BGH: Zur Frage des Vermögensschadens beim Betrug im Falle eines vereinbarten Rücktrittsrechts – “Schlankheitspillen-Fall”

BGH, v. 22.10.86 – 3 StR 226/86

StGB § 263

Leitsätze:

»Zur Frage des Vermögensschadens beim Betrug im Falle eines vereinbarten Rücktrittsrechts.«

Gründe:

Der Angeklagte organisierte die Werbung und auch den Vertrieb für Verjüngungs- und Abmagerungsmittel sowie für “Haarverdicker” und “Nichtraucherpillen”. Wie er wußte, waren sämtliche Produkte ebenso wirkungslos wie harmlos. Er verkaufte sie zu Preisen zwischen 46, 50 DM bis 76 DM “ohne jedes Risiko” per Nachnahme zuzüglich Versandspesen mit “Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller Geldzurückgarantie”. Auf Grund der Erfahrungen seiner Hinterleute war er von einem Reklamationsanteil von höchstens 10 % aller Bestellungen ausgegangen. Tatsächlich wurde dieser Prozentsatz lediglich bei den “Schlank-Pillen” fast erreicht und lag im übrigen niedriger. Zur Erledigung der Reklamationen sowie für die von Januar bis Oktober 1984 aufgegebenen Werbeanzeigen für etwa 600.000 DM wurde ihm von seinen Hinterleuten stets ausreichend Geld zur Verfügung gestellt. Die der Anklage bekannten 255 Besteller hatten auf Reklamationen den vollen Kaufpreis zurückerhalten.

Mit der Werbung wurden durch die gezielte Auswahl der Werbeträger vor allem Hausfrauen und Arbeitnehmer mit einem Haushaltseinkommen um 2.000 DM angesprochen. Den Produkten wurden, wie der Angeklagte wußte, Eigenschaften und Wirkungen zugeschrieben, die sie nicht hatten. Er glaubte zunächst selbst nicht daran, daß jemand darauf hereinfallen würde. So sollte das “Hollywood-Lifting-Bad”, angeblich aus “taufrischem Frischzellenextrakt”, im Blitztempo von nur zwölf Bädern wieder schlank, straff und jung formen, und zwar “mit 100 %iger Figurgarantie”. Verblüfft und zufrieden hätten Testpersonen festgestellt, “daß sie um herrliche zehn, fünfzehn oder mehr Jahre verjüngt” und zur Figur eines Filmstars geliftet worden seien. Mit dem angeblich von einem Schweizer Schönheitschirurgen erfundenen Mittel “Frischzellen-Formel Zellaplus 100” könne man schon nach der ersten Anwendung von nur zehn Minuten “mindestens fünf Jahre jünger” werden, nach vollständiger Behandlung “so jung wie vor 25 Jahren”. Beim Einnehmen der “Schlank-Pille M-E-D 300” müsse man sogar reichlich essen, “damit die ungeheure Fettabschmelzkraft mit genügend Nahrung ausgeglichen” werde. Der “Haarverdicker-Doppelhaar” verdopple das Haar binnen zehn Minuten, auch Schuppen, Flechten, fettiges oder zu trockenes Haar würde mit 100 %iger Garantie beseitigt. In dieser Art wurde für sämtliche Produkte geworben.

Die Hersteller lieferten die Ware in neutraler Verpackung; in den Beipackzetteln wurden die Produkte wahrheitsgemäß als Badezusatz, Hautbadeöl, Haarwasser usw. beschrieben. Vor dem Versand ließ der Angeklagte die Produkte in Schächtelchen und Kartons umpacken, die entsprechend den Werbeanzeigen beschriftet waren, oder er ließ die vorhandenen Verpackungen mit entsprechenden Aufklebern versehen. Nach der Einlassung des Angeklagten kann der – seinen Hinterleuten zugeflossene – Bruttogewinn durch den Verkauf der Produkte nach Abzug der Kosten 1, 5 Millionen DM betragen haben.

