BGH: (Keine) Haftung für “wrongful life”

BGB §§ 611, 823; StGB 1975 § 218 a
Bundesgerichtshof, VI. Zivilsenat
18. Januar 1983
– VI ZR 114/81 –
Landgericht München I; Oberlandesgericht München

Fundstelle: BGHZ 86, 240

Urteil

Leitsatz:

Ist die Gefahr der Schädigung eines Ungeborenen (der durch Röteln-Erkrankung
der Mutter während der Frühschwangerschaft), die den Wunsch der Mutter auf
Unterbrechung der Schwangerschaft gerechtfertigt hätte, von dem die Mutter
beratenden Arzt schuldhaft nicht erkannt worden, haftet dieser den Eltern auf
Ersatz der durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen (über den Ersatz
des normalen Unterhalts war nicht zu entscheiden).

Ein Ersatzanspruch des Kindes gegen den Arzt besteht nicht.

Tatbestand:

Die am 24. Februar 1977 geborene Erstklägerin ist eine eheliche Tochter der
Zweitklägerin und des Drittklägers (künftig: Kläger). Die Erstklägerin ist
gesundheitlich aufs schwerste geschädigt, weil ihre Mutter, die Zweitklägerin,
während der ersten Schwangerschaftswochen an Röteln (rubeola) erkrankt war.
Die Kläger werfen dem beklagten Frauenarzt vor, daß er diese Erkrankung der
Mutter nicht erkannt habe, so daß die – an sich erwünscht gewesene –
Schwangerschaft nicht unterbrochen worden sei.

Kind und Eltern begehren die Feststellung, daß der Beklagte ihnen –
vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsübergangs – »allen Schaden zu ersetzen
hat, der ihnen durch die Röteln-Erkrankung der Zweitklägerin während der
Schwangerschaft entstanden ist und noch entstehen wird«.

Das Landgericht hat die Klage der Erstklägerin abgewiesen, dem
Feststellungsbegehren der Eltern aber stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung
der Erstklägerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten auch die
Klage der Eltern abgewiesen. (Das Berufungsurteil mit näherer Darstellung des
Sachverhalts ist abgedruckt in VersR 1981,757).

Nur die Revision der Eltern hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung und
Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe:

A.

Das Berufungsgericht hält die Ansprüche aller Kläger für unschlüssig. Es
führt im einzelnen aus:

I. Auch im Falle eines Behandlungsfehlers habe der Beklagte ein Rechtsgut
oder Recht der Erstklägerin nicht verletzt. Zwar könne nach der Rechtsprechung
eine Handlung auch dann zum Schadensersatz führen, wenn der durch sie an
seiner Gesundheit Geschädigte zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren oder noch
nicht gezeugt sei. Hier aber habe der Beklagte die Schädigung der Erstklägerin
nicht verursacht, vielmehr laste diese ihm ein Verhalten an, dem sie ihr
Leben und ihre Rechtsfähigkeit verdanke. Ein Recht auf Abbruch der sie
betreffenden Schwangerschaft habe die Leibesfrucht schon deshalb nicht, weil die
Entscheidung darüber, soweit die Abtreibung rechtlich hingenommen werde, allein von
der Schwangeren abhänge. Auch lasse sich die Alternative zwischen Existenz
und Nicht-Existenz nicht mit juristischen Schadenskategorien erfassen.
Schließlich habe der Beklagte durch die Verhinderung der
Schwangerschaftsunterbrechung auch kein die Klägerin schützendes Gesetz verletzt.

Der zwischen der Zweitklägerin und dem Beklagten abgeschlossene
Behandlungsvertrag habe zwar auch Schutzwirkung zugunsten der Erstklägerin entfaltet.
Jedoch habe gerade seine Pflicht, die Zweitklägerin über Risiken der
Schwangerschaft und eine mögliche Schädigung der Leibesfrucht aufzuklären, allein deren
Interesse gedient.

