BGB §§ 824, 1004; StGB § 186; GG Art. 2 I i.V.m. 1 I, 5
(…) hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2002
für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 18.12.2001 – 3 O 2388/01 III – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Streitwert der Berufung: bis DM 50.000.- (€ 25.564,59)
I.
Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig. Insoweit wird auf das im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Urteil des Landgerichts Heilbronn verwiesen. Dieses hat dem Beklagten unter Bestätigung des Beschlusses vom 19.10.2001 (Bl. 5/7) verboten, „wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten, der Antragsteller führe in der Praxis Dr. J.K., K-straße, H. rechtswidrige Abtreibungen aus”. Mit der Berufung will der Beklagte die Aufhebung des Urteils und Abweisung des klägerischen Verfügungsantrages erreichen.
II. Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat dem Beklagten zu Recht die wörtliche oder sinngemäße Äußerung verboten, der Kläger führe in seiner Praxis rechtswidrige Abtreibungen durch. Der entsprechende Unterlassungsanspruch des Klägers besteht unabhängig davon, ob man die Äußerung des Beklagten auf den Flugzetteln als unwahre Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung/Werturteil ansieht. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ist durch die bereits erfolgten rechtswidrigen „Aktionen” des Beklagten gegenüber dem Kläger indiziert und vorn Beklagten nicht ausgeräumt.
1. Der unvoreingenommene, verständige Leser des Flugblattes, auf den abzustellen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1995, 3305), versteht dessen Inhalt, der Kläger treibe rechtswidrig ab auch im Kontext dahin, der Kläger nehme gesetzeswidrige, also vom Gesetz nicht zugelassene, Schwangerschaftsabbrüche vor.
2. Sieht man darin eine Tatsachenbehauptung, so ist diese unrichtig und damit unwahr, denn der Kläger führt unstreitig Schwangerschaftsunterbrechungen nur entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen durch, verhält sich also mit seiner Tätigkeit gesetzeskonform. Soweit der Beklagte meint, man müsse von einem von ihm als „rechtsgebunden” bezeichneten (Leser-) Publikum ausgehen und dieses wisse sehr wohl, dass ein Schwangerschaftsabbruch gem. § 218 a Abs. 1 StGB (indikationsloser Schwangerschaftsabbruch) nach jetziger Gesetzeslage zwar hingenommen aber dennoch laut Bundesverfassungsgericht rechtswidrig sei, geht dies an der Wirklichkeit vorbei. Nach Überzeugung des Senats ist dem nicht juristisch vorgebildeten Leser diese Unterscheidung, auf die an keiner Stelle des Flugblattes hingewiesen wird, ganz überwiegend unbekannt.
Gegenüber dieser unwahren Tatsachenbehauptung steht dem Kläger ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 824, 1004 BGB analog und §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog i.V. mit § 186 StGB zu. Denn es handelt sich um eine kreditgefährdende, ehrverletzende Tatsachenbehauptung und an der Wiederholung einer unwahren Tatsachenbehauptung besteht kein grundrechtlich oder sonst geschütztes Interesse.
3. Beurteilt man die Äußerung nicht als (unwahre) Tatsachenbehauptung, sondern als (bloße) Meinungsäußerung, so folgt der Unterlassungsanspruch aus der darin liegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers gem. §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog (der subsidiäre Anspruch aus Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist damit ausgeschlossen; ein Anspruch aus § 824 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 186 StGB scheidet tatbestandsmäßig aus).
Da es sich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein „Rahmenrecht” handelt, muss die Rechtswidrigkeit der Verletzung im konkreten Fall jeweils festgestellt werden. Vorliegend ist dazu eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beklagten (Art. 5 GG) einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Klägers (Art. 1, 2 GG) anderseits erforderlich. Danach ist die Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers rechtswidrig, da die Güter- und Interessenabwägung zugunsten des klägerischen Persönlichkeitsrechts ausfällt.
Die Äußerung zusammen mit dem Verhalten des Beklagten greift ganz erheblich in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ein. So ist die Äußerung als solche, der Kläger mache gesetzeswidrige/verbotene Schwangerschaftsunterbrechungen, mit dem Vorwurf verbunden, sich permanent strafbar zu machen und damit von beachtlichem diskriminierendem Gewicht, zumal der Beklagte in diesem Zusammenhang im Flugblatt diese ärztliche Tätigkeit als „Ermordung ungeborener Kinder” qualifiziert. Sie personifiziert gesetzeswidrige Schwangerschaftsunterbrechungen mit dem Kläger. Der Beklagte belässt es jedoch nicht bei dieser (bloßen) Meinungsäußerung, sondern greift zudem in die – gesetzlich erlaubte – ärztliche Tätigkeit des Klägers ein. Der Umstand, dass der Beklagte im räumlichen Bereich der Praxis des Klägers die Flugzettel verteilt oder verteilen lässt, ist nämlich geeignet, potentielle Patienten des Klägers abzuhalten, die berufliche Tätigkeit zu beeinträchtigen und dem Kläger wirtschaftliche Nachteile zuzufügen. Es ist davon auszugehen, dass dies – wenn nicht gar beabsichtigt, so doch – bewusst in Kauf genommen wird.
Die in der Vergangenheit hoch streitige Frage der Abtreibungszulassung hat durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die daran eng anknüpfende gesetzliche Neuregelung der §§ 218 f. StGB einen – je nach Einstellung zu diesem Problem mehr oder weniger befriedigenden – Abschluss gefunden. Dennoch ist der Beklagte nicht gehindert, unter Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage für seine Auffassung „weiter zu kämpfen”, muss hierbei jedoch die Rechte Dritter berücksichtigen. Dies ist vorliegend gegenüber dem Kläger nicht hinreichend geschehen. Das Anliegen des Beklagten rechtfertigt nicht die geschilderten schwerwiegenden Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht (Sozialsphäre) des Klägers, zumal der Kläger dies in keiner Weise herausgefordert hat; eine solche Herausforderung kann auch nicht in einem etwaigen Hinweis des Klägers im Internet auf seine berufliche Tätigkeit bzw. (dem Gesetz entsprechenden) Schwangerschaftsunterbrechungen gesehen werden.
4. Kostenentscheidung: § 97 Abs. 1 ZPO.