BGH, Urt.v. 06.12.2001 – I ZR 284/00
UWG §§ 1, 13 Abs. 2 Nr. 2
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 6 Dezember 2001 durch (…)
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt
am Main vom 27. Juli 1994 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Das Unternehmen Benetton S.p.A. (im folgenden: Benetton), das weltweit
Textilien vertreibt, veröffentlichte 1993 in der Zeitschrift “s.”,
deren Herausgeberin die Beklagte ist, eine Werbeanzeige. Diese zeigt –
eine Doppelseite füllend – den oberen Teil eines menschlichen Gesäßes,
dem rechts in breiter blauer Schrift der Stempel “H.I.V.” mit dem schräg
versetzten Zusatz “POSITIVE” aufgedrückt ist. Etwas abgesetzt von
diesem Stempelaufdruck befinden sich – mit einem rechteckigen grünen
Feld unterlegt – die in weißer Schrift gesetzten Worte “UNITED COLORS
OF BENETTON.”. In der linken unteren Ecke der Anzeige steht der Satz: “COLORS,
ein Magazin über den Rest der Welt, in Benetton Filialen und ausgewählten
Zeitungsläden erhältlich.”
Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs
e.V., hat diese Werbeanzeige als wettbewerbswidrig beanstandet. Die Beklagte
habe durch deren Abdruck in der Zeitschrift “s.” gegen die guten Sitten
im Wettbewerb verstoßen. Benetton benutze mit dieser Anzeige zynisch
die existentielle und bedrückende Not Aids-Kranker, um den eigenen
Warenabsatz zu steigern. Das Unternehmen wolle die angesprochenen Verbraucher
schockieren und eine Vielzahl unterschiedlicher Gefühle – wie Entsetzen
und Mitleid – auslösen. Durch diese Aufmerksamkeitswerbung solle der
Betrachter extrem provoziert und so veranlaßt werden, mit anderen
über seine Empfindungen und damit über die Anzeige zu sprechen.
Dadurch solle erreicht werden, daß der Name des Unternehmens “in
aller Munde” sei. Eine solche Anzeige sei geeignet, die Mitbewerber zu
veranlassen, im Wettbewerb immer anstößiger zu werben.
Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen
Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs mit der in Anlage K 1 zur Klageschrift abgebildeten Werbung (abgedruckt
in der Zeitschrift “s.”, Ausgabe) für
die Firma Benetton S.p.A. zu werben.
Die Beklagte hat sich gegenüber diesem Unterlassungsantrag auf
die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit (Art. 5 GG) berufen. Als Presseunternehmen könne sie jedenfalls
nach den Grundsätzen der eingeschränkten
Pressehaftung nicht für die Werbeanzeige verantwortlich gemacht werden,
weil diese – wie die gegensätzliche Diskussion hierzu in Literatur
und Rechtsprechung zeige – zumindest nicht grob und eindeutig wettbewerbswidrig
sei. Die Anzeige weise zwar in allegorischer Form auf die Situation Aids-Kranker
als “gebrandmarkt” hin, enthalte sich jedoch jeglicher Wertung.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Die (Sprung-)Revision der Beklagten hat der Senat zurückgewiesen
(Urt. v. 6.7.1995 – I ZR 180/94, GRUR 1995, 600 = WRP 1995, 686 – “H.I.V. POSITIVE” I).
Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundesverfassungsgericht
diese Entscheidung durch Urteil vom 12. Dezember 2000 (1 BvR 1762 und 1787/95,
BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170 = WRP 2001, 129 – Benetton-Werbung) wegen
eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 GG aufgehoben und die Sache an
den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Die Beklagte verfolgt im erneuten Revisionsverfahren ihren Klageabweisungsantrag
weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
I. Die Klägerin ist für den erhobenen Anspruch prozeßführungsbefugt
(§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG; vgl. BGH, Urt. v. 6.2.1997 – I ZR 234/94,
GRUR 1997, 758, 759 = WRP 1997, 946 – Selbsternannter Sachverständiger,
m.w.N.).
II. Das Landgericht hat den auf § 1 UWG gestützten Unterlassungsanspruch
zuerkannt. Es hat dazu ausgeführt, mit der angegriffenen Werbeanzeige
werde zu Wettbewerbszwecken in einer Weise Aufmerksamkeit für das
Unternehmen Benetton und dessen Produkte erregt, die sittenwidrig sei.
Das Motiv der Anzeige stehe in keinerlei Zusammenhang mit den Produkten
und dem Unternehmen Benetton. Die Anzeige suche den Betrachter mit dem
Leid der Aids-Kranken zu schockieren, um unter bedenkenloser Ausnutzung
der Gefühle des umworbenen Publikums diesem das Unternehmen oder dessen
Produkte einzuprägen. Durch Anspielung auf die Häftlingsnummern
der Opfer des Holocaust lege die Anzeige nahe, Aids-Kranke seien heute
in gleicher Weise wie Juden und Regimegegner zur Zeit der nationalsozialistischen
Diktatur stigmatisiert, gesellschaftlich ausgegrenzt und verfolgt. Dadurch
sollten die Betrachter emotional zutiefst bewegt werden, so daß sich
ihnen die Werbeanzeige einpräge. Diesen Vorgang nutze Benetton aus,
um dem Betrachter mit Hilfe des grünen Feldes mit den Worten “UNITED
COLORS OF BENETTON.” seine Unternehmensbezeichnung und den damit verbundenen
Hinweis auf seine Produkte unterzuschieben, um so – ohne Bezug zu eigenen
tatsächlichen Leistungsergebnissen – Vorteile im Wettbewerb zu erlangen
und Umsatzsteigerungen zu erzielen. Der Unterlassungsanspruch richte sich
auch gegen die Beklagte, weil diese in der nicht nur untergeordneten Nebenabsicht,
fremden Wettbewerb zu fördern, unter Verstoß gegen die ihr obliegenden
Prüfungspflichten eine Anzeige veröffentlicht habe, die grob
und eindeutig sittenwidrig sei.
III. Die Revisionsangriffe gegen diese Entscheidung bleiben ohne Erfolg.
Die Beklagte hat durch die Veröffentlichung der Werbeanzeige “H.I.V.
POSITIVE” von Benetton wettbewerbswidrig gehandelt (§ 1 UWG).
1. Grundlage für diese Beurteilung ist die – vom Bundesverfassungsgericht
dem Senat auch aufgegebene – Auseinandersetzung mit dem Aussagegehalt der Anzeige und den Möglichkeiten
ihrer Deutung.
Die Anzeige “H.I.V. POSITIVE” macht in plakativer Form die persönliche
Situation Aids-Kranker zum Gegenstand einer Unternehmenswerbung.
a) Das für die Werbeanzeige benutzte Farbfoto zeigt im Ausschnitt
einen Teil des nackten Gesäßes eines Menschen, auf das der blaue
Stempel “H.I.V. POSITIVE” aufgedrückt ist. Das Foto kann als gestellt
oder – in eher naiver Sicht – als Abbildung dieses Körperteils eines
Aids-Infizierten, dessen Haut noch gesund wirkt, gesehen werden. Der Stempelaufdruck
auf der bloßen Haut kennzeichnet den Betroffenen als HIV-infiziert;
er erinnert – wie im Verfügungsverfahren angesprochen – im Aussehen
an tierärztliche Kontrollstempel in Schlachthöfen und Metzgereien.
Das Foto wirkt als unverstellter Nahblick auf einen Teil des körperlichen
Intimbereichs, als Einblick in die persönliche Sphäre eines Menschen
und als Offenlegung der Tatsache, daß dieser von der Krankheit Aids
betroffen ist. Die Abbildung kann die Betrachter, auch wenn sie von einem
gestellten Bild ausgehen, sehr stark berühren und von ihnen als Schock
empfunden werden. Alles, was der Betrachter mit der Krankheit Aids verbindet,
wird, gerade dann, wenn er unvermutet mit dem benutzten Foto konfrontiert
wird, mit starker Reizwirkung angesprochen. Da jede Erläuterung fehlt,
wird der Betrachter ganz seinen eigenen Assoziationen, Gedanken und Empfindungen
überlassen. Diese können vielfältigster Art sein, ohne sich
gegenseitig auszuschließen. Es können etwa Gefühle des
Mitleids, der Furcht oder der Angst, des Abgestoßenseins, der Trauer,
der Bestürzung oder einer tiefgreifenden Verunsicherung sein. Kaum jemand wird das Foto betrachten, ohne
dabei in seinem Eindruck maßgeblich
von seiner persönlichen Lebenssituation beeinflußt zu sein.