II. Die Ansprüche der Eltern legt das Berufungsgericht dahin aus, daß sich
das Feststellungsbegehren der Zweitklägerin auch auf immateriellen Schaden
(wegen der Notwendigkeit einer durch Kaiserschnitt erschwerten Geburt),
dasjenige des Klägers allein auf materiellen Schaden beziehe. Es verneint jedoch
Ansprüche beider.

a) Ansprüche der Zweitklägerin

aa) Das Berufungsgericht will offenlassen, ob die (hier erhöhte) Belastung
mit wirtschaftlichen Unterhaltspflichten als Schaden geltend gemacht werden
könne. Jedenfalls träfen die vom erkennenden Senat in seinen beiden Urteilen
vom 18. März 1980 (BGHZ 76,249 und 259) entwickelten Grundsätze hier nicht zu.
Zwar würde ein Behandlungsfehler des Beklagten (zu dem das Berufungsgericht
keine Feststellungen trifft) die Unterhaltslast der Zweitklägerin adäquat
verursacht haben. Indessen sei der Schwangerschaftsabbruch im Gegensatz zur
Sterilisation eine Tötungshandlung (BVerfGE 39,1,43,46) und nach Meinung mancher
gegebenenfalls nur straffrei, aber nicht gerechtfertigt. Unabhängig von
letzterer Frage sei aber anders als bei einem Sterilisationsauftrag der Beklagte
hier nicht verpflichtet gewesen, auch wirtschaftliche Belange der Zweitklägerin
in Betracht zu ziehen. Denn eine Verpflichtung, über medizinische und
eugenische Indikationen einer Schwangerschaftsunterbrechung aufzuklären, habe für
ihn nur im Hinblick auf Gefahren für Leben und Gesundheit der Zweitklägerin
bestanden. Hier sei es indessen allein darum gegangen, der Erstklägerin ein
Leben unter schwersten Bedingungen zu ersparen. Daneben dürften zwar
wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt haben, die aber für sich den Abbruch der
Schwangerschaft nicht gerechtfertigt haben würden. Eine wirtschaftliche
Überforderung, die auch als Rechtfertigungsgrund erwogen werde, sei nicht
dargetan. Demnach habe die Wahrung der allein geltend gemachten wirtschaftlichen
Belange nicht zu den Vertragspflichten des Beklagten gehört. Insoweit sei also
auch keine Schadensersatzpflicht begründet.

bb) Entsprechendes gelte für Schadensersatzansprüche der Zweitklägerin aus
§§ 823 Abs. 1,847 BGB im Zusammenhang mit der ungewollten, mit Komplikationen
verbundenen Geburt. Auch der Ersatz solchen Schadens liege außerhalb des
Schutzbereichs der verletzten Vertragspflicht.

b) Ansprüche des Drittklägers

Die für den Kläger allein in Frage stehenden vertraglichen Ansprüche
entfielen aus den für die Zweitklägerin dargelegten Gründen, obwohl er in den
Schutzbereich des Vertrages zwischen der Zweitklägerin und dem Beklagten einbezogen
gewesen sei (BGHZ 76,259,262).

B.

Diese Ausführungen halten zwar der Revision der Erstklägerin (des Kindes)
stand, im wesentlichen aber nicht den Revisionen der Eltern.

I.

1. Nach dem unstreitigen Sachverhalt läßt sich kaum bezweifeln, daß der
Beklagte den ärztlichen Auftrag erhalten und auch angenommen hat, der Gefahr
einer schweren Schädigung der Erstklägerin (Kind) durch eine Röteln-Infektion
ihrer Mutter (Zweitklägerin) in den ersten Schwangerschaftswochen nachzugehen;
jedenfalls ist für die Revisionsinstanz davon auszugehen. Daß er diesen
Auftrag schuldhaft schlecht ausgeführt hat, hatte das Landgericht festgestellt. Das
Berufungsgericht stellt – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig –
eine solche Feststellung dahin, obwohl der Beklagte unstreitig die Erstklägerin
hinsichtlich des Ergebnisses angeblicher weiterer Blutuntersuchungen wohl
wissentlich falsch unterrichtet hatte.

Für die Revisionsinstanz muß jedenfalls unterstellt werden, daß der Beklagte
seine übernommene Behandlungspflicht schuldhaft versäumt hat. Der
festgestellte Sachverhalt läßt überdies kaum Zweifel daran, daß es der medizinisch
nicht uninformierten Zweitklägerin bei der Konsultation des Beklagten gerade
darum gegangen ist, gegebenenfalls der schweren Gefahr einer irreversiblen
Schädigung des soeben empfangenen Kindes durch einen Abbruch der Schwangerschaft
vorzubeugen. Auch daß ein auftragsgemäßes Verhalten des Beklagten die
Befürchtung erhärtet und damit den rechtzeitigen Schwangerschaftsabbruch als einzige
Abhilfe ermöglicht hätte, ist revisionsmäßig zu unterstellen. Damit hat – aus
der Sicht des Revisionsverfahrens – der Beklagte den von den Klägern geltend
gemachten Schaden gegebenenfalls durch seine schuldhafte Verletzung des
Behandlungsvertrags verursacht.

