LG Göttingen: Schadensersatz aus einer atypisch stillen Beteiligung (Göttinger Gruppe I)

Landgericht Göttingen

Urteil vom 11. April 2002, Aktenzeichen: 2 O 146/02

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 14.03.2002 (…)

für R e c h t erkannt:

Die Beklagte wird ihrem Anerkenntnis gemäß verurteilt, dem Kläger Auskunft
über sein Auseinandersetzungsguthaben per 21. Dezember 2002 zu erteilen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger kam durch den Vermittler mit der Beklagten in Verbindung. Er unterzeichnete unter dem 23. Oktober 1998 die “Zeichnungsscheine des stillen Gesellschafters” Nr. 18/617666 und 18/617667 (Anlagen B 1 und B 2) über eine Einmaleinlage von je 30.000,00 DM (EK 1 bzw. EK 7) und über eine Rateneinlage (EK 8) von 420 Monatsraten zu je 350,00 DM bzw. 180 Monatsraten zu je 220,00 DM, jeweils zuzüglich 5 % Agio. Beide Beitrittserklärungen wurden unter dem 26. Oktober 1998 von der Beklagten angenommen.

Den Verträgen lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten über den “Atypisch stillen Gesellschaftsvertrag mit Einmaleinlage (EK 1 bzw. EK 7) und/oder Rateneinlage (EK 8)” zu Grunde, in deren § 17 dem stillen Gesellschafter das Recht eingeräumt wird, die Beteiligung nach Ablauf von vier Jahren durch schriftliche Stornierung mit einer Frist von drei Monaten zum Geschäftsjahresschluss zu beenden.

Der Zeichnungsschein enthält u.a. folgende Hinweise:

1. Dieses Angebot zur Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter stellt keine festverzinsliche Kapitalanlage, sondern eine Unternehmensbeteiligung dar.

2. Bei Beendigung der stillen Gesellschaft kann zum Ausgleich eines eventuell negativen Auseinandersetzungsguthabens eine Nachschusspflicht bestehen.

Ferner hatte der Kläger durch seine separate Unterschrift bestätigt, den “Emissions-Prospekt zur Rente” (Kenn.-Nr. 13.2.) der Beklagten ausgehändigt erhalten zu haben. Bei diesem Prospekt handelte es sich um denjenigen vom 15. Oktober 1997 (Anlage B 3) der dem Kläger mit der Annahmeerklärung noch einmal übersandt worden war. Außerdem hatte der Kläger neben der Widerrufsbelehrung noch die Beitrittserklärung ebenfalls gesondert unterschrieben, die folgenden Wortlaut hat:

“Für den atypisch stillen Gesellschaftsvertrag gelten die Verantwortlichkeitserklärung, die Angabenvorbehalte, die Einstandspflicht und die Risikobelehrung im Emissionsprospekt
sowie die umseitigen Vertragsbedingungen.”

Zur Finanzierung der beiden Einmaleinlagen hatte der Kläger bei der Bank ein Darlehen über insgesamt 64.285,00 DM aufgenommen, für das er in den Jahren von 1998 bis 2000 insgesamt 6.269,64 DM Zinsen gezahlt hat. Darüber hinaus leistete er auf den Vertrag mit der Nummer 18/617666 insgesamt 39.952,50 DM und auf den Vertrag mit der Nummer 18/617666 insgesamt 36.813,00 DM. An Entnahmen erhielt er insgesamt 10.800,00 DM.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 18. April 2001 (Bl. 8 ff. d.A.) verlangte der Kläger Schadensersatz und focht die Beteiligungsverträge hilfsweise wegen arglistiger Täuschung und Irrtums an. In der mündlichen Verhandlung am 14. März 2002 erklärte er “höchst hilfsweise” die Stornierung zum Schluss des Geschäftsjahres 2002, was von der Beklagten anerkannt wurde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 72.235,14 DM nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 03. Mai 2001 zu zahlen,

hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen,

1. dem Kläger Auskunft über die Höhe des diesem per 02. Mai 2001 zustehenden Auseinandersetzungsguthaben zu erteilen und diese durch Vorlage einer in sich geschlossenen Vermögensaufstellung des Unternehmenssegments VII einschließlich aller bisherigen Einnahmen und Ausgaben der Gesellschaft sowie einer umfassenden Auflistung des Gesellschaftsvermögens unter Berücksichtigung aller Aktiva und Passiva per 02. Mai 2001,

2. erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunft an Eides Statt zu versichern,

3. dem Kläger das nach Erteilung der Auskunft zu beziffernde Auseinandersetzungsguthaben auszuzahlen, dingliche Vermögensgegenstände nach anteilsmäßiger Teilung in Natur an den Kläger herauszugeben bzw. bei unteilbaren Gegenständen den Teilungserlös in Geld an den Kläger herauszugeben,

höchst hilfsweise,

wie erkannt worden ist.

Die Beklagte beantragt, die über den anerkannten Teil hinausgehende Klage abzuweisen.

Sie bestreitet die angeblichen Behauptungen des Vermittlers und weist ergänzend darauf hin, dass sich die angeblich von dem Vermittler nicht erteilten Risikohinweise sowohl auf den Zeichnungsscheinen als auch in dem Emissions-Prospekt befinden würden. Insoweit behauptet sie, der Kläger habe den Emissions-Prospekt bei Abgabe seiner Beitrittserklärungen erhalten.

Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze samt Anlagen, nach deren Maßgabe mündlich verhandelt worden ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nur insoweit begründet wie die Beklagte den Klageanspruch gemäß § 307 ZPO anerkannt hat; im Wesentlichen ist sie unbegründet.

1. Die Klage ist mit dem Hauptanspruch unbegründet; denn Schadensersatzansprüche aus c.i.c. Ansprüche stehen dem Kläger, unbeschadet der Tatsache, dass diese anstelle eines Auseinandersetzungsguthabens ohnehin nicht verlangt werden können, schon dem Grunde nach nicht zu.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Vermittler die Beteiligung tatsächlich als “krisensicher” oder “bombensicher” bezeichnet und auf mit ihr verbundene Risiken nicht hingewiesen hat; denn selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, lag bei dem Kläger im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verträge eine Fehlvorstellung über das Anlagengeschäft nicht vor.

Aus den vom Kläger unterschriebenen Zeichnungsscheinen ergibt sich eindeutig, dass es sich bei der atypisch stillen Beteiligung nicht um eine festverzinsliche Kapitalanlage handelt, sondern um eine Unternehmensbeteiligung, bei der im Fall eines negativen Auseinandersetzungsguthabens sogar eine Nachschusspflicht besteht. Der Hinweis befindet sich deutlich erkennbar auf dem Zeichnungsschein vor dem ersten von insgesamt vier vom Kläger benutzten Unterschriftsfeldern.

Ebenso deutlich wird im Zeichnungsschein auf die Risikohinweise im Emissions-Prospekt Bezug genommen. Der Kläger kann nicht damit gehört werden, er habe nicht diesen Emissions-Prospekt erhalten, sondern eine Werbebroschüre ohne Risikohinweise. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift bestätigt, den “Emissions-Prospekt zur Rente (Kenn.-Nr. 13.2) der AG” ausgehändigt erhalten zu haben. An diese durch seine Unterschrift bekräftigte Erklärung, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit eine Vermutung spricht, ist er gebunden. Es würde dem Interesse der Sicherheit und Verlässlichkeit des Rechtsverkehrs in unerträglicher Weise widersprechen, wollte man es zulassen, dass sich die Rechtsgenossen selbst nach Jahren ohne Weiteres einseitig von ihren Erklärungen lossagen könnten. Der Kläger hätte also die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärung, die er selbst durch seine Unterschrift geschaffen hatte, widerlegen müssen, was er nicht einmal ansatzweise versucht hat.