Wer sich selbst und diejenigen, die ihm nahestehen, als nicht von Aids
bedroht fühlt, wird es mit anderen Augen sehen als Menschen, die selbst
erkrankt oder von der Krankheit bedroht sind oder Angehörige in dieser
Lage wissen.
Der abgebildete Mensch, dessen Verborgenes offengelegt ist, kann als
“abgestempelt”, “gebrandmarkt” und aus der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt erscheinen, als ein durch
eine unheilbare Krankheit zu einem qualvollen
Tod Verurteilter. Es kann das damit verbundene Schicksal mitgefühlt
oder vor allem die Ansteckungsgefahr empfunden werden, die von Infizierten
für Gesunde ausgehen kann. Ebenso kann die Erinnerung an Vorschläge
wachgerufen werden, Aids-Infizierte durch Tätowierung zu kennzeichnen.
In seinem Bezug auf die Intimsphäre, die Gegenwart einer unsichtbaren,
aber lebensbedrohlichen Krankheit und eine als wirklich dargestellte grausame
Ausgrenzungsreaktion der Umwelt verdichtet das Foto die Aids-Problematik
in einem einzigen Bild, das tief beeindrucken kann, ohne aber eine eigene
konkrete Aussage zu machen oder eine eigene Wertung abzugeben. Es ist ein
sprechendes Bild mit meinungsbildendem Inhalt, ohne selbst die Richtung
der Meinungsbildung zu weisen.
Die Offenheit des Bildes als Anknüpfungspunkt für Gedanken
und Gefühle läßt es geeignet erscheinen, mit ganz unterschiedlicher
Zielsetzung in der Öffentlichkeit verwendet zu werden. Das Foto könnte
z.B. als Kunstwerk ausgestellt werden, der Werbung für einen Aids-Kongreß
dienen oder der Aufklärung über die Gefahr der Ansteckung mit
Aids. Es könnte aber auch dazu eingesetzt werden, im Internet auf
einer Webseite die menschenverachtende Forderung zu veranschaulichen, Aids-Infizierte
zum Schutz Gesunder vor Ansteckung mit einem äußeren Erkennungszeichen
zu “brandmarken”.
b) Das Unternehmen Benetton hat in der Zeitschrift “s.” nicht lediglich
das Foto veröffentlicht, sondern eine Werbeanzeige. In dieser weist
Benetton nicht nur – mit den Worten “UNITED COLORS OF BENETTON.” – auf
seine Unternehmensbezeichnung hin, sondern ausdrücklich auch auf sein
Magazin “COLORS”, das in Benetton-Filialen und ausgewählten Zeitungsläden
erhältlich sei. Die Verwendung des Fotos zur Gestaltung einer Werbeanzeige
mit der blickfangartigen Wiedergabe des Unternehmenskennzeichens von Benetton
stellt dieses in einen bestimmten Zusammenhang.
(1) Als Bestandteil der Anzeige wird das Bild dem Unternehmen Benetton,
das auf diese Weise für sich und seine Produkte wirbt, als Veröffentlichung zugerechnet. Eine eigene
bestimmte Aussage kann aber der Anzeige nicht
entnommen werden, da sie selbst dafür keinen Anhaltspunkt gibt. Ebensowenig
ist der Anzeige ein konkreter Hinweis auf die mit ihr verfolgte Absicht
zu entnehmen; ein solcher ergibt sich auch nicht aus ihrer Funktion als Unternehmenswerbung. Die Anzeige
enthält sich vielmehr jeder Wertung.
Wie die Beklagte selbst treffend dargelegt hat, ist eine Wertung, ob positiv,
negativ, indifferent, immer die des Betrachters. Die Anzeige selbst vergegenwärtigt
nur eine grausame Wirklichkeit durch ein Bild.
Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde demgegenüber
auf eine öffentliche Stellungnahme des Fotografen Toscani, welche
Absicht er und das Unternehmen Benetton mit der Anzeige verfolgt hätten,
hingewiesen. Wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend macht, ist diese
Äußerung jedoch im Revisionsverfahren, insbesondere im Verfahren
der Sprungrevision (§ 566a Abs. 3 Satz 2 ZPO), nicht verwertbar, weil
sie erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht veröffentlicht
worden ist. Eine solche Stellungnahme, die nicht zum unmittelbaren Kontext
der Anzeige gehört, wäre im übrigen kaum geeignet, das Verständnis
des Aussagegehalts der Anzeige in der breiteren Öffentlichkeit, auf deren
Sicht es für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ankommt, maßgeblich
zu beeinflussen, weil sie nur unter ganz besonderen Umständen ausreichend
bekannt werden könnte.
(2) Die Anzeige enthält zwar keine konkrete Aussage, ist aber geeignet,
in der Öffentlichkeit bestimmte Annahmen über die mit ihr verfolgten
Absichten zu begründen. Sie wird, auch wenn ihr Gegenstand eine tödliche
Krankheit sowie der Umgang der Gesellschaft mit Infizierten ist, von jedem
Betrachter auch als Unternehmenswerbung gesehen.
In der Öffentlichkeit wird der Anzeige teilweise die Absicht entnommen
werden, die öffentliche Aufmerksamkeit kritisch auf eine tatsächlich
anzutreffende Diskriminierung und Ausgrenzung Aids-Kranker zu richten.
Diese Vorstellung von der Absicht, die Benetton mit der Anzeige verfolgt,
kann sich zwar nicht auf die Anzeige selbst stützen, durch die allgemeine
Lebenserfahrung wird aber nahegelegt, daß ein Unternehmen, das für
sich in der Öffentlichkeit wirbt, ein positives Image von sich begründen
oder verstärken will. Es kann deshalb angenommen werden, daß
das werbende Unternehmen – schon wegen seiner wirtschaftlichen Interessen
– kaum mit Tendenzen, Aids-Kranke auszugrenzen und zu stigmatisieren, in
Verbindung gebracht werden will. Für jeden, der von dieser Einschätzung
als selbstverständlich ausgeht oder sich das mutmaßliche Unternehmensinteresse
bewußt macht, ist danach die Annahme einer kritischen Tendenz der
Anzeige naheliegend.
Der weit überwiegende Teil der angesprochenen Öffentlichkeit wird
die Anzeige allerdings in erster Linie oder sogar ausschließlich
als Aufmerksamkeitswerbung verstehen. Aus dieser Sicht verfolgt das Unternehmen
Benetton vor allem sein wirtschaftliches Interesse, ohne damit mehr als
eine nachrangige eigene gesellschaftskritische Tendenz zu verbinden. Sein
Mittel dazu ist es, durch die Werbung zu schockieren, aufzureizen und zu
irritieren, um das Interesse der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen und
sich ins Gespräch zu bringen. Dieses Verständnis drängt
sich, auch angesichts der offensichtlichen wirtschaftlichen Interessen,
die ein Unternehmen im allgemeinen mit einer aufwendigen gewerblichen Anzeige
verbindet, schon deshalb den Betrachtern auf, weil die Anzeige jeden Hinweis
vermissen läßt, der die Meinungsbildung im Sinne einer kritischen
und anprangernden Tendenz lenken könnte.
Die Annahme einer kritischen Tendenz und die Annahme, es gehe hier um
eine Aufmerksamkeitswerbung, schließen sich nicht aus. Weite Teile
der Öffentlichkeit werden bei dem Unternehmen Benetton beide Absichten
vermuten und – je nach eigenem Standpunkt – die eine oder andere Absicht
als überwiegend ansehen.