2. Bedenken gegen die Annahme einer Vertragsverletzung des Beklagten könnten
allerdings bestehen, wenn man der Meinung wäre, daß die
Schwangerschaftsunterbrechung, die nur strafrechtlich geregelt ist (§§ 218 ff. StGB), den Abbruch
der Schwangerschaft lediglich straflos mache, während er grundsätzlich als
Tötungsdelikt rechtswidrig bleibe. Diese Auffassung vertritt durchweg Sax (JZ
1977,326 ff.; vgl. auch Rudolf Schmitt JZ 1975,356; Schlund, Arztrecht
1982,64,66, der aber trotzdem einen Anspruch der Eltern bejahen will; vgl.
neuerlich auch Kaufmann JZ 1982,481 ff.; jeweils mit Nachw.). Sie widerspricht aber,
wie Sax selbst (aaO mit Nachw.) ausdrücklich bemerkt, nicht nur der Sicht des
Gesetzgebers, sondern auch der ganz herrschenden Meinung, was auch das
Berufungsgericht nicht verkennt. Der erkennende Senat sieht zu einem näheren
Eingehen auf diesen dogmatischen Streit keinen Anlaß. Er hält mit der ganz
herrschenden Meinung dafür, daß ein nach §§ 218 ff. StGB strafloser
Schwangerschaftsabbruch jedenfalls nicht rechtswidrig ist. In dieser Hinsicht sieht er sich
nicht nur durch die Materialien zu der derzeitigen gesetzlichen Regelung,
sondern auch durch die Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 39,1
ff.) bestätigt, das (aaO S. 59 und sonst) für eine klare Unterscheidung
zwischen Recht und Unrecht eintritt.

Dann aber kann ein nach § 218a StGB straffreier Abbruch der Schwangerschaft
Gegenstand eines rechtsgültigen Arztvertrages sein, – eine Beurteilung, von
der trotz gewisser Bedenken auch das Berufungsgericht ausgehen dürfte.

Daß eine Rötelninfektion der Mutter gerade während der besonders gefährdeten
Frühschwangerschaft ihren Entschluß zum Schwangerschaftsabbruch erlauben
kann, zieht das Berufungsgericht nicht in Zweifel. Eine solche Infektion bringt
die zwar nicht überwiegende, aber doch sehr hohe Wahrscheinlichkeit mit sich,
daß das Kind mit Schädigungen schwerer bis schwerster Art zur Welt kommen
wird (vgl. Bundestagsdrucksache 8/3630 vom 31. Januar 1980 S. 80); dem
entsprechen die im vorliegenden Verfahren gewonnenen Erhebungen. Bei einer solchen
Sachlage muß die werdende Mutter unter der geltenden gesetzlichen Regelung die
Möglichkeit und das Recht haben, den Abbruch vornehmen zu lassen. Daß dies
keine unmittelbare Pflicht des Arztes zur Mitwirkung begründet, kann hier außer
Betracht bleiben.

Der Beklagte hat nicht behauptet, daß er sich bei erkannter Gefahr dem
Wunsch der klagenden Mutter verschlossen haben würde.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht etwa daraus, daß das Gesetz
ausdrücklich nicht auf die Prognose für das Wohl des Kindes, sondern auf die
Zumutbarkeit für die Mutter ab- stellt. Das bedeutet nicht, daß das Zumutbarkeitsurteil
nur auf die der Mutter unmittelbar drohende Gefahr hoher finanzieller und
arbeitsmäßiger Belastung sowie insbesondere auch die seelische Belastung durch
das Miterleben des Schicksals eines schwerbehinderten Kindes abstellt. Diese
Gesichtspunkte haben durchaus ihre Berechtigung. Daneben aber muß auch das
ethische Interesse der Mutter Berücksichtigung finden, sich als die einzige
Person, der nach wohl allgemeiner Meinung die Entscheidung darüber zustehen kann,
nicht dem Vorwurf oder auch nur Selbstvorwurf auszusetzen, daß sie dem Kind
nicht ein unter Umständen qualvolles und der Eingliederung in die
Gesellschaft schwer zugängliches Leben durch eine von der Rechtsordnung in ihre
Verantwortung gestellte Entscheidung erspart hat (für das anderen Beziehungen nicht
vergleichbare besondere Verantwortungsverhältnis der werdenden Mutter zu ihrer
Leibesfrucht vgl. Sondervotum Rupp v. Brünneck BVerfGE 39,79 f.).

Daher ist eine dem Zeitpunkt nach gefährliche Rötelninfektion nach
herrschender Meinung und rechtstatsächlicher Praxis ein Anlaß, der den Entschluß der
Mutter zum Schwangerschaftsabbruch erlaubt.

