Beschluss
Die 13. Zivilkammer hat am 18. Februar 1999 in dem Betreuungsverfahren
Verfahrenspfleger
Betreuer
Verfahrensbevollmächtigter
auf die Beschwerde des Betreuers gegen den Beschluß des Amtsgerichts München vom 15.12.1998
b e s c h l o s s e n :
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e:
I.
Der Betroffene erlitt am 5.8.1998 einen Gehirninfarkt. Er leidet seitdem an einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom. Zur Absaugung von Schleim ist eine Trachealkanüle erforderlich. Die Ernährung erfolgt über eine PEG-Sonde, die Harnableitung über einen transurethralen Dauerkatheter.
Durch Beschluß des Amtsgerichts Ingolstadt vom 15.9.1998 wurde der Sohn des Betroffenen zum vorläufigen Betreuer bis 14.3.1999 mit dem Aufgabenkreis “Sorge für die Gesundheit des Betroffenen mit Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung” bestellt. Mit Beschluß vom 17.11.1998 wurde das Betreuungsverfahren an das Amtsgericht München abgegeben und dort am 3.12.1998 übernommen.
Mit Schreiben vom 15.12.1998 beantragte der Betreuer, seine Einwilligung, die Ernährung des Betroffenen einzustellen und die Flüssigkeitszufuhr auf ein Mindestmaß zu beschränken, vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen (§ 1904 BGB).
Durch Schreiben des Amtsrichters vom 15.12.1998 wurde dem Betreuer mitgeteilt, daß seinem Antrag bereits aus formalen Gründen nicht entsprochen werden könne, weil sein Aufgabenkreis derartige Angelegenheit nicht umfasse.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 7.1.1999, die zunächst nur im Interesse des Betroffenen eingelegt, mit Schreiben vom 15.2.1999 aber auch im Namen des Betreuers eingelegt wurde.
Die Akten wurden der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Die Kammer hat durch Beschluß vom 11.1.1999 Rechtsanwalt _______________ zum Verfahrenspfleger bestellt. Dieser hat am 21.1.1999 Stellung genommen. Der Beschwerdeführer hat hierauf weiter zur Sache vorgetragen.
II.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
Bei dem Schreiben des Amtsrichters handelt es sich um eine nach § 19 Abs. 1 FGG mit der einfachen Beschwerde anfechtbare Verfügung; hierbei ist unschädlich, daß nicht durch Beschluß entschieden wurde, weil es sich jedenfalls nicht um eine unverbindliche Meinungsäußerung handelt und eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben ist (vgl. auch Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 13. Aufl., § 19 Rz. 3-6). Da der Betreuer meint, die beabsichtigte Tätigkeit sei von seinem Aufgabenkreis umfaßt und sein Antrag abgelehnt wurde, ist er auch im eigenen Namen beschwerdeberechtigt (§ 20 Abs. 1 und 2 FGG). Es bedarf daher keiner Entscheidung darüber, ob er zur Vertretung des Betroffenen berechtigt war und für diesen Beschwerde einlegen konnte. Das Rechtsmittel ist formgerecht eingelegt (§ 21 FGG).
2. Es ist jedoch nicht begründet, weil die Entscheidung des Amtsgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Der Antrag des Betreuers ist nach Auffassung der Kammer aus Rechtsgründen abzulehnen, ohne daß es auf den Gesundheitszustand im einzelnen und den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ankommt.
a) Ein genehmigungsfähiger Antrag des Betreuers liegt bereits deshalb nicht vor, weil der von ihm beabsichtigte Abbruch der Ernährung des Betroffenen mit dem Ziel des Todes nicht von seinem Aufgabenkreis als vorläufiger Betreuer gedeckt ist. Zum einen hat das “Sterbenlassen” des Betroffenen als eigentliches Ziel mit Gesundheitsfürsorge nichts zu tun (ebenso Bienwald FamRZ 1998, 1138 f; Seitz, ZRP 1998, 417, 420). Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, daß dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entsprechend die Weiterbehandlung Körperverletzung wäre, wovor er durch die Maßnahme des Betreuers bewahrt werde. Denn die Einstellung der Ernährung ist jedenfalls eine aktive Maßnahme mit dem Ziel des Todes des Betroffenen und nicht bloß ein Unterlassen; der Erhaltung der Gesundheit dient sie ersichtlich nicht. Zum anderen handelt es sich nach Auffassung der Kammer bei der Entscheidung, sterben zu wollen, um eine der höchstpersönlichen Angelegenheiten, die einem Betreuer ohnehin nicht übertragen werden können (ebenso Seitz, ZRP 1998, 417, 420); dies gebietet bereits die Menschenwürde (Art. 1 GG). Der Fall ist vergleichbar mit der Abgabe einer Organspendeerklärung, die ein Betreuer ebenfalls nicht für den noch lebenden Betroffenen abgeben kann (AG Mölln, FamRZ 1995, 188, vgl. auch Erman BGB 9. Aufl., § 1904 Rn. 23). Daß auch einige höchstpersönliche Angelegenheiten einem Betreuer übertragen werden können (z.B. die Sterilisation, vgl. Bienwald, FamRZ 1998, 1139), steht dem nicht entgegen, da diese Maßnahmen nicht eine Entscheidung über den Tod des Betroffenen zum Inhalt haben und die Menschenwürde nicht in vergleichbarer Art tangieren.
b) Darüber hinaus ist § 1904 BGB auf die vorliegende Fallkonstellation nicht, auch nicht analog (so vor allem BGH, NJW 1995, 204; OLG Frankfurt, FamRZ 1998, 1137 ff) anwendbar.
aa) Unbestritten ist § 1904 BGB nach seinem Wortlaut nicht auf lebensbeendende ärztliche Maßnahmen anwendbar, da er nur ärztliche Eingriffe u.ä. betrifft, die lebensgefährdend sein könnten.
bb) Auch eine entsprechende Anwendung ist jedoch nach Ansicht der Kammer aus mehreren Gründen nicht möglich.
