LG Göttingen: Auseinandersetzung einer atypisch stillen Gesellschaftsbeteiligung und Schadensersatz (Göttinger Gruppe II)

Landgericht Göttingen

Urteil vom 10. Juni 2002, Aktenzeichen: 2 O 123/02

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

wegen Auseinandersetzung einer atypisch stillen Gesellschaftsbeteiligung und Schadensersatzes
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen auf die mündliche Verhandlung vom 16.04.2002 (…)
für R e c h t erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Durch Vermittlung des Beklagten zu 2. kam der Kläger mit der Beklagten zu 1. in Berührung. Unter dem 04. Januar 2000 unterzeichnete der Kläger den Zeichnungsschein Nr. mit einer Einmaleinlage in Höhe von 45.000,00 DM und einer Rateneinlage von 180 Monatsraten zu je 450,00 DM (Anlage K 1 = Bl. 34 f. d.A.), jeweils zuzüglich 5 % Agio. Da der Kläger die Einmaleinlage nicht leistete, kündigte die Beklagte zu 1. das Beteiligungsverhältnis insoweit mit Schreiben vom 16. November 2000 (Anlage K 2 = Bl. 41 d.A.) fristlos; die Rateneinlagen blieben bestehen.

Der Zeichnungsschein enthält u.a. folgende Hinweise:

1. Dieses Angebot zur Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter stellt keine festverzinsliche Kapitalanlage, sondern eine Unternehmensbeteiligung dar.

2. Bei Beendigung der stillen Gesellschaft kann zum Ausgleich eines eventuell negativen Auseinandersetzungsguthabens eine Nachschusspflicht bestehen.

Ferner hatte der Kläger durch seine separate Unterschrift bestätigt, den “Emissions-Prospekt zur Rente” (Kenn.-Nr. 13.3.) der Beklagten ausgehändigt erhalten zu haben. Bei diesem Prospekt handelte es sich um denjenigen vom 01. August 1999 (Anlage K 4 = Bl. 43 ff. d.A.) der dem Kläger mit der Annahmeerklärung noch einmal übersandt worden war.

In dem Emissionsprospekt heißt es auf Seite 115 f. u.a.:

“Die AG – als Unternehmen der – sieht sich zur Zeit verstärkt negativen Berichterstattungen in den Medien ausgesetzt. Hierbei handelt es sich um einen Pressefeldzug, bei dem insbesondere unterstellt wird, die Rente beruhe auf einem modifizierten Schneeballsystem.” Nachdem darauf hingewiesen wird, dass diese Einschätzung nach “Gerichtsurteilen, Gerichtsgutachten und Stellungnahmen namhafter Rechts- und Steuerexperten” unrichtig sei, fährt der Emissionsprospekt u.a. fort: ” Sollten sich weitere Medien diesem Pressefeldzug anschließen, könnte dies negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der und damit auch auf Ihr Beteiligungssegment VII der AG haben.”

Außerdem hatte der Kläger neben der Widerrufsbelehrung noch die Beitrittserklärung ebenfalls gesondert unterschrieben, die folgenden Wortlaut hat:

“Für den atypisch stillen Gesellschaftsvertrag gelten die Verantwortlichkeitserklärung, die Angabenvorbehalte, die Einstandspflicht und die Risikobelehrung im Emissionsprospekt sowie die umseitigen Vertragsbedingungen.”

Ebenfalls abgesondert von dem übrigen Text und optisch hervorgehoben enthält der Zeichnungsschein eine gesonderte Widerrufsbelehrung, die die Klägerin unterzeichnet und über deren Erhalt sie ebenfalls quittiert hatte.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 05. Juli 2001 (Anlage K 6 = Bl. 67 ff. d.A.) hat der Kläger “die Anfechtung, hilfsweise die Kündigung respektive den Widerruf, respektive den Rücktritt” erklärt.