II. Aus der schuldhaften Vertragsverletzung durch den Beklagten, die sich
gleichzeitig auch als Gesundheitsverletzung der Zweitklägerin (Mutter)
darstellen kann, können sich nach Auffassung des erkennenden Senats durchaus
Ansprüche der klagenden Eltern, nicht allerdings eigene des Kindes ergeben.

1. Ansprüche der Eltern

Die Auffassung, daß sich grundsätzlich Ansprüche der Eltern ergeben können,
wird im neueren Schrifttum wohl überwiegend geteilt (u. a. Deutsch VersR
1982,713,714; Fischer NJW 1981, 1991; Hagen SchHA 1982,2,6; Schlund, Arztrecht,
1982,64,66; Steffen in BGB-RGRK 12. Aufl. § 823 Rdnr. 13; Larenz, Lehrbuch des
Schuldrechts 13. Aufl. Bd. I S. 411, Fn. 66; Schünemann JZ 1981,574,575
ff.). Doch wird das angefochtene Urteil verschiedentlich ohne nähere
Stellungnahme zustimmend erwähnt. Verneint wird die Möglichkeit solcher Ansprüche
insbesondere von denen, die den Schwangerschaftsabbruch mit verschiedener Begründung
für nur straflos halten (s. o.). Der Senat ist, wie bemerkt, der ersteren
Meinung.

a) Ansprüche der Mutter

aa) In der Geburt der Erstklägerin hat sich, wovon ausgegangen werden muß,
die Gefahr, der es nach dem Entschluß der Mutter durch eine
Schwangerschaftsunterbrechung vorzubeugen galt, verwirklicht. Denn die Gesamtschädigung des
Kindes ist, soweit ersichtlich, so schwer, daß eine gegebenenfalls zum
Schwangerschaftsabbruch bereite Mutter, hätte sie sie zuvor gekannt, darauf verzichtet
hätte, das Kind auszutragen. Den dadurch der Mutter entstandenen Schaden hat
der Beklagte durch seine Vertragsverletzung verursacht und muß ihn daher
grundsätzlich ersetzen. Dieser Schaden kann als nach Vertragsrecht geschuldeter
Vermögensschaden in dem finanziellen und sachlichen (Arbeitsleistung)
Unterhaltsmehraufwand für das Kind bestehen, den die Mutter ganz oder teilweise,
möglicherweise lebenslang, wird erbringen müssen. Daß es den Eltern nur um den
schadensbedingten Mehraufwand, also nicht auch um den Unterhaltsaufwand geht,
der auch für ein gesundes Kind entstanden wäre, hat der Prozeßbevollmächtigte
der Kläger vor dem Senat ausdrücklich klargestellt; der Senat kann sich
daher im Streitfall auf die Entscheidung über dieses Begehren beschränken. Daß
auch dieser Mehraufwand einer familienrechtlichen Unterhaltspflicht entspricht,
steht im Verhältnis zu einem verantwortlichen Dritten seiner
Charakterisierung als Vermögensschaden nicht grundsätzlich entgegen. (Für die
Ersatzfähigkeit unterhaltsrechtlich geschuldeter Aufwendungen vgl. Senatsurteile vom 18.
März 1980 – BGHZ 76,249 und 259.)

Daraus ergibt sich, daß – ebenso wie bei einem planwidrig geborenen Kind –
auch bei einem Kind, das so, d. h. in seinem behinderten Zustand, nach dem
Wunsch der Mutter nicht hatte geboren werden sollen, jedenfalls die durch die
Behinderung bedingten Mehraufwendungen (in BGHZ 76,249,258 noch offengelassen)
als ersatzfähiger Schaden in Frage kommen können. Das gilt freilich nur, wenn
und soweit sich die Gefahr, die es zu vermeiden galt, tatsächlich
verwirklicht hat, also wegen der Schwere der eingetretenen Schädigung – wäre sie
voraussehbar gewesen – die Austragung des Kindes unzumutbar erschienen wäre. Davon
aber ist hier jedenfalls für das Revisionsverfahren auszugehen.

