OLG Dresden, Beschluss vom 19.12.2005 Az: 3 Ss 588/05
gegen
wegen Trunkenheit im Verkehr
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Weißwasser vom
11. Mai 2005 aufgehoben.
Der Angeklagte wird auf Kosten der Staatskasse, die auch seine notwendigen Auslagen
zu tragen hat, freigesprochen.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu
einer Geldstrafe verurteilt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen
Führerschein eingezogen und eine Sperre für die Wiedererteilung der
Fahrerlaubnis von acht Monaten festgesetzt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts unternahm der Angeklagte am 03.
Dezember 2004 ab 16.00 Uhr als Fahrlehrer mit einer Fahrschülerin eine
Überlandfahrt. Das hierbei benutzte Kraftfahrzeug war als Fahrschulwagen
umgebaut und war auch auf der Beifahrerseite mit zusätzlichen Pedalen für Gas,
Bremse und Kupplung ausgerüstet. Das Fahrzeug wurde von der Fahrschülerin, die
zu diesem Zeitpunkt etwa 20 Fahrstunden absolviert hatte, gesteuert. Der
Angeklagte gab der Fahrschülerin während der Fahrt Anweisungen, die den Fahrtweg
betrafen. In einem Fall wies er die Fahrschülerin an, nicht so weit rechts zu
fahren.
Der Angeklagte war bereits während der Fahrt alkoholisiert. Eine um 18.38 Uhr
entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,49 Promille.
Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die
Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Revision meint, das Verhalten des
Angeklagten stelle kein Führen im Sinne des § 316 StGB dar.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Revision als
unbegründet zu verwerfen. Sie meint, die Fahrzeugführereigenschaft des
Angeklagten ergebe sich bereits aus § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG. Zudem sei ein
Fahrlehrer mit dem Betrieb des Fahrzeugs und der Bewältigung von
Verkehrsvorgängen in einer Weise beschäftigt, die es rechtfertige, sowohl den
Fahrschüler als auch den Fahrlehrer als Führer des Kraftfahrzeuges anzusehen.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zum Freispruch.
1. Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die
Vorschrift verpflichtet
den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben,
dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut
ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 71, 108
[114]; 73, 206 [234]; 92, 1 [12] m.w.N.).
Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum
Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem
Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese
hineingestellt ist (BVerfGE 1, 299; 11, 126; 48, 256).
Der Begriff des “Führens” in § 316 Abs. 1 StGB kann nicht dahin ausgelegt
werden, dass ihm auch ein Fahrlehrer unterfällt, dessen Verhalten sich auf die
Bestimmung
des Fahrtweges und eine mündliche Fahrkorrektur beschränkt. Vielmehr hat im
vorliegenden Fall ausschließlich die Fahrschülerin das Fahrzeug geführt.
a) Das Strafgesetzbuch definiert den Begriff des “Führens” nicht.
aa) Nach § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG gilt jedoch der Fahrlehrer bei Fahrschulfahrten
als Führer des Kraftfahrzeugs im Sinne dieses Gesetzes (des StVG), wenn der
Fahrschüler keine entsprechende Fahrerlaubnis besitzt. Bereits nach ihrem Wort
laut (“im Sinne dieses Gesetzes”) hat die Vorschrift damit ausschließlich
Geltung für das StVG.
Auch der mit der Vorschrift verfolgte Zweck verbietet eine Übertragung der
gesetzlichen Fiktion auf das StGB. Denn die Vorschrift ist ein Schutzgesetz
zugunsten des Fahrschülers (Janiszewski/Jagow/Burmann-Jagow,
Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 2 StVG Rdnr. 21b ff.). Sie dient
insbesondere dazu, den Fahrschüler vor einer Strafbarkeit nach § 21 StVG zu
schützen und entfaltet im Übrigen nur Wirkung für die Frage zivilrechtlicher
Gefährdungshaftung (König DAR 2003, 448 [449]; Joerden Blutalkohol 2003, 104
[106]; LK-König, StGB, 11. Aufl., § 315 c Rdnr. 42; AG Cottbus DAR 2003, 476
[477]).
