BGH: Haftung eines Anwalts bei Vergleich

IX ZR 182/00
Urteil vom 17. Januar 2002

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2002

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 29. März 2000 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das “Grundurteil” der 9. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 12. April 1999 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte
auch verpflichtet ist, dem Kläger allen zukünftigen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Fassung der Nummer IV des Unterhaltsvergleichs vom 4. März 1991 noch entstehen
wird.

Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelinstanzen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der verklagte Rechtsanwalt vertrat den Kläger in dessen Scheidungsverfahren am 4. März 1991 im Verhandlungstermin vor dem Familiengericht. Vor Erlaß des Urteils, durch das
die Ehe geschieden wurde, schlossen die Eheleute einen Vergleich, in dem sich der Kläger zur Zahlung von Unterhalt an seine Ehefrau und die beiden aus der Ehe
hervorgegangenen Kinder verpflichtete. Dem lag eine vorangegangene, vom Anwalt der Ehefrau formulierte privatschriftliche Vereinbarung zugrunde, an der der Beklagte nicht
mitgewirkt hatte. Auf die Frage des Richters nach berufsbedingten Aufwendungen des Klägers, die in der Vereinbarung nicht berücksichtigt waren, schlug der Bevollmächtigte
der Ehefrau vor, diese Aufwendungen anläßlich der Anpassung des Unterhalts aufgrund des bevorstehenden Wechsels der Steuerklasse des Klägers in die Unterhaltsberechnung
einzubeziehen. In dem sodann protokollierten Vergleich hieß es in Nr. IV dazu:

“Im Fall einer wesentlichen Veränderung der derzeitigen Einkommensverhältnisse, insbesondere auch bei einem Wechsel der Steuerklasse des Ehemannes, soll eine Abänderung
dieses Vergleichs möglich sein, wobei die Abänderung unabhängig von diesem Vergleich nach der dann gegebenen Sach- und Rechtslage erfolgen soll.”

Nachdem die Steuerklasse des Klägers im September 1991 von III in I geändert worden war, die geschiedene Ehefrau eine Herabsetzung der Unterhaltsbeträge jedoch abgelehnt
hatte, erhob der Kläger, vertreten durch den Beklagten, im Jahre 1992 Abänderungsklage. Die Klage wurde durch Urteil vom 1. März 1993 mit der – vom Richter schon während des
Verfahrens in drei die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung ablehnenden Beschlüssen zum Ausdruck gebrachten – Begründung abgewiesen, das Nettoeinkommen des Klägers
habe sich um weniger als 10 % und damit nicht “wesentlich” im Sinne des § 323 Abs. 1 ZPO vermindert. Das Urteil wurde rechtskräftig; der Kläger hatte auf den Hinweis des
Beklagten, gegen das Urteil sei das Rechtsmittel der Berufung gegeben, erklärt, er wolle die Sache auf sich beruhen lassen.

Der Kläger nimmt den Beklagten mit dem Vorwurf, dieser habe ihn bei Abschluß des gerichtlichen Vergleichs und im späteren Abänderungsprozeß nicht richtig beraten, auf
Schadensersatz in Anspruch. Er hat beantragt, den Beklagten für die Zeit bis Juli 1996 unter Einschluß der Kosten des Abänderungsverfahrens zur Zahlung von rund 92.000 DM
nebst Zinsen zu verurteilen und festzustellen, daß er verpflichtet sei, ihm auch allen zukünftigen Schaden aus dem Unterhaltsvergleich vom 4. März 1991 zu ersetzen. Das
Landgericht hat durch “Grundurteil” der Klage dem Grunde nach stattgegeben; das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch
weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

I.

