1. September 2004
Vom Reden in die Traufe
Mit einem anderen Juristen
über das Examen zu reden, ist wie ein Gespräch über Frauen mit einem katholischen Priester. Obwohl das Thema ausgelutscht ist, greift man es irgendwann in einem gelangweilten Moment doch wieder auf. Dabei ist klar, dass beide Seiten
theoretisch perfekt Bescheid wissen, nur wenn es um persönliche Erfahrungen geht, sollte man eigentlich besser die Klappe halten. Zu groß die Gefahr,
Empfindlichkeiten beim anderen zu verletzen, zu klein die eigene
Sicherheit bei dem sensiblen Thema. Reicht es nicht, dass wir es geschafft haben? Können wir nicht vielleicht den
Mantel des Schweigens...? Natürlich nicht. "Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über" (Matthäus, Kap. 12, 34). Und dann kann einem ganz Verschiedenes widerfahren.
Am liebsten unterhält man sich eigentlich mit den
drei bis vier Menschen, deren Noten man kennt, von denen man weiß, dass man sich mit ihnen messen kann, und denen man eine gewisse
Diskretion zutraut. Hier kann man endlich gepflegt über die Korrektur der Klausuren lästern, wie Professor XY, der seit Jahrzehnten nur noch zum
europäischen Kirchenrecht publiziert, die Lösungsskizze der Sachenrechtsklausur ganz offensichtlich selbst nicht verstanden hat, was ihn aber nicht daran gehindert hat, als
Bestnote 8 Punkte zu vergeben. Und der Zweitkorrektor hat immer fleißig "ok" drunter gemalt. Nicht zu vergessen die mündliche Prüfung, hast du nicht gesehen, ein bisschen was haben wir ja doch noch gerissen, und wie der
Verwaltungsrichter im Wahlfach eingeschlafen ist, das gab doch ein nettes Bild. In diesem Gespräch fühlt man sich rundum verstanden.
Meine zweitliebste Zielgruppe sind diejenigen, die schon im ersten Semester
im blauen Hemd erschienen sind und zur Klausur in der Anfängerübung einen Anzug im Stile des honorigen Herrn Papa vorführten. In der Vorfreude auf die baldige Übernahme der
alteingesessenen Familienkanzlei im Westerwald haben sie freilich etwas viel Zeit in den Erwerb von Soft Skills auf billigen
Golfplätzen und in
Vier-Sterne-Skigebieten investiert. Ihre Examensnoten kennt man nur gerüchteweise, weil sie seit dem Zugang des ominösen Briefes wie
vom Erdboden verschluckt sind. Man hört aber aus zuverlässiger Quelle, dass nicht wenige von ihnen im nächsten Hemmer-Jahrgang gesichtet worden sind, wo sie fleißig betonten, dass sie selbstverständlich
nur zur Notenverbesserung nochmal antreten wollten. Trifft man aber doch einmal einen dieser Menschen persönlich, so gibt es nichts schöneres, als ihn schlicht und direkt zu fragen, ob er denn
mit dem Examen zufrieden war, und dann sein Mienenspiel zu beobachten. Ein solches Gespräch ist zwar meistens sehr kurz, aber es entschädigt für viele Semester, in denen man das
Gehabe des Westerwaldadels nur mit zusammengebissenen Zähnen ertragen konnte.
Große Freude machen schließlich auch diejenigen Exemplare, die aus ihren
zweistelligen Noten vierstellige machen und sich nicht lange bitte lassen, selbige auch jedem
dahergelaufenen Idioten bis zur Hundertstel-Kommastelle exakt mitzuteilen. Dahergelaufene Idioten sind in diesen erlesenen Kreisen übrigens alle, die in der
Hundertstel-Kommastelle in einer Weise nach unten abfallen, die nicht mehr durch
Rundungsungenauigkeiten gerechtfertigt werden kann. Immerhin rekrutiert sich aber aus dieser Schicht auch der allergrößte Anteil derjenigen Juristen, die das
Benotungssystem in unserem Fach völlig objektiv und fair finden. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag dazu, denjenigen
Starjuristen soziale Legitimität zu verschaffen, die aus Sicht ihrer Kommilitonen vor dem Examen eher als
menschliche Problemfälle mit einem katastrophalen Kleidungsstil galten.
Wenn man nun ein wenig
Erholung von all dem Rummel sucht, empfiehlt es sich, die gebührende Anerkennung bei Elternpaaren vorzugsweise in
technischen Berufen zu suchen. Soweit sie den
Schock über die Berufswahl von Sohnemann oder Töchterchen in den letzten fünf Jahren überhaupt schon verdauen konnten, dürfte ihre Skepsis gegenüber einem Berufsstand, der ihnen früher nur als
unseliger Rechtsverdreher bekannt war, noch lange nicht gewichen sein. Dass in solch schlechter Gesellschaft das
Examen ein Lotteriespiel ist, lässt sich ihnen leicht klar machen und sichert einen hohen Mitleids- und Verständnisfaktor, der sich gegebenenfalls zeitnah in ein
Privatstipendium für die Doktorarbeit ("Sonst finde ich nie einen Job!") umsetzen lässt.
Damit wollen wir es aber mit dem
Fettnapfthema Nr. 1 bewenden lassen. Denn schon Matthäus berichtet uns von den schlimmen Konsequenzen andernfalls (Kap. 12, 36 – 37): "Ich sage euch aber, dass die Menschen
Rechenschaft geben müssen am
Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du
gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du
verdammt werden."
Ich bin ja schon ruhig.
Herzliche Grüße,
Ihr
Justus A. Bonus
Kontakt:
justus.bonus@jurawelt.com
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