bb) Aus dem Sinn des Wortes “Führen” in § 316 Abs. 1 StGB und der
Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. BGHSt 35, 390 [392 f.]) ergibt sich
nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass nur derjenige Führer eines
Fahrzeugs sein kann, wer sich selbst aller oder wenigstens einesTeiles der
wesentlichen technischen Einrichtungendes Fahrzeuges bedient, die für seine
Fortbewegung bestimmt sind. Es muss also jemand, um Führer eines Fahrzeuges sein
zu können, das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte
unter Allein-oder Mitverantwortung in Bewegung setzen oder das Fahrzeug unter
Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den
öffentlichen Verkehrraum ganz oder wenigstens zum Teil lenken (BGHSt 18, 6 [8
f.]; 35, 390 [393]; 36, 341 [343 f.]).
b) Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung war imvorliegenden Fall
ausschließlich die Fahrschülerin Führerin des Kraftfahrzeuges.
aa) Der Angeklagte hat keine wesentlichen technischen Einrichtungen des
Fahrzeuges bedient. Ohne Einfluss auf die rechtliche Bewertung ist dabei, dass
der Beifahrer sich vorbehält, im Notfall einzugreifen und die Führung des
Fahrzeuges zu übernehmen (BGHSt 13, 226 [227 f.]).
bb) Die vom Angeklagten mündlich erteilte Korrektur, nicht so weit rechts zu
fahren, führt zu keiner anderen Bewertung.
Nach einer zivilrechtlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes führt die das
Steuer bedienende Person das Fahrzeug dann nicht, wenn sie den Anweisungen der
anderen Personen bedingungslos folgt, Art und Richtung der Bewegung des
Fahrzeuges ganz dem anderen überlässt und nur ohne eigene Verantwortung dem
anderen hilft, der dadurch selbst die Führung des Fahrzeugs übernommen hat (BGH
VRS 52, 408 [409]).
So liegt der Fall hier nicht. Insbesondere hat das Amtsgericht gerade nicht
festgestellt, dass die Fahrschülerin Art und Richtung der Bewegung
des Fahrzeugs ganz dem Angeklagten unter bedingungsloser Folgeleistung
überlassen hat.
Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm betätigt sich jemand an der
Führung eines Kraftfahrzeuges, wenn die Fahrkenntnisse des
Fahrzeugführers mangelhaft sind und sich der Lenker im wesentlichen nach den
technischen Anweisungen des anderen richtet. In einem solchen Fall hänge das
gesamte Fahrgeschehen weitgehend vom Willen des Anderen ab, der deshalb als
Führer des Kraftfahrzeugs anzusehen sei (OLG Hamm VRS 37, 281 [282]).
Auch so liegt der Fall hier nicht. Die Fahrschülerin hatte bereits 20
Fahrstunden genommen und absolvierte die Überlandfahrt -abgesehen von
der einmaligen mündlichen Korrektur -beanstandungsfrei. Darüber hinaus gehende
technische Anweisungen hat der Angeklagte nicht gegeben.Nach einer Entscheidung des schleswigholsteinischen Oberlandesgerichts soll der
Führer eines Motorbootes auch dann Fahrzeugführer bleiben, wenn er einem
Fahrgast die Führung des Ruders und zugleich des Motors überlässt. Der
Schiffsführer sei anders als der Halter eines Kraftfahrzeuges zu keiner Zeit
bloß Mitfahrender, sondern bleibe auch bei Überlassung des Ruders an einen
anderen für die Führung des Schiffes verantwortlich (SchlHA 1970, 196).
Auch diese Entscheidung trifft den vorliegenden Fall nicht, weil die
Entscheidung ausdrücklich zwischen einem Kraftfahrzeugführer und einem
Schiffsführer unterscheidet.
2. Eine Strafbarkeit des Angeklagten durch anderes strafrechtlich relevantes
Verhalten als das der unmittelbaren
Täterschaft (§ 25 Abs. 1 1. Alt. StGB) ist nicht denkbar.