Das Urteil des Landgerichts ist, obwohl es nur als “Grundurteil” bezeichnet ist, nach dem Gesamtinhalt der Entscheidungsgründe dahin auszulegen, daß auch über den neben dem
Zahlungsantrag gestellten Feststellungsantrag entschieden worden ist (vgl. zur Möglichkeit einer solchen Auslegung BGH, Urt. v. 7. November 1991 – III ZR 118/90, WM 1992,
432; ferner Urt. v. 27. Januar 2000 – IX ZR 45/98, NJW 2000, 1572, 1573 m. Anm. Grunsky LM § 304 ZPO Nr. 71 Bl. 5). Die Wahrscheinlichkeit, daß die geschiedene Ehefrau, die
zur Zeit nicht unterhaltsbedürftig ist, im Fall der Veränderung der Verhältnisse den Kläger erneut auf Unterhaltszahlung in Anspruch nimmt, läßt sich nicht verneinen.

II.

Der mit der Zahlungsklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch steht dem Kläger dem Grunde nach zu; auch der Feststellungsantrag ist damit begründet.

1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte seine anwaltlichen Pflichten sowohl im Zusammenhang mit der Protokollierung des Unterhaltsvergleichs als auch
im späteren Abänderungsprozeß verletzt.

a) Ein Rechtsanwalt, der bei einer Vertragsgestaltung mitwirkt, hat bei der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines
Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen (vgl. BGH, Urt. v. 4. Juni 1996 – IX ZR 51/95, WM 1996, 1824, 1826;
Zugehör/Sieg, Handbuch der Anwaltshaftung, 1999, Rn. 763). Das gilt auch für den Abschluß eines Vergleichs. Diesen Anforderungen wird im Streitfall die Formulierung in Nr.
IV des Vergleichstextes nicht gerecht. Dabei kommt es entgegen der Ansicht des Beklagten nicht darauf an, daß er das Mandat erst am Tage des Verhandlungstermins am 4. März
1991 erhalten hat; eine Einschränkung dieses Mandats ergab sich daraus für die Mitwirkung am Vergleichsschluß nicht.

Nach der nicht angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts waren sich die Eheleute bei Abschluß des Vergleichs darüber einig, daß bei dem infolge der Scheidung
eintretenden Wechsel der Steuerklasse des Klägers unabhängig von dem Ausmaß der dadurch bewirkten Minderung des Nettoeinkommens die Unterhaltsleistungen auf der Grundlage
der dann bestehenden Verhältnisse insgesamt neu berechnet werden sollten; bis dahin wollte sich der Kläger mit den zu hohen Unterhaltszahlungen abfinden. Der Grund dafür
dürfte gewesen sein, daß im Verhandlungstermin selbst mangels Kenntnis der genauen Daten eine endgültige Berechnung nicht möglich war. Der Vergleichstext bringt diese
besondere Bedeutung, die die erste nach dem Vergleichsschluß eintretende Steuerklassenänderung haben sollte, nicht zum Ausdruck; dort ist allgemein von einem “Wechsel der
Steuerklasse” die Rede. Das wäre – jedenfalls, soweit es um diese erste Anpassung geht – unschädlich, wenn der Wortlaut des Vertragstextes eindeutig ergäbe, daß der Wechsel
der Steuerklasse immer als wesentliche Veränderung der Einkommensverhältnisse betrachtet werden sollte. Dies mag zwar bei einer streng logischen Interpretation so sein.
Indessen stellte sich gerade wegen der verbalen Erstreckung auf jeden Wechsel der Steuerklasse dem späteren Rechtsanwender die Frage, ob tatsächlich jeder solche Wechsel
unabhängig von seinen finanziellen Auswirkungen als ein Fall der “wesentlichen Veränderung der … Einkommensverhältnisse” gelten sollte. Dabei konnte der Zweifel, ob
wirklich jede geringfügige Einkommensänderung infolge Steuerklassenwechsels zu einer Anpassung führen sollte, das Verständnis nahelegen, eine solche Anpassung setze
entsprechend den Eingangsworten der Nummer IV des Textes immer eine wesentliche Änderung voraus. So hat später der Familienrichter die Vereinbarung auch tatsächlich
ausgelegt, wobei er freilich rechtsfehlerhaft die zum Beweis dessen, was die Eheleute wirklich gewollt hatten, vom Beklagten benannten Zeugen nicht vernommen hat. Es war die
Pflicht des Beklagten als Rechtsberater des Klägers, ein solches Mißverständnis durch sorgfältige Formulierung zu verhindern. Diese Pflicht hat er schuldhaft verletzt.

