OLG München: “shell.de”

Oberlandesgericht München

Urteil

Geschäftsnummer: 6 U 4557/98 Urteil vom 25. März 1999

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte seinen Familiennamen „Shell“ als Domain-Adresse im Internet und in der Werbung verwenden darf.

Der Beklagte betreibt ein Dienstleistungsunternehmen für Media-Text-Übersetzungsdienste, Texte und Produktion für Presseerzeugnisse und Private. Am 15.1.1996 meldete er das
Gewerbe bei der Gemeinde Ismaning an.

Die Muttergesellschaft der Klägerin ist in Deutschland Inhaberin verschiedener Marken. Unter der Nr. 720682 wurde in die Zeichenrolle beim Deutschen Patentamt die Wortmarke
Shell eingetragen, u.a. für Treibstoffe aller Art sowie für eine Reihe anderer Waren. Am 2.4.1979 wurde unter der Nr. 1093227 Shell als Wortmarke eingetragen, u.a. für
Dienstleistung im Bereich des Marketings, der Datenverarbeitung und der Ausbildung. Am 31.12.1994 wurde unter den Nr. 39410958 und 39410959 die Marke Shell in den Hausfarben
der Klägerin, Gelb und Rot, eingetragen u.a. für Brennstoffe aller Art, Druckschriften, Zeitungen und Zeitschriften sowie eine Reihe von anderer Waren.

Mit Telefax-Schreiben vom 11.3.1996 wurde die Klägerin von ihrer Muttergesellschaft aufgefordert, »shell.de« als domain name bei dem Network-Informations-Center (DENIC) der
Universität Karlsruhe reservieren zu lassen. Am 9.5.1996 ließ sich eine Firma namens Internationale SB (künftig: ISB) »shell.de« als domain name reservieren.

Mit Schreiben vom 10.4.1996 bat die Klägerin ihre Muttergesellschaft, die Reservierung für die Klägerin vorzunehmen. Der Klägerin wurde mit Schreiben vom 6.5.1996
mitgeteilt, dass die Muttergesellschaft die Registrierung des domain name »shell.de« in die Wege leiten werde.

Am 7.5.1996 nahm ein Mitarbeiter der ISB mit der Klägerin telefonisch Kontakt auf. Mit Schreiben vom 7.5.1996 unterbreitete die ISB der Klägerin ein Angebot zur Präsentation
der Klägerin unter dem Namen »shell.de« im Internet. Die Klägerin war nicht bereit, auf dieses Angebot einzugehen.

Im September 1996 wandte sich die ISB an den Beklagten und bot ihm den Namen »shell.de« als Internetadresse an. Daraufhin erteilte der Beklagte der ISB den entsprechenden
Auftrag. (…)

Entscheidungsgründe:

I. Berufung des Beklagten:

Das zulässige Rechtsmittel des Beklagten hat nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend den Beklagten zur Unterlassung (1) sowie
Schadensersatz und Auskunft (2) verurteilt. Die vom Beklagten im Berufungsverfahren abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung führte nicht zu einer Erledigung oder
Teilerledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (3). Durch die vom Beklagten erteilte Auskunft hat sich allerdings der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt
(4).

1) Das Landgericht hat zu Recht den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, das Zeichen »shell.de« im Internet als domain name zu verwenden

(a) sowie in der Werbung für Textverarbeitung, Übersetzungen, Durchführung von Recherchen, Erstellung und Produktion von Printbeiträgen die im Anschluss an den Tenor
wiedergegebene Homepage und/oder den domain name »shell.de« zu verwenden (b).

a) Zunächst wird Bezug genommen auf die Ausführungen unter Abschnitt 1. des Ersturteils. Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren und die
zur Verdeutlichung des Standpunktes des Senats wird auf folgende Gesichtspunkte hingewiesen:

1. Der Beklagte räumt selbst ein, dass in Rechtsprechung und Literatur bislang überwiegend die Auffassung vertreten wird, dass Internet-Adressen Kennzeichnungs- und
Namensfunktionen hätten oder haben könnten. Insoweit wird auf die von der Klägerin angeführte Literatur und Rechtsprechung verwiesen. Was die hier streitgegenständliche
Bezeichnung »shell.de« angeht, trifft dies wegen der überragenden Bekanntheit des Namens und der Marke Shell zu. Daran ändert nichts das auf technische Gegebenheiten
abgestellte Vorbringen des Beklagten, wonach der domain name nicht den Teilnehmer, sondern einen einzelnen am Netzwerk angeschlossenen Computer identifiziert, denn der
Internetbenutzer will nicht mit einem beliebigen Computer Verbindung aufnehmen, sondern der Person, die praktisch hinter dem Computer »steht«.

