OLG Hamm: Durchsuchungsanordnung

OBERLANDESGERICHT HAMM

BESCHLUSS

28 W 1/O1

In der Zwangsvollstreckungssache

der ….

Gläubigerin und Beschwerdeführerin,

– Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ….

gegen

Herrn …

Schuldner und Beschwerdegegner,

– Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt ….

hat der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die sofortige weitere Beschwerde der Gläubigerin vom 27.12.00 gegen den Beschluß der 11. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 29.9.00 durch … am 19. Juni 2001

b e s c h l o s s e n:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt nach einem Gegenstandswert bis zu DM 600,- dieGläubigerin.

G r ü n d e

A.

Die Gläubigerin betrieb die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil wegen einer Hauptforderung in Höhe vonDM 900,-, die der Schuldner am 7.4.99 zumindest ganz überwiegend erfüllt hat. Am 10.5.99 erteilte dieGläubigerin wegen einer zwischen den Parteien der Höhe nach streitigen Zinsforderung von DM 20,61 nebstVollstreckungskosten einen Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher. Dieser unternahm am 1.6.99,9.6.99 und 25.6.99 Vollstreckungsversuche während der üblichen Arbeitszeiten, wobei er den Schuldnernicht antraf. Den Vollstreckungsversuch am 25.6.99 hatte er mit seinem Schreiben vom 9.6.99 (Blatt 11 c)angekündigt und auf die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsuchung hingewiesen. Der Schuldner beriefsich mit Schreiben vom 23.6.99 gegenüber dem Gerichtsvollzieher (B1. 11 f) darauf, aus dem “Wurfzettel”lasse sich nicht entnehmen, welcher Gläubiger auf Grund welchen Titels vollstrecke, so dass er nicht einmaldie Möglichkeit habe, Vollstreckungserinnerung einzulegen, da dies ohne Angabe des Gerichts undAktenzeichens nicht möglich sei. Ferner erklärte er in seinen Schreiben, er werde am 25.6.99 während dervom Gerichtsvollzieher angekündigten Zeit zwischen 11 und 7.9:00 Uhr nicht zur Verfügung stehen.

Der Gerichtsvollzieher stellte, nachdem er am 25.6.99 den Schuldner nicht antraf, seineVollstreckungsversuche ein und regte bei der Gläubigerin an, einen Durchsuchungsbeschluss gemäß § 758a ZPO zu erwirken. Auf Antrag der Gläubigerin erließ das Amtsgericht am 9.11.99 (Blatt 6) – ohne vorherigeAnhörung des Schuldners- den Durchsuchungsbeschluss. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, auswelchen Gründen von der Anhörung abgesehen wurde, noch ist ausgeführt, daß eine vorherige Anhörungdes Schuldners wegen konkreter Anhaltspunkte den Vollstreckungserfolg gefährden würde und daher nachpflichtgemäßen Ermessen unterblieben sei. Am 8. 2. 2000 wurde die Wohnung des Schuldners auf Grunddes Durchsuchungsbeschlusses gewaltsam geöffnet. Der Schuldner hat gegen denDurchsuchungsbeschluss am 19.2.00 sofortige Beschwerde eingelegt. Er hat behauptet, dass derGläubigerin wegen der Zinsen nur noch eine Restforderung von DM 2,07 nach der von ihm unstreitigerklärten Aufrechnung mit einem Kostenerstattungsanspruch zugestanden habe. Inzwischen hat derSchuldner unstreitig die von der Gläubigerin geltend gemachte Restforderung gezahlt.

Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde des Schuldners festgestellt, dass derDurchsuchungsbeschluss nicht in rechtmäßiger Weise ergangen ist. Gegen diesen der Gläubigerin zuHänden ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 13.11.00 zugestellten Beschluß richtet sich die am 27.11.00eingegangene sofortige weitere Beschwerde, mit sie geltend macht, die Beschwerde sei nach Beendigungder Zwangsvollstreckungsmaßnahme unzulässig und im übrigen sei der Durchsuchungsbeschluß zu Rechtergangen. Das Amtsgericht habe eindeutig und zweifelsfrei sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt, da alsBegründung aufgeführt sei, dass der Schuldner trotz vorheriger Ankündigung mehrfach zu unterschiedlichenTageszeiten nicht angetroffen wurde.

