Auch die Namen aller bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwälte einer Neusozietät müssen auf dem Kanzleibriefbogen aufgeführt sein, auch dann wenn es sich bei der Sozietät um eine “partnership” nach englischem Recht handelt, deren in Deutschland tätige Rechtsanwälte, die Partner der Sozietät sind, in England als “Foreign Lawyer” bei der Law Society registriert sind.
AGH Hamm, Beschluss vom 03.11.2000 – 2 ZU 21/00 AGH NW
Aus der Begründung:
I.
1. Der Antragsteller, der als Rechtsanwalt beim Landgericht D. zugelassen ist, hat seinen Kanzleisitz in D. Er ist Partner der Sozietät “A B C”, bei der es sich nach der Fußzeile um den Zusammenschluß der Anwaltssozietäten A B und C D, Rechtsanwälte Solicitors Lawyers (USA) Avocats Advocaten, handelt.
Der Antragsteller verwendet Briefbögen, in dessen Kopf sich lediglich die Kurzbezeichnung “A B C” neben der Kanzleianschrift sowie der Name des Antragstellers finden. Die anderen Gesellschafter der Sozietät sind nicht aufgeführt. In der Fußzeile heißt es lediglich, daß die Liste der Partner bei der oben angegebenen Adresse einsehbar sei.
2. Mit Bescheid vom 26.6.2000 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller auf, auf seinem Briefbogen sämtliche Partner, die als Rechtsanwälte bei einem deutschen Gericht zugelassen sind, aufzuführen. Die Antragsgegnerin sieht in der oben wiedergegebenen Gestaltung des Briefbogens einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 der BORA, wonach auf Briefbögen auch bei Verwendung einer Kurzbezeichnung die Namen sämtlicher Gesellschafter mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen aufgeführt werden müssen. Die Antragsgegnerin hält den Einwand des Antragstellers, daß es sich bei der “Neusozietät A B C” um eine “partnership” nach englischem Recht handele, daß alle in Deutschland tätigen Rechtsanwälte, die Partner der Sozietät seien, in England als “Foreign Lawyer” bei der Law Society registriert wären, für unbeachtlich; die in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte unterlägen dem deutschen Berufsrecht. Der Antragsgegner geht davon aus, daß § 10 BORA durch § 59b BRAO gedeckt sei, daß die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht in unzulässiger Weise einschränke.
3. Gegen diesen am 05.07.2000 zugestellten Bescheid wendet sich der Antragsteller mit seinem am 19.07.2000 eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er meint, daß § 10 Abs. 1 BORA keine Ermächtigungsgrundlage habe, daß insbesondere § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO nicht herangezogen werden könne, da die Verpflichtung, die Namen sämtlicher Gesellschafter mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen auf Briefbögen aufzuführen, nicht unter den Begriff der Werbung subsumiert werden könne. Er argumentiert, daß es sich bei der neu gebildeten Sozietät A B C um eine partnership nach englischem Recht handele, die nach den Regeln des Sitzortes zu beurteilen sei, daß die Gestaltung des Briefbogens englischen Vorstellungen entsprächen und berufsrechtlich unbedenklich sei. Der Antragsteller beruft sich darauf, daß der Bescheid dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung keine Rechnung trage und in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufsausübung eingreife; die Aufführung der Namen sämtlicher Gesellschafter sei weder im Gemeinwohlinteresse geboten, noch aus sonstigen Gründen erforderlich; die Praxis würde sie nicht berücksichtigen. Schließlich, so der Antragsteller, sei die Forderung nach einer Namenseingabe aller Gesellschafter mit der Dienstleistungsfreiheit in der EU unvereinbar.
Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Bescheid und legt näher da, daß § 10 Abs. 1 BORA die Ermächtigungsgrundlage in § 59b BRAO habe und wirksames Gesetzesverordnungsrecht darstelle, daß auch das am Berufsausübungsort geltende Berufsrecht zu beachten sei, daß verfassungsrechtliche Grundsätze nicht verletzt würden.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid vom 26.06.2000, durch den eine den Antragsgegner belastende Einzelfallregelung getroffen worden ist, ist nach § 223 Abs. 1 BRAO statthaft gestellt und fristgerecht, erweist sich jedoch in der Sache selbst als unbegründet. Der von dem Antragsteller verwandte Briefbogen, der neben der Kurzbezeichnung “A B C” nur den Antragsteller namentlich aufführt, ansonsten darauf verweist, daß die Liste der Partner bei der angegebenen Adresse einsehbar sei, verstößt gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA. Danach müssen auch bei Verwendung einer Kurzbezeichnung die Namen sämtlicher Gesellschafter mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen aufgeführt werden.
1. § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA ist von der Satzungsermächtigung in § 59b Abs. 2 BRAO gedeckt.
a. Im Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Gestaltung der Briefbögen zu den in Nr. 3 angesprochenen besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Werbung, zu den in Nr. 5a angesprochenen besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Verhalten und Auftreten gegenüber dem rechtsuchenden Publikum oder zu den in Nr. 8 angesprochenen besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der beruflichen Zusammenarbeit gehört. Der Gesetzgeber hat die Regelung der anwaltlichen Werbung, die Regelung des anwaltlichen Verhaltens gegenüber dem rechtsuchenden Publikum, und bei der beruflichen Zusammenarbeit, also die Regelung von Fragen, die sich auf die Art und Weise der praktischen Berufsausübung beziehen, der Berufsordnung zugewiesen, weil diese von den Berufsangehörigen selbst unter Ausnutzung ihrer besonderen Sachkunde erarbeitet wird und die Berufsangehörigen näher an den praktischen Problemen stehen.
b. Der Briefbogen gehört zur Außendarstellung einer Rechtsanwaltskanzlei. Diese tritt mit ihm in vielfältiger Weise in Erscheinung, verlautbart mit ihm nach außen, in welchem rechtlichen Rahmen die berufliche Zusammenarbeit mit wem erfolgt, legt mit ihm ihre Rechtsverhältnisse offen, gibt den anderen, die mit der anwaltlichen Tätigkeit in Berührung kommen, Gelegenheit zur Kenntnisnahme der Verhältnisse der Sozietät, auch der Partner, mit denen die berufliche Zusammenarbeit erfolgt . Die Anwaltskanzlei spricht mit ihm andere, sowohl den rechtsuchenden Bürger, der sich an den Anwalt wendet, als auch die gegnerische Partei als auch die Kollegen an. Die Angaben im Briefkopf zielen auch darauf ab, den Verkehr für die Inanspruchnahme anwaltlicher Leistungen zu gewinnen. Die eine Nachfrage bestimmenden Kenntnisse interessierter Kreise beruhen nicht zuletzt auf den Angaben, die den Briefbögen der Anwaltskanzlei entnommen werden können. Die Gestaltung und Verwendung eines bestimmten Briefkopfes berührt deshalb mehrere Fragenkreise anwaltlicher Berufsausübung.
Als Teil der Außendarstellung der Anwaltskanzlei handelt es sich um ein werbendes Verhalten, ist also Werbung und unterliegt deren Regelungen (BGH, ZIP 1997, 1763). Als Kommunikationsmittel gehört der Briefbogen zum Auftreten gegenüber Mandanten und Gegnern sowie gegenüber Kollegen, betrifft also das Verhalten des Rechtsanwaltes gegenüber dem rechtsuchenden Publikum und die kollegialen Pflichten untereinander.