Es fehlt bereits an der für jede Analogie erforderlichen Regelungslücke (ebenso Steffen, NJW 1996, 1581; Jürgens, BtPrax 1998, 159, 160). Da dem Gesetzgeber die vorgenannte Entscheidung des BGH bei der letzten Änderung des Betreuungsrechtes bekannt war, spricht viel dafür daß § 1904 BGB bewußt nicht verändert wurde, weil er diese Fälle weiterhin nicht erfassen soll. Dies ist nach Auffassung der Kammer auch konsequent und zutreffend, da die Entscheidung über lebensbeendende Maßnahmen ohnehin keine Angelegenheit ist, die einem Betreuer übertragen werden kann (s.o.), und somit auch keine Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes erforderlich werden kann.
Weiterhin liegt auch eine Vergleichbarkeit der in § 1904 BGB geregelten Fallgruppen mit dem hier gegenständlichen nicht vor; dabei ist auch zu beachten, daß es sich bei § 1904 BGB um eine Ausnahmevorschrift handelt (vgl. AG Hanau, BtPrax 1997, 82, 83), die deshalb grundsätzlich nicht entsprechend angewandt werden kann. Die Gegenansicht (insbesondere OLG Frankfurt a.a.O.) übersieht, daß ein “Erst-Recht-Schluß” voraussetzt, daß der nicht geregelte Tatbestand nach dem Zweck der Vorschrift ein “mehr” ist als der geregelte, so daß die Vorschrift für ersteren “erst recht” gelten muß; er ist hingegen nicht möglich, wenn der nicht geregelte Tatbestand nicht “mehr”, sondern etwas anderes ist. So aber liegt es offensichtlich hier, denn ein ärztlicher Heileingriff mit dem Risiko des Todes (geregelter Tatbestand in § 1904 BGB) ist etwas anderes als ein ärztlicher Eingriff mit dem Ziel des Todes, da er gerade nicht der Gesundheit des Betroffenen dient, deren Schutz jedoch der Zweck des § 1904 BGB ist (vgl. Seitz, ZRP 1998, 417, 420). Darüber kann auch ein angeblich in der Vorschrift enthaltener Rechtsgedanke, daß bei jeglicher Maßnahme mit Lebensgefahr für den Betroffenen das Vormundschaftsgericht entscheiden solle (so Saliger, Jus 1999, 16, 18; Knittel, Betreuungsgesetz, § 1904 BGB Anm. 9 h Erman/Holzhauer a.a.O., § 1904 Rn. 16), nicht hinwegtäuschen.
cc) Das somit gefundene Ergebnis, daß Ärzte und Angehörige über lebensbeendende Maßnahmen in eigener Verantwortung zu entscheiden haben, erscheint der Kammer auch sachgerecht. Denn die strafrechtliche Seite dieser Problematik ist mittlerweile in der Rechtsprechung des BGH hinreichend geklärt; entspricht die Maßnahme dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen, haben sie in der Regel nichts zu befürchten. Von einem “unzumutbarem Risiko” (so Verrel, JZ 1996, 224, 229; Knittel a.a.O.) kann daher nicht die Rede sein. Dies gilt auch, soweit der BGH in seiner vorbezeichneten Entscheidung (NJW 1995, 204) die Erholung der Vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 BGB zur Voraussetzung für die Straflosigkeit gemacht hatte. Denn wenn nach der Vorgabe des BGH ein solcher Antrag gestellt und vom zuständigen Vormundschaftsgericht mangels Anwendbarkeit der Vorschrift abgelehnt würde, hätten die Angehörigen bzw. der Betreuer sicher alles Notwendige getan, um strafrechtlich nicht belangt werden zu können. Die Bedenken von__________(a.a.0. § 1904 BGB Rz. 9 h a.E.) erscheinen insoweit nicht nachvollziehbar. Daß Angehörige und Ärzte das Risiko einer “Fehleinschätzung” des mutmaßlichen Willens des Betroffenen tragen, ist nur folgerichtig und kann durch die Genehmigung nach § 1904 BGB ohnehin nicht beseitigt werden. Denn die Genehmigung bindet den Betreuer nicht. Er behält das Recht und die Pflicht sich im Rahmen des § 1901 BGB anders zu entscheiden, wenn die Sachlage sich geändert oder andere Erkenntnisse sich ergeben haben (Staudinger/Bienwald BGB 12. Aufl., Vorbem. zu §§ 1904 ff Rn. 14).
Somit war die Beschwerde zurückzuweisen.
3. Da dem Antrag bereits aus Rechtsgründen nicht stattzugeben ist, waren eine persönliche Anhörung des Betroffenen bzw. die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks sowie weitere Ermittlungen entbehrlich.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt. Hinsichtlich der Gerichtskosten ergibt sich die Kostenfolge aus dem Gesetz. Die Anordnung der Erstattung von außergerichtlicher Kosten (§ 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG) war nicht geboten, weil ein Gegensatz zwischen den Interessen des Betreuers und des Betroffenen bzw. seinem Verfahrenspfleger nicht positiv festgestellt werden kann (vgl. BayObLGZ 1963, 36, 44). Allein die Tatsache, daß der Betreuer vorliegend außerhalb der angeordneten Wirkungskreise handelt, erscheint der Kammer hierfür nicht ausreichend.