Zum Betrugsvorwurf hat das Landgericht offengelassen, ob in den festgestellten Einzelfällen der Kunden, die den Kaufpreis zurückerhalten haben, überhaupt ein Irrtum erregt wurde. Jedenfalls sei bei ihnen kein Vermögensschaden eingetreten, weil das vertragliche Rücktrittsrecht objektiv wirtschaftlich einen vollwertigen Ausgleich für die nutzlosen Produkte darstelle.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts spricht nach den bisherigen Feststellungen alles dafür, daß der Angeklagte durch sein Handeln die tatbestandlichen Voraussetzungen des Betruges erfüllt hat. Trotz marktschreierischer Reklame hat er in den Anzeigen nicht lediglich ein persönliches Werturteil abgegeben, sondern über der Nachprüfung zugängliche Tatsachen getäuscht (vgl. Lackner in LK 10. Aufl. § 263 Rdn. 15). Durch die Täuschung über die Wirksamkeit der zwar harmlosen, aber auch wirkungslosen Präparate hat er bei den Bestellern einen Irrtum erregt; denn es ist anzunehmen, daß diese auf Grund der Angaben des Angeklagten in den Werbeanzeigen glaubten, die Präparate hätten im Kern die versprochene – wenn vielleicht auch übertrieben geschilderte – Wirkung, zumal ein wissenschaftlicher oder fachmännischer Hintergrund, eine erfolgreiche Benutzung durch Testpersonen und eine “100 %ige Garantie” vorgespiegelt wurden. Ein solches Produkt und nicht lediglich eine Illusion wollten die Besteller erwerben. Die Täuschung und der darauf beruhende Irrtum wurden durch das Rückgaberecht mit der “Geldzurückgarantie” noch verstärkt, weil die Wahrscheinlichkeit des Versprochenen hierdurch mit wirtschaftlichen Konsequenzen glaubhaft gemacht und der Besteller in den Glauben versetzt wurde, daß sich der Aufwand für den Verkäufer nicht lohnen und das Geschäft wegen der allgemeinen Rückgabe gar nicht florieren könne, wenn das Mittel nicht wenigstens im Normalfall wirken würde. Der Umstand, daß die Besteller bei hinreichend sorgfältiger Prüfung die Täuschung hätten erkennen können, ist unerheblich (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972, 387; Lackner aaO Rdn. 91). Ebensowenig wie die Leichtgläubigkeit spielt bei der Irrtumserregung der vereinbarte Rücktritt eine Rolle, wenn die Getäuschten, was naheliegt, ein wirksames Präparat, nicht aber die Möglichkeit erwerben wollten, ein Rücktrittsrecht auszuüben.

Haben sich die Besteller geirrt, so haben sie auch auf Grund dieses Irrtums eine Vermögensverfügung getroffen, indem sie das Geld für die Nachnahmesendung ausgehändigt haben. Hierdurch haben sie einen Vermögensschaden erlitten, weil sie für ihr Geld eine den Zusicherungen nicht entsprechende, sondern wirkungslose Ware erhielten.

Das vereinbarte und für die Besteller, die davon Gebrauch gemacht haben, hinsichtlich des Kaufpreises vollwertige Rücktrittsrecht ändert an dem durch die Geldhingabe eingetretenen Schaden nichts. Die tatsächliche Kaufpreiserstattung des Angeklagten bei den bisher dem Schuldspruch zugrundegelegten Einzelakten ist lediglich eine – strafmildernd zu berücksichtigende – Schadenswiedergutmachung.

Die Frage, welchen Einfluß ein Rücktrittsrecht auf die Entstehung eines Vermögensschadens beim Betrug hat, kann nicht generell beantwortet werden. Für den Fall, daß ein wirtschaftlicher Wert aus dem Vermögen des getäuschten Vertragspartners noch nicht herausgegeben und dieser nur den Vertragsansprüchen des Täters ausgesetzt ist, hat die Rechtsprechung in der Vereinbarung eines Rücktrittsrechts das Vorliegen einer der Vermögensschädigung gleichzuachtenden Vermögensgefährdung verneint, weil der Getäuschte den ungünstigen Vertrag durch einfache einseitige Erklärung beseitigen kann. Das gilt auch, wenn sich der Getäuschte in anderer Weise gegen einen Schadenseintritt bei der Vertragserfüllung abgesichert hat.