Schließlich ist die Werbung – mangels eines konkreten Anhalts
für die verfolgte Absicht in der Anzeige selbst – geeignet, auch diejenigen
Verbraucher anzusprechen, die Maßnahmen mit dem Ziel der Ausgrenzung
und Stigmatisierung von Aids-Infizierten mehr oder weniger bewußt
und offen für richtig halten. Für eine darauf zielende Absicht
von Benetton fehlt jedoch bereits jedes mit dem wirtschaftlichen Interesse
des Unternehmens vereinbare Motiv.
(3) Die Wirkung der Anzeige auf die Betrachter kann entsprechend dem
unterschiedlichen Verständnis von der Anzeige selbst, den unterschiedlichen Annahmen über die mit der
Anzeige verfolgten Absichten des werbenden
Unternehmens und abhängig von dem eigenen Standpunkt und der Lebenssituation des Betrachters sehr
verschieden sein. Dabei kommt es nicht wesentlich
darauf an, ob das verwendete Foto als gestellt oder als dokumentarisch
verstanden wird (vgl. dazu auch Henning-Bodewig, GRUR 1997, 180, 187).
Entscheidend hängt die Wirkung der Anzeige davon ab, wie stark
ihr Charakter als Unternehmenswerbung mit gesehen und empfunden wird. Besonders
der Umstand, daß es hier um Werbung geht und die Anzeige zumindest
auch den Umsatz des werbenden Unternehmens steigern soll, ist ein Grund
für ihre ungewöhnliche, vielfach aufwühlende Wirkung in
der Öffentlichkeit, die das benutzte Foto trotz der starken Reizwirkung,
die von ihm ausgeht, als solches allein nicht erreichen könnte. Schon
der angesprochene Problemkreis ist geeignet, Menschen in tiefen Gefühlsschichten
zu berühren. Die Verbindung eines Fotos, das diese Gefühlsschichten
in besonders intensiver Weise ansprechen kann, mit der unübersehbaren
Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen wird bei den meisten Betrachtern
– abhängig von ihrer Lebenssituation und ihren persönlichen Einstellungen
– Gedanken eigener Art und starke, häufig heftige Reaktionen hervorrufen.
Gerade darauf beruht auch die Eignung der Anzeige als Unternehmenswerbung,
eine an sie anknüpfende und auf sie Bezug nehmende öffentliche
Auseinandersetzung anzustoßen und so zugleich der Öffentlichkeit
den Namen des Unternehmens einzuprägen.
Die Anzeige ist gleichwohl geeignet, auf diejenigen, die sie persönlich
unbelastet von der Gefahr, die von Aids ausgeht, und deshalb unbefangen
betrachten, vor allem als anprangernde, aufrüttelnde Aussage mit kritischer
Tendenz zu wirken. Das Verständnis als Werbeanzeige kann dabei zurücktreten,
dies unter Umständen so weit, daß die Anzeige wie ein Kunstwerk
gesehen wird.
Weit stärker ist jedoch die Eignung der Anzeige, ihrer offensichtlichen
Natur entsprechend, in erster Linie als Werbemaßnahme gesehen zu
werden. Denn in der Anzeige wird kein anderer Grund dafür angeboten,
warum das verantwortliche Unternehmen, dessen Geschäftsgegenstand
die Herstellung und der Vertrieb von Waren für den täglichen
Bedarf ist, die Öffentlichkeit mit einer solchen Problematik konfrontiert.
Aus dieser Sicht, die jedenfalls weiteste Kreise der angesprochenen Öffentlichkeit
teilen werden, beutet die Anzeige, auch soweit ihr daneben eine gesellschaftskritische
Tendenz zugestanden wird, das Reizthema Aids vor allem zu wirtschaftlichem
Eigennutzen durch eine Aufmerksamkeitswerbung aus, deren Intensität
sich kaum jemand entziehen kann und die das Unternehmen zum Gesprächsthema
machen soll. Die tiefe existentielle Not Aids-Infizierter und ihrer Angehörigen,
ihre Furcht vor dem Fortschreiten eines schrecklichen Schicksals und davor,
als Folge der ansteckenden Krankheit in der Gesellschaft ausgegrenzt und
diskriminiert zu werden, werden aus dieser Sicht – ebenso wie die quälende
Angst vieler vor Ansteckung – nur als Mittel zum Erreichen des Werbeerfolgs
benutzt. Die Betroffenen selbst werden so als Gruppe mit ihrem Schicksal
zu einem Objekt, mit dem Wirtschaftswerbung zur Gewinnerzielung getrieben
werden kann. Vor allem zu diesem Zweck wird aus dieser Sicht ein Anzeigenbild
eingesetzt, in dem ein Aids-Infizierter in seiner intimen Körperlichkeit
den Blicken preisgegeben und als ein Stück Fleisch gezeigt wird, von
dem die Gefahr der Ansteckung mit einer todbringenden Krankheit ausgeht
und das deshalb “amtlich” wie mit einem Schlachtfleisch-Stempel als ansteckend
und gefährlich markiert ist. Wer betroffen ist und die Anzeige so
sieht – und das wird die weit überwiegende Zahl der Betroffenen sein
– wird diese Werbeanzeige als zynisch empfinden und sich durch sie in seiner
Würde als Mensch gleichen Ranges und Wertes wie ein Gesunder herabgesetzt
fühlen. Es kann als verletzend empfunden werden, als Betroffener im
Interesse einer Wirtschaftswerbung dem bildhaften Ausdruck des eigenen
Schicksals – möglicherweise ganz unvorbereitet – durch eine gewerbliche
Anzeige in einer Zeitschrift oder im öffentlichen Raum auf Plakatwänden
ausgesetzt zu werden. Sehr viele, die sich beim Anblick der Anzeige in
die Lage Betroffener versetzen, werden diese Gefühle mitvollziehen.
Dies schließt nicht aus, daß auch Betroffene die Anzeige anders
verstehen und empfinden können, so vor allem als Beitrag zur Aufrüttelung
der Gesellschaft und damit als Beitrag zur Verbesserung ihrer Lage.
2. Die beanstandete Anzeige des Unternehmens Benetton verstößt
gegen die guten Sitten im Wettbewerb.
a) Zweck des § 1 UWG ist es, dem unmittelbar betroffenen Wettbewerber
einen Anspruch zu geben, damit dieser selbst gegen unlautere Mittel und Methoden des Wettbewerbs vorgehen
kann und damit zugleich in die Lage versetzt
wird, sich gegen Schädigungen zur Wehr zu setzen, die er durch Wettbewerbsverzerrungen
infolge unlauteren Wettbewerbs erleidet oder befürchten muß.
Die Anspruchsnorm ist so die Grundlage für einen deliktsrechtlichen Individualschutz (BGHZ 144, 255, 264 –
Abgasemissionen). Schon aus diesem
Grund richtet sich die Vorschrift des § 1 UWG nicht schlechthin gegen anstößiges Verhalten von
Gewerbetreibenden. Ebensowenig darf
sich das Sittenwidrigkeitsurteil des § 1 UWG an allgemeinen ethischen
Moralvorstellungen oder Anforderungen an den guten Geschmack orientieren
(vgl. BGHZ 130, 5, 7 f. – Busengrapscher). Der in § 1 UWG enthaltene
Begriff der Sittenwidrigkeit ist vielmehr wettbewerbsbezogen auszulegen
(vgl. BGHZ 140, 134, 138 f. – Hormonpräparate; 144, 255, 265 – Abgasemissionen;
BGH, Urt. v. 5.10.2000 – I ZR 224/98, GRUR 2001, 354, 356 = WRP 2001, 255
– Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; Urt. v. 6.10.1999 – I ZR 46/97,
GRUR 2000, 237, 238 = WRP 2000, 170 – Giftnotruf-Box; Urt. v. 26.4.2001
– I ZR 314/98, GRUR 2001, 1178, 1180 = WRP 2001, 1073 – Gewinn-Zertifikat,
m.w.N. [zum Abdruck für BGHZ 147, 296 vorgesehen]).