2. § 10 Abs. 1 BORA verstößt nicht gegen höherrangiges Recht; ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG und ein unerlaubter Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung sind nicht gegeben. Bei der Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA handelt es sich um die Regelung der Art und Weise der praktischen Berufsausübung, um die Regelung der Umstände, in denen sich die berufliche Tätigkeit zu vollziehen hat, also um eine Berufsausübungsregelung. Berufsausübungsregelungen sind zulässig, soweit vernünftige Gründe des Allgemeinwohles diese als zweckmäßig erscheinen lassen.
a. § 10 Abs. 1 Satz BORA dient dem Informationsinteresse der Kreise, die anwaltliche Leistungen nachfragen oder mit ihnen in Berührung kommen. Er soll nicht nur die richtige, sondern auch die vollständige Unterrichtung des rechtsuchenden Publikums sicherstellen und Fehlvorstellungen oder Irreführungen durch unvollständige Angaben verhindern.
b. Die Regelung ist auch erforderlich. Mangels entsprechender Register ist der Briefbogen für das Publikum die wichtigste Informationsquelle über die Verhältnisse der Anwaltssozietät und über die Personen, die zu den Gesellschaftern gehören.
Das berechtigte Informationsbedürfnis wird durch die Kurzbezeichnung und durch die Möglichkeit, auf Anforderung in die Liste der Partner einsehen zu können, nicht befriedigt. Bei Rechtsberatern steht die persönliche Dienstleistung im Vordergrund. Sie werden – so Kleine-Cosack, BGH EWIR § 43 BRAO 1/98, 115 – von Rechtsuchenden anders als sonstige kaufmännisch tätige Firmen vor allem wegen des Namens einzelner Mitglieder von Kanzleien aufgesucht. Der Rechtsuchende will und muß wissen, wer mit wem zusammenarbeitet bzw. nicht mehr zusammenarbeitet, und zwar will und muß er diese Information unmittelbar erlangen können, nicht erst auf Anforderung, wobei eine gewisse Hemmschwelle bestehen wird, die Liste der Partner anzufordern oder in der jeweiligen Kanzlei einzusehen.
aa. Der Rechtsuchende will z.B. eine Kanzlei, in der ein bestimmter Rechtsanwalt tätig ist, nicht beauftragen, weil gerade dieser dort tätig ist. Er will mit dem Anwalt und auch mit der Sozietät, der er angehört, nichts mehr zu tun haben, sei es, daß dieser Anwalt ihn früher erfolglos vertreten hat, sei es, daß dieser Anwalt früher seinen Gegner vertreten hat und er jetzt wegen dieser früheren Tätigkeiten Interessenkollisionen befürchtet, sein Interesse, Interna, die auf Grund der früheren Prozeßvertretung bekannt sind, geheimzuhalten, gefährdet sieht. Die Kurzbezeichnung gibt dem Mandanten keine eigene, unmittelbare Kontrollmöglichkeit; Verbindungen werden eher zufällig bekannt.
bb. Ebenso besteht ein Informationsinteresse für den umgekehrten Fall, nämlich für den Fall, daß ein Rechtsanwalt nicht mehr in dieser Kanzlei, sondern in einer anderen Kanzlei tätig ist. Kleine-Cossack a.a.O. weist darauf hin, daß der Rechtsuchende erheblich irregeführt und in seinem Recht auf freie Anwaltswahl beeinträchtigt wird, wenn das Ausscheiden des Rechtsanwaltes und die Tatsache, daß der Ausgeschiedene weiterhin als Anwalt tätig ist, nicht offengelegt wird; die alte Kanzlei wird alles versuchen, den Rechtsuchenden als Mandanten für sich zu gewinnen und ihn von der Mandatierung des anderweitig tätigen früheren Kollegen abzuhalten.
cc. Im Gebiet des Anwaltsnotariats ist das Mitwirkungsverbot von Notaren nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG zu beachten. Der Gesetzgeber hat zwar mit der Neufassung des §9 BNotO Anwaltsnotaren gestattet, sich in einem gewissen Rahmen mit anderen rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen zu assoziieren. Umgekehrt ist aber besonders darauf geachtet worden, daß die Unparteilichkeit des Notars gewahrt wird, wobei sich dieses Gebot bei überörtlichen Sozietäten auf alle inländischen Niederlassungen bezieht. Der Sicherung dieses Gebotes dient das Mitwirkungsverbot als Notar bei einer Vorbefassung, sei es der eigenen, sei es der seiner Sozien, und die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BeurkG den Beteiligten zustellende Frage nach einer solchen Vorbefassung. Diese Frage nach einer Vorbefassung kann von den Urkundsbeteiligten nur beantwortet werden, wenn die Liste der Gesellschafter allgemein zugänglich ist.