Der Kläger behauptet, der Emissionsprospekt sei ihm in Wahrheit vor Unterzeichnung des Zeichnungsscheins nicht ausgehändigt, sondern später mit erneuter Widerrufsmöglichkeit zugesandt worden. Außerdem habe der Beklagte zu 2. den Kläger nicht über die mit der atypisch stillen Beteiligung verbundenen Risiken, insbesondere über das Insolvenzrisiko, aufgeklärt. Stattdessen habe der Beklagte zu 2. lediglich geäußert, die Anlage sei völlig sicher. Auch habe er es unterlassen, dem Kläger die zahlreichen negativen Presseberichte vorzulegen und mit ihm zu erörtern, wozu er nach Auffassung des Klägers verpflichtet gewesen wäre. Aus diesem Grund hafte nicht nur die Beklagte zu 1. dem Kläger auf Schadensersatz aus Verschulden beim Vertragsabschluss, sondern ausnahmsweise auch ihr Erfüllungsgehilfe, der Beklagte zu 2. Darüber hinaus verstoße der Gesellschaftsvertrag wegen seiner langfristigen Bindung und der nur eingeschränkten Möglichkeit der ordentlichen Kündigung (Stornierung) gegen die guten Sitten und sei daher nach § 138 BGB nichtig. Außerdem sei die Regelung bezüglich der Stornierung wegen Verstoßes gegen § 10 Nr. 7 b) AGBG a.F. unbeachtlich. Wegen der mangelnden Aufklärung über das Insolvenzrisiko hätten sich die Beklagten endlich auch wegen unerlaubter Handlung schadensersatzpflichtig gemacht.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu 1. zu verurteilen,

1. das Auseinandersetzungsguthaben des Klägers aus seiner Beteiligung an der Beklagten zu 1. zur Vertragsnummer zum Stichtag 31.12.2001 festzustellen,
dieses Auseinandersetzungsguthaben in der festgestellten Höhe an den Kläger auszuzahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte zu 2. verpflichtet ist, dem Kläger die Differenz zwischen dem gemäß Klageantrag zu 1. festgestellten und ausgezahlten Auseinandersetzungsguthaben und seinen Einlagen zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1. behauptet, der Emissionsprospekt sei dem Kläger bei Unterschriftsleistung ausgehändigt worden. Sie bestreitet darüber hinaus, dass der Beklagte zu 2. die Risiken verschwiegen und lediglich erklärt habe, die Anlage sei völlig sicher. Im Übrigen verweist die Beklagte zu 1. auf die Hinweise im Zeichnungsschein und im Emissionsprospekt.

Der Beklagte zu 2. behauptet, er habe dem Kläger den Emissionsprospekt vor Vertragsunterzeichnung ausgehändigt und ihn über die Risiken aufgeklärt und ihn auf die negative Presseberichterstattung hingewiesen.

Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze samt Anlagen, nach deren Maßgabe mündlich verhandelt worden ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

A.

Der Kläger kann von der Beklagten zu 1. die Auseinandersetzung seiner atypisch stillen Gesellschaftsbeteiligung nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft nicht beanspruchen. Zwar sind diese Grundsätze auf die stille Gesellschaft in jeder ihrer Erscheinungsformen anwendbar (vgl. dazu BGH in NJW 92, 2696 [2697], in NJW 93, 2107 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen) und gelten auch für den fehlerhaften Beitritt zu einer Gesellschaft (vgl. BGH in NJW 92, ebendort), allein, hier war der Beitritt des Klägers nicht fehlerhaft.

1. Schadensersatzansprüche aus c.i.c. stehen dem Kläger, unbeschadet der Tatsache nicht zu.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Beklagte zu 2. als Vermittler die Beteiligung tatsächlich als eine völlig sichere Anlage bezeichnet und auf mit ihr verbundene Risiken nicht hingewiesen hat; denn selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, lag bei dem Kläger im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verträge eine Fehlvorstellung über das Anlagengeschäft nicht vor.

Aus den vom Kläger unterschriebenen Zeichnungsscheinen ergibt sich eindeutig, dass es sich bei der atypisch stillen Beteiligung nicht um eine festverzinsliche Kapitalanlage handelt, sondern um eine Unternehmensbeteiligung, bei der im Fall eines negativen Auseinandersetzungsguthabens sogar eine Nachschusspflicht besteht. Der Hinweis befindet sich deutlich erkennbar auf dem Zeichnungsschein vor dem ersten von insgesamt vier vom Kläger benutzten Unterschriftsfeldern.