Die wettbewerbsbezogene Auslegung des Begriffs der Sittenwidrigkeit
bedeutet jedoch nicht, daß § 1 UWG nur dann eingreift, wenn
es um den unmittelbaren Schutz der Wettbewerber geht. Es liegt auch in
der Zielsetzung dieser Vorschrift zu verhindern, daß Wettbewerb unter
Mißachtung gewichtiger Interessen der Allgemeinheit betrieben wird
(vgl. BGHZ 140, 134, 138 f. – Hormonpräparate; 144, 255, 266 – Abgasemissionen;
BGH GRUR 2000, 237, 238 – Giftnotruf-Box). Darin liegt kein Widerspruch
zum deliktsrechtlichen und individualrechtlichen Charakter des § 1
UWG. Die insoweit geschützten Interessen der anderen Marktbeteiligten
und der Allgemeinheit sind vielmehr auch Interessen der Gewerbetreibenden
selbst, weil es sich dabei um die Bekämpfung von Auswüchsen des
Wettbewerbs handelt, die dazu beitragen können, den Wettbewerb zu
vergiften, und einen an der Leistung orientierten Wettbewerb gefährden.
Es kann daher ein eigenes – auch wirtschaftlich begründetes – Anliegen
der Gewerbetreibenden sein, nicht zusehen zu müssen, wie andere mit
grob anstößigen Methoden den Markterfolg suchen, oder nicht
vor die Entscheidung gestellt zu werden, ob sie selbst in gleicher Form
Wettbewerb betreiben sollen, um nicht im Wettbewerb zurückzufallen
(vgl. BGHZ 130, 5, 12 – Busengrapscher; vgl. dazu weiter BVerfGE 32, 311,
316 = GRUR 1972, 358, 359 f.; BVerfGE 102, 347, 360 – Benetton-Werbung).
b) Die Beurteilung, ob ein beanstandetes Wettbewerbsverhalten sittenwidrig
im Sinne des § 1 UWG ist, erfordert regelmäßig eine – am
Schutzzweck des § 1 UWG auszurichtende – Würdigung des Gesamtcharakters
des Verhaltens nach seinem konkreten Anlaß, seinem Zweck, den eingesetzten
Mitteln, seinen Begleitumständen und Auswirkungen. Die Bedeutung der
Grundrechte ist dabei schon bei der Prüfung, ob das angegriffene Verhalten
sittenwidrig ist, mit abzuwägen (vgl. BVerfG GRUR 2001, 1058, 1060;
BGHZ 130, 5, 8, 11 – Busengrapscher). Dies kann – je nach Lage des Falles
– dazu führen, daß ein Wettbewerbsverstoß zu bejahen oder
zu verneinen ist (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl.,
Einl. UWG Rdn. 92 f.).
Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, daß Meinungsäußerungen,
die wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Fragen zum Gegenstand
haben, in besonderem Maße den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
genießen (BVerfGE 102, 347, 362 f. – Benetton-Werbung). Der Schutz
des lauteren Wettbewerbs durch § 1 UWG als allgemeines Gesetz im Sinne
des Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 102, 347, 360 – Benetton-Werbung; BVerfG
GRUR 2001, 1058, 1059) kann jedoch Einschränkungen der Freiheit, im
Wettbewerb die eigene Meinung zu äußern, notwendig machen, die
außerhalb des Bereichs des Wettbewerbs nicht oder nicht in diesem
Umfang gelten. Eine unlautere Behinderung von Mitbewerbern oder andere
unmittelbare Beeinträchtigungen des Leistungswettbewerbs sind dazu
keine Voraussetzung. Dies wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zu dem vorliegenden Verfahren bestätigt (BVerfGE 102, 347, 363 ff.
– Benetton-Werbung; vgl. dazu auch Möllers WuB V B. § 1 UWG 3.01).
Denn nach dieser Entscheidung kann die Meinungsfreiheit unter Umständen
auch dann eingeschränkt werden, wenn in der Werbung ekelerregende,
furchteinflößende oder jugendgefährdende Bilder gezeigt
werden. Eine Einschränkung von Grundrechtspositionen eines Werbungtreibenden
ist weiterhin nicht ausgeschlossen, wenn eine bestimmte Werbung die Verrohungs-
oder Abstumpfungstendenzen in unserer Gesellschaft fördert und einer
Kultur der Mitmenschlichkeit im Umgang mit Leid abträglich ist, oder wenn mit ihr eine nicht mehr
hinnehmbare Belästigung des Publikums
verbunden ist. In gleicher Weise erfordert es der Schutz des lauteren Wettbewerbs
zu verhindern, daß in der Wirtschaftswerbung die Menschenwürde
verletzt und Minderheiten diskriminiert oder herabgesetzt werden (vgl.
BVerfGE 102, 347, 366 f. – Benetton-Werbung; vgl. dazu auch Fezer, JZ 1998,
265 ff.; ders., WRP 2001, 989, 1017 f.) oder des Werbeeffekts wegen ein
Spiel mit dem getrieben wird, was vielen heilig ist (vgl. dazu auch Henning-Bodewig,
GRUR 1997, 180, 190; Wünnenberg, Schockierende Werbung – Verstoß
gegen § 1 UWG?, 1996, S. 121 ff., 138 f., 150 ff.).
Danach kann im Wettbewerb verboten sein, was außerhalb des Wettbewerbs
ohne weiteres zulässig, vielleicht sogar als meinungsbildender Beitrag
erwünscht oder zumindest hinnehmbar ist (etwa ekelerregende Bilddarstellungen).
Dies gilt nicht nur, weil Äußerungen, die auch oder nur im wirtschaftlichen
Interesse gemacht werden, verletzender und abstoßender wirken können
als Meinungsäußerungen, die nur einen Beitrag zum öffentlichen
Meinungsaustausch leisten sollen, sondern auch deshalb, weil eine Werbung
der hier erörterten Art geeignet sein kann, die Verhältnisse,
unter denen der Wettbewerb stattfindet, zum Schaden eines an der Leistung
orientierten Wettbewerbs erheblich zu belasten.
Dementsprechend ist es in der Rechtsprechung seit jeher anerkannt und
in der Werbepraxis selbstverständlich, daß es wettbewerbswidrig
ist, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken ohne besondere
Gründe die rein persönlichen Verhältnisse eines Wettbewerbers
anzusprechen, wie z.B. seine Ausländereigenschaft, seine religiösen
und politischen Überzeugungen oder körperlichen Besonderheiten.
Dies gilt selbst dann, wenn diese Angaben wahr sind und der Gewerbetreibende
unwiderlegbar vorbringt, er habe nicht auf Vorurteile des Publikums spekuliert,
sondern nur zur Aufklärung der Öffentlichkeit über tatsächlich
gegebene Sachverhalte beitragen wollen (vgl. dazu näher Baumbach/Hefermehl
aaO Einl. UWG Rdn. 432 ff. m.w.N.). Andernfalls könnten Gewerbetreibende
unter Berufung auf die Meinungsäußerungsfreiheit und naheliegende
andere Deutungsmöglichkeiten ihrer Werbung Tiefschläge persönlicher
Art gegen Mitbewerber austeilen.
c) Enthält eine Wirtschaftswerbung eine Meinungsäußerung
im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG, muß als Grundlage für die Abwägung,
ob die Werbemaßnahme im Sinne des § 1 UWG sittenwidrig ist,
der Sinn der Äußerung zutreffend erfaßt werden. Bei Äußerungen,
die mehrere Deutungen zulassen, darf sich das Gericht nicht für den
zur Verurteilung führenden Sinn entscheiden, ohne zuvor die Alternativen
mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen zu haben. Dabei darf eine
Äußerung nicht aus ihrem auch für die Rezipienten wahrnehmbaren
Zusammenhang gerissen werden, sofern dieser ihren Sinn mitbestimmt (vgl.
BVerfGE 94, 1, 9 = NJW 1996, 1529, 1530; BVerfGE 102, 347, 367 – Benetton-Werbung;
BVerfG NJW 2000, 3413, 3414; BVerfG NJW 2001, 594, 595).