Unbehelflich ist im konkreten Fall auch die Behauptung des Beklagten, im Internet würden die privaten Anbieter und Nutzer überwiegen, nur ein kleinerer Teil der domains
werde namensmäßig benutzt, sowie, die meisten domains bestünden aus sächlichen Begriffen, wobei dann hinter der entsprechenden domain in den meisten Fällen kein
kommerzielles Angebot von Waren oder Dienstleistungen stünde. Wegen der Bekanntheit der Klägerin wird derjenige, der die Internet-Adresse »shell.de« anwählt, mit der
Klägerin, nicht aber mit einer ihm unbekannten Person mit dem Familiennamen »Shell« in Verbindung treten wollen.

2. Dem Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass juristischen Personen, und damit auch der Klägerin, Namens- und Firmenschutz nur in ihrem Funktionsbereich zukommt. Es
trifft auch zu, dass im Rahmen des § 12 BGB nur das geschäftliche Interesse der Klägerin schutzwürdig ist und insoweit als schutzwürdige Interessen in Betracht kommt, nicht
mit anderen Unternehmen verwechselt zu werden, eine Verwässerung zu verhindern sowie ihren guten Ruf aufrechtzuerhalten.

Im Rahmen der hier vorzunehmenden Interessenabwägung ist aber ein weiterer Gesichtspunkt maßgebend, der durch die technische Entwicklung der Kommunikation, nämlich hier der
Einführung des Internets, hervorgetreten ist. Dadurch, dass der Beklagte den domain name »shell.de« innehat, wird die Klägerin in ihrem geschäftlichen Bereich behindert. Es
liegt auf der Hand, dass derjenige, der mit der Klägerin über das Internet Verbindung aufnehmen will, dies zunächst einmal über »shell.de« versuchen wird. Dies zeigt auch
die vom Beklagten erteilte Auskunft, wonach in 1201 (maximal 1800) Anfragen die Homepage eingesehen wurde, hingegen in 271.097 (maximal 271.696) Anfragen eine Einsicht in
die Homepage nicht erfolgte. Dies legt den Schluß nahe, dass in den meisten dieser Fälle eine Kontaktaufnahme mit der Klägerin beabsichtigt war. Auch wenn man bei der hier
vorzunehmenden Interessenabwägung berücksichtigt, dass die Klägerin auch anderweitige Internet-Adressen verwenden kann, wie z.B. »Deutsche Shell.de« und der Beklagte daran
interessiert ist, seinen Familiennamen zu verwenden, fällt hier doch entscheidend in die Waagschale, dass es sich bei der Bezeichnung und dem Firmennamen Shell um eine
berühmte Marke und Namen handelt, mithin es dem Beklagten eher zuzumuten ist, sich von der Klägerin abzugrenzen, als dies umgedreht von der Klägerin zu verlangen.

Schließlich besteht auch ein Interesse der Allgemeinheit daran, nicht irrtümlicherweise Kontakt mit dem Beklagten bzw. seiner Familie aufzunehmen. Unbehelflich ist somit
auch der Hinweis des Beklagten, er sei bereit, in seine Homepage einen auf die Klägerin hinweisenden Link aufzunehmen. Hinzu kommt noch folgende Überlegung. Bei der
Eintragung des domain name »shell.de« handelte die ISB grob sittenwidrig. Ihr Anliegen, auf diese Weise mit der Klägerin ins Geschäft zu kommen, indem sie Providerdienste
anbietet, war nicht schutzwürdig. Die Eintragung zugunsten ISB war deshalb mit einem Makel behaftet. Ihr gegenüber hätte die Klägerin entsprechend klageweise vorgehen
können. Gegenüber Herr B. von ISB hat die Klägerin auch nicht auf die insoweit zustehenden Rechte verzichtet. Soweit der Beklagte vorträgt, Herr B. von ISB habe sich
mehrfach vergeblich mit dem ihm gegenüber als zuständig bezeichneten Leiter der EDV-Abteilung der Klägerin, Herrn L., in Verbindung zu setzen versucht, als er ihn
schließlich erreicht habe, habe dieser ihm barsch und unvermittelt erklärt, dass die Klägerin kein Interesse habe, kann daraus nicht auf einen Verzicht der Klägerin auf den
domain name geschlossen werden. Diese Äußerung bezog sich erkennbar auf das vergebliche Bemühen der ISB, mit der Klägerin einen entsprechenden Dienstleistungsvertrag
abzuschließen. (…). In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, sie sei sich darüber im klaren gewesen, dass dieser domain name für die ISB die Grundlage dafür
hätte sein sollen, mit ihr eine Geschäftsbeziehung zu begründen, die für sie, die Klägerin, nicht ohne Kosten bleiben sollte und dieses Unterfangen aus der Sicht der ISB nur
unter der Voraussetzung erfolgversprechend gewesen wäre, wenn der domain name »shell.de« nicht übertragen, sondern nur zur Nutzung zur Verfügung gestellt worden wäre.