b) Das Familiengericht hat, wie nicht nur seinem Urteil, sondern auch den drei vorangegangenen Beschlüssen zur Frage der Einstellung der Zwangsvollstreckung zu entnehmen
ist, die Abänderungsmöglichkeit an § 323 Abs. 1 bis 3 ZPO gemessen. Das steht nicht im Einklang mit der seit dem Beschluß des Großen Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom
4. Oktober 1982 (BGHZ 85, 64) gefestigten Rechtsprechung, wonach diese Vorschriften auf Prozeßvergleiche nicht anzuwenden sind und die Abänderung einer in einem solchen
Vergleich enthaltenen Unterhaltsvereinbarung sich allein nach dem materiellen Recht richtet (BGH, Urt. v. 5. September 2001 – XII ZR 108/00, NJW 2001, 3618, 3619). Maßgebend
ist danach in erster Linie das, was die Parteien über eine Abänderungsmöglichkeit vereinbart haben. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß es, nachdem der Rechtsfehler
des Familienrichters sich abzeichnete, Aufgabe des Beklagten war, das Gericht auf jene Rechtsgrundsätze hinzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 28. Juni 1990 – IX ZR 209/89, WM 1990,
1917, 1919). Darüber hinaus war er auch verpflichtet, nach Erlaß des die Anpassung der Unterhaltsleistungen ablehnenden Urteils vom 1. März 1993 den Kläger über die
Unrichtigkeit dieser Entscheidung zu belehren. Es genügte nicht, ihn ohne nähere Erläuterung der Erfolgsaussichten lediglich auf die Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung
hinzuweisen. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung gehört es auch ohne besonderen Auftrag zu den Aufgaben des Prozeßanwalts, den Mandanten im Anschluß an die die
Instanz abschließende gerichtliche Entscheidung über die Aussichten eines Rechtsmittels zu belehren (BGH, Urt. v. 6. Juli 1989 – IX ZR 75/88, WM 1989, 1826, 1827). Auch
diese Pflichten hat der Beklagte schuldhaft verletzt.

2. Die Pflichtverletzungen des Beklagten sind für den Eintritt des Schadens (die ab dem Wechsel der Steuerklasse zu hohen Unterhaltsleistungen des Klägers) ursächlich
geworden. Bei unmißverständlicher Formulierung des Prozeßvergleichs und Hinweis gegenüber dem Familiengericht auf die Unanwendbarkeit der Absätze 1 bis 3 des § 323 ZPO hätte
der Abänderungsklage stattgegeben werden müssen; hierbei ist darauf abzustellen, wie der damalige Prozeß bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten richtigerweise zu
entscheiden gewesen wäre (vgl. BGHZ 133, 110, 111). Soweit es um die unterlassene Beratung über die Erfolgsaussichten einer Berufung geht, ist nach dem Grundsatz des
beratungsgemäßen Verhaltens (BGHZ 123, 311, 314 ff; BGH, Urt. v. 22. Februar 2001 – IX ZR 293/99, WM 2001, 741, 743) davon auszugehen, daß der Kläger sich zur
Rechtsmitteleinlegung entschlossen hätte; denn der Beklagte hätte ihm diese unter Darlegung der Gründe für die Erfolgsaussicht empfehlen und ihn, soweit der Kläger meinte,
ihm fehlten die dazu nötigen Geldmittel, auf die Möglichkeit der Prozeßkostenhilfe hinweisen müssen.

3. Der Beklagte hat in den Vorinstanzen geltend gemacht, den Kläger treffe an der Schadensentstehung ein Mitverschulden, weil er ihn erst kurz vor dem Scheidungstermin
beauftragt und deshalb nur unvollständig habe informieren können. Mangelnde Information spielt jedoch bei den Pflichtverletzungen des Beklagten keine Rolle. Soweit es um die
rechtliche Bearbeitung des dem Rechtsanwalt anvertrauten Falles geht, kommt ein Mitverschulden des Mandanten nicht in Betracht (BGH, Urt. v. 15. April 1999 – IX ZR 328/97,
WM 1999, 1330, 1336 m.w.N.).