Demgegenüber ist der Schuldner der Ansicht, der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses sei ein derartgravierender Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzbarkeit der Wohnung, dass auch nach Beendigung derZwangsvollstreckung die Anfechtung des Durchsuchungsbeschlusses zulässig sein müsse. Dies sei für ihnauch von existentieller Bedeutung, da die Zwangsvollstreckungsmaßnahme zu einem Schufa – Eintraggeführt habe, der nur nach Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses gelöscht werde. DerDurchsuchungsbeschluss sei rechtswidrig, da ihm vorher kein rechtliches Gehör gewährt worden sei, ohnedass es dafür besondere Gründe gegeben habe.

B.

I. Die gemäß § 793 Abs. 2 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde derGläubigerin ist gemäß § 568 Abs. 2 S.2 ZPO zulässig. Da das Landgericht auf das Rechtsmittel desSchuldners die Rechtswidrigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung vom 9.11.99 festgestellt unddamit ein inhaltlich anderes Entscheidungsergebnis als das Amtsgericht getroffen hat, enthält derangefochtene Beschluß einen neuen, selbständigen Beschwerdegrund (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 22. Aufl.,§ 568 Rdn. 8).

II. In der Sache hat die sofortige weitere Beschwerde keinen Erfolg, da das Landgericht der sofortigenBeschwerde des Schuldners gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung vom 9.11.99 zu Rechtstattgegeben hat.

1. Der Umstand, daß der Durchsuchungsbeschluß vom 9.11.99 vollzogen und die Zwangsvollstreckungbeendet ist, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 19. 2. 2000nicht entfallen. Zwar trifft es zu, daß die Rechtsbehelfe des Zwangsvollstreckungsverfahrens grundsätzlich nurbis zum tatsächlichen Abschluß des Verfahrens ergriffen werden können (vgl. Zöller-Stöber, ZPO, 22. Aufl.,vor § 704 Rdn. 33; § 766 Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 766 Rdn. 33), der hierspätestens infolge der Befriedigung der Gläubigerin durch Zahlung der Restforderung durch den Schuldnererreicht war. Diese prozessuale Überholung gilt aber für Rechtsmittel gegen eine richterlicheDurchsuchungsanordnung jedenfalls nicht uneingeschränkt.

Die Verletzung des Grundrechtes des Art.13 GG durch eine fehlerhafte Durchsuchungsanordnung wiegtnach neuester Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (grundlegend BVerfG in NJW 1997, 2163;BVerfG in NJW 1999, 273), der der Bundesgerichtshof folgt (BGH in NJW 1999, 730 [731]) , so schwer,daß der betroffene Bürger grundsätzlich selbst dann noch einen Anspruch auf die Feststellung derRechtswidrigkeit des Eingriffs besitzt, wenn dieser vor einer möglichen gerichtlichen Überprüfung in einemRechtsmittelverfahren schon tatsächlich wieder beendet ist (vgl. auch Musielak-Lackmann, 2. Aufl., ZPO §758a Rdn.16). Die von Art. 19 Absatz 4 Grundgesetz gewährleistete Effektivität des Rechtsschutzesgebietet es, dass der Betroffene die Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden- wennauch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden- Grundrechtseingriff gerichtlich klären zu lassen. Die Fällerichterlicher Durchsuchungsanordnung sind dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffene einenRechtsschutz in dem vorgesehenen Instanzenzug typischerweise vor Beendigung der staatlichenZwangsmaßnahme nicht erreichen kann, weil diese ihrer Natur nach regelmäßig vor möglicher gerichtlicheÜberprüfung schon wieder beendet ist. Die Funktionsteilung zwischen der Fach- undVerfassungsgerichtsbarkeit lässt es aber nicht zu, dass der Betroffene effektiven Rechtsschutz nur im Wegeder Verfassungsbeschwerde suchen dürfte (vgl. BVerfG NJW 1998, 2132 und 2814; OLG Köln InVo 2000,281 f). Daher ist gegen die gerichtliche Durchsuchungsanordnung in der Regel auch nach Beendigung desVerfahrens der Rechtsweg zu den Fachgerichten eröffnet. Vorliegend kommt noch hinzu, dass derSchuldner unwidersprochen vorgetragen hat, durch den Durchsuchungsbeschluss weiterhin einRechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit zu haben ,. weil die auf Grund derZwangsvollstreckungsmaßnahme erfolgte Eintragung in das Schufa-Register erst nach der Feststellung derRechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses entfernt werde.