Ebenso deutlich wird im Zeichnungsschein auf die Risikohinweise im Emissions-Prospekt Bezug genommen. Der Kläger kann nicht damit gehört werden, er habe den Emissions-Prospekt nicht erhalten. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift bestätigt, den “Emissions-Prospekt zur Rente (Kenn.-Nr. 13.3) der AG” ausgehändigt erhalten zu haben. An diese durch seine Unterschrift bekräftigte Erklärung, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit eine Vermutung spricht, ist er gebunden. Es würde dem Interesse der Sicherheit und Verlässlichkeit des Rechtsverkehrs in unerträglicher Weise widersprechen, wollte man es zulassen, dass sich die Rechtsgenossen selbst nach Jahren ohne Weiteres einseitig von ihren Erklärungen lossagen könnten. Der Kläger hätte also die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärung, die er selbst durch seine Unterschrift geschaffen hatte, widerlegen müssen, was er nicht einmal ansatzweise versucht hat. Es reicht in diesem Zusammenhang nämlich nicht aus, unter Beweisangebot zu behaupten, der Beklagte zu 2. habe mitgeteilt, der Emissionsprospekt werde dem Kläger zugesandt; denn da dies zutreffend ist, würde eine derartige Äußerung allein noch kein hinreichendes Indiz für die angeblich unterbliebene Aushändigung darstellen. Darüber hinaus hat der Kläger nicht plausibel gemacht, weshalb er die falsche Erklärung abgegeben hat.

Selbst wenn also der Beklagte zu 2. dem Kläger gegenüber unrichtige Angaben gemacht haben sollte und dies der Beklagten zuzurechnen gewesen wäre, so ist diese mögliche Täuschung für den Vertragsabschluss jedenfalls nicht ursächlich geworden, weil eine zutreffende Aufklärung über das Risiko des Geschäfts bereits vorlag, bevor der Kläger die Zeichnungsscheine unterschrieben hatte. Daher kann offen bleiben, ob die vom Kläger zitierte angebliche Äußerungen des Beklagten zu 2. wegen ihres erkennbar anpreisenden und damit ausschließlich wertenden Charakters überhaupt geeignet war, beim Kläger durch eine gezielte Desinformation eine relevante Fehlvorstellung zu wecken.

Soweit der Kläger darüber hinaus einen Schadensersatzanspruch aus c.i.c. daraus herleitet, dass der Emissionsprospekt der Beklagten zu 1. nicht hinreichend auf das Insolvenzrisiko eingehe, so sind seine Ausführungen nicht nachvollziehbar. Es ist zwar richtig, dass der Prospekt ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt enthalten muss, was bedeutet, dass er über alle Umstände, die für die Entscheidung des Anlegers von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können – das betrifft insbesondere diejenigen Tatsachen, die den Vertragszweck vereiteln können – sachlich richtig und vollständig unterrichtet (vgl. BGH in NJW 92, 241 [242]; in NJW 00, 3346, jeweils mit weiteren Nachweisen), der Emissionsprospekt geht jedoch auf Seite 110, zwar knapp, aber für jeden Anleger deutlich und verständlich auf das Insolvenzrisiko ein.

2. Ferner ist der Vertrag nicht nach § 138 BGB sittenwidrig.

Die Sittenwidrigkeit ergibt sich nicht schon allein aus der langfristigen Vetragsbindung, sie lässt sich vielmehr nur unter Berücksichtigung und Abwägung der jeweiligen vertragstypischen und durch die Besonderheiten des Einzelfalls geprägten Umstände ermitteln (vgl. BGH in NJW 95, 2350 [2351) m.w.N.). Gemäß dem “Überblick über Ihre Beteiligung” im Emissions-Prospekt (dort S. 7) wird mit der (inzwischen nicht mehr so genannten) SecuRente bezweckt, die “Altersversorgung in Form von mitunternehmerischen Beteiligungen in steuerlich optimierter Form (zu) gestalten bzw. (zu) ergänzen.” Es ist evident, dass ein derartiges Vorhaben nur langfristig angelegt werden kann. Dasselbe gilt darüber hinaus auch für jede stille Beteiligung an einer Gesellschaft, die ihrer Natur nach nicht nur für eine kurze Zeit eingegangen wird.