4. Die vom Beklagten in den Vorinstanzen erhobene Verjährungseinrede ist nicht begründet.

a) Soweit es um die unzulängliche Formulierung des Prozeßvergleichs geht, begann die dreijährige Verjährungsfrist nach § 51 (jetzt § 51 b) BRAO unabhängig vom Zeitpunkt des
– späteren – Schadenseintritts mit Zugang des Schreibens des Beklagten vom 6. März 1991, das einen Bericht über den Termin vom 4. März 1991 enthielt und mit dem das Mandat
beendet war. Die Primärverjährung war deshalb bei Einreichung der Regreßklage am 1. März 1996 abgelaufen. Die Verjährung ist jedoch durch einen sogenannten Sekundäranspruch
(vgl. dazu grundlegend BGHZ 94, 380, 386 ff) hinausgeschoben worden, weil der Beklagte vor Ablauf der primären Verjährungsfrist begründeten Anlaß hatte, sein Verhalten bei
Abschluß des Prozeßvergleichs vom 4. März 1991 zu überprüfen. Als er im Jahr 1992 im Zusammenhang mit dem Anpassungsanspruch des Klägers von diesem erneut beauftragt wurde,
hätte ihm alsbald, spätestens nach den die Einstellung der Zwangsvollstreckung betreffenden Beschlüssen des Amtsgerichts, klar werden müssen, daß die ungenaue, von ihm zu
verantwortende Formulierung in dem Prozeßvergleich zu einem Schaden des Klägers geführt haben konnte. Er hätte deshalb auf der Grundlage des neuen Auftragsverhältnisses den
Kläger auf den möglicherweise gegen sich selbst bestehenden Regreßanspruch hinweisen müssen (vgl. BGH, Urt. v. 24. Juni 1993 – IX ZR 216/92, WM 1993, 1889, 1895). Da er dies
unterließ, begann mit Ablauf der Primärverjährung, spätestens mit Beendigung des neuen Mandats die dreijährige Verjährung erneut. Das zweite Mandat des Beklagten endete
jedenfalls nicht vor Zugang seines Schreibens an den Kläger vom 4. März 1993, mit dem er diesem das Urteil des Amtsgerichts vom 1. März 1993 mit der Bitte um Vereinbarung
eines Rücksprachetermins übersandte. Die Verjährung war deshalb bei Einreichung der jetzigen – alsbald zugestellten (§ 270 Abs. 3 ZPO) – Klage am 1. März 1996 noch nicht
eingetreten.

b) Soweit der dem Kläger zugefügte Schaden auf den im Abänderungsprozeß begangenen Pflichtverletzungen des Beklagten beruht, begann eine neue (Primär-)Verjährung mit Erlaß
des amtsgerichtlichen Urteils vom 1. März 1993 (vgl. BGH, Urt. v. 12. Februar 1998 – IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 788). Auch diese – wiederum dreijährige – Frist war bei
Einreichung der Regreßklage noch nicht abgelaufen.

III.

Da keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden. Das landgerichtliche Urteil ist unter Aufhebung des
Berufungsurteils und unter Klarstellung, daß sich der Urteilsausspruch auch auf den Feststellungsanspruch erstreckt, wiederherzustellen.

Für das Betragsverfahren weist der Senat darauf hin, daß sich die Schadensersatzpflicht des Beklagten nur auf die Unterhaltszahlungen ab Änderung der Steuerklasse im
September 1991 bezieht, soweit diese danach ungerechtfertigt waren. Für die Zeit davor hat der Kläger nach der oben erwähnten Feststellung des Berufungsgerichts die
überhöhten Unterhaltsleistungen bewußt hingenommen. Ein Anlaß, ihm davon nach näherer Erforschung des Sachverhalts abzuraten, bestand entgegen der Ansicht der Revision für
den Beklagten nicht.

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