Daraus ergibt sich aber auch, daß derjenige, der im Wettbewerb
mit anderen die Marktteilnehmer durch Werbung beeinflussen will, seine
Werbemaßnahmen an ihrer Eignung, auf die Angesprochenen zu wirken,
messen lassen muß. Bei einer Anzeige ist deshalb grundsätzlich
nur maßgeblich, welche Absicht aus dieser selbst spricht. Der Werbende
kann sich nicht auf innere Absichten berufen, wenn diese den Angesprochenen
nicht zugleich mit der Anzeige erkennbar werden oder als bekannt vorausgesetzt
werden können (allg. M.; vgl. nur Baumbach/Hefermehl aaO Einl. UWG
Rdn. 250; v. Gamm, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Kap. 7 Rdn. 4).
Nicht entscheidend ist auch, ob Werbeäußerungen von allen
Teilen der angesprochenen Öffentlichkeit in gleicher Weise verstanden und
empfunden werden. Es ist zu unterscheiden zwischen der rechtlichen Wertung
einer Wettbewerbshandlung als sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG und
den tatsächlichen Umständen, auf denen diese Wertung beruht.
Bei der rechtlichen Beurteilung kommt es nicht auf die Meinung einer besonders
streng urteilenden Minderheit an (vgl. v. Gamm aaO Kap. 18 Rdn. 10, m.w.N.).
Die Beurteilung hat jedoch im Tatsächlichen darauf aufzubauen, wie
– gegebenenfalls auch wie unterschiedlich – die Werbemaßnahme in
den angesprochenen Verkehrskreisen aufgefaßt werden kann (vgl. dazu
auch BGH, Urt. v. 8.7.1955 – I ZR 52/54, GRUR 1955, 541, 542 = WRP 1955,
206 – Bestattungswerbung).
Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, daß auch ekelerregende
Bilder in der Werbung wettbewerbswidrig sein können, macht diesen
Unterschied zwischen rechtlicher Beurteilung und deren tatsächlicher
Grundlage deutlich. Was bei weiten Teilen der Bevölkerung heftige
Ekelgefühle hervorruft, kann von anderen als allenfalls geschmacklos
angesehen werden. Tief verwurzelte religiöse Überzeugungen und
Riten einer Minderheit können für viele andere, vielleicht sogar
die weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit, bedeutungslos, schwer
nachvollziehbar oder gar Anlaß zum Spott sein. Wenn Gewerbetreibende derartige Umstände zum Aufhänger ihrer
Werbung um Kunden machen,
wird gleichwohl Unterlassungsansprüchen zum Schutz der Lauterkeit
des Wettbewerbs in aller Regel stattzugeben sein.
Für den Schutz der Menschenwürde gegen ihre Verletzung durch
Werbemaßnahmen gilt nichts anderes. Es ist sittenwidrig, im Wettbewerb
den eigenen wirtschaftlichen Vorteil mit Werbeaussagen zu suchen ohne Rücksicht
darauf, ob diese bei einem naheliegenden Verständnis die Menschenwürde
anderer verletzen. Die Menschenwürde ist zumindest gegen solche Werbeanzeigen
zu schützen, die sie bei einem sich handgreiflich aufdrängenden
Verständnis ihres Aussagegehalts verletzen, auch wenn die Anzeige
so gestaltet ist, daß sie von anderen Teilen der Öffentlichkeit als
unverfänglich oder sogar als eine Meinungsäußerung in guter
Absicht aufgefaßt werden kann.
Der im deutschen und europäischen Recht im Interesse der Lauterkeit
des Wettbewerbs allgemein geltende Rechtsgedanke, daß eine Werbemaßnahme
als wettbewerbswidrig beurteilt werden kann (§§ 1, 3 UWG), auch
wenn sie nicht von allen Angesprochenen in gleicher Weise verstanden und
empfunden wird, ist der Sache nach in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
als verfassungsrechtlich unbedenklich anerkannt. So ist ein allgemeines
Verbot, nach einem Todesfall Hinterbliebene unaufgefordert aufzusuchen,
um Grabsteinaufträge zu erhalten, als verfassungsrechtlich zulässig
angesehen worden (BVerfGE 32, 311, 316), obwohl der mit dem Verbot bezweckte
Schutz der Intimsphäre Hinterbliebener nur von einem Teil der Betroffenen
wirklich benötigt oder gewollt wird.
d) Die angegriffene Anzeige “H.I.V. POSITIVE” ist trotz ihres Charakters
als Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG und selbst
dann, wenn sie als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG angesehen wird,
gemäß § 1 UWG als sittenwidrig zu bewerten, weil sie die
Menschenwürde Aids-Kranker verletzt (Art. 1 Abs. 1 GG; in der Literatur
– jedenfalls im Ergebnis – ebenso Baumbach/Hefermehl aaO § 1 UWG Rdn.
188; Ring, DZWir 1995, 474, 475, 476; Bülow, ZIP 1995, 1289, 1290;
Ahrens, JZ 1995, 1096, 1099; Reichold, EWiR 1995, 813, 814; Wehlau, DZWir
1996, 144; Kort, WRP 1997, 526, 531; Koppensteiner in Festschrift Mayer-Maly,
1996, S. 311, 320; Bamberger in Festschrift Piper, 1996, S. 41, 54 ff.,
59; Henning-Bodewig, GRUR 1997, 180, 190; a.A. Hoffmann-Riem, ZUM 1996,
1, 10 ff.; Gärtner, Zum Einfluß der Meinungsfreiheit auf §
1 UWG am Beispiel der Problemwerbung, 1998, S. 209 ff.; Sevecke, Wettbewerbsrecht
und Kommunikationsgrundrechte, 1997, S. 143 f.; Fezer, JZ 1998, 265, 274;
vgl. weiter die zusammenfassende Darstellung der im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
abgegebenen Stellungnahmen BVerfGE 102, 347, 355 ff. – Benetton-Werbung;
vgl. auch – zur Entscheidungspraxis im Ausland – Ohly, GRUR Int. 1993,
730, 737 [bei Fn. 76]; Kur, GRUR Int. 1996, 255, 256; Hartwig, BB 1999,
1775 f., 1777).
(1) Achtung und Schutz der unantastbaren Würde des Menschen ist
nach Art. 1 Abs. 1 GG Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dies gilt
auch bei der Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche in
Anwendung des § 1 UWG (vgl. BVerfGE 102, 347, 366 f. – Benetton-Werbung).
Mit der durch Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Menschenwürde
ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der
es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen
oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell
in Frage stellt. Geschützt ist nicht nur die individuelle Würde
einzelner konkreter Personen, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen
(vgl. BVerfGE 87, 209, 228 = NJW 1993, 1457; BVerfG NJW 2001, 61, 63).
Dementsprechend kann auch die Darstellung fiktiver Vorgänge das Gebot
zur Achtung der Würde des Menschen verletzen (vgl. BVerfGE 87, 209,
228 f.). Auch Angriffen auf den Achtungsanspruch und die Menschenwürde
einer Gruppe von Menschen muß entgegengetreten werden (vgl. BVerfGE 90, 241, 252 f. = NJW 1994, 1779). Nicht
nur Handlungen in menschenverachtender
Tendenz können die Menschenwürde verletzen (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl., Art. 1 Rdn. 8; a.A. – zum
vorliegenden Fall – Hoffmann-Riem,
ZUM 1996, 1, 12). Eine “gute Absicht” kann eine objektiv gegebene Verletzung der Menschenwürde nicht
“heilen” (vgl. Sachs/Höfling, GG, 2.
Aufl., Art. 1 Rdn. 15); auch gute Zwecke dürfen nicht in dieser Weise
verfolgt werden. Selbst der Versuch, anderen durch eine öffentliche
Meinungsäußerung zu helfen, muß deren Menschenwürde
wahren. Noch mehr muß die Menschenwürde gegen Eingriffe durch
Werbung geschützt werden. Niemand hat das Recht, mit solchen Mitteln
seine Waren oder Dienstleistungen abzusetzen.
Wenn eine Äußerung die Menschenwürde antastet, müssen
Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit zurücktreten. Denn die Menschenwürde
als Wurzel aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig
(vgl. BVerfGE 87, 209, 228; 93, 266, 293 = NJW 1995, 3303; BVerfG NJW 2001,
61, 62; BVerfG NJW 2001, 594, 595).