Selbst wenn also der Vermittler dem Kläger gegenüber unrichtige Angaben gemacht haben sollte und dies der Beklagten zuzurechnen gewesen wäre, so ist diese mögliche Täuschung für den Vertragsabschluss jedenfalls nicht ursächlich geworden, weil eine zutreffende Aufklärung über das Risiko des Geschäfts bereits vorlag, bevor der Kläger die Zeichnungsscheine unterschrieben hatte. Daher kann offen bleiben, ob die vom Kläger zitierten angeblichen Äußerungen des Vermittlers wegen ihres erkennbar anpreisenden und damit ausschließlich wertenden Charakters überhaupt geeignet waren, beim Kläger durch eine gezielte Desinformation eine relevante Fehlvorstellung zu wecken.

Weshalb sich die Beklagte schlussendlich eine Äußerung des Vermittlers im Zusammenhang mit der Kreditaufnahme sollte zurechnen lassen müssen, ist nicht ersichtlich. Insoweit handelte der Vermittler nämlich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt als Erfüllungsgehilfe der Beklagten.

Selbst wenn man jedoch zu Gunsten des Klägers hinsichtlich der Einlagen eine Haftung der Beklagten aus c.i.c. annehmen wollte, so hätte dies im Ergebnis auf die Entscheidung keinen Einfluss; denn nach den Grundsätzen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft ist die stille Gesellschaft, und zwar in jeder ihrer Erscheinungsformen (vgl. BGH in NJW 92, 2696 [2697]; BGH in NJW 93, 2107, jeweils mit weiteren Nachweisen), bei Vorliegen eines Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrundes nur für die Zukunft ex nunc auflösbar mit der Folge, dass keine Rückzahlung geleisteter Einlagen, sondern eine Auseinandersetzung zu erfolgen hat (vgl. grundlegend RG in RGZ 165, 193 [201 ff.]; BGH in NJW 92, 1501 [1502]; BGH in NJW 01, 2718 [2720], jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die Voraussetzungen für die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, die auch für den fehlerhaften Beitritt zu einer Gesellschaft gelten (vgl. BGH in NJW 92, ebendort), sind hier erfüllt. Der Kläger hat seine Einmaleinlagen und einen Teil der Rateneinlagen erbracht, die Beklagte hat mit dem Geld gearbeitet, so dass die Leistung nicht ohne Weiteres gegenständlich rückgängig gemacht werden kann.

2. Die vorstehend erwähnten Grundsätze würden allerdings mit der Rechtsfolge eines Bereicherungsanspruchs aus § 812 BGB (Leistungskondiktion) dann nicht gelten, wenn der Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstieße und daher nach § 134 BGB insgesamt nichtig wäre. Die rechtliche Anerkennung der fehlerhaften Gesellschaft findet nämlich da ihre Grenze, wo vorrangig schützenswerte Interessen der Allgemeinheit oder einzelner besonders schutzwürdiger Personen entgegenstehen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags auf der Vorschrift des § 134 BGB beruht. Die Rechtsordnung kann nicht ein von ihr verbotenes und für nichtig erklärtes Rechtsverhältnis anerkennen, das laufend neue Rechte und Pflichten begründet. Hier verdient die fehlerhafte Gesellschaft keinen Bestandsschutz, weil das Interesse der Gesellschafter an der Anerkennung des von ihnen gewollten und tatsächlich geschaffenen Zustands gegenüber den entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit zurücktreten muss (vgl. BGH in BGHZ 62, 234 [241]; BGH in BGZHZ 75, 214 [217]).

Allein, der vorliegende Gesellschaftsvertrag ist nicht nach § 134 BGB in Verbindung mit den §§ 32 ff. KWG insgesamt nichtig. Selbst wenn die ratierliche Auszahlung der Kapitalbeteiligung nach Vertragsende erlaubnispflichtig sein sollte, wovon nach der Verbotsverfügung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen und dem anschließenden Vergleich zwischen der Behörde und der Beklagten auszugehen ist, so würde dies nicht zur Nichtigkeit des Gesamtvertrags führen, sondern allenfalls zur Teilnichtigkeit des § 22 Absätze 1 und 2 des Vertrags, während die übrigen Bestimmungen gemäß § 139 BGB wirksam blieben. Dies ergibt sich auch aus § 29 des Vertrags.