c. Richtig ist, daß bei größeren Sozietäten ein Wechsel von Partnern dazu zwingen kann, in kürzeren Abständen Briefbögen neu drucken zu müsse. Dies und die daraus resultierenden praktischen Probleme sprechen nicht gegen die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BORA, führen nicht dazu die Verhältnismäßigkeit in Frage zu stellen und von einer unzulässigen Berufsausübungsregel auszugehen.
§ 10 Abs. 1 Satz 1 BORA erlaubt zwar Angestellte oder freie Mitarbeiter auf den Briefbögen namentlich aufzuführen, zwingt aber nicht dazu. Der Kreis derjenigen, die auf einem Briefbogen erscheinen, läßt sich auf den Kreis der Gesellschafter begrenzen. Ein Wechsel von Gesellschaftern dürfte eher selten sein. Die Fluktuation bei angestellten Rechtsanwälten oder freien Mitarbeitern mag höher sein. Dieses Risiko ist den Sozietäten, wenn sie in den Briefkopf angestellte Anwälte oder freie Mitarbeiter aufnehmen, bewußt. Wenn sie sich dennoch dazu entschließen, um eine gewisse Größe der Sozietät darzustellen oder um diesen Rechtsanwälten ein selbständiges Auftreten gegenüber Mandanten, Gegnern oder Gerichten zu ermöglichen, also wegen einer besseren Außendarstellung, dann müssen auch die damit verbundenen notwendigen Folgen in Kauf genommen werden. Daß bei Änderungen im Gesellschafterbestand Briefbögen neu gedruckt werden müssen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Auch Kapitalgesellschaften müssen die vertretungsberechtigten Organe aufführen und sind bei einem Wechsel der Organe zu Änderungen gezwungen.
Außerdem sind bei einer Abwägung Gesichtspunkte, die die praktische Umsetzung in der Sozietät betreffen, nicht so hoch zu bewerten wie das Informationsinteresse des rechtsuchenden Publikums. Organisatorische Probleme, die aus der Größe herrühren, müssen hingenommen werden.
3. Unbeachtlich ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, daß es sich bei der Sozietät A B C um eine partnership nach englischem Recht handelt und nicht um eine inländische Gesellschaft. Entscheidend ist, der Ort der Berufsausübung. Die in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte unterliegen den Berufs- und Standesregeln, die in der Bundesrepublik Deutschland gelten, also der Rechtsanwaltsordnung und der Berufsordnung, was im übrigen auch für ausländische Rechtsanwälte gilt, sofern sie den Rechtsanwaltsberuf ständig in der Bundesrepublik Deutschland ausüben wollen.
4. § 10 BORA verstößt nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit. Das Dienstleistungsrecht betrifft den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, d.h. die vorübergehende grenzüberschreitende Tätigkeit im Ausland eines in einem EU-Staat niedergelassenen Rechtsanwalts (Kleine-Cosack, BRAO, 3. Aufl., Einleitung Rdnr. 44). Die Berufsordnung gilt als Satzung nur für die Mitglieder der Rechtsanwaltskammer, so daß die in einem anderen EU-Staat ständig tätigen und niedergelassenen Rechtsanwälte, die nur eine vorübergehende Tätigkeit in Deutschland ausüben, nicht betroffen sind.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 BRAO.
Die Festsetzung des Geschäftswertes entspricht ständiger Rechtsprechung des Senates in einschlägigen Verfahren und bemißt sich nach § 223 Abs. 4 i.V.m. § 202 Abs. 2 BRAO und § 30 Abs. 2 KostO.
IV.
Die sofortige Beschwerde zum Bundesgerichtshof wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der vorliegenden Entscheidung zugelassen (§ 223 Abs. 3 BRAO).