werden, dass keine gesundheitlichen Risiken entstehen. Zudem könnten Supermärkte angehalten werden, noch genießbare Lebensmittel rechtzeitig zu spenden statt sie zu entsorgen, was die Notwendigkeit des Containerns verringern würde. In diesem Sinne hat Frankreich bereits im Jahr 2016 ein Gesetz verabschiedet, das große Supermärkte dazu verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel zu spenden, anstatt sie wegzuwerfen. Unternehmen, die dennoch Lebensmittel vernichten und entsorgen, riskieren hohe Strafen von bis zu 0,1 Prozent ihres Jahresumsatzes, was durchaus 50.000 Euro betragen kann. Es gibt jedoch auch positive Anreize: Einzelhändler können ihre Lebensmittelspenden steuerlich geltend machen und erhalten dabei Erleichterungen in Höhe von 60 Prozent des Warenwerts. Frankreichs legislative Bestrebungen gegen die Lebensmittelverschwendung zeigen gleichwohl deutliche Wirkung: Bei Organisationen wie den Tafeln und den “Restos du Coeur” ist die Menge der gespendeten Lebensmittel seit der Einführung des Gesetzes um mehr als 20 Prozent gestiegen. Zudem sind die gespendeten Produkte von höherer Qualität. Dadurch können Millionen zusätzlicher Mahlzeiten verteilt werden.
Insgesamt überwiegen die Argumente für eine Entkriminalisierung des Containerns. Sie bietet die Chance, den Umgang mit Lebensmitteln grundlegend zu ändern, Ressourcen zu schonen und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu stärken.