(2) Der Senat ist nicht durch bindende Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
(§ 31 Abs. 1 BVerfGG) gehindert zu entscheiden, daß die Anzeige
“H.I.V. POSITIVE” gegen die Menschenwürde verstößt. Das
Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung beanstandet, daß
der Senat in seinem ersten Urteil die Wettbewerbswidrigkeit der Anzeige
damit begründet habe, daß diese den Aids-Kranken in seinem Leid
stigmatisiere und gesellschaftlich ausgrenze; es dränge sich nicht
auf, daß die Anzeige den skandalösen, aber nicht realitätsfernen
Befund einer gesellschaftlichen Diskriminierung und Ausgrenzung HIV-Infizierter
bekräftige, verstärke oder auch nur verharmlose. Das Bundesverfassungsgericht
hat darauf hingewiesen, daß für den Betrachter die Deutung der
Anzeige als kritischer Aufruf wesentlich naheliegender sei und auch der
Werbekontext diese Deutungsmöglichkeit nicht in Frage stelle. Eigener Feststellungen zu dem Aussagegehalt
der Anzeige selbst hat sich das Bundesverfassungsgericht
jedoch enthalten (vgl. BVerfGE 102, 347, 367 – Benetton-Werbung).
Der Senat geht bei seiner Entscheidung von der – durch das Bundesverfassungsgericht
nicht ausgeschlossenen – Beurteilung aus, daß die Anzeige selbst überhaupt keine bestimmte Aussage macht.
Die Gestaltung der Anzeige
“H.I.V. POSITIVE” schließt es demgemäß aus, mit einer
bestimmten Auslegung ihres Inhalts einen Wettbewerbsverstoß zu begründen
oder zu verneinen. Die Anzeige ist nicht in dem Sinn mehrdeutig, daß
ihr durch Auslegung verschiedene Meinungen entnommen werden könnten.
Es mag zwar für einen Betrachter, der Überlegungen über
die mit der Anzeige verfolgte Absicht anstellt, naheliegend sein, sie als
kritischen Aufruf zu verstehen. Die Anzeige selbst enthält sich aber
– objektiv gesehen – eines eigenen als Meinung im allgemeinen Sprachgebrauch ausdeutbaren Beitrags. Sie ist
– wie dargelegt – vielschichtig in dem,
was sie durch ein Foto als Wirklichkeit darstellt. Auch bei Einbeziehung
des Umstands, daß es sich um eine Unternehmenswerbung handelt, ist
keine irgendwie durch äußere Umstände belegbare Meinung
oder Absicht zu erkennen. Es gelten hier ebenfalls die bereits angeführten
Worte der Beklagten selbst: “Die Wertung, ob positiv, negativ, indifferent,
ist immer die des Betrachters”.
Eine bestimmte Meinung zu äußern oder eine Absicht deutlich
genug erkennbar werden zu lassen, ist – wie aus den Umständen hervorgeht
– auch nicht der Zweck der Anzeige. Es gibt bei ihr keine “richtige” oder
“falsche” Auslegung. Sie ist – objektiv gesehen – ausschließlich
Reizobjekt mit starker Wirkung. Soweit die Anzeige Wirtschaftswerbung ist,
geht ihr Zweck dahin, intensive Reaktionen in der Öffentlichkeit hervorzurufen,
damit möglichst viel über die Anzeige und ihren Gegenstand und
damit auch über das werbende Unternehmen, das mit einem Unternehmenskennzeichen
sich selbst in den Blickfang der Anzeige gesetzt hat, gesprochen wird.
Da die Verständnisoffenheit der Anzeige gewollt ist, muß sich
Benetton auch objektiv voraussehbare, naheliegende Möglichkeiten des
Verständnisses seiner Werbemaßnahme zurechnen lassen. Das Problem,
daß die Freiheit der Meinungsäußerung beschränkt
würde, wenn der sich Äußernde befürchten müßte,
daß seiner Äußerung durch “Auslegung” ein bestimmter,
von ihm nicht gemeinter Sinn untergeschoben wird (vgl. BVerfGE 43, 130,
136 = NJW 1977, 799), stellt sich hier deshalb nicht (a.A. die oben – unter
III. 2. d – angeführten Stellungnahmen in der Literatur, die im vorliegenden
Fall die Menschenwürde nicht als verletzt ansehen).
(3) Die Anzeige “H.I.V. POSITIVE” verletzt die Menschenwürde Aids-Kranker
nicht durch einen konkret faßbaren Aussagegehalt, sondern deshalb,
weil sie die Darstellung der Not von Aids-Kranken in einer Unternehmenswerbung
als Reizobjekt mißbraucht, um zu kommerziellen Zwecken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das
werbende Unternehmen zu lenken.
Die Anzeige stellt einen Menschen dar, der als Aids-infiziert “abgestempelt”
ist. Sie kann – wie bereits dargelegt – ohne weiteres als Ausdruck der
Solidarität mit Aids-Kranken empfunden werden, als aufrüttelnder
Hinweis auf das Leid der Angehörigen einer Gruppe, die nicht nur von
einer todbringenden Krankheit betroffen sind, sondern wegen der Ansteckungsgefahr
in der Gesellschaft teilweise stigmatisiert und ausgegrenzt werden oder
zumindest einer solchen Bedrohung ausgesetzt sind. Die Anzeige wäre
deshalb wettbewerbsrechtlich unbedenklich, wenn sie nur in dieser Weise
aufgefaßt würde oder ihr Charakter als Wirtschaftswerbung ihre
Wirkung und ihr Verständnis allenfalls bei unerheblichen Teilen der
angesprochenen Öffentlichkeit beeinflussen könnte, weil er nicht oder
kaum als solcher wahrgenommen würde. Das ist jedoch nicht der Fall.
Weit überwiegend wird die Anzeige, auch wenn sie zugleich als Aufruf
zur Solidarität verstanden wird, als Aufmerksamkeitswerbung für
das in der Anzeige genannte Unternehmen wahrgenommen werden. Sie wirkt
deshalb nicht nur – in einer wirklich oder angeblich vorhandenen guten
Absicht – auf die öffentliche Meinungsbildung ein, sondern benutzt
gleichzeitig schweres Leid von Menschen als Werbethema, um – auch durch
die Thematisierung gerade in der Wirtschaftswerbung eines Unternehmens
– Emotionen aufzurühren, auf diese Weise das Unternehmen zum Gegenstand
öffentlicher Aufmerksamkeit zu machen und so den Verkauf der eigenen
Waren – vor allem von Bekleidungsstücken – zu fördern. Selbst
wenn eine Solidarisierung mit Aids-Kranken angenommen wird, wirkt die Anzeige,
soweit ihr Charakter als Wirtschaftswerbung von den Betrachtern nicht übersehen
oder nur beiläufig wahrgenommen wird, zumindest maßgeblich auch
als ein Mittel zum wirtschaftlichen Zweck, das die Gruppe der Aids-Kranken,
ihre tiefe Not und ihre Stigmatisierung in der Gesellschaft zum eigenen
wirtschaftlichen Vorteil ausbeutet. Ein Aufruf zur Solidarität mit
Menschen in Not ist zynisch und verletzt ihren Anspruch auf Achtung und
mitmenschliche Solidarität um ihrer selbst willen, wenn er mit dem
Geschäftsinteresse verbunden wird, die eigenen Unternehmensumsätze
in einem ganz anderen Bereich zu steigern. Dieser Zynismus wird noch mehr
von denjenigen empfunden werden, die nach ihrer Lebenserfahrung davon ausgehen,
daß Wirtschaftswerbung nicht bezweckt, in allgemeinen Lebensfragen
zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen, sondern die Kunden zu
beeinflussen, um sie bereit zu machen, Waren oder Dienstleistungen abzunehmen,
und die deshalb ernsthaft an der Aufrichtigkeit eines etwa angenommenen
Aufrufs zur Solidarität mit Aids-Kranken zweifeln.