Anders könnte es nicht schadensrechtlich ausgeglichen werden, daß der
Beklagte durch seine Nachlässigkeit der Mutter etwas aufgezwungen hat, was ihr das
Gesetz nicht zumuten wollte und was sie deshalb zu vermeiden berechtigt
gewesen war.

bb) Daneben hält der Senat ein Schmerzensgeld für die Mutter angesichts der
notwendig gewordenen Kaiserschnittentbindung für rechtlich in Frage kommend.
Anders als in den BGHZ aaO entschiedenen Fällen beruht hier die
Schwangerschaft zwar als solche nicht auf dem Versagen des Arztes, sondern auf freier
Entschließung der Mutter (Zweitklägerin) oder ist von dieser doch hingenommen
worden. Damit hat der Beklagte nicht durch die Zufügung einer ungewollten
Entbindung unmittelbar in die körperliche Befindlichkeit der Zweitklägerin (anders
im Senatsurteil vom 18. März 1980 – VI ZR 247/78 – VersR 1980,558, insoweit
in BGHZ nicht abgedruckt) eingegriffen. Deshalb kann nach Auffassung des
Senats hier nur diejenige Schmerzbelastung als Begründung eines Anspruchs aus §
847 BGB in Frage kommen, die schadensbedingt die mit einer natürlichen,
komplikationslosen Geburt verbundenen Beschwerden übersteigt. Das könnte sich –
wobei aber wiederum Feststellungen fehlen – dadurch verwirklicht haben, daß nur
wegen der Schädigung des Kindes eine Kaiserschnitt-Entbindung notwendig
geworden ist, was die Kläger behauptet haben. Bei der Bemessung dieses
Schmerzensgeldes könnte allerdings wiederum in Betracht zu ziehen sein, daß der Mutter so
ein – wie jedenfalls behauptet – nicht ganz einfacher Abtreibungseingriff
erspart worden ist, dem sie sich bei vertragsmäßigem Verhalten des Beklagten
unterzogen hätte.

Darüber hinaus kommen Ansprüche der Mutter aus direkter oder entsprechender
Anwendung des § 847 BGB freilich nicht in Frage. Das Berufungsgericht hat ein
solches Begehren auch – von der Revision unangegriffen – nicht in der
Einlassung der Kläger erkannt. Deshalb mag hier nur kurz angemerkt werden, daß ein
solcher Anspruch wegen der – nicht ausnahmsweise Krankheitswert erreichenden
– seelischen Belastung durch das Haben eines schwer geschädigten Kindes der
deutschen Rechtsordnung fremd wäre (anders in mehreren ausländischen
Rechtsordnungen; vgl. etwa die Entscheidung i.S. Howard v. Lecher des Court of Appeals
of New York, North Eastern Reporter, Volume 366 S. 64 ff. – »mental and
emotional suffering«). Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die in
einem streng umschriebenen Bereich des Ehrenschutzes für Verletzungen des
Persönlichkeitsrechts eine schmerzensgeldähnliche Entschädigung gewährt (vgl. die
Übersicht bei Palandt/Thomas, BGB 42. Aufl. § 823 Anm. 15), ist insoweit
nicht ausdehnbar. Vor allem kann eine dem Ansatz der gesetzlichen Regelung
widersprechende Geldentschädigung nicht für die Verletzung des »Rechts auf
Familienplanung« als Ausstrahlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährt
werden (vgl. dazu etwa Giesen FamRZ 1970,565; Schiemann JuS 1980,709,711 ff.),
soweit eine die Persönlichkeit betreffende Entscheidung des Betroffenen nur –
wie hier – faktisch vereitelt wird.

b) Ansprüche des klagenden Ehemannes

Ersatzansprüche für geldlichen und sachlichen Aufwand stehen diesem in
gleicher Weise wie der Frau zu. Er war insoweit in den Schutzbereich des
Behandlungsverhältnisses eingeschlossen; denn es kann für die Ersatzpflicht des
verantwortlichen Arztes keine Rolle spielen, wie sich die verursachte Belastung im
Einzelfall zwischen den Eheleuten verteilt. Die im Senatsurteil BGHZ
76,259,262 ausgesprochenen Grundsätze gelten hier in gleicher Weise. Daß das in der
Regel nicht anders sein kann, zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem –
jedenfalls nach der Behauptung der klagenden Eltern – nunmehr der Vater als
»Hausmann« die zeitaufwendige Pflege des geschädigten Kindes übernommen hat, um
der Mutter die Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit und damit die
Beschaffung des finanziellen Familienunterhalts zu ermöglichen. Andere als materielle
Ersatzansprüche kommen für den Drittkläger nicht in Frage.