Als der Beklagte sich den domain name »shell.de« von der ISB übertragen ließ, handelte er zumindest fahrlässig. Gerade wegen des möglichen Interesses der Klägerin an diesem
domain name hätte es ihm oblegen, sich bei der Klägerin danach zu erkundigen, ob von dieser Einwände gegen die Benutzung des domain name »shell.de« erhoben werden. Der
Beklagte trägt selbst vor, er habe solche Bedenken an sich gehabt, diese seien aber durch die Äußerung der ISB ausgeräumt worden. Dies entlastet ihn aber nicht.

b) Soweit der Beklagte das Landgericht dahin gehend rügt, es habe versäumt, die zwischen der etwaigen markenrechtlichen Kennzeichnungs- und der etwaigen Namensfunktion der
domain »shell.de« erforderliche Unterscheidung zu treffen, kann dem nicht gefolgt werden. In der Homepage verwendete der Beklagte nämlich die Bezeichnung »Shell-Service« und
gab gleichzeitig die Internet-Adresse an. Soweit es den domain name shell.de betrifft, ist § 12 BGB einschlägig, soweit in der Homepage die Zeichen »shell« und
»Shell-Service« verwendet werden, finden die vom Landgericht angeführten markenrechtlichen Bestimmungen Anwendung. (…)

II. Berufung der Klägerin:

Das zulässige Rechtsmittel der Klägerin hat in der Sache Erfolg.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Anspruch, dass dieser gegenüber der IV-DENIC e.G. zumindest Zug um Zug gegen Erstattung
der Registrierungskosten in die Umschreibung des domain name »shell.de« auf die Klägerin einwilligt. Diesem Erkenntnis liegen folgende Überlegungen zugrunde:

Auszugehen ist davon, dass eine mit dem Firmenschlagwort eines anderen, welches seit langem überragende Verkehrsgeltung besitzt, identische Internet-Domain eine Verletzung
des Namensrechts gemäß § 12 BGB darstellt. Dies ist gängige Rechtsprechung. Dies bedeutet, dass die Registrierung des domain name shell.de durch die ISB das Namensrecht der
Klägerin verletzte und der Beklagte, was die Registrierung betrifft, nunmehr die Stellung der ISB, d.h. auch belastet mit dem Makel der Verletzung des klägerischen
Namensrechtes, innehat.

Da die mit dem Internet zusammenhängenden Rechtsfragen noch nicht gesetzlich geregelt sind, bietet sich hier an, bei der hier zu treffenden Entscheidung hiermit
vergleichbare Fälle heranzuziehen. So bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 2 PatG für den Vindikationsanspruch, dass dann, wenn die Anmeldung bereits zum Patent geführt hat, der
Vindikationsberechtigte vom

Patentinhaber die Übertragung des Patentes verlangen kann. Lediglich ein Verzicht des zu Unrecht Eingetragenen könnte für den Erfinder den Verlust der ihm zustehenden
Priorität zur Folge haben. § 894 BGB regelt den Fall, dass bei Unrichtigkeit des Grundbuches derjenige, dessen Recht nicht oder nicht richtig eingetragen oder durch die
Eintragung einer nicht bestehenden Belastung oder Beschränkung beeinträchtigt ist, die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuches von demjenigen verlangen kann, dessen
Recht durch die Berichtigung betroffen wird. So wie hier der Grundbuchstand mit der Rechtslage nicht im Einklang steht, trifft dies auch für die Registrierung des Beklagten
zu. Betrachtet man zudem die Interessenlage des Beklagten, ist es für ihn sogar vorteilhafter, wenn er Zug um Zug gegen Erstattung der Registrierungskosten in die
Umschreibung des domain name auf die Klägerin einwilligt, als wenn er lediglich auf die Registrierung verzichtet. Seine Weigerung ist somit zugleich rechtsmissbräuchlich und
birgt zudem für die Klägerin die Gefahr in sich, dass ihr Namensrecht verletzende Zwischenregistrierungen erfolgen. Davon, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die
Registrierung der Internet-Adresse shell.de zu verzichten, geht auch das Landgericht aus.

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