Noch stärker ist die Wirkung der Anzeige “H.I.V. POSITIVE” als
Verletzung der Menschenwürde, soweit sie in der Öffentlichkeit – mangels
jeder eigenen auch nur angedeuteten Stellungnahme zur aufgerissenen Problematik
– ausschließlich oder in erster Linie als Aufmerksamkeitswerbung
gesehen wird. Von diesen Teilen der Öffentlichkeit wird die Verletzung
der Menschenwürde Betroffener in erheblichem Umfang sogar als bewußtes
Werbemittel durch Abzielen auf einen “Aufschrei der Empörung” in der
Gesellschaft über eine derartige Form der Werbung verstanden werden
(vgl. dazu im übrigen auch Kassebohm, Grenzen schockierender Werbung,
1995, S. 113 f.).
(4) Tatsächliche Ermittlungen dazu, wie groß der Anteil derjenigen
ist, von denen die Anzeige “H.I.V. POSITIVE” maßgeblich (auch) als Aufmerksamkeitswerbung aufgefaßt wird,
sind nicht erforderlich (vgl.
dazu auch BVerfGE 32, 311, 317 f.). Die Beurteilung, daß die Anzeige
sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG ist, kann sich bereits auf den tatsächlichen
Umstand stützen, daß sich ihr Verständnis als Aufmerksamkeitswerbung
handgreiflich aufdrängt. Dies ergibt sich nicht nur aus den tatsächlichen
Feststellungen des Landgerichts, sondern kann – wie auch die weiteren entscheidungserheblichen Tatsachen –
aufgrund der vorliegenden Anzeige und der allgemeinen Lebenserfahrung
vom Senat selbst beurteilt werden (vgl. dazu z.B. auch BGH, Urt. v. 5.10.1989
– I ZR 56/89, GRUR 1990, 282, 286 = WRP 1990, 255 – Wettbewerbsverein IV).
Welcher genaue Anteil der Bevölkerung dieses Verständnis teilt,
kann danach letztlich dahinstehen. Die Menschenwürde wird verletzt,
weil hier wirtschaftlicher Eigennutzen durch Abzielen auf den Aufmerksamkeitseffekt
verfolgt wird, der zumindest bei nicht unerheblichen Teilen der Öffentlichkeit
mit dem aufreißerischen Bild zur Situation von Aids-Kranken als Reizobjekt
erreicht werden kann. Diese Wertung selbst ist eine Rechtsfrage.
Es kommt danach nicht mehr darauf an, daß nach der Überzeugung
des Senats, die sich auch auf die Stellungnahmen in der Literatur zum vorliegenden
Fall stützen kann (vgl. dazu oben III. 2. d; vgl. auch Callies, AfP
2000, 248, 252), die weit überwiegende Mehrheit der angesprochenen
Öffentlichkeit die Anzeige nicht als unverfänglichen Aufruf eines
Unternehmens zur Solidarität mit Aids-Kranken verstehen wird, sondern
als Maßnahme, die in erster Linie dem eigenen wirtschaftlichen Vorteil
dienen soll und bei dieser Motivation in besonders grober Weise die Menschenwürde
verletzt.
(5) Da die Anzeige “H.I.V. POSITIVE” jedenfalls deshalb sittenwidrig
ist, weil sie die Menschenwürde verletzt, kommt es nicht mehr entscheidend
darauf an, daß noch weitere Umstände vorliegen, die zur Sittenwidrigkeit
der Anzeige als Werbemaßnahme beitragen. Die – zumindest maßgeblich
auch aus eigennützigen wirtschaftlichen Motiven geschaltete – Anzeige
ist auch deshalb wettbewerbswidrig, weil sie geeignet ist, bei einem nicht
unerheblichen Teil der Betrachter Gefühle der Angst vor der Bedrohung
durch Aids auszulösen sowie die durch Aids Betroffenen und ihre Angehörigen
in unzumutbarer Weise gerade in der Form der Werbung mit ihrem Elend zu
konfrontieren. Ob die Anzeige – wie die Revisionserwiderung meint – auch
für die nicht selbst betroffene Öffentlichkeit als Schockwerbung das
Maß dessen überschreitet, was ihr in der Wirtschaftswerbung
als Belästigung zumutbar ist (vgl. dazu BVerfGE 102, 347, 363 f. –
Benetton-Werbung), kann danach offenbleiben.
3. Die Revision wendet sich weiter ohne Erfolg gegen die Beurteilung
des Landgerichts, daß die Beklagte als Presseunternehmen durch den
Abdruck der Anzeige “H.I.V. POSITIVE” auch selbst sittenwidrig im Sinne
des § 1 UWG gehandelt hat.
a) Die Beklagte hat bei der Veröffentlichung der Anzeige in Wettbewerbsabsicht
gehandelt und zwar nicht nur zum Zweck der Förderung der eigenen Wettbewerbsposition,
sondern auch zur Förderung der wettbewerblichen Stellung des werbenden
Unternehmens Benetton. Eine solche Wettbewerbsabsicht ist im Anzeigengeschäft
der Presse ohnehin zu vermuten (BGH, Urt. v. 26.4.1990 – I ZR 127/88, GRUR
1990, 1012, 1013 = WRP 1991, 19 – Pressehaftung I; Urt. v. 19.3.1992 –
I ZR 166/90, GRUR 1993, 53, 54 – Ausländischer Inserent; Urt. v. 30.6.1994
– I ZR 40/92, GRUR 1994, 841, 842 f. = WRP 1994, 739 – Suchwort); Besonderheiten,
die dagegen sprechen, liegen hier nicht vor.
b) Die Beklagte hat bei der Veröffentlichung der Anzeige die ihr
wettbewerbsrechtlich obliegenden Prüfungspflichten verletzt.
Der Schutz der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2
GG schließt auch das Anzeigengeschäft ein (BVerfGE 21, 271,
278; 102, 347, 359 – Benetton-Werbung). Im Hinblick auf die Besonderheiten
des Anzeigengeschäfts kann ein Presseunternehmen demgemäß
nur eingeschränkt für wettbewerbswidrige Anzeigen seiner Inserenten
verantwortlich gemacht werden. Um die tägliche Arbeit nicht über
Gebühr zu erschweren und die Verantwortlichen nicht zu überfordern,
gelten bei Anzeigen keine umfassenden Prüfungspflichten. Ein Presseunternehmen
haftet vielmehr wettbewerbsrechtlich für die Veröffentlichung
einer Anzeige nur dann, wenn diese grob und unschwer erkennbar wettbewerbswidrig
ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2000 – I ZR 167/98, GRUR 2001, 529,
531 = WRP 2001, 531 – Herz-Kreislauf-Studie, m.w.N.). Das ist hier jedoch
der Fall.
Die Benetton-Anzeige “H.I.V. POSITIVE” ist doppelseitig, farbig und
entsprechend aufwendig; sie fällt nach ihrem ungewöhnlichen Gegenstand
schon auf den ersten Blick ganz aus dem Rahmen der herkömmlichen Werbung.
Der Abdruck einer derartigen Anzeige ist kein Massengeschäft, sondern
erfordert eine sorgfältigere Prüfung. Bei einer solchen Prüfung
drängt sich hier die Wettbewerbswidrigkeit der Anzeige auf. Es geht
nicht etwa um einen Verstoß gegen Nebengesetze, deren Kenntnis und
fehlerfreie Anwendung in einer Anzeigenredaktion nicht selbstverständlich
sein muß. Die Anzeige ist sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG,
weil sie gegen die Menschenwürde verstößt. Um dies zu erkennen,
waren keine Rechtskenntnisse erforderlich; es genügte eine unbefangene Betrachtung der Anzeige selbst. Es
mag sein, daß die Beklagte die
Anzeige selbst in erster Linie als Aufruf zur Solidarität mit Aids-Kranken
aufgefaßt hat. Aber auch dann war für sie unschwer erkennbar,
daß die Anzeige ebenso weit überwiegend oder ausschließlich
als Unternehmenswerbung gesehen werden kann und aus dieser Sicht eine aufreißerische
Aufmerksamkeitswerbung darstellt, die zynisch eigene wirtschaftliche Interessen
unter Ausbeutung der Not Betroffener verfolgt und damit deren Menschenwürde
verletzt.
Der Gang des gerichtlichen Verfahrens spricht nicht gegen diese Beurteilung.