2. Ansprüche des Kindes

Hier stellt sich für die inländische höchstrichterliche Rechtsprechung
erstmalig unmittelbar das Problem, das im angelsächsischen Sprachbereich als
»wrongful life« bezeichnet wird. Der Beklagte hat, wie oben bemerkt, den
bedauernswerten Zustand des Kindes nicht verursacht; jedenfalls ist nicht behauptet,
daß er ihn noch durch irgendwelche Maßnahmen habe verhindern können. Er hat
jedoch unter Verstoß gegen seine der Mutter gegenüber übernommene
Behandlungspflicht nicht ermöglicht, daß die Geburt eines gesundheitlich erheblich
gefährdeten Kindes, bei dem sich diese Gefährdung dann auch in schwerer Form
verwirklicht hat, durch den Abbruch der Schwangerschaft verhindert wurde. Insoweit
in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht ist der Senat der Ansicht, daß das
Kind hieraus Ansprüche nicht herleiten kann.

Inländische Rechtsprechung ist, wie bemerkt, kaum bekannt geworden. Außer
dem hier angefochtenen Urteil liegt dem Senat ein Urteil des Oberlandesgerichts
Hamm vom 25. Januar 1982 – 3 U 107/81 – zur Revision vor, wo Ansprüche des
Kindes selbst jedoch aus Verfahrensgründen rechtlich nicht geprüft worden
sind. Ausländische Entscheidungen, die aber schon wegen der verschiedenen
Rechtsgrundlagen nur beschränkt für das inländische Recht Bedeutung haben können,
sind, soweit ersichtlich, in England und in den Vereinigten Staaten ergangen.
In England ist ein Anspruch des Kindes unlängst verneint worden (Urteil des
[London] Court of Appeal vom 19. Februar 1982 in Sachen McKay v. Essex Health
Authority and Another – Bericht in Law Report February 22 1982, Court of
Appeal; vgl. auch den Abdruck der Richter-»opinions« in dieser Sache in The Weekly
Law Reports 1982, S. 890 ff.). Die in der Zwischenzeit dort in Kraft
getretene gesetzliche Regelung schließt Ansprüche des Kindes ohnehin aus (vgl.
Finch, New Law Journal 1982,235,236). Auch in den Vereinigten Staaten ist diese
Auffassung seit längerer Zeit ganz herrschend; Ansprüche des Kindes sind nur in
einem einzigen Fall (Court of Appeal in California i.S. Curlender v.
Bio-Science 1980) rechtskräftig bejaht worden (zitiert nach der Übersicht im
»Opinion« v. L. J. Stephenson, The Weekly Law Reports aaO S. 904). Zwei weitere
erstinstanzliche Entscheidungen, die nicht bzw. noch nicht rechtskräftig geworden
waren, erwähnt Fischer NJW 1981, 1991 Fn. 4; für den Stand von 1978 vgl. die
ausführliche Darstellung von Sarno, American Law Reports = ALR, 83 3 d, S.
15 ff.).

In dem das Recht der Bundesrepublik Deutschland betreffenden Schrifttum sind
die Ansichten geteilt, wobei die Ablehnung eines Anspruchs des Kindes
überwiegt. Einen solchen Anspruch befürworten zwar Deutsch (aaO) und wohl auch Plum
(VersR 1982,722; vgl. auch Fuchs NJW 1981,610,613). Verneint werden
Ansprüche des Kindes selbst aber nicht nur von allen, die die nicht ermöglichte
Abtreibung überhaupt nicht als Haftungsgrund anerkennen wollen, sondern auch von
Autoren, die gegebenenfalls Ansprüche der Eltern anerkennen (so etwa Fischer,
Hagen, Schlund, Steffen, Schünemann, je aaO). Der Senat folgt bei seiner
Ablehnung eines kindlichen Schadensersatzanspruches aus dem Rechtsgrund »wrongful
life« bzw. »wrongful birth« folgenden Erwägungen:

a) Eine unmittelbare deliktsrechtliche Pflicht, die Geburt einer
Leibesfrucht deshalb zu verhindern, weil das Kind voraussichtlich mit Gebrechen behaftet
sein wird, die sein Leben aus der Sicht der Gesellschaft oder aus seiner
unterstellten eigenen Sicht (für die naturgemäß nicht der geringste Anhalt
besteht) »unwert« erscheinen läßt, müßte innerhalb des allgemein auf
Integritätsschutz ausgerichteten Kreises der deliktischen Verhaltensnormen einen
Fremdkörper bilden. Es gibt sie nicht. Das gilt selbst für Fälle, in denen – anders
als hier – nicht nur die Gefahr einer Schädigung besteht, sondern z. B. im Wege
der heute in verdächtigen Fällen weitgehend üblichen Amniocentese
(Fruchtwasseruntersuchung) ein schwerer genetischer Mangel – etwa beim Mongolismus –
enigermaßen sicher zu prognostizieren ist. Und das gilt auch, obgleich nach
vielleicht überwiegender Meinung und wohl auch rechtstatsächlicher Praxis die
Geburt jedenfalls solcher Kinder verhindert werden sollte. Das menschliche
Leben, das nach Abschluß der Nidation auch den Nasciturus umfaßt (BVerfG aaO S.
37), ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil
über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Daher ist auch anerkannt, daß die
Pflicht, das Leben eines Erkrankten oder schwer Verletzten zu erhalten, nicht
von dem Urteil über den Wert des erhaltbaren Lebenszustandes abhängig
gemacht werden darf.