3. Auch die auf die Auseinandersetzung nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft abzielenden Hilfsanträge sind unbegründet.

Wie bereits vorstehend zu Ansprüchen des Klägers aus c.i.c. ausgeführt, liegen Willensmängel nicht vor. Der Kläger hat seine atypisch stillen Beteiligungen also nicht wirksam wegen Irrtums nach § 119 BGB oder arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB angefochten.

Ferner sind die Verträge nicht nach § 138 BGB sittenwidrig.

Die Sittenwidrigkeit ergibt sich nicht schon allein aus der langfristigen Vetragsbindung, sie lässt sich vielmehr nur unter Berücksichtigung und Abwägung der jeweiligen vertragstypischen und durch die Besonderheiten des Einzelfalls geprägten Umstände ermitteln (vgl. BGH in NJW 95, 2350 [2351) m.w.N.). Gemäß dem “Überblick über Ihre Beteiligung” im Emissions-Prospekt (dort S. 7) wird mit der (inzwischen nicht mehr so genannten) Rente bezweckt, die “Altersversorgung in Form von mitunternehmerischen Beteiligungen in steuerlich optimierter Form (zu) gestalten bzw. (zu) ergänzen.” Es ist evident, dass ein derartiges Vorhaben nur langfristig angelegt werden kann. Dasselbe gilt darüber hinaus auch für jede stille Beteiligung an einer Gesellschaft, die ihrer Natur nach nicht nur für eine kurze Zeit eingegangen wird.

Endlich kommt auch keine fristlose Kündigung nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage deshalb in Betracht, weil die Beklagte entgegen der ursprünglichen Absicht, das Kapitalguthaben des atypisch stillen Gesellschafters nicht mehr ratierlich, sondern in einer Summe auszuzahlen verspricht. Es ist zwar richtig, dass die bereits erwähnte Verbotsverfügung des Bundesamts für das Kreditwesen und der daraufhin geschlossene Vergleich eine Veränderung der Vertragsumstände und damit der Geschäftsgrundlage bewirkt hat, dies allein vermag eine Vertragsauflösung indes nicht zu rechtfertigen.

Fehlt oder entfällt die Geschäftsgrundlage, so führt dieser Umstand nämlich im Regelfall zur Notwendigkeit der Anpassung an die veränderten Verhältnisse. Nur dann, wenn eine solche Anpassung nicht möglich oder unzumutbar ist, kann ausnahmsweise die Vertragsauflösung verlangt werden (vgl. dazu BGH in NJW 00, 1714 [1716] m.w.N.).

Von einer Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Vertragsanpassung kann hier keine Rede sein.

Bereits der Vertrag selbst sah – wie erwähnt – in § 22 Abs. 3 die Auszahlung in einer Summe vor. Dies ist dem Kläger auch zuzumuten. Sein Hauptinteresse bei der von der Beklagten angebotenen atypisch stillen Beteiligung lag in der Gewinnerzielung und der Steuerersparnis auf der Grundlage der Verlustzuweisungen der einzelnen Gesellschaftsbeteiligungen. Außerdem sollte nach Möglichkeit ein der finanziellen Sicherung im Alter dienender Kapitalstock aufgebaut werden. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob die Auszahlung ratierlich oder in einer Summe erfolgte, von eher untergeordneter Bedeutung, zumal es jedem Anleger freisteht, die bei Vertragsende ausgezahlte Summe wieder neu und jetzt ratierlich anzulegen.

4. Allerdings hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2002 das Vertragsverhältnis nach § 17 des Vertrags fristgerecht zum 31. Dezember 2002 storniert und damit beendet sowie die Verurteilung der Beklagten zur Auskunft beantragt. Diesen Anspruch hat die Beklagte (sofort) anerkannt, so dass sie nach § 307 Abs. 1 ZPO ihrem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen war.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 93 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung rechtfertigt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.