Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26.04.2000 (Aktenzeichen 2/04 0 21/00):
Tenor:
Das Versäumnis-Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 09.11.1999 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen..
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 850,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von dem beklagten Polizeibeamten Schadensersatz wegen Körperverletzung.
Der Kläger wurde in der Nacht zum 03.08.1996 festgenommen, weil er in dem Verdacht stand, die Entwendung eines Kraftfahrzeugkennzeichens versucht zu haben. Er wurde danach auf das 6. Polizeirevier gebracht und nach Überprüfung seiner Personalien gegen 01.30 Uhr wieder auf freien Fuß gesetzt.
Da die Polizei vermutete, der Kläger beabsichtige, weitere strafbare Handlungen zu begehen, erhielten der Beklagte und ein weiterer Polizeibeamter den Auftrag, den Kläger zu observieren. Der Kläger fuhr zur Friedberger Landstraße, wo er in einem Gebüsch nach einem Autoschlüssel suchte. Dabei wurde er von den Polizeibeamten observiert. Da der Kläger den Autoschlüssel nicht fand, rief er von einer Telefonzelle den ihm bekannten Herrn B. an. Dieser fuhr zusammen mit einem Herrn H. in einem Jeep zu der Telefonzelle. Anschließend suchten die 3 Personen weiter nach dem Schlüssel im Gebüsch. Nach einiger Zeit fanden sie den Schlüssel und fuhren mit dem Jeep des Herrn B. in Richtung Frankfurt am Main Innenstadt. An der Auffahrt auf die A 661 wurde der Jeep von mehreren Polizeifahrzeugen gestoppt, und die Insassen wurden zum Aussteigen aufgefordert.
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn aus dem Jeep gezogen, ihn mit beiden Händen an den Haaren gepackt und ihn zweimal gegen das Auto gestoßen. Dann habe der Beklagte ihm Handfesseln angelegt und ihn aufgefordert, zu erzählen, was los gewesen sei, und ,,mit der Sprache rauszurücken”. Er (Kläger) habe dem Beklagten entgegnet, dass er einen Anwalt sprechen möchte. Der Beklagte habe ihm darauf mit der linken Hand so heftig gegen sein rechtes Ohr geschlagen, dass er Schmerzen verspürt und nicht mehr richtig gehört habe. Er habe zu dem Beklagten gesagt: “Jetzt ist mein Trommelfell kaputt”. Der Beklagte habe jedoch nur erwidert, das werde man schon sehen.
Danach habe der Beklagte ihn (Kläger) zu dem Polizeifahrzeug gebracht und ihn auf den Rücksitz gedrängt. Dabei habe er ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht und in den Bauch versetzt. Er habe vor Schmerzen laut aufgeschrien. Kurze Zeit darauf habe der Beklagte ihn mit beiden Händen am Hals gepackt und ihn wieder aus dem Wagen gezogen. Bei diesem Vorgang habe der Beklagte seine Daumen so fest an seinen Kehlkopf gepresst, dass er wiederum laut aufgeschrien habe. Er habe dabei gehört, wie sein Bekannter H. dem anderen Polizeibeamten vorgehalten habe, “was das solle”. Dieser habe nur geantwortet, das ginge ihn nichts an, er solle wegsehen.
Während die Herren H. und B. nach diesem Vorfall von anderen Polizeibeamten weggefahren worden seien, habe er (Kläger) mit dem Beklagten und einem anderen Polizeibeamten im Polizeifahrzeug auf das Eintreffen eines Abschleppwagens für den Jeep warten müssen. Bei dieser Gelegenheit habe ihn der Beklagte wieder aufgefordert, zu sagen “was los gewesen sei”. Daraufhin habe er dem Beklagten von der Suche nach dem Autoschlüssel erzählt. Der Beklagte habe ihm aber offenbar nicht geglaubt und gesagt, man werde schon “rauskriegen”, was gewesen sei. Der Beklagte habe sich dann schwarze Lederhandschuhe angezogen und ihn (Kläger) aufgefordert, auszusteigen. Draußen habe er ihn über die Straße in Richtung der dort liegenden Gärten geführt und ihn nochmals aufgefordert, “mit der Sprache rauszurücken”. Er habe wiederholt geantwortet: “Nichts”. Jedesmal – etwa fünf- bis sechsmal – habe ihm der Beklagte einen Faustschlag in die Magengegend versetzt. Er habe sich dann übergeben müssen und keine Luft mehr bekommen. Der Beklagte habe dann von ihm abgelassen und ihn zu dem Polizeifahrzeug zurückgebracht.