Nur bei der Frage, inwieweit nur noch einzelne Lebensfunktionen durch
künstliche Maßnahmen ohne Hoffnung auf Besserung aufrecht zu erhalten sind, mag
dieser Grundsatz eine gewisse Grenze finden (vgl. Sax JZ 1975,137,149).

Darum aber geht es hier nicht. Allgemein erlaubt gerade die durch die
Erfahrung mit der national-sozialistischen Unrechtsherrschaft beeinflußte
Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund kein rechtlich
relevantes Urteil über den Lebenswert fremden Lebens (vgl. etwa Hagen aaO S. 7).

b) Darum könnte sich die eine Ersatzpflicht begründende Pflichtwidrigkeit
des Beklagten ohnehin nur aus dem Behandlungsverhältnis zur Mutter ergeben.

aa) Einerseits können allerdings auch Vertragspflichten, selbst wenn sie
einem Dritten gegenüber bestehen, gleichzeitig eine deliktische Einstandspflicht
begründen (Nachweise etwa bei Palandt/Thomas, BGB 42. Aufl. Übersicht vor §
823 Anm. 2). Insoweit aber gilt das bereits Gesagte. Weder die Ermöglichung
noch die Nichtverhinderung von Leben verletzt (anders, soweit die Qualität
dieses Lebens durch Tun oder Unterlassen erst beeinträchtigt wird) ein nach §
823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut. Das ist nicht nur eine dogmatische
Erwägung. Sie wird vielmehr auch dadurch gestützt, daß schon die ethische Wertung
des erlaubten Schwangerschaftsabbruchs in der allgemeinen Meinung keine
einheitliche ist (wobei sich der Beklagte hier allerdings nie auf ethische Bedenken
berufen hat; er hätte sonst auch die Beratung und Behandlung der Mutter
ablehnen müssen). Vor allem nämlich entzieht es sich, eben weil es nicht um ein
Integritätsinteresse geht, den Möglichkeiten einer allgemeinverbindlichen
Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen gegenüber der Alternative des
Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne einen Schaden oder aber eine immer noch
günstigere Lage darstellt (vgl. dazu die Stellungnahme von L. J. Stephenson,
The Weekly Law Reports aaO S. 90; »Man, who knows nothing of death or
nothingness, cannot possibly know, wether that is so.«).

bb) Damit bleibt nur eine unmittelbare Vertragspflicht des Beklagten zu
prüfen, die dieser vermöge einer (gegebenenfalls nur sinngemäß) vereinbarten
Schutzwirkung zugunsten des noch ungeborenen Kindes diesem gegenüber zu erfüllen
gehabt hätte. Auch das vermag der Senat indessen nicht zu bejahen, obwohl ein
solcher Behandlungsvertrag in anderer Richtung sehr wohl Schutzwirkungen für
das Kind entfalten kann, wie auch das Berufungsgericht erkennt.

Es stünde dem allerdings nicht entgegen, daß das klagende Kind im Zeitpunkt
des haftungsbegründenden Verhaltens des Beklagten noch nicht rechtsfähig war
(§ 1 BGB). Auch für das Deliktsrecht ist (s. o.) anerkannt, daß eine
haftungsbegründende Handlung vor der Geburt des Geschädigten (BGHZ 58,48), ja sogar
vor der Erzeugung liegen kann (BGHZ 8,243). Hinsichtlich eines
Schadensersatzanspruches, der sich auf eine das Ungeborene begünstigende Vertragspflicht
gründet, kann nichts anderes gelten.

