Urteil vom 14. Mai 1996 – 20 U 126/95 (Vorinstanz LG Düsseldorf: 12 O 368/94)
Urteil
In dem Rechtsstreit (…) hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (…) für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Februar 1995 abgeändert und wird die Beklagte unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM verurteilt, es zu unterlassen, ohne Zustimmung der Klägerin im Auftrag eines Kunden für dessen Archiv diesem themenbezogen ausgewählte Beiträge aus “H.” und/oder “W.”, die der Dritte oder die Beklagte nach Themenangaben des Dritten ausgewählt hat, auf elektronischen Datenträgern zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet. Die Sicherheit kann auch durch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer Großbank oder öffentlichen Sparkasse mit Sitz in Deutschland geleistet werden.
Tatbestand
Die Klägerin verlegt die Zeitung “H.” und das Wirtschaftsmagazin “W.” Zudem bietet sie unter der Bezeichnung “G.” den Inhalt eigener Presseobjekte und – nach Erwerb entsprechender Nutzungsrechte – auch den Inhalt fremder Periodika nach Stichworten geordnet im sogenannten Online-Zugriff gegen Entgelt an.
Die Beklagte erbringt ihrem unwidersprochenen Vortrag zufolge gegen Entgelt für Kunden Leistungen zum Aufbau von Pressearchiven in elektronischer Form; dabei verwertet sie auch Beiträge des “H.” und der “W.”. Die Beklagte läßt sich zum einen von Kunden Exemplare der auszuwertenden Zeitungen oder Zeitschriften übermitteln, die bereits lektoriert sind, d.h. in denen die zu archivierenden Beiträge gekennzeichnet sind. Zum anderen bietet sie aber auch an, selbst Zeitungs- und Zeitschriftenexemplare, die von oder für Kunden beschafft werden, zu lektorieren. Einen solchen Auftrag hat die Beklagte bisher aber noch nicht erhalten. Die Seiten der Zeitungen oder Zeitschriften mit den gekennzeichneten Beiträgen werden zunächst in ein Datenverarbeitungssystem insgesamt eingelesen. Aus den Ganzseiten werden die gewünschten Beiträge sodann elektronisch ausgeschnitten und in ein von den Auftraggebern vorgegebenes Archivsystem gebracht, gegebenenfalls unter Indexierung der Beiträge. Das archivierte Dokument wird den Kunden je nach Wunsch als ablagefähiges Papierdokument, als digitalisiertes Faksimile oder auf einem Datenträger zur Verfügung gestellt, und zwar am folgenden Arbeitstag. Die Kunden geben die in elektronisch gespeicherter Form übermittelten Beiträge in ihre der Archivierung dienende Datenverarbeitungsanlage ein. Bei der Beklagten werden alsdann sämtliche Daten gelöscht. Wenn an einem bestimmten Tag mehrere Auftraggeber einen Beitrag von ein und derselben Zeitungs- oder Zeitschriftenseite archivieren lassen – dies ist bisher noch nicht vorgekommen -, wird die Seite nur einmal eingelesen. In diesem Fall wird von jedem Kunden ein Exemplar der betreffenden Zeitung oder Zeitschrift verlangt oder für ihn auf seine Kosten beschafft.