Ob dann, wenn einem Schuldner vor Erlaß der Durchsuchungsanordnung rechtliches Gehör gewährt wordenist, ein Rechtsschutzinteresse an einer (nachträglichen) Feststellung der Rechtswidrigkeit derDurchsuchungsanordnung zu verneinen wäre, wenn diese zu. Lasten des Schuldners keine Folgewirkungenetwa infolge einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung hat (so Lackmann in: Musielak a.a.O.), bedarf keinerVertiefung und Entscheidung. Vorliegend ist die Durchsuchungsanordnung ohne Gewährung des rechtlichenGehörs ergangen (vgl. dazu weiter hinten). Abgesehen davon wirkt der Beschluß infolge derSchufa-Eintragung fort.

2. Die Durchsuchungsanordnung vom 9.11.99 ist auch in der Sache rechtsfehlerhaft ergangen und zwar schondeshalb, weil das Amtsgericht den Schuldner vor Erlaß nicht angehört und damit den in Art. 103 GGverankerten Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt hat. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet auch im Falle des §758a ZPO grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners (vgl. Musielak-Lackmann, 2.Aufl., ZPO §758a. Rdn. 14; Zöller-Stöber, ZPO, 22. Aufl., §758a Rdn. 25). Da das rechtliche Gehör demBetroffenen Gelegenheit geben soll, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluß zu nehmen,ist in den Regelfällen des gerichtlichen Verfahrens nur eine vorherige Anhörung sinnvoll. Die Sicherunggefährdeter Interessen kann allerdings in besonderen Verfahren einen sofortigen Zugriff notwendig machen,der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen steht eine Verweisung des Betroffenen aufnachträgliche Anhörung mit dem Grundgesetz im Einklang. Ist der Vollstreckungserfolg gefährdet, wird dasAbsehen von der Anhörung des Vollstreckungsschuldners vor Erlaß der Durchsuchungsanordnung mit dem.Grundgesetz vereinbar sein. Es ist eine rein tatsächliche Frage, ob im Einzelfall diese Voraussetzung aufGrund bestimmter Umstände gegeben ist oder in der Praxis die Gefährdung des Vollstreckungserfolgsnahezu regelmäßig zu bejahen ist. Ob die Gefährdung besteht, muß das zuständige Gericht immer imEinzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden, wobei es nicht gehindert ist, allgemeineErfahrungssätze zu berücksichtigen. Die Entscheidung darüber, ob von der vorherigen Anhörung desSchuldners abzusehen ist, bleibt somit dem richterlichen Ermessen im Einzelfall überlassen und ist von ihmin der Entscheidung – jedenfalls kurz – zu begründen (BVerfG NJW 1979, 1539; NJW 1981, 2111).

Der Schuldner ist vor Erlaß der Durchsuchungsanordnung vom 9.11.99 vom Amtsgericht Essen nichtangehört worden. Der Hinweis des Gerichtsvollziehers im Schreiben vom 9.6.99, mit dem er denZwangsvollstreckungsversuch vom 25. Juni 1999 angekündigt und für den Fall des Nichterscheinen desSchuldners auf die Möglichkeit des Gläubigers hingewiesen hat, den Erlass eines richterlichenDurchsuchungsbeschluss zu beantragen, reicht als Gewährung rechtlichen Gehörs nicht aus.

Der Beschluß des Amtsgerichts vom 9.11.99 enthält auch keinerlei Begründung dafür, warum keinrechtliches Gehör gewährt worden ist und dieses aufgrund pflichtgemäßer Ausübung richterlichenErmessens entbehrlich gewesen sei. Auch der Antrag der Gläubigerin vom 29.10.99 enthält keine – nichteinmal formularmäßige – Angaben dazu, warum die Gewährung rechtlichen Gehörs den Vollstreckungserfolggefährden könnte. Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, daß das Amtsgericht sich mitdieser Frage überhaupt auseinandergesetzt und sein Ermessen ausgeübt hat. Dazu bestand hier aber inbesonderem Maße Anlass, da der Schuldner mit Schreiben vom 23.6.99 den Gerichtsvollzieher um nähereAngaben zu der zu vollstreckenden Forderung gebeten hatte, um gegebenenfalls Rechtsmittel einlegen zukönnen. Auch wegen der geringen Restforderung von wenigen Mark war bei Anordnung einer derartschwerwiegenden staatlichen Maßnahme eine besonders sorgfältige Prüfung der Angemessenheit undErforderlichkeit und Abwägung der widerstreitenden Interessen geboten (dazu vgl. z.B. Zöller-Stöber § 758aRdn. 21 und § 753 Rdn. 8 m.w.N.).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus 3 ZPO in Verbindung mit § 57 Absatz 3 und Absatz 2 Nr. 1 BRAGO.