Wie sich ein vereinbartes Rücktrittsrecht auf das Vermögen im Sinne des § 263 StGB auswirkt, wenn der Vertrag zugleich mit seinem Abschluß oder so umgehend erfüllt wird, daß für eine zwischenzeitliche Prüfung der Frage, ob Anlaß zur Ausübung des Rücktrittsrechts besteht, praktisch kein Raum bleibt; braucht der Senat nicht grundsätzlich zu entscheiden. In dem hier vorliegenden Fall des Verkaufs von “Wundermitteln” durch Nachnahmesendung führt jedenfalls das Zusammentreffen von mehreren Umständen dazu, daß bei objektiv-wirtschaftlicher Betrachtungsweise das Vermögen des Getäuschten um den Kaufpreis vermindert worden ist, wenn man die Summe der geldwerten Güter der Getäuschten vor der Geldhingabe einerseits und danach, also nach Erhalt des wirkungslosen Präparates mit dem Rücktrittsrecht andererseits vergleicht. Die Geschädigten haben nämlich weniger erhalten, als ihr Anspruch wert war.

Anders als das Landgericht – u. a. unter Bezugnahme auf OLG Köln MDR 1975, 244 – meint, wird die Vermögensminderung um den Kaufpreis durch das Rücktrittsrecht nicht wirtschaftlich vollwertig ausgeglichen. Bezogen auf die Gesamtheit der Geschäfte fehlt es zunächst schon an einem durch alle Geschädigten realisierbaren wirtschaftlich vollwertigen Ausgleich. Obwohl alle Käufer ein wirkungsloses Präparat erhalten hatten, also auch sämtlich rücktrittsberechtigt waren, war es dem Angeklagten ersichtlich gar nicht möglich und von ihm auch nicht beabsichtigt, ihnen allen – also nicht nur dem erfahrungsgemäß reklamierenden Anteil bis zu einem Zehntel – den Kaufpreis zu erstatten.

Entscheidend ist aber die Unsicherheit des Betrogenen, ob und gegebenenfalls wie ein Rücktrittsrecht überhaupt ausgeübt werden kann, wenn das Präparat teilweise oder – um die erwünschte Wirkung herbeizuführen – gar ganz verbraucht wurde. Gerade im Fall völligen Verbrauchs wird ähnlich wie bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung letztlich ausschließlich dem Getäuschten das Risiko aufgebürdet, vom Vertrag loszukommen (vgl. BGHSt 23, 300, 302/303). Ferner sind die – durch die Auswahl der Werbeträger vorwiegend in der sog. Regenbogenpresse und Trivialromanen bewußt ausgenutzt – Geschäftsungewandtheit und Unerfahrenheit des angesprochenen Personenkreises, dem die Ausübung eines Rücktrittsrechts faktisch erheblich erschwert ist, von wesentlicher Bedeutung. Gerade auf diese zusammentreffenden Umstände der Lebenswirklichkeit und auf die Scheu vor Auseinandersetzungen um einen letztlich doch nicht besonders ins Gewicht fallenden Betrag oder auch auf durchaus sinnvolle wirtschaftliche Erwägungen der Getäuschten, etwa daß der Aufwand einer Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erscheint, haben der Angeklagte und seine Hinterleute das betrügerische Geschäft aufgebaut. Hierdurch sollten die Betrogenen im allgemeinen von vornherein ohne “Kompensationsbereitschaft” an dem nachteiligen Vertrag festgehalten werden (vgl. BGHSt 23, 300, 304; Lackner aaO).

Soweit seitens eines nicht ins Gewicht fallenden Teils der Besteller dennoch von dem zur Verstärkung der Täuschungshandlung eingeräumten Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht wurde, ist diesen Betrogenen in Höhe des Kaufpreises Schadenswiedergutmachung geleistet worden (vgl. Arzt/Weber Strafrecht BT Vermögensdelikte – Kernbereich – 2. Aufl. 1986 Rdn. 453). Diese Geschädigten haben sich nach der “Vertragserfüllung” durch Lieferung der wirkungslosen Präparate auf ein Gegenrecht berufen, das ihnen, z.B. auf Grund der Möglichkeit einer Anfechtung oder Wandlung, auch nach dem Gesetz zugestanden hätte.

Der ausweislich der Feststellungen vorsätzlich handelnde Angeklagte beabsichtigte schließlich, jedenfalls einem Dritten – nämlich seinen Hinterleuten – einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, soweit er nicht selbst unmittelbar an den Einkünften partizipierte, sondern nur seine Vergütung als Geschäftsführer erhalten haben sollte.