Die Klägerin hat der Beklagten, die sie als Wettbewerberin bei der Sekundärnutzung veröffentlichter Presseinformationen ansieht, die unmittelbare Übernahme fremder Leistungen vorgeworfen (§ 1 UWG). Die Beklagte biete praktisch den gesamten redaktionellen Inhalt des “H.” und der “W.” in elektronisch gespeicherter Form an, und zwar fast tagesaktuell. Durch die systematische, fortlaufende unmittelbare Übernahme ihrer, der Klägerin, Leistungen behindere die Beklagte sie in sittenwidriger Weise beim Absatz von Mehrfachabonnements. Die elektronische Speicherung erweitere die Nutzung der übernommenen Beiträge “theoretisch grenzenlos”. Bisherige Mehrfachbezieher des “H.” und der “W.” könnten bei Inanspruchnahme der Dienste der Beklagten künftig mit nur einem Exemplar auskommen; eine Vielzahl ihrer Betriebsangehörigen könnten die Veröffentlichungen dann über Endgeräte nutzen. Zudem verstoße die Beklagte dadurch gegen § 1 UWG, daß sie Vervielfältigungen ohne Rücksicht auf fremde Urheberrechte vornehme. Bei Erstellung und Nutzung elektronischer Pressearchive komme es technisch bedingt zu einer Vielzahl von Vervielfältigungen. Auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG könne sich die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Tätigkeit nicht berufen. Es gehe nicht nur um die Herstellung “einzelner Vervielfältigungsstücke”. Wegen des “Multiplikatoreffekts” bei der Nutzung sei die elektronische Speicherung auch gar kein “Archiv” im Sinne des Gesetzes. Was § 53 Abs. 2 Nr. 4 a UrhG betreffe, so finde in bezug auf die jeweiligen Zeitungs- und Zeitschriftenausgaben nicht nur die Verwertung “einzelner Beiträge” statt. § 53 UrhG sei im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, der das Urheberrecht unterfalle, eng auszulegen. Hinsichtlich der elektronischen Archivierung sei bisher keine sachgerechte Regelung der Urhebervergütungsregelung getroffen. Tatsächlich liege eine gewerbsmäßige Vervielfältigung für eine Vielzahl von Dritten unter Benutzung nur eines Werkstückes vor. Die Beklagte benutze bei der Einspeicherung für die einzelnen Auftraggeber nicht jeweils ein eigenes Werkstück. Bei der Bündelung von Aufträgen liege eine nach § 53 Abs. 5 UrhG verbotene Verbreitung vor. Die Klägerin hat sich zudem auf die Vorstellung des “E.-Informationssystems”, einer “zentralen Hostdatenbank, die den Informationsbedarf für die journalistische Arbeit abdeckt”, durch den Geschäftsführer der Beklagten am 27. Mai 1993 auf der Messe “Infobase” in Frankfurt am Main berufen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
l. im Auftrag eines Dritten (Kunden) zur Erstellung eines Kundenarchivs diesem
a) die Wirtschafts- und Medienberichterstattung aus “H.” und/oder “W.”,
b) themenbezogen ausgewählte Artikel aus “H.” und/oder “W.” die der Dritte oder die Beklagte nach Themenangaben des Dritten ausgewählt hat, auf elektronischen Datenträgern zur Verfügung zu stellen,
2. hilfsweise,
Sprachwerke aus “H.” und/oder “W.”, welche die Beklagte als Teil des gesamten redaktionellen Inhalts der betreffenden Ausgabe des “H.” und der “W.” jeweils von ein und demselben Werkstück auf elektronische Datenträger übertragen hat, im Wege der elektronischen Datenverarbeitung zu vervielfältigen und an mehr als einen Auftraggeber entgeltlich abzugeben.
Die Beklagte hat
Klageabweisung beantragt.
Sie hat vorgetragen, mangels eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien finde § 1 UWG keine Anwendung. Sie halte nicht den Gesamtinhalt von Zeitungen oder Zeitschriften elektronisch gespeichert vor und stelle ihn auch nicht anderen entgeltlich zur Verfügung. Von Zeitungen oder Zeitschriften werde keine elektronische Zweitschrift hergestellt. Die von ihr gespeicherten einzelnen Beiträge wiesen für die Benutzer nicht mehr die von Zeitungen und Zeitschriften geforderte Aktualität auf. Deshalb werde durch ihre Dienstleistungen auch nicht das Angebot von Zeitungen und Zeitschriften oder das aktuelle Angebot des elektronisch gespeicherten Inhalts ganzer Zeitungen und Zeitschriften behindert. Sie übernehme nicht das gesamte Leistungsergebnis des “H.” und der “W.”, sondern erbringe mit der Archivierung einzelner Beiträge eine eigenständige Leistung. § 97 Abs. l UrhG finde schon deshalb keine Anwendung, weil nicht alle aus dem “H.” und der “W.” übernommenen Beiträge für die Klägerin urheberrechtlich geschützt seien. Jedenfalls könne sie sich für ihre Tätigkeit auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG berufen. Ihre Auftraggeber ließen von ihr Vervielfältigungsstücke zur Aufnahme in ein eigenes Archiv herstellen. Das System “E.” werde nicht von ihr, sondern ausschließlich von der D.C.V.G.H. angeboten. Das System enthalte die Archivierungssoftware zum Aufbau eines eigenen Archivs. Im übrigen hat die Beklagte insoweit die Einrede der Verjährung erhoben, wie die Klage auf die Vorstellung dieses Systems am 27. Mai 1993 gestützt werde.