Der Kläger behauptet, er habe dadurch eine rechtsseitige traumatische Trommelfellperforation und eine Fraktur der 5. Rippe links erlitten.
Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte hafte ihm persönlich auf Schadensersatz und verlangt ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000,00 DM.
Der Kläger behauptet ferner, er nehme Bankkredit in Höhe der Klageforderung zu 5 % Zinsen in Anspruch.
Der zunächst vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage ist durch Versäumnis-Urteil vom 09.11.1999 in Höhe von 5.000,00 DM stattgegeben worden. Dagegen hat der Beklagte am 10.11.1999 Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat anschließend den Rechtsstreit wegen sachlicher Unzuständigkeit an das Landgericht verwiesen.
Der Kläger beantragt,
das Versäumnis-Urteil vom 09.11.1999 aufrechtzuerhalten.
Der Beklagte beantragt,
das Versäumnis-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass er gemäß Artikel 34 Grundgesetz nicht persönlich hafte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist rechtzeitig erhoben worden.
Er hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte haftet als Polizeibeamter nicht persönlich, da er die behaupteten Körperverletzungen im Rahmen seiner öffentlichen Amtsausübung begangen hat.
Gemäß Artikel 34 GG tritt die Haftung der Anstellungskörperschaft für einen bei hoheitlicher Amtstätigkeit verursachten Schaden an die Stelle der Eigenhaftung des Beamten Soweit die Staatshaftung eintritt, haftet der Beamte dem Geschädigten nicht persönlich (z.B. Kreft in: RGRK-BGB, 12. Aufl., § 839 RN 22). Dies gilt auch dann, wenn der Beamte die Amtspflichtverletzung vorsätzlich begeht (RGZ 155, 257, 267; Soergel/Glaser, BGB, 11. Aufl., § 839 RN 62; soweit bei Palandt/Thomas, BGB, 59. Aufl., § 839 RN 26 aufgeführt ist, dass Beamter und Staat bei vorsätzlichem Handeln nebeneinander haften, bezieht sich dies auf die Betätigung des Beamten innerhalb des privaten Geschäftskreises seines Dienstherren).
Die Haftung des Beklagten wird auch nicht dadurch begründet, dass er außerhalb der Ausübung hoheitlicher Gewalt gehandelt habe und somit persönlich in Anspruch genommen werden könnte. Ob der Beamte noch im Rahmen seines öffentlichen Amtes handelt, hängt davon ab, ob die schädigende Handlung noch in einem äußeren und inneren Zusammenhang mit der Amtsausübung steht. Der innere Zusammenhang einer schädigenden Handlung kann fehlen, wenn sie von dem Amtsträger aus rein persönlichen Beweggründen wie Rache oder Wut begangen wird, selbst wenn dies während des Dienstes geschieht und durch dienstliche Vorkommnisse veranlasst worden ist (BGHZ 11, 181, 1S6 ff.; Soergel/Glaser RN 88).
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Beklagte hat auch nach dem Vortrag des Klägers in Ausübung seines Amtes gehandelt. Der Beklagte war beauftragt worden, den Kläger zu observieren, um festzustellen, ob dieser Straftaten begeht. Diese Tätigkeit gehört in den Bereich der Strafverfolgung und zum öffentlich-rechtlichen Aufgabenbereich des Beamten. Nach dem Vortrag des Klägers hat der Beklagte ihn mehrfach aufgefordert, anzugeben, was geschehen sei. Es war demnach offensichtlich, dass der Beklagte vom Kläger in Erfahrung bringen wollte, was dieser zuvor gemacht hatte, ob der Kläger also eine strafbare Handlung begangen habe. Die behaupteten Schläge und Misshandlungen durch den Beklagten dienten ersichtlich dazu, den Kläger zu einer Aussage zu veranlassen. Wenngleich der Beklagte zu den behaupteten Gewaltmaßnahmen nicht befugt war, er sich vielmehr deshalb strafbar machte, gehörten die Handlungen des Beklagten dennoch zu dem erteilten Ermittlungsauftrag.
Dagegen gibt es keine Anhaltspunkte, dass der Beklagte unabhängig von seinem Ermittlungsauftrag den Kläger aus persönlichen Gründen misshandelte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte von Rache oder bloßen Wutgefühlen geleitet wurde. Die behaupteten Gewalttätigkeiten standen vielmehr in engem und offenbarem Zusammenhang mit der Aufforderung an den Kläger “mit der Sprache rauszurücken”.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Absatz 1 ZPO. Dem Beklagten sind nicht die Kosten seiner Säumnis gemäß § 344 ZPO aufzuerlegen, da das Versäumnis-Urteil wegen der Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.