3. Es liegt auch kein Verstoß gegen § 11 Nr. 5 b) und 7 b) AGBG vor.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob atypisch stille Gesellschaftsbeteiligungen nach § 23 Abs. 1 AGBG a.F. von den Bestimmungen dieses Gesetzes ausgenommen sind oder nicht (nicht ausgenommen etwa OLG Oldenburg in NZG 99, 896; OLG Celle in NZG 00, 85; OLG Stuttgart in NZG 00, 93); denn jedenfalls unterliegen sie einer ähnlichen Inhaltskontrolle und Auslegung wie Allgemeine Geschäftsbedingungen (so insbesondere BGH in NJW 01, 1270 [1271] m.w.N.).

Eine derartige Inhaltskontrolle lässt hier indes einen Verstoß gegen § 11 Nr. 5 b) AGBG a.F. nicht erkennen. Insoweit übersieht der Kläger nämlich, dass § 17 des Gesellschaftsvertrags nicht einmal einen pauschalierten Schadensersatzanspruch der Beklagten zum Inhalt hat, sondern vorsieht, dass der Stornierungsaufwand individuell zu berechnen, jedoch auf 20 % der Einlagesummen beschränkt ist. Außerdem wird dem Anleger die Möglichkeit des Gegenbeweises bezüglich der Höhe des so genannten Stornierungsaufwands ausdrücklich eingeräumt. Auch die Bestimmung, dass die Stornierung erst nach Ablauf von vier Vertragsjahren, die hier noch nicht abgelaufen sind, möglich ist, stellt angesichts der Tatsache, dass sämtliche Gesellschaftsbeteiligungen ihrer Natur nach auf Dauer angelegt sind, keine unangemessene Benachteiligung des Anlegers dar, sondern enthält im Gegenteil einen ausgewogenen Interessenausgleich (vgl. auch den vom BGH, ebendort, entschiedenen, ähnlichen Sachverhalt).

Daher wird die ordentliche Kündigung auch nicht durch das Verlangen nach Ersatz ungebührlicher Aufwendungen unerträglich erschwert, so dass ein Verstoß gegen § 10 Nr. 7 b) AGBG a,F. ebenfalls nicht vorliegt.

B.

Auch eine Haftung des Beklagten zu 2. kommt nicht in Betracht.

Unstreitig war der Beklagte zu 2. Vermittler und nicht Anlagenberater. Haftet der Berater auf Grund des zwischen ihm und dem Anleger geschlossenen Beratungsvertrags neben der anlegergerechten Beratung hinsichtlich derjenigen in Bezug auf das Anlageobjekt für die Aufklärung über diejenigen Eigenschaften und Risiken, die für die jeweilige Anlagenentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (vgl. BGH in NJW 93, 2433 m.w.N.), so schuldet der Vermittler keine Beratung über verschiedene Anlagemöglichkeiten, sondern entsprechende Hinweise bezüglich der speziellen, von ihm vermittelten Anlage.

Der Beklagte zu 2. war also im Zusammenhang mit negativen Presseveröffentlichungen über die Beklagte zu 1. grundsätzlich verpflichtet, den Kläger auf diese hinzuweisen. Eines solchen Hinweises bedurfte es hier indes nicht, weil der Emissionsprospekt der Beklagten zu 1. einen solchen Hinweis bereits enthielt. Dieser Hinweis im Emissionsprospekt war darüber hinaus deutlich und machte eine entsprechende Belehrung durch den Beklagten zu 2. entbehrlich (vgl. OLG Celle, Urteil vom 20.09.2001 – 11 U 293/00 -). Dies wäre in Anlehnung an die Prosepkthaftung (vgl. dazu neben den bereits erwähnten Entscheidungen noch etwa BGH in NJW 92, 228 ff. m.w.N.) nur dann anders zu beurteilen, wenn der Prospekt – wie der Kläger unterstellt – ohne jeden objektiven Aussagewert wäre. Wie ausgeführt, ist dem aber gerade nicht so. Darüber hinaus überspannt der Kläger die Hinweispflichten eines Vermittlers, wenn er meint, dieser müsse ihm sämtliche Presseveröffentlichungen über die Beklagte zu 1. vorlegen und mit ihm besprechen. Der Vermittler ist verpflichtet, den Anleger auf Risiken und mögliche Erkenntnisquellen hinzuweisen, sofern dies nicht bereits geschehen ist, er hat ihn jedoch nicht davor zu schützen, in Kenntnis der Gefahren und Risiken eine letztlich wirtschaftlich nachteilige Anlagenentscheidung zu treffen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.