Nach der unter II. 1. a) bb) dargestellten Rechtsprechung und herrschenden
Meinung in der Literatur (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 316 Rdnrn. 2, 3;
LK- König, StGB, 11. Aufl., § 315 c Rdnr. 201 m.w.N.; Janiszewski/Jagow/Burmann-Burmann,
Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 2; Schönke/Schröder-
Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl., § 316 Rdnr. 22) handelt es sich bei §
316 StGB um ein eigenhändiges Delikt. Damit ist eine Strafbarkeit aufgrund
mittelbarer Täterschaft, Mittäterschaft sowie Nebentäterschaft ausgeschlossen (Tröndle/Fischer,
StGB, 53. Aufl., vor § 25
Rdnr. 1; LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 40), und zwar selbst für den
Fall, dass man die Rechtsfigur des
eigenhändigen Deliktes bei § 316 StGB überhaupt in Frage stellen wollte (vgl.
allgemein LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 40 ff.; Schubarth, ZStW 110,
827).
a) Eine mittelbare Täterschaft des Angeklagten scheidet nämlich schon deshalb
aus, weil bei der Fahrschülerin keine “Defizite” (Tröndle/Fischer, StGB, 53.
Aufl.,
§ 25 Rdnr. 4) festzustellen sind und sie deshalb nicht als Werkzeug (LK-Roxin,
StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 40; MK-Joecks, StGB, § 25 Rdnr. 49) des Angeklagten
gehandelt hat.
b) Auch eine uneigenhändige Mittäterschaft kommt schon nicht in Betracht, weil
sich die Fahrschülerin rechtmäßig verhalten und den Tatbestand des § 316 StGB
nicht in eigener Person erfüllt hat .
c) Eine uneigenhändige Nebentäterschaft -wie im vorliegenden Fall vom
Amtsgericht angenommen (vgl. insoweit auch AG Cottbus DAR 2003, 476) -scheidet
aus, weil
der Angeklagte und die Fahrschülerin nicht unabhängig voneinander einen deliktischen Erfolg herbeiführen wollten (LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr.
222).
Vielmehr ist auch hier entscheidend, dass die Fahrschülerin mit Blick auf § 316
StGB rechtmäßig gehandelt hat.
3. Aus den genannten Gründen kommt auch eine Verurteilung wegen einer
Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 1 StVG nicht in Betracht.
§ 24 a StVG wird zwar dem Wortlaut nach vom Geltungsbereich der Vorschrift des §
2 Abs. 15 Satz 2 StVG erfasst. Die Bestimmung dient jedoch -abgesehen von ihrem
Einfluss auf die zivilrechtliche Gefährdungshaftung nach ihrem Zweck in
strafrechtlicher Hinsicht ausschließlich dem Schutz des Fahrschülers, weil
dieser nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist (vgl. II.1 a) aa)). Jede andere
(weitergehende) Auslegung würde zu dem untragbaren Ergebnis führen, dass der
Fahrschüler im Falle seiner Alkoholisierung nicht wegen einer Ordnungswidrigkeit
nach § 24 a StVG verfolgt werden könnte, weil ausschließlich der Fahrlehrer
aufgrund gesetzlicher Fiktion als Führer des Kraftfahrzeuges anzusehen wäre.
4. Soweit das Oberlandesgericht Karlsruhe (VRS 64, 153) und mit ihm Teile der
Literatur (Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl., § 316 Rdnr. 23; Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 2; Janiszewski/Jagow/Burmann-Burmann,
Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 2; Lütkes/Ferner/Kramer,
Straßenverkehrsrecht, § 2 StVG
Rdnr. 148) ) gleichwohl eine Strafbarkeit des Fahrlehrers aufgrund der Regelung
in § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG annehmen, ist eine Vorlage gemäß § 121 Abs. 2 GVG
nicht veranlasst. Bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe kam es
auf die Frage, wer Fahrzeugführer im Sinn des § 316 StGB oder des § 24 a StVG
ist, nicht an. Außerdem ergeht die hier getroffene Entscheidung im Einklang mit
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.
III.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind vollständig. Es ist
auszuschließen, dass eine neue Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zu erbringen
vermag. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1
StPO). Mangels eines Verstoßes gegen § 316 StGB oder § 24 a StVG war der
Angeklagte mit der sich aus § 467 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge
freizusprechen.
§