OLG Nürnberg: Fokker Anleihen

12 U 2130/97 9 O 7000/96 LG Nürnberg-Fürth

Verkündet am 28. Januar 1998

Oberlandesgericht Nürnberg

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In Sachen

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 1997

für Recht erkannt:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. Juni 1997 abgeändert.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.235,83 DM nebst 5,8 % Zinsen hieraus vom 26. Oktober 1993 bis 26. August 1996 abzüglich erhaltener Zinsgutschriften und 4 % hieraus seit 27. August 1996 zu zahlen.

III. Im übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

IV.Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

V.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

VI.Die Beklagte ist mit 8.235,83 DM beschwert.

B e s c h l u ß :

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf

8.235,83 DM

festgesetzt.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

Die zulässige Berufung des Klägers ist im wesentlichen begründet.

Der Senat beurteilt nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme (teils wiederholte Vernehmung von Zeugen, teils Vernehmung neuer Zeugen) die Sach- und Rechtslage in den wesentlichen Punkten anders als das Landgericht.

Die Beklagte hat ihre Aufklärungs- und Beratungspflicht im Zusammenhang mit dem Kauf der streitgegenständlichen Fokker-Anleihen – 1993/1996 zu 6,5 %, Wertpapierkenn-Nummer: …, zum Preis von 10.213,33 DM am 25. Oktober 1993 durch den Kläger bei der Niederlassung der Beklagten in N…, F…/R… verletzt.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH WM 93, 1455 ff. „Bond-Entscheidung„; WM 96, 1260, 1261; 97, 811, 812), hat eine Bank die einem Anleger eine Geldanlage, hier eine Industrieanleihe, zum Kauf empfiehlt, ihn individuell, d.h. anlegergerecht und objektgerecht zu beraten. Eine Verletzung dieser Pflicht kann, wenn sie ursächlich für einen Schaden war, einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß oder aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung begründen (§§ 276, 249 BGB; BGH a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall ein Aufklärungsverschulden der Beklagten anzunehmen.

2. Dabei ist beim Kläger zu berücksichtigen, daß er im maßgeblichen Zeitpunkt Laie auf dem Gebiet der Geldanlage war. Die Behauptungen der Beklagten, daß es sich bei ihm um einen erfahrenen Anleger handelte, sind nämlich nicht bewiesen. Unstreitig ist zudem, daß der Kläger eine sichere, konservative nicht spekulative Geldanlage wünschte. Das ergibt sich auch aus den insoweit glaubhaften Bekundungen der Zeugin S und des Zeugen R, H, die in diesem Punkt im wesentlichen übereinstimmen. Im übrigen ergibt es sich auch aus den eigenen glaubhaften Angaben des Klägers bei seiner Anhörung gemäß § 141 ZPO durch das Berufungsgericht. Der Kläger wollte eine Geldanlage, auf die er leicht Zugriff nehmen konnte.

Zwar ist aufgrund des persönlichen Eindrucks, den der Kläger bei seiner Anhörung nach § 141 ZPO auf den Senat machte, anzunehmen, daß es sich bei ihm um einen geschäftsgewandten lebenserfahrenen Menschen handelt. Das wird auch durch seinen Bildungsstand und seinen Beruf – er ist angestellter Arzt – bestätigt. Bei dieser Sachlage ist der Senat überzeugt, daß dem Kläger bekannt war, daß eine Industrieanleihe allgemein abhängig von der Bonität der Schuldnerin ist und somit nicht so sicher sein konnte wie Sparguthaben einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse oder sonstige mündelsichere Anlagen.

Gleichwohl bestand auch für ihn aus den oben genannten Gründen ein Beratungsbedarf bei der in Aussicht genommenen Geldanlage.

3. Die Äußerungen des Angestellten H der Beklagten reichen im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des dargelegten Wissensstandes und Anlegerhorizontes des Klägers nicht zur geschuldeten umfassenden anleger- und objektgerechten Beratung aus.

a)Der Anlageberater der Beklagten, der Zeuge R. H., dessen etwaiges Verschulden sich die Beklagte gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muß, hat bei dem Beratungsgespräch die Fokker-Anleihe vorgeschlagen, u. a. auch mit dem Bemerken, daß es sich um eine Anleihe für ein Unternehmen handle, hinter dem die Firma DASA AG und deren Mehrheitsaktionärin die Firme Daimler-Benz AG sowie der niederländische Staat stehe.

Es ist schon zweifelhaft, ob die Empfehlung einer Industrieanleihe im vorliegenden Fall überhaupt anlegergerecht war. Nicht übersehen werden kann das allgemeine Insolvenzrisiko, d. h. die Abhängigkeit der Rückzahlung von der Bonität des Emittenten zum Zeitpunkt der Rückzahlbarkeit. Nach BGH WM 1993, 1455, 1456; OLG Braunschweig, WM 1996, 1484; OLG Celle WM 1993, 190 ist über dieses Risiko aufzuklären. Der gegenteilige Standpunkt (u.a. vertreten von OLG Schleswig, WM 1996, 1487; OLG Düsseldorf, WM 94, 1468) wird im wesentlichen von der Auffassung getragen, daß über die allgemein bekannte Abhängigkeit von Rückzahlung und Rückzahlungsfähigkeit nicht aufzuklären sei.