Der Senat sieht sich jedoch an der Feststellung, daß eine solche
Schutzwirkung ausbedungen war, schon deshalb gehindert, weil das geltende Recht der
Mutter die rechtfertigende Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich nur
in ihrem eigenen Interesse gewährt. Diese gesetzliche Wertung mag in ihrer
Motivation nicht zwingend sein; sie ist auch, soweit ersichtlich, in anderen
Kulturstaaten, deren Rechtsordnung den Schwangerschaftsabbruch nicht
grundsätzlich ablehnt, nicht festzustellen. Das hindert nicht, daß sie für den
Rechtsbereich der Bundesrepublik schon aus verfassungsrechtlichen Gründen zu
respektieren ist (BVerfG aaO). Damit steht sie nicht nur einer im Sinne einer
Begünstigung des zu vermeidenden Kindes erweiterten Auslegung des
Behandlungsvertrags entgegen, sondern, wie bemerkt, auch einer durch die Übernahme des
Behandlungsauftrags unmittelbar dem Kind gegenüber entstandenen deliktischen
Garantenpflicht des Arztes.

cc) Aber auch abgesehen von dieser speziellen Ausgestaltung der deutschen
Abtreibungsregelung hält der Senat die Ablehnung eigener Ansprüche des Kindes
in solchen Fällen für zwingend. Sie sind nur tragbar, wo schuldhaft durch
menschliches Handeln dessen Integritätsinteresse beeinträchtigt worden ist, wobei
ein solches Verhalten, wie bemerkt, zeitlich sogar vor der Erzeugung liegen
kann. Im übrigen kann es nicht so sehr auf auch vom Berufungsgericht
angeführte Argumente formaler Logik ankommen, etwa dahingehend, daß es nicht denkbar
sei, als Rechtssubjekt Ansprüche aus einem Verhalten herzuleiten, das die
Existenz und Rechtsfähigkeit erst begründet hat (vgl. dazu schon Heldrich JZ
1965,593,594). Vielmehr hält der Senat dafür, daß in Fällen wie dem vorliegenden
überhaupt die Grenzen erreicht und überschritten sind, innerhalb derer eine
rechtliche Anspruchsregelung tragbar ist. Der Mensch hat grundsätzlich sein
Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet ist, und hat keinen
Anspruch auf seine Verhütung oder Vernichtung durch andere. Wenn der Mutter – nur
sie kann es sein – von der Rechtsordnung gleichwohl eine solche Entscheidung
eingeräumt wird, dann kann das auch ihr gegen- über keinen Anspruch des
Kindes auf Nichtexistenz begründen. Daran ändert es nichts, daß in ihre
Entscheidung legitimermaßen auch das Mitleid mit dem schwer geschädigten Leben
einfließen mag (vgl. Fischer aaO S. 1992: »Motivbündel«; Larenz, aaO).

Wollte man gegenüber dem Arzt anders entscheiden, dann müßte man
folgerichtig auch eine Haftung in anderen Fällen bejahen, etwa bei Eltern, die trotz
schwerer genetischer Belastung ein Kind gezeugt haben und deren
Verantwortlichkeit sich derzeit nur in der gegebenenfalls erhöhten Unterhaltspflicht
auswirkt, oder bei Personen, die für diese genetische Belastung verantwortlich sind,
auch dann, wenn diese den in erster Linie verantwortlichen Eltern bei der
Zeugung bekannt war (anders als in dem der Entscheidung BGHZ 8,243
zugrundeliegenden Fall, bei dem es um die auf einer Blutübertragung beruhende
Luesinfektion der Mutter ging; vgl. etwa Schlund aaO S. 67). Und es könnte sich insoweit
eine Einstandspflicht für mehrere Generationen ergeben, weshalb schon eine
Haftungsbegrenzung auf die erste Generation erwogen worden ist (vgl. den
Hinweis von Giesen, Arzthaftungsrecht, 1981, S. 119 bei Fn. 867; ferner Heldrich
aaO S. 599).

Das alles zeigt, wie bemerkt, nach Auffassung des Senats, daß hier ein
Bereich anfängt, in dem eine rechtliche Regelung der Verantwortung für weitgehend
schicksalhafte und naturbedingte Verläufe nicht mehr sinnvoll und tragbar
ist.

dd) Der Senat verkennt nicht, daß auf diese Weise schwer behinderte Kinder
wirtschaftlich schutzlos bleiben, sobald die Unterhaltspflicht der Eltern –
etwa bei deren Ableben – aufhört. Das muß aber ebenso hingenommen werden, wie
in den Fällen, in denen die Mutter sich nicht zur
Schwangerschaftsunterbrechung entschließen kann oder die gesetzliche Frist für diese aus irgendwelchen
Gründen versäumt wurde. Allgemein verwirklicht sich hier ein schicksalhafter
Verlauf, auf dessen Abbruch das Kind selbst keinen Anspruch haben kann und
dessen Auswirkungen im Rahmen des Möglichen von der Allgemeinheit ausgeglichen
werden müssen.