Mit Urteil vom 22. Februar 1995 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Unterlassungsantrag zu 1.a) sei schon deshalb unbegründet, weil der Vortrag der Klägerin beweislos geblieben sei, daß die Beklagte den gesamten Inhalt des “H.” und der “W.” Kunden anbiete. Das zu 1.b) angegriffene Verhalten sei nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG zulässig. Die Kunden der Beklagten ließen von ihr “einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werkes … zur Aufnahme in ein eigenes Archiv” anfertigen. Dies gelte auch dann, wenn zur elektronischen Speicherung durch die Beklagte “die Durchführung von Recherchen und die Auswertung von Materialien sowie die Einarbeitung der Materialien in ein an den Zwecken des Auftraggebers orientiertes Archiv” hinzukomme, was “den eigentlichen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit” darstelle. Als “Archiv” im Sinne des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG könnten auch elektronische Datenbanken angesehen werden. Die Möglichkeit, die archivierten Beiträge “in unendlichem Maße zu multiplizieren”, bestehe angesichts der “Fotokopierpraxis” auch bei Archiven in Papierform. Die Benutzung eines “eigenen Werkstücks” als Vorlage für die Vervielfältigung liege auch dann vor, wenn die Beklagte ein Zeitungs- oder Zeitschriftenexemplar für einen Kunden beschaffe, und auch dann, wenn sie einen bestimmten für mehrere Auftraggeber zu speichernden Beitrag tatsächlich nur einmal elektronisch einlese. Mit dem Kauf eines Zeitungs- oder Zeitschriftenexemplars durch oder für jeden Auftraggeber werde dem Gesetzeszweck Genüge getan. Die Übernahme eines fremden Leistungsergebnisses liege nicht vor, die Beklagte erbringe mit den Archivierungsleistungen vielmehr ein eigenes Arbeitsergebnis. Nach diesen Erwägungen sei auch der Hilfsantrag der Klägerin unbegründet.
Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihren alten Klageantrag zu 1.b) als Hauptantrag weiterverfolgt und neue Hilfsbegehren einführt. Die Klägerin bezieht sich auf ihr Vorbringen erster Instanz, das sie vertieft. In erster Linie stützt sie sich auf den rechtlichen Gesichtspunkt eines ungerechtfertigten Vorsprungs der Beklagten im Wettbewerb durch Rechtsbruch. Die Beklagte leiste Beihilfe zu Urheberrechtsverletzungen ihrer Auftraggeber. Während sie, die Klägerin, für die Nutzung fremder Beiträge in der “G.” hohe Entgelte leisten müsse, zahle die Beklagte an sie keine Vergütungen für die Nutzung der Beiträge des “H.” und der “W.” Die Klägerin hält daran fest, daß sich elektronische Datenbanken von Archiven gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG dem Zweck nach unterschieden. Bei ihnen stehe nämlich die laufende Nutzung und nicht die bloße Aufbewahrung der Dokumente im Vordergrund. Die Beklagte biete ihren Kunden die Presseartikel in elektronischer Form an, damit sie zeitgleich von einer unbestimmten Zahl von Mitarbeitern an verschiedenen Orten genutzt werden könnten. Die Nutzung der elektronischen Datenbanken sei besonders für diejenigen vorteilhaft, die sich über ein bestimmtes Thema informieren wollten und die ohne die elektronische Datenbank eines von mehreren Papierexemplaren der Zeitungen oder Zeitschriften durchsehen müßten.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Beklagten bei Meidung eines bestimmten Ordnungsmittels zu untersagen,
1. ohne ihre, der Klägerin, Zustimmung im Auftrag eines Kunden (Dritten) für dessen “Archiv” diesem themenbezogen ausgewählte Beiträge (Artikel) aus “H.” und/oder “W.”, die der Dritte oder welche die Beklagte nach Themenangaben des Dritten ausgewählt hat, auf elektronischen Datenträgern zur Verfügung zu stellen,
2. hilfsweise,