Die Frage kann nicht generell beantwortet werden. Der Umfang der Beratungspflicht hängt von den jeweiligen besonderen Umständen ab. Der Senat läßt sie für vorliegenden Fall ausdrücklich offen.

b)Die Beklagte hat nämlich jedenfalls ihre Beratungspflicht dadurch verletzt, daß sie es unterließ, über das allgemeine Insolvenzrisiko hinaus über die besonderen Verhältnisse der Emittentin aufzuklären, zumal der Kläger eine „konservative, sichere Anlage„ wünschte, wie er gegenüber dem Anlageberater der Beklagten, dem Zeugen R. H., dessen Kenntnis sich die Beklagte zurechnen lassen muß (§ 166 Abs. 1 BGB), zum Ausdruck brachte.

Die Beratung der Beklagten durfte sich nicht in der Mitteilung des Ergebnisses eigener Beurteilung, nämlich der Anlage als sicher, und des Umstandes erschöpfen, daß die DASA AG/Daimler-Benz AG und der niederländische Staat hinter der Emittentin stünden. Sie hätte vielmehr auf weitere Risikofaktoren hinweisen müssen.

Zwischen den Parteien in unstreitig, daß hinsichtlich der Fokker-Anleihe ein offizielles „Rating„ nicht bestand. Die Beklagte wäre deshalb verpflichtet gewesen, wenigstens die wesentlichen Faktoren, die sie zu einer Klassifizierung der Anleihe als sicher veranlaßt hätten, dem beratungsbedürftigen Kläger mitzuteilen. Das gilt umso mehr, als die Beklagte selbst nach der insoweit glaubhaften Zeugenaussage ihres Mitarbeiters S. in ihrem Bewertungssystem WOP die Fokker-Anleihe gerade wegen des Fehlens eines offiziellen „Rating„ von B, also nicht risikofrei, spekulativ, gleich. Die Beklagte hätte bei der Beratung vor Ort durch den Zeugen H den Kläger insbesondere darauf hinweisen müssen, daß die Emittentin Fokker AG sich noch Anfang 1993 vor dem Einstieg der DASA AG (Daimler-Benz AG) und der Beteiligung des niederländischen Staates in wirtschaftlich ganz prekärer Situation befand, ja ein Sanierungsfall war und daß diese Krise der Fokker AG im wesentlichen auf der Entwicklung des Flugzeugmarktes in den Bereichen, in denen die Fokker AG tätig war, beruhte. Daß mit dem Engagement der DASA AG/Daimler-Benz AG und des niederländischen Staates die Krise nicht völlig beseitigt war, sondern von der weiteren Entwicklung des schwierigen Marktes abhing, ergibt sich insbesondere aus dem von der … (…), einer Tochterfirma der Beklagten, im Juni 1993 erstellten Beurteilung (Anlage B1). Dort ist (Seite 1) auf die Ursachen der Liquiditätsprobleme der Fokker AG, nämlich die bestehende Absatzflaute für Regionalflugzeuge, ausdrücklich hingewiesen.

Daraus ist zu entnehmen, daß die Emittentin im Jahre 1993 bei weitem kein gesundes Unternehmen war. Die Hoffnungen auf Besserung stützten sich auf die Erwartung, daß sich die Lage auf dem Flugzeugmarkt verbessern werde. Die Beurteilung der Fokker AG war also auch bereits zum damaligen Zeitpunkt in hohem Maße spekulativ. Daran ändert auch nicht, daß die DASA AG/Daimler-Benz AG als neue Gesellschafterin der Holding AG im April 1993 sofort nach Übernahme ihrer Beteiligung 900 Mio. DM investiert und daß auch der niederländische Staat eine zusätzliche Garantie für ein Darlehen in Höhe von 180 Mio. Holländischen Gulden zur Verfügung gestellt hatte. Die Investitionen der neuen Beteiligten beseitigten zunächst nur die unmittelbaren Liquiditätsschwierigkeiten. Die weitere Entwicklung mußte abgewartet werden, zumal es auch in der Vergangenheit, zum Beispiel in der Werften-, Stahl- und Bergbauindustrie wiederholt vorkam, daß sich potente Investoren wieder zurückgezogen haben. Die Beklagte hätte den Kläger als beratungsbedürftigen, auf eine sichere, konservative Anlage wertlegenden Kläger auf das weiterhin bestehende Risiko hinweisen müssen. Es ist der Sinn des Beratungsgespräches, dem Anleger eine eigene Beurteilung zu ermöglichen.