Die Anzeige ist bereits in zwei Instanzen als sittenwidrig im Sinne des
§ 1 UWG angesehen worden. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die
Anzeige nicht als rechtlich unbedenklich eingestuft, sondern die erste
in dieser Sache ergangene Senatsentscheidung aufgehoben, weil es deren
Begründung aus verfassungsrechtlicher Sicht als unzureichend angesehen
hat. Eine eigene abschließende Bestimmung des Aussagegehalts der
Anzeige hat das Bundesverfassungsgericht – wie dargelegt (oben III. 2.
d (2)) – allein deshalb nicht vorgenommen, weil dies nicht seine Aufgabe
sei (BVerfGE 102, 347, 367 – Benetton-Werbung). Die Ausführungen in
dem ersten Senatsurteil zur wettbewerbsrechtlichen Verantwortlichkeit der
Beklagten hat das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet. Hätten
insoweit Bedenken bestanden, wäre es naheliegend gewesen, die aufhebende
Entscheidung auch auf diese zu stützen.
c) Der Wettbewerbsverstoß der Beklagten begründet die Wiederholungsgefahr.
Eine Begehungsgefahr besteht im übrigen auch nach den Grundsätzen
der Erstbegehungsgefahr. Eine Erstbegehungsgefahr begründet, wer sich
des Rechts berühmt, bestimmte Handlungen vornehmen zu dürfen.
Das gilt hier auch für die Berühmung der Beklagten im Rahmen
ihrer Rechtsverteidigung (vgl. dazu auch BVerfGE 102, 347, 361 f. – Benetton-Werbung;
BGH, Urt. v. 31.5.2001 – I ZR 106/99, GRUR 2001, 1174, 1175 = WRP 2001,
1076 – Berühmungsaufgabe, m.w.N.). Das Oberlandesgericht Frankfurt
am Main hat das im vorliegenden Hauptsacheverfahren beantragte Unterlassungsgebot bereits durch Beschluß vom
3. März 1994 im Wege der einstweiligen
Verfügung ausgesprochen und dies damit begründet, daß die
Anzeige “H.I.V. POSITIVE” grob und eindeutig im Sinne des § 1 UWG
sittenwidrig sei und die Menschenwürde Aids-Kranker verletze. Nach
dieser Entscheidung konnte sich die Beklagte nicht mehr darauf berufen,
daß sie bei der Veröffentlichung von Anzeigen nur eine eingeschränkte
Prüfungspflicht habe. Die Wettbewerbswidrigkeit der Anzeige mußte
sich ihr nunmehr verstärkt aufdrängen. Wenn sie sich trotzdem
vorbehaltlos allein damit verteidigte, daß die abgedruckte Anzeige
nicht oder jedenfalls nicht grob und leicht erkennbar wettbewerbswidrig
sei, ohne zugleich deutlich zu machen, daß sie damit nur ihre Rechte
im anhängigen Rechtsstreit wahren wolle, begründete sie die ernsthafte
und greifbare Besorgnis, daß sie bei nächster Gelegenheit das
beanstandete Inserat erneut oder andere von dem Unterlassungsgebot erfaßte
Inserate dieser Art veröffentlichen werde.
4. Der Wettbewerbsverstoß der Beklagten ist auch geeignet, den
Wettbewerb ganz erheblich zu beeinträchtigen (vgl. § 13 Abs.
2 Nr. 2 UWG). Betroffen sind nicht nur die Märkte für Zeitungs-
und Zeitschriftenanzeigen sowie für Bekleidungsstücke, sondern
der gesamte Wettbewerb im Inland, soweit um Endverbraucher als Kunden geworben
wird. Dies ergibt sich hier ohne weiteres aus den im Revisionsverfahren
feststehenden Umständen.
Das Merkmal der Eignung einer Handlung, den Wettbewerb wesentlich zu
beeinträchtigen, ist im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes
auszulegen (vgl. BGH, Urt. v. 5.10.2000 – I ZR 210/98, GRUR 2001, 258,
259 = WRP 2001, 146 – Immobilienpreisangaben, m.w.N.). Maßgebend
ist danach die – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls
zu beurteilende – Eignung der Handlung, entgegen dem Schutzzweck des Gesetzes
auf das Marktgeschehen einzuwirken.
Die Anzeige ist – zumindest auch – darauf angelegt und geeignet, durch
Ausbeutung eines Reizthemas auf Kosten der dadurch betroffenen Gruppe einen
ganz erheblichen Aufmerksamkeitseffekt zu erzielen und so das Interesse
der Öffentlichkeit auf das werbende Unternehmen zu ziehen. Unabhängig
davon, ob auf diese Weise tatsächlich – wie angestrebt – ein wirtschaftlicher
Erfolg erreicht werden konnte, ist eine solche Werbemaßnahme – wenn
sie nicht unterbunden werden kann – ihrer Art nach geeignet, in weitem
Umfang Nachahmer zu finden. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß
dasselbe Thema – die Situation Aids-Kranker – wieder Gegenstand einer ähnlichen
Anzeige werden könnte. Die Wirkung der konkreten Anzeige beruht gerade
auf dem überraschenden und neuartigen Aufgreifen dieses Reizthemas.
Es besteht aber die konkrete Gefahr, daß die bei der Anzeige “H.I.V.
POSITIVE” angewandte Methode um sich greift, durch Ausbeuten von Reizthemen
und Tabus als Gegenstand oder Aufhänger von Werbung Aufmerksamkeitseffekte
zu erzielen. Eine Anzeige wie “H.I.V. POSITIVE”, die Werbung unter Mißachtung
der Menschenwürde anderer betreibt, ist geeignet, Werbungtreibende
zu ähnlichen Grenzüberschreitungen zu veranlassen, bei denen
die Probleme, Besonderheiten und Überzeugungen anderer als Werbethema
benutzt und diese damit herabgewürdigt werden (vgl. dazu auch Kassebohm
aaO S. 139, 154). Unternehmen können so ermutigt werden, herabsetzende
und diskriminierende Werbung auf Kosten der Würde der Frau, von Behinderten,
ethnischen und politischen Minderheiten, Ausländern oder religiösen
Gruppen einzusetzen. Nur selten werden derartige Werbeäußerungen
nicht gut kaschiert sein und nicht auch eine naheliegende harmlose Deutung
ermöglichen. An der Eignung solcher – mehr oder weniger unterschwellig
manipulierender – Werbemaßnahmen, gefühlsverrohend und minderheitenfeindlich
zu wirken, ändert dies nichts. Mit einem Umsichgreifen von Formen
der Werbung in der Art der Anzeige “H.I.V. POSITIVE” wäre deshalb
die Gefahr einer Verwilderung und Verrohung der Wettbewerbssitten verbunden.
Eine solche Entwicklung zu unlauterem Wettbewerb würde die Belange
der Wettbewerber erheblich beeinträchtigen, auch wenn nicht mit einer
größeren Zahl von Nachahmern gerechnet werden müßte.
Sie würde auch den Leistungswettbewerb gefährden, auf dessen
Schutz sich der Zweck des Wettbewerbsrechts allerdings nicht beschränkt
(vgl. dazu näher Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 5.
Aufl., S. 44 f.; GroßKomm/Schünemann, UWG Einl. Rdn. D 81 ff.;
Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 6. Aufl., S. 36 f.; ders. in Festschrift
für Kraft, 1998, S. 519, 526 ff.; Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen
durch die Rechtsprechung, 1995, S. 76 ff.; Ohly, Richterrecht und Generalklausel
im Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1997, S. 219 ff.; Wünnenberg
aaO S. 98 ff., 105 f.). Die Voraussetzungen, unter denen sich Leistungswettbewerb
entfalten kann, würden in den davon betroffenen Bereichen des Wettbewerbs
wesentlich beeinträchtigt, wenn Werbungtreibende vermehrt dazu übergingen,
den Kampf um die Aufmerksamkeit der Verbraucher in der Art der Anzeige
“H.I.V. POSITIVE” zu führen und so ihren Vorteil auf Kosten derjenigen
Wettbewerber zu suchen, die das im Wettbewerb unabdingbare Maß an
Achtung vor anderen und ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern
bewahren.
IV. Danach war die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.