ohne ihre, der Klägerin, Zustimmung im Auftrag eines Kunden (Dritten) für dessen “Archiv” diesem themenbezogen ausgewählte Beiträge (Artikel) aus “H.” und/oder “W.”, die der Dritte oder welche die Beklagte nach Themenangaben des Dritten ausgewählt hat, auf elektronischen Datenträgern zur Verfügung zu stellen, es sei denn, daß dies nicht zur Nutzung anstelle der Ausgaben von “H.” und “W.” angeboten wird, aus denen Beiträge ausgewählt wurden, sondern zur Sicherung des Informationsbestandes des Dritten,
3. weiter hilfsweise,
von themenbezogen ausgewählten Beiträgen aus ein und derselben Ausgabe des “H.” und/oder der “W.”, die unter Benutzung des jeweiligen Werkstücks (Exemplars) eines bestimmten Auftraggebers auf einen elektronischen Datenträger übertragen worden sind, unter Benutzen dieses elektronischen Datenträgers mehr als drei (hilfsweise: sieben) einzelne Beiträge für einen anderen Auftraggeber entgeltlich zu vervielfältigen und die Vervielfältigungsstücke an den anderen Auftraggeber herauszugeben.
Die Beklagte beantragt,
1. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
2. ihr im Falle einer ihr ungünstigen Entscheidung nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.
Auch sie bezieht sich auf ihr Vorbringen erster Instanz, das sie vertieft. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie hält die Klageanträge bereits für nicht hinreichend bestimmt. Jedenfalls gingen sie mit der Erfassung auch urheberrechtlich ungeschützter Beiträge inhaltlich zu weit. Die Beklagte hält daran fest, daß ihren Kunden, so wie sie nach 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG selbst elektronische Archive aufbauen dürften, auch erlaubt sei, den Aufbau der Archive auf sie, die Beklagte, “auszulagern”. Bei der elektronischen Archivierung werde der Bestand an Werkstücken nicht vermehrt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts, mit der sie ihren bisherigen Unterlassungsantrag zu 1.b) als Hauptbegehren weiterverfolgt und neue Hilfsbegehren einführt, ist zulässig und in der Sache begründet. Die Neufassung der Unterlassungsbegehren im Berufungsverfahren bedeutet keine Einschränkung des Klagebegehrens. Der frühere Antrag zu 1.a) wird vom weiterverfolgten Antrag zu 1.b) erfaßt. Der jetzige Hauptantrag ist gerechtfertigt, so daß auf die Hilfsanträge nicht mehr einzugehen ist.
Der Hauptantrag ist entgegen der Auffassung der Beklagten hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Untersagt werden soll die Überlassung von “themenbezogen ausgewerteten Beiträgen” aus dem “H.” oder der “W.” schlechthin, ohne daß hinsichtlich des Urheberrechtsschutzes unterschieden würde.
Seine rechtliche Grundlage findet der weiterverfolgte Hauptantrag der Klägerin in § 1 UWG.
Zwischen den Parteien besteht ein Wettbewerbsverhältnis. Für die Annahme eines solchen Verhältnisses, an das keine besonderen Anforderungen zu stellen sind, genügt es, daß sich der Verletzer in irgendeiner Weise im Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt; auf die Substituierbarkeit der Waren oder Dienstleistungen kommt es nicht an (vgl. Piper in Köhler/Piper, UWG, Einf. Rdnr. 174 m.w.N.). Im Streitfall ist aber sogar im gewissen Umfang eine Substantiierbarkeit der Waren und Dienstleistungen anzunehmen. Die Beklagte leistet mit dem Angebot von elektronischen Archivierungsleistungen der Klägerin Wettbewerb nicht nur in deren Eigenschaft als Betreiberin der “G.”, sondern auch in deren Eigenschaft als Verlegerin von “H.” und “W.” Es ist durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß diejenigen, die die Dienste der Beklagten in Anspruch nehmen, deshalb auf den Bezug eines oder mehrerer Exemplare des “H.” oder der “W.” oder auf den Anschluß an die “G.” verzichten. Selbst wenn der Archivierungszweck der Dienstleistungen der Beklagten ganz in den Vordergrund gerückt wird, ist damit zu rechnen, daß der eine oder andere Empfänger dieser Leistungen wegen der schnellen und leichten Verfügbarkeit der gespeicherten Dokumente vom Bezug weiterer Zeitungs- bzw. Zeitschriftenexemplare absieht. Die “G.” kann ihrerseits im Hinblick auf die themenmäßige Aufschlüsselung durchaus auch zu Archivzwecken benutzt werden.
Mit der Überlassung themenbezogen ausgewählter Beiträge aus dem “H.” oder “W.” in elektronisch gespeicherter Form verstößt die Beklagte gegen die guten Sitten unter dem von der Klägerin jetzt in erster Linie angeführten rechtlichen Gesichtspunkt des ungerechtfertigten Vorsprungs im Wettbewerb durch Rechtsbruch.
Das Angebot der Beklagten ist auf die widerrechtliche Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke angelegt. Damit ist es wettbewerbswidrig, und zwar unabhängig von der Frage, ob und in welchem Umfang die widerrechtliche Nutzung durch die Beklagte selbst oder durch ihre Kunden erfolgt.
Die Erstellung der elektronischen Pressearchive erfordert die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke. Es liegt auf der Hand und wird von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt, daß in die Archive Zeitungs- und Zeitschriftenartikel – u.a. aus dem “H.” und der “W.” – eingehen, denen als Schriftwerken im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. l, Abs. 2 UrhG Urheberrechtsschutz zukommt. Die Beklagte macht zwar – zu Recht – geltend, daß nicht alle redaktionellen Beiträge von Zeitungen und Zeitschriften wie dem “H.” und der “W.” Urheberrechtsschutz zukomme; sie führt insoweit beispielhaft Presseerklärungen des Bundeswirtschaftsministeriums oder von Firmen oder die ungekürzte Wiedergabe von Meldungen der Presseagenturen oder von Wirtschaftsdiensten an. Sie trägt aber nicht vor, daß eigenschöpferische journalistische Artikel, wie sie sich in den fraglichen Zeitungen und Zeitschriften ebenfalls in erheblichem Umfang finden, von der Aufnahme in die Pressearchive ausgeschlossen wären; eine solche Annahme läge auch ganz fern. Die Archive, an deren Erstellung die Beklagte mitwirkt, stellen sich nicht als bloße Sammlung gemeinfreier Beiträge dar.
Auch wenn die Rechtswidrigkeit des Angebots der Beklagten gerade in der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Beiträge begründet ist, braucht dieses Merkmal nicht in das Verbot aufgenommen zu werden. Da die Dienste der Beklagten sich ihrer Anlage nach – auch – auf urheberrechtliche geschützte Beiträge beziehen, können sie vielmehr insgesamt verboten werden.
Die elektronische Archivierung von Schriftwerken setzt Vervielfältigungen voraus, die nach § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 Abs. 1 UrhG dem Urheber vorbehalten sind. Bei der elektronischen Datenverarbeitung eines Textes kommt es zu einer Vielzahl von Vervielfältigungsvorgängen (vgl. zum Meinungsstand Loewenheim in Schricker, Urheberrecht, § 16 Rdnr. 9). Wie der neue § 69c Nr. 1 UrhG hinsichtlich Computerprogrammen klarstellt, steht der vorübergehende Charakter einer Fixierung der Annahme einer Vervielfältigung im Sinne des Gesetzes nicht entgegen. Die Vorschrift sieht zudem ausdrücklich vor, daß “das Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern” eines Computerprogramms eine Vervielfältigung erfordern können. Im Streitfall finden Vervielfältigungen beim Einlesen der Ganzseiten und bei ihrer Bearbeitung zwecks Aussonderung der einzelnen Artikel, bei der Übernahme der Artikel in den Datenspeicher der Beklagten, bei der Erstellung des den Kunden zu übermittelnden Datenträgers, bei der Übertragung von dort auf den Datenspeicher der Kunden und bei der Übertragung von diesem Speicher in den Arbeitsspeicher der Kundenanlagen vor jeder Sichtbarmachung der Beiträge statt.
Der Beklagten sind unstreitig hinsichtlich der urheberrechtlich geschützten Beiträge des “H.” und der “W.” keine Nutzungsrechte eingeräumt worden, die sie zu diesen Vervielfältigungen berechtigen würden. Die Vervielfältigungen sind auch nicht ohnehin nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 oder 4 a) UrhG zulässig. Hinsichtlich beider Gesetzestatbestände fehlt es an dem gemeinsamen Merkmal, daß nur “einzelne” Vervielfältigungsstücke hergestellt werden dürfen. Da bei der von der Beklagten angebotenen elektronischen Archivierung und der bestimmungsgemäßen Nutzung der erstellten Archive mehr als nur sieben Vervielfältigungen anfallen, kann es dahinstehen, ob unter “einzelnen” Vervielfältigungsstücken bis zu drei oder bis zu sieben zu verstehen sind (für ersteres: Nordemann in Fromm, Urheberrecht, 8. Aufl., § 53 Rdnr. 3; für letzteres Loewenheim a.a.O., Rdnr. 9 m.w.N.). Um die Zeitungs- bzw. Zeitschriftenbeiträge auf die elektronische Datenverarbeitungsanlage der Kunden gelangen zu lassen, bedarf es bereits zumindest einer vierfachen Vervielfältigung. Sodann ist ohne weiteres damit zu rechnen, daß die Beiträge noch mehr als dreimal vervielfältigt werden, um sie wenigstens so oft sichtbar zu machen.
Es ist nicht gerechtfertigt, die Vorschrift des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG über den Wortlaut hinaus so auszulegen, daß eine elektronische Archivierung urheberrechtlich geschützter Schriftwerke ohne Zustimmung des Urhebers zulässig wird. Zwar verschließt sich der Senat nicht der Argumentation der Beklagten, daß den elektronischen Pressearchiven, auf deren Erstellung ihre Dienste gerichtet sind, überhaupt Archivcharakter zukommt. Es kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß es sich bei den über Stichwortverzeichnisse erschlossenen elektronischen Speicherungen um “nach sachlichen Gesichtspunkten geordnete Sammel- und Aufbewahrungsstellen für Geistesgut jeglicher Art” (vgl. Loewenheim a.a.O., Rdnr. 16 m.w.N.) handelt. Man mag in den elektronischen Speicherungen auch die gegenüber den herkömmlichen Papier- oder Mikrofilmarchiven modernere, nämlich leichter zugängliche und platzsparendere Form der Archivierung sehen. Dies rechtfertigt es aber noch nicht, sich über die Begrenzungen hinwegzusetzen, die der Wortlaut des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG für jedwede Archivierung urheberrechtlich geschützter Werke ohne Zustimmung des Urhebers aufstellt.
Es ist vielmehr zu berücksichtigen, daß § 53 UrhG als das Urheberrecht einschränkende Vorschrift grundsätzlich eng auszulegen ist. Das Urheberrecht unterfällt der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Gesetzliche Eingriffe in das Urheberrecht sind grundsätzlich nur zusätzlich, wenn zugleich eine Vergütungsregelung getroffen wird. Bei der vorliegend streitigen elektronischen Archivierung ist der Urheber an der Nutzung seines Werks jedoch nur insofern beteiligt, als als Vorlage der Vervielfältigung ein eigenes Werkstück verwendet werden muß; an den Vervielfältigungsvorgängen partizipiert er aber nicht. Vor allem spricht gegen eine Einbeziehung der elektronischen Archivierung in die Ausnahmevorschrift des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG der Umstand, daß elektronische Archive zwar die herkömmlichen Papier- und Mikrofilmarchive ersetzen können, zudem aber weit darüber hinausgehende Nutzungsmöglichkeiten bieten. Der Eingriff in das Urheberrecht durch Anlage und Nutzung eines elektronischen Archivs geht damit wesentlich weiter als die Erstellung und Nutzung eines herkömmlichen Papier- oder Mikrofilmarchivs. Während nämlich ein herkömmliches Archiv zur gleichen Zeit nur von einer Person oder ganz wenigen Personen eingesehen werden kann und die Person sich entweder in das Archiv begeben oder sich die Archivstücke schicken lassen muß, kann auf elektronisch archivierte Beiträge auch aus räumlicher Distanz und von einer praktisch unbegrenzten Vielzahl von Personen zugleich zugegriffen werden. Zudem ist der Suchvorgang ganz wesentlich verkürzt; das gesuchte Archivgut kann in Sekunden- oder Minutenschnelle aufgefunden werden. Schließlich ermöglicht die Einfachheit der elektronischen Speicherung eine hohe Aktualität des Archivs. Die Archivierung der Beklagten erlaubt einen Zugriff auf Presseinformationen schon einen Tag nach der Veröffentlichung. Die erweiterten Nutzungsmöglichkeiten eines elektronischen Archivs lassen die Besorgnis der Klägerin plausibel erscheinen, daß Unternehmen oder sonstige Einrichtungen mit einer Vielzahl von an aktuellen Presseinformationen interessierten Mitarbeitern durch die Errichtung eines elektronischen Archivs der Notwendigkeit enthoben werden, den Informationsbedarf durch die Aufrechterhaltung von Mehrfachabonnements der entsprechenden Zeitungen und Zeitschriften zu befriedigen.
Die Entscheidung über eine Zulassung der elektronischen Archivierung urheberrechtlich geschützter Werke ohne Zustimmung des Urhebers muß wegen ihrer Tragweite dem Gesetzgeber vorbehalten werden, der bei einer Zulassung dieser fortschrittlichen Archivform dann auch eine sachgerechte Vergütungsregelung zugunsten des Urhebers schaffen kann.
Angemerkt sei, daß die elektronische Archivierung bei einer Auswahl der Beiträge nicht durch den Kunden, sondern durch die Beklagte von vornherein nicht unter § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG zu fassen ist, weil sie nicht als Erstellung eines eigenen Archivs verstanden werden kann. Das Gesetz privilegiert allein die Aufnahme urheberrechtlich geschützter Werke in ein eigenes Archiv, nicht die Erstellung von Archiven zur Überlassung an andere. Nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG darf allein die Herstellung der Vervielfältigungsstücke einem anderen übertragen werden, die Archivierungsleistung muß aber vom Archivbetreiber erbracht werden. Der Gesetzgeber hat allein daran gedacht, das Fotokopieren oder Mikroverfilmen des Archivguts durch ein fremdes Unternehmen ausführen zu lassen. Dem entspricht bei der elektronischen Archivierung das Einlesen des Archivguts, sein Speichern und Übertragen auf einen Datenträger. Mit der Auswahl der zu archivierenden Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge geht die Beklagte über die bloße Fremdherstellung von Vervielfältigungsstücken hinaus; sie vermarktet vielmehr die eigentlichen Archivierungsleistungen.
Was die Anwendung des § 53 Abs. 2 Nr. 4 a UrhG angeht, auf den sich die Beklagte gar nicht beruft, so weist die Klägerin zu Recht darauf hin, daß es nicht nur – auch insoweit – an dem Merkmal einer Herstellung nur “einzelner Vervielfältigungsstücke” fehlt, sondern daß bei der von der Beklagten angebotenen Archivierung aus den betreffenden Ausgaben der Zeitungen oder Zeitschriften mehr als nur “einzelne” Beiträge verwertet werden.
Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, daß die Beklagte sich im Wettbewerb dadurch einen Vorsprung verschafft, daß sie und ihre Kunden vom Abschluß – regelmäßig entgeltlicher – Nutzungsverträge hinsichtlich der geschützten Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge Abstand nehmen. Da die Erzielung eines Wettbewerbsvorsprungs auf der Hand liegt, braucht dem Gesichtspunkt nicht weiter nachgegangen zu werden, daß bei Verstößen gegen wertbezogene Normen, darunter strafrechtliche Vorschriften (hier § 106 UrhG), die Wettbewerbswidrigkeit ohne weiteres zu bejahen sein kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Beklagten ist der nach § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO beantragte Vollstreckungsschutz nicht zu gewähren, weil das Begehren nicht begründet worden ist und der Sachverhalt auch nicht erkennen läßt, daß dem Vollstreckungsschutzinteresse der Beklagten der Vorzug vor dem Vollstreckungsinteresse der Klägerin gebühren würde.
Beschwer der Beklagten und Streitwert für das Berufungsverfahren: 600.000 DM.