Es kommt nicht darauf an, daß dem Zeugen H. als Berater vor Ort im wesentlichen keine anderen Informationen zur Verfügung standen, als die in dem MOV-System der Beklagten enthaltenen Hinweise. Diese erschöpften sich in der Darstellung der Beteiligung der Daimler-Benz AG und des niederländischen Staates. Der Beklagten ist vorzuwerfen, daß sie durch den Zeugen S. der eingestandenermaßen keine besonderen und konkreten Kenntnisse über die Emittentin hatte, im wesentlichen eine Beurteilung als sicher allein aufgrund der Beteiligungsverhältnisse vornehmen und in das MOV-System aufnehmen ließ. Außer diesen Beteiligungsverhältnissen war ihm lediglich bekannt, daß die Konsortialabteilung der Beklagten die Plazierung der Anleihe unter der Konsortialführung der Beklagten mit anderen Banken vorbereitet hatte. Der Zeuge S. hat daraus geschlossen, daß die Fokker AG nunmehr ein integrierter Teil von Daimler-Benz und vollkonsolidiert sei. Deswegen habe er keine Ausfallrisiken gesehen und habe die Fokker Anleihen in die Standardofferte des MOV eingebracht (MOV-Klasse 30). Nach alledem lag seiner Klassifizierung eine eigenständige konkrete Beurteilung der Fokker AG zum damaligen Zeitpunkt nicht zugrunde. Im Ergebnis war daher schon die Beratungsunterlage der Beklagten für die Beratung des Klägers durch den Zeugen H. unzureichend.

In dem Börsenprospekt („Informationsmemorandum„ vom September 1993, Anlage K1) wird zwar der schwierige Markt der Flugzeugindustrie angesprochen (Seite 10,11). Es wurde auch eine Risikoanalyse vorgenommen (Seite 34, 35). Diese Angaben sind jedoch so allgemein gehalten, daß sie eine Beratung der Bank für einen Kunden, der eine verhältnismäßig konservative, sichere Anlage wünscht, nicht ersetzen kann.

4. Der dargestellte Pflichtenverstoß der Beklagten ist auch fahrlässig schuldhaft und für die letztlich schädliche Geldanlage des Klägers ursächlich (§ 249 BGB). Daß der Kläger die Anlage bei ausreichender Beratung gleichwohl vorgenommen hätte, ist anzunehmen. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte (BGH WM 97, 811, 813; OLG Düsseldorf, WM 96, 1082, 1088 jeweils m.w.N.; Palandt-Heinrichs, 57. Auflage, RZ 15 zu § 282 BGB) hat die Vermutung eines aufklärungsrichtigen Verhaltens des Klägers nicht ausgeräumt.

5.Aufgrund der festgestellten Verletzung des Beratungsvertrages ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dieser entspricht dem Aufwand des Klägers beim Erwerb der Fokker Anleihe in Höhe von 10.213,33 DM. Davon ist der erzielte Erlös für den Verkauf der Anleihe am 9. August 1996 zum Kurswert von 20,10 % in Höhe von 1.077,50 DM abzuziehen, so daß sich der vom Kläger im Berufungsverfahren noch geforderte Betrag von 8.235,83 DM ergibt.

6.Hinsichtlich der Zinsen ist der Kläger dabei so zu stellen, als hätte er 1993 eine sichere Geldanlage vorgenommen (§§ 249, 252 Satz 2 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO). Den Zinssatz schätzt der Senat bis Ende der Laufzeit (26. August 1996) auf 5,8 %. Etwaige an den Kläger ausbezahlte Zinsgutschriften für die Anleihe sind anzurechnen. Vom 27. August 1996 an stehen dem Kläger nur 4 % als Verzugszinsen zu (§§ 286, 288 BGB). Höhere Zinsen sind im Hinblick auf das Bestreiten der Beklagten konkret nicht dargetan. Darüber hinaus ist die Rechtfertigung höherer Zinsen mit dem Hinweis auf die Inanspruchnahme von Bankkredit mit Überziehungsszinsen in einem Fall, wie dem vorliegenden, nicht schlüssig. Im übrigen gilt § 278 Abs. 3 ZPO hinsichtlich der Nebenforderungen. In diesem Umfang bleibt es daher bei der Klageabweisung.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 92 Abs. 2 ZPO.

Soweit die Parteien übereinstimmend die Hauptsache in Höhe von 1.977,50 DM für erledigt erklärt haben (Protokoll vom 14. Mai 1997, Seite 2 und 3, Bl. 101, 102 d.A.), hat die Beklagte ebenfalls die Kosten zu tragen, da sie auch insoweit unterlegen wäre (§ 91 a Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Wert der Beschwer des Klägers ist nach § 546 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 3 ZPO bestimmt worden.

Es besteht kein Anlaß, die Revision zuzulassen (§ 546 